Narco Polo

In  seinem Blog unter dem schönen Namen “Narco Polo” unternimmt der Autor und Comiczeichner Robert R. Arthur eine Reise durch die bizarre Welt des “war on drugs” und die im Rahmen der Propaganda für diesen Krieg produzierten Lügen und Mythen. Zu diesen gehört seit je der Mythos des heimtückischen Dealers, der seine Opfer umgarnt, ködert und zu abhängigen Sklaven macht. Erstmals etabliert wird dieser moderne Mythos schon Ende des 20. Jahrhunderts, als in den USA den eingewanderten Chinesen der traditionelle Opiumgenuß verboten wurde – und der lasterhafte “Chinamann”, der weiße Jugendliche in seine “düsteren, schmuddeligen Höhlen” lockt, zu einem Inbegriff des Bösen.

“Die ab Mitte des 19. Jahrhunderts in die USA massenhaft eingewanderten Chinesen, die als “Kulis” beim Bau der transkontinentalen Eisenbahnen unverzichtbar waren, begannen nach Fertigstellung der Strecken zu einem “Problem” für den Arbeitsmarkt zu werden – als sehr leistungswillige und gesetzestreue Arbeitskräfte wurden sie zu einer unliebsamen Konkurrenz für die weißen amerikanischen Arbeiter. Dass viele Chinesen nach Feierabend eine Opiumpfeife rauchten, hatte jahrzehntelang kein Problem dargestellt, doch nun wurde es als Mittel ihrer Stigmatisierung eingesetzt. 1875 erließ die Stadt San Francisco das erste Drogenverbot der westlichen Welt, dass sich aber auschließlich gegen das Rauchopium der Chinesen richtete, 1887 verabschiedete der Kongreß ein Gesetz, das nur noch Amerikanern den Import von Opium gestattete. In den Medien war nun regelmaßig von der “gelben Gefahr” die Rede, die nicht nur den Arbeitsmarkt, sondern durch das “lasterhafte” Opium auch den sittlichen Bestand der gesamten Nation bedrohe.Der rechte Flügel der Gewerkschaften machte mit rassistischer Polemik gegen “minderwertige Asiaten” mobil: “Die gelbe Rasse neigt von Natur aus zu Lüge, Betrug und Mord, und 99 von 100 Chinesen sind Glücksspieler”, tönte 1902 ein Pamphlet des anti-sozialistischen Gewerkschaftsführers Samuel Gompers. Ganz im Stile totalitärer Propaganda zeichnet er ein schreckenererregendes Bild des Chinesen, der weiße Jungen und Mädchen zum Opium und zu Schlimmerem verführt: “Welche anderen Verbrechen in diesen düsteren, schmuddeligen Höhlen verübt wurden, wenn die kleinen unschuldigen Opfer chinesischer Lasterhaftigkeit unter dem Einfluß des Rauschgifts standen, ist fast zu schrecklich, um es sich vorzustellen…” (Auszug aus:  “Die Drogenlüge – Warum Drogenverbote den Terrorismus fördern und Ihrer Gesundheit schaden”, Frankfurt 2010 )

Schrecklich ist auch die Vorstellung, dass sich dieser Horrormythos dank zeitgemäßer Adaptionen und Anpassungen bis heute hält, auch wenn die Realität völlig anders aussieht.  Dass Timothy Leary 1967 den “guten Dealer” als Robin Hood des neuen Zeitalter visionierte  – ‘The dope dealer is selling you the celestial dream. He is very different from any other merchant because the commodity he is peddling is freedom and joy. In the years to come the television dramas and movies will make a big thing of the dope dealer of the sixties. He is going to be the Robin Hood, spiritual guerrilla, mysterious agent – who will take the place of the cowboy hero or the cops and robbers hero.’ (Timothy Leary, ‘Dope Dealers – New Robin Hood’, 1967) – hat sich als zu optimistisch erwiesen, denn tatsächlich wurde der Drogenhändler in TV und Kino eher zu einem der Top “bad boys.”  Und auch die genaue Unterscheidung zwischen dem “Pusher” , der gefährlichen, verschnittenen Dreck verkauft, und dem Dealer “with the love grass in his hand”, die Steppenwolf   in ihrem Klassiker  “The Pusher” trafen wurde schnell verwischt, zu Ungunsten des robin-hood-artigen Dienstleisters für glückliche Kunden machte allein der “Pusher” Karriere. Als  Teufel, der unsere Kinder vor dem Schulhof zum Rauschgift verführt, als gewissenloser Parasit, der sich an der Sucht und Not seiner Klienten mästet, als modernes Monster. Dass solche Gestalten in der Realität kaum eine Rolle spielen und sie mit dem “Suchtproblem” nur so viel zu tun haben wie der Wirt mit dem Durst seiner Kunden – all das tat der monströsen Karriere des finsteren Drogenhändlers keinen Abbruch. Und weil er als Horrorgestalt gebraucht wird – um von den eigentlichen Profiteuren des Drogenkriegs abzulenken, die Schlips, Kragen und Uniform tragen – muß er als Mythos immer weiter leben…

6 Comments

  1. Alles gut und schön – aber was ist nun die Konsequenz des ganzen? Lassen wir den Dealer also weiter sein Handwerk betreiben? Soll sich die Polizei beim verhafteten Dealer entschuldigen und ihn mit einer Haftentschädigung laufen lassen?
    Ich meine schon, daß auch der Wirt, der dem offensichtlich Alkoholkranken Schnaps verkauft, Verantwortung und Mitschuld trägt.

