"Spiegel"-Hetze gegen Hanf

Das ehemalige Nachrichtenmagazin "Spiegel" hat sich einmal mehr um Desinformation und Tendenzberichterstattung verdient gemacht und die Titelstory "Die Cannabis-Seuche" fabriziert. Der Newsletter von "cannabislegal.de" hat sich die übelsten Falschbehauptungen aus diesem Artikel vorgenommen.

Es ist paradox, wenn ausgerechnet Befürworter der Beibehaltung der Cannabisprohibition zur Untermauerung ihres Standpunktes auf den unter eben diesem System eskalierenden Cannabiskonsum unter Jugendlichen verweisen. Das Cannabisverbot hat das Problem nicht verhindert, sondern mitverursacht: Wo auch Erwachsene nur auf dem Schwarzmarkt einkaufen können, gibt es keine Alterskontrollen beim Verkauf.
 

Dass verstärkt versucht wird, die angebliche Notwendigkeit des generellen Cannabisverbots mit problematischem Konsum bei Jugendlichen zu begründen, verrät jedoch auch, wie unglaubwürdig die Begründung des Verbots für Erwachsene mittlerweile geworden ist, die schliesslich die grosse Mehrheit der Konsumenten von Cannabis darstellen. Laut offiziellen Studien sind etwa 85% der aktuellen Cannabiskonsumenten in Deutschland Erwachsene. Das hinderte das Hamburger Magazin "Der Spiegel" nicht daran, sein Titelseitenthema Cannabis anlässlich des Welttages der Drogen mit einem Schulkind zu illustrieren, das einen meterlangen Joint als Schultüte trägt.
 

Der Tonfall des Artikels ist eher alarmierend als sachlich, die Darstellung tendenziös. Ein typisches Beispiel:
 

 

Erste Ergebnisse aus Tierversuchen lassen zumindest für Gehirne von Pubertierenden das Schlimmste befürchten. Bremer Forscher spritzten jugendlichen und erwachsenen Ratten täglich den Wirkstoff THC , etwa so viel, wie ein Joint enthält. Die erwachsenen Tiere verhielten sich normal , die pubertären waren unaufmerksam und antriebslos - Verhaltensweisen, die auch Menschen mit Wahnideen zeigen. Die Jungratten wurden erst wieder normal, als sie ein Neuroleptikum bekamen. Eine Medikamentengruppe, die bei Schizophrenie eingesetzt wird.
 

("Ein Joint für die große Pause", S. 70 ff, Spiegel, 28.06.2004)

Ganz abgesehen davon, dass die Bremer Studie keine Vorwände für die Verfolgung von Erwachsenen lieferte: Die Bremer Wissenschaftler verwendeten gar kein THC sondern Win 55,212-2 , eine viermal stärker wirkende synthetische Substanz, die in Cannabis nicht vorkommt (siehe CLN#130 , 17.10.2003). Im Gegensatz zum "Spiegel" stellte ein Artikel in der Schweriner Volkszeitung, der auf die selbe Studie bezug nahm, wenigstens dieses eine Detail richtig dar ( SVZ , 28.06.2004).
 

Doch das war nicht alles. Auf einen jungen Menschen mit 50-60 kg Körpergewicht übertragen, entsprach die in der Bremer Studie verwendete Dosierung nicht wie behauptet "einem Joint" sondern dem THC-Anteil von stolzen 3 bis 3,6g Cannabis. Zum Vergleich, der Cannabisanteil eines Joints in Europa liegt laut einer aktuellen EMCDDA-Studie zwischen ca. 100 und 250 mg, also einem Zehntel bis einem Viertel eines Gramms. Die Autorin der Bremer Studie, Frau Miriam Schneider, distanzierte sich im vergangenen Oktober in einer Email an uns selbst von der "ein Joint pro Tag"-Interpretation der Medien:
 

 

Die Interpretation unsere Dosis entspräche einem Joint pro Tag kommt so definitiv nicht von mir und auch nicht von Prof. Koch.
 

Frau Schneider verteidigte damals uns gegenüber die Vergleichbarkeit ihrer Studienbedingungen mit menschlichem Konsum mit folgendem Rechenbeispiel:
 

 

Meines Wissens geht man von einer mittleren Bioverfügbarkeit von gerauchtem THC von 25 % aus. Wenn ich etwa von 1g THC in einem Joint ausgehe bleibt nach meiner Rechnung eine bioverfügbare Dosis von etwa 4,1mg/kg übrig beim Menschen (...).
 

