Wenn aus dem I ein Y wird

Mit einem neuen Schulgesetz lodert der Sprachenstreit in der Ukraine wieder auf, dem wir 2014 in  “Wir sind die Guten”  schon einen kurzen Absatz gewidmet haben. Der es allerdings in sich hatte, zumindest für einen FAZ-Vollpfosten namens Reinhold Veser, der unserem Buch daraufhin “Volksverhetzung” und “rassistische Esoterik” vorwarf. Dabei hatten wir uns als Nicht-Experten slawischer Sprachen bei den Ausführungen über das Russische und Ukrainische auf den größten Dichter der Stadt Kiew, Michail Bulgakow, berufen. Und diesen dazu auch zitiert, was der Rezensent aber unterschlagen musste, denn sonst hätte er seine Fake-News von der “Volksverhetzung” nicht produzieren können. Wie auch immer, das Buch erscheint kommenden Monat auf Russisch, was ja auch sehr viele Ukrainer/innen sprechen und lesen, und wir sind gespannt wie die Linguisten vor Ort die Sache sehen. Hier der Ausschnitt aus dem Buch:

“Im Jahr 1918 war Kiew von drei verschiedenen Mächten beherrscht: zuerst von den Bolschewisten, die nach dem Sturz des Moskauer Zaren auch in Kiew die Macht übernommen hatten, dann von den Deutschen, welche die Rotarmisten verjagten und ein Marionettenregime unter Pawlo Skoropadsky einsetzten, das sogleich die russische Amtssprache verbot und eine ukrainische Grammatik einführte, und zuletzt nach dem Rückzug der Deutschen im Dezember 1918 von einem selbst ernannten ukrainischen Nationalisten, Simon Petljura, in dessen Herrschaftsbereich während seiner nur 15 Monate dauernden Amtszeit mindestens 35000 Juden ermordet werden.

Der in Kiew aufgewachsene Arzt und Schriftsteller Michail Bulgakow beschrieb diese schreckensreiche Jahre in seinem autobiografisch geprägten Roman “Die Weiße Garde”, in dem er aus seiner tiefen Abneigung gegen die roten Revolutionäre keinen Hehl macht, den entstehenden ukrainischen Nationalismus aber noch viel furchtbarer findet, vor allem weil er »die russische Bevölkerung terrorisiert mit einer scheußlichen Sprache, die es gar nicht gibt«. In dieser Neuerfindung liegt für Bulgakow die Wurzel des Nationalismus, und schon in seinem ersten Roman erweist sich der spätere Autor von “Der Meister und Margerita” als der satirische Großmeister der Weltliteratur, wenn er die neue Sprachverwirrung mit beißendem Spott beschreibt:

»Vorgestern fragte ich diese Kanaille Doktor Kurizki, der kann seit November vorigen Jahrs plötzlich kein russisch mehr. Früher Kurizki, jetzt ukrainisch Kuryzky. Ich frage ihn also, wie Kater (russisch Kot) auf ukrainisch heißt, das wußte er noch (Kit), aber als ich ihn fragte, wie der Wal (russisch Kit) heißt, glotzt er mich an und schweigt.«

Die Etablierung des Ukrainischen, das nichts anderes als Russisch mit ein paar abgeleiteten Vokalen ist und als Bauernsprache keine Worte für die Tiere hat, die nicht auf Feld und Flur leben, – die Einführung dieses Dialekts als Nationalsprache war für den Wortkünstler Bulgakow nicht ein neuer, patriotischer Anfang, sondern ein Rückschritt in einen beschränkten, bornierten Nationalismus