  2. hallo blaubeere,
    Du hast aber nicht gerade einen über den durst gezischt?
    ehrlich, plädierst Du für den totalen polizeistaat, in dem der erfahrende – der menschliche weltbewohner, der nur ein kurzes leben hat, um sich und das ganze zu erfahren und somit sich selbst bzw. seiner bestimmung als menschliches wesen gerecht zu werden – zum schluss selber erst noch polizist werden muss, um gewisse “spirituosen” aus der asservatenkammer klauen zu können?

  3. Pecas, sas soll diese Frage denn? Ich frage lediglich nach der Folgerung aus dem Blogeintrag, der ja, wenn ich ihn richtig verstehe, den Verkäufer von Rauschgiften nahezu zum Helden stilisiert. Deshalb rufe ich noch lange nicht nach einem “Polizeistaat”. Was soll diese Unterstellung?
    Ich bezweifele auch, daß es der “Bestimmung als menschliches Wesen gerecht” wird, sich zuzudröhnen – sei es mit Rauschgift oder mit Alkohol. Bemitleidenswerte Kreaturen, die meinen, so etwas nötig zu haben. Wie ich schon einmal in einer früheren Diskussion schrieb, habe ich von Berufs wegen immer wieder mit Menschen zu tun, die sich mit Drogen und/oder Alkohol zugrunde gerichtet haben oder auf dem Weg dahin sind, und deshalb kann ich persönlich nichts Positives daran finden.

  4. blaubeere,

    der M. Bröckers hat, wie gewöhnlich, in seinem artikel ein kontroverses thema angeschnitten.

    lass mich ein ziel einstellen: orientierung – gerade bei den fragen ‘wer bin ich’ und ‘wohin’.
    damit ist unsere – gerade unsere moderne – zivilisation nicht gerade gesegnet.

    “rauschgift” ist, soweit ich weiß, schon einmal nicht die bezeichnung, die diejenigen gebrauchen, die gewisse, in der natur vorkommende substanzen bewusst und oftmals auch in einer äusserst freien, freilich auch immer schon zum gegenstand von hexenjagden gemachten traditionslinie und selbstverantwortlich benutzen; auch um ein “zudröhnen” geht es da – ebenfalls so weit mir bekannt – partout nicht.

    gewissen menschen – vielleicht sind es die, die den künstler in sich spüren, das soll es ja geben bzw. einmal gegeben haben – kann der gebrauch von sauberen psychoaktiven substanzen nicht schaden; die beste definition solcher typen, die ich kenne, stammt von Giorgio Agamben, vielleicht wird durch folgendes zitat das verständnis meiner auffassung besser: “Der Künstler ist der Mensch ohne Inhalt. Er hat keine andere Realität als die eines unablässigen Auftauchens aus dem Nichts des Ausdrucks und keine andere Konsistenz als seine unverständliche Lage jenseits seiner selbst.” (G. A., Der Mensch ohne Inhalt, Berlin 2012)

    der alkoholiker ist als notorischer schmerz-zudröhner etwas anders gepolt als der bewusst orientierunggssuchende (siehe Blogeintrag/Hauptartikel) “love-grass”-nutzer; die beiden sollte man nicht in einen topf werfen.

    das dumme an der ganzen sache ist, dass sich – auch das ist der tabuisierung der ganzen thematik geschuldet – jede menge an ‘unbefugten’ (mitläufer, preismichel, übertreiber, ungesunde, dumm motivierte), oft bloß aus “konsumerspaß”, sowie mit bzw. in einem unpassenden setting mit dingen “vergnügen” wollen, die für andere, respektvollere, durchaus eine ganz spezielle medizin sein können – sich für jene jedoch als gift erweisen.

    verallgemeinerungen sind bekanntlich nur der stoff, aus dem die dummheit ist; und mir widerstrebt es, alle und alles über diesen einen kamm zu scheren.

    “die konsequenz” -? such sie Dir für Dich aus.

  5. Ich könnte es mir ja auch einfach machen und sagen: “Macht doch, was Ihr wollt!”
    Es ist halt leider nur so, daß viele Drogen- und Alkoholkranke zu Beginn ihrer “Karierre” der Überzeugung waren, sie hätten den Gebrauch der jeweiligen Substanz “unter Kontrolle” und könnten “jederzeit damit aufhören”. Und dann sitzen oder liegen sie bei uns in der Sprechstunde, die einstigen Helden, zitternd, heruntergekommen, inkontinent, mit Störungen bei Artikulation und Verstehen, Hören und Sehen, usw. Aber in den Augen von einigen scheint das alles ja nur “ein Mythos” zu sein. Bitte, wenn Ihr meint…

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