Fast ein Jahrhundert später ist der von Bulgakow thematisierte Sprachenstreit immer noch hochaktuell: bei einer Debatte über das von Präsident Janukowitschs „Partei der Regionen“ eingebrachte Gesetz, dass Minderheitssprachen in den Regionen als zweite Amtssprachen genutzt werden können, flogen noch 2012 im Kiewer Parlament nicht nur schlagkräftige Argumente, sondern auch die Fäuste. Was verdeutlicht, dass es sich in einem Land, in dem fast die Hälfte der Einwohner zu Hause Russisch spricht, um mehr als bloße Symbolpolitik handelt, die mit simpler Schwarz/Weiß bzw. „y“/“i“ –Malerei auf Wählerfang aus ist, sondern dass die Ukraine nach wie vor und emotional höchst aufgeladen um die fundamentalen Grundlagen eines Nationalstaats ringt. Was nicht nur einer übersteigerten Zurückdrängung alles Russischen geführt hat, sondern auch zu einer ungebrochenen Verehrung äußerst zwielichtiger Helden wie dem radikalen Nationalisten Petljura, dem in Kiew ein übergroßes Denkmal errichtet wurde. Wie auch seinem Nachfolger im Geiste, dem Partisanenkämpfer und Kollaborateur der deutschen SS Stepan Bandera, den Präsident Juschtschenko kurz vor seiner Abwahl 2010 noch mit dem höchsten Orden des Landes zum „Held der Ukraine“ erhob. Als sein Nachfolger Janukowitsch dies über die Gerichte 2011 rückgängig machte, beschuldigten ihn Juschtschenko „die Geschichte umzuschreiben und die Helden des ukrainischen Volks zu erniedrigen, um Russland zu gefallen.“

6 Comments

  1. @AVM:
    Die Spezies “Vollpfosten” stammt aus der Familie der “Vollidioten” und zeichnet sich durch massive Dumpfheit aus. Wer einen funktionierenden Kopf hat sollte Kontakt mit Vollpfosten tunlichst vermeiden.

  2. Die Unterschiede zwischen Russisch und Ukrainisch sind geringer als zum Beispiel die zwischen Bayerisch und Hochdeutsch. Wenn nun ein Freistaat Bayern sich von Rest-Deutschland trennen würde und “Bayerisch” als Landessprache einführen wollte und an Schulen “Hochdeutsch” als Fremdsprache ? Müsste man das Bayerische dann in den Sprachatlas und die Google-Übersetzung aufnehmen ? Ich denke, man würden dem neuen Bayern-König eher einen Vogel zeigen – und er käme wohl auch gar nicht auf die Idee. Dass die Frage der Sprache in der Ukraine so eine Rolle spielt, liegt wohl an dem Identitätsproblem, dass sie dort haben – deshalb auch der völlig überzogene, faschistoide Nationalismus im Westen des Landes und die sehr verständliche Ablehnung im Osten.

  3. Sorry, Mathias, bei aller Wertschätzung und grundsätzlichen Zustimmung in der Sache halte ich die These, dass Ukrainisch “nichts anderes als Russisch mit ein paar abgeleiteten Vokalen” sei, für recht verwegen. Auch wenn dieser Argumentation sicherlich jeder sowjetische Machthaber (vielleicht mit Ausnahme Chruschschtschows) zugestimmt hätte. Ukrainisch ist eine eigenständige ostslawische Sprache und eben KEIN Dialekt. Der Unterschied zwischen Ukrainisch und Russisch ist genauso groß wie der zwischen Deutsch und Holländisch. Was würden wohl die Holländer sagen, würde jemand behaupten, Holländisch sei nichts anderes als Deutsch, mit ein paar nicht verschobenen Lauten, weil es unter anderem halt die Zweite Lautverschiebung nicht mitgemacht habe? Auch Sardisch ist mitnichten ein italienischer Dialekt, sondern eine eigenständige (romanische) Sprache. Dasselbe gilt für Katalanisch und Spanisch. Wenn es jemals eine autonome Republik Katalonien geben sollte (kaum vorstellbar, das wird man schon zu verhindern wissen), dann dürfte mit ziemlicher Sicherheit auch dort zu erwarten sein, dass ein ähnlicher Sprachenstreit vom Zaun bricht, wie jetzt in der Ukraine (oder vor Jahren in den baltischen Republiken). Die Ukraine liegt kultur- und religionsgeschichtlich gesehen zwischen Abendland und Russland. Auch wenn die alte (aber immer noch aktuelle) Frage, ob Russland eigentlich zu Europa gehöre, im Gegensatz zu der dümmlichen Propaganda der Qualitätsmedien selbstverständlich mit JA zu beantworten ist (der Russlandhistoriker Werner Philipp hat dies schon vor Jahrzehnten klug ausgeführt), so hat es (wie ein Teil der Ukraine) jedoch nie zum Abendland gehört. Dass an einer solchen kulturellen Schnittstelle ein solcher Konflikt, eben ein “Clash of the Cultures” ausbricht, hat Samuel Huntington, einer der US-amerikanischen Think Tanks schon 1993 in seinem gleichnamigen Buch herbeigeschrieben. Und wie man bei so einem “Clash” nachhelfen kann, dafür gibt es natürlich auch Fachleute … .

    1. Nicht nur Chruschtschow, auch Stalin hätte wohl seine Zustimmung verweigert, führte letzterer doch in den 1930er Jahren eine restriktive Ukrainisierung durch, vor allem in den durch Lenin der Ukraine zugeschlagenen russischsprachigen Gebieten von Odessa bis Charkow (und natürlich dem Donbass). Stalin knapste ja dann auch von den westlichen Nachbarn Gebiete ab und schlug sie der Ukraine zu (Lwow und Transkarpathien).
      Ich komme ganz gut mit dem Polnischen zurecht, und noch besser mit dem Russischen, und das Ukrainische erscheint mir, Verzeihung, wie ein etwas ungelenkes Russisch mit einer Reihe von polnischen Wörtern. Fast könnten einem gewisse Kiewer Politiker leid tun, wie sie ihre politischen Reden plötzlich auf Ukrainisch schwingen müssen – in jedem Satz spürt man förmlich die Unbeholfenheit, über große Themen statt in gewohntem Russisch auf Ukrainisch reden zu müssen. Auch verbohrte Kiewer Nationalisten haben Facebook-Seiten auf Russisch, und ich habe auf YouTube sogar Kiewer Kabinettsitzungen verfolgt, die zumindest teilweise auf Russich durchgeführt wurden. Das neue Sprachengesetz Kiews hat nicht nur den Konflikt mit den russischsprachigen Ukrainern verschärft (und die ostukrainischen Separatisten in ihrem Tun bestätigt), sondern zum offenen Konflikt mit Ungarn, Rumänien und Polen geführt, die ihre jeweiligen Minderheiten diskriminiert sehen. Ganz dreiste Blogger spekulieren schon, das Land würde einst zwischen den angrenzenden Ländern zerrissen und aufgeteilt werden, so daß nur ein ukrainisches Kernland um Kiew herum verbleiben würde…

  4. Aus WP:

    Die UNESCO hat 2009 die bairische Sprache als gefährdet und damit schützenswert eingestuft. Merkmale für die Einwertung als Sprache sind unter anderem in der Europäischen Charta der Regional- und Minderheitensprachen beschrieben.

    „Von den grammatischen Besonderheiten her ist das Eigengepräge des Bairischen gegenüber dem Schriftdeutschen so stark, dass allein diese Tatsache genügt, dem Bairischen den Status einer eigenen Sprache zu verleihen.“
    – Robert Hinderling

    Innerhalb des Bairischen wird zwischen Nordbairisch, Mittelbairisch und Südbairisch unterschieden
    … …
    Ich behaupte der Unterschied zwischen Platt und Bairisch ist genau so groß wie der zwischen Deutsch und Niederländisch…
    Über das Verhältnis Ukrainisch und Russisch kann ich nichts sagen.

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