[Anmerkung: Diese Rechnung bezog sich auf ca. 60kg Körpergewicht]
 

Diese Dosierung entspricht tatsächlich den 1,2mg/kg Win 55,212-2 (analog zu 5mg/kg THC) in der Bremer Rattenstudie. Uns ist jedoch kein Cannabiskonsument bekannt, der 12g Haschisch zu 8% THC in seinen Joint bröselt, um auf besagtes 1g THC zu kommen. Selbst 1g Cannabis (= ca. 0,08g THC ) wäre noch ein Mehrfaches der üblichen Einzeldosis. Der ermittelte Tageskonsum von Dauerkonsumenten in der Kleiber/Soellner-Studie betrug 1,1g.
 

Wenn ein Jugendlicher von 12 bis 17 durchgehend täglich Dutzende von Joints rauchen würde, wäre es natürlich nicht verwunderlich, wenn er Probleme bekäme. Nur, wie aussagekräftig ist so ein extremes Konsummuster bei Ratten (die übrigens ihre Pubertät etwa 50mal schneller durchlaufen als ein Mensch) für unter Jugendlichen in Deutschland tatsächlich vorkommende Konsummuster?
 

Die bösen Legalisierer...
 

Kritisch sah der "Spiegel"-Artikel jene, die sich für einen toleranteren Umgang mit Cannabis einsetzen. Dabei müßte Strafverfolgung als Lösungsansatz auf indirektem Wege zu weniger Problemen führen als ein liberalerer Umgang, damit die direkten Probleme durch Kriminalisierung aufgewogen würden. Genau das ist jedoch nicht der Fall, wie Vergleiche aus vielen Ländern zeigen. Der "Spiegel"-Artikel gibt selbst zu, dass die derzeitige Strafverfolgung in Deutschland gegen Cannabiskonsumenten zu keinen niedrigeren Konsumzahlen geführt hat als in den Niederlanden, wo man seit mittlerweile 28 Jahren einen toleranteren Umgang mit Cannabis pflegt, der ohne Kriminalisierung der Konsumenten auskommt:
 

 

In den Niederlanden wird seit Jahrzehnten die Drogenpolitik von der Furcht bestimmt, Verbote könnten den Konsum sogar beflügeln, weil sie Drogen für Jugendliche interessanter erscheinen ließen. Seit die Regierung in den siebziger Jahren den Cannabis-Konsum de facto straffrei machte, gilt die niederländische Drogenpolitik als die freizügigste in Europa.
 

Der Vorteil liegt für Drogenberaterin Marijke Bouts von der Mondriaan Zorggroep in Maastricht auf der Hand: "Wir können viel einfacher aufklären, wenn das Thema für die Jugendlichen nicht so spannend ist."
 

Nur: Niederländische Jugendliche konsumieren nicht mehr und nicht weniger als deutsche. Die Hoffnung, der legale Verkauf weicher Drogen in den niederländischen Koffieshops werde Konsumenten von Heroin oder Kokain abhalten, hat sich ebenfalls nicht erfüllt - auch in diesem Bereich sind die Zahlen der Suchtkranken ähnlich wie in Deutschland.
 

("Erfahrungen in anderen Ländern zeigen: Der Drogenkonsum wächst - die Politik ist weitgehend hilflos", S. 74 ff, Spiegel, 28.06.2004)

Dass allein das "Millionendorf" München schon ähnlich hohe Drogentotenzahlen vorweisen kann wie die gesamten Niederlande mit ihren 16 Millionen Einwohnern, scheint den "Spiegel"-Redakteuren nicht bekannt zu sein (siehe CLN#128 , 03.10.2003).
 

Wie kompliziert dagegen das strafrechtliche Verbot und die damit verbundenen Ängste die Präventionsbemühungen in Deutschland gestalten, schneidet der Artikel zwar an, zieht aber keine Schlüsse daraus:
 

 

Vor wenigen Wochen forderte der bayerische Landtagsvizepräsident Peter Paul Gantzer (SPD) sogar Kultusministerin Monika Hohlmeier auf zu intervenieren. Bayerische Schulleiter, so Gantzer, weigerten sich, bei der Drogenaufklärung mit der Polizei zusammenzuarbeiten, wohl weil sie um den Ruf ihrer Schulen fürchteten. Und als der Drogenarzt Alexander Diehl, zuständig für eine Spezialambulanz am Mannheimer Institut für Seelische Gesundheit, in Schulen vor Partydrogen warnen wollte, musste er "regelrecht Klinken putzen". Kein Schulleiter habe mit einer Präventivveranstaltung "in der Zeitung stehen" wollen.
 

("Ein Joint für die große Pause", S. 70 ff, Spiegel, 28.06.2004)

Wie auch die Drogenbeauftragte der Bundesregierung schrieb der "Spiegel" über neue Drogenberatungszahlen im Zusammenhang mit Cannabis:
 

 

Rund 15000 Kiffer wenden sich heute jährlich an Drogenberatungsstellen, fünfmal so viele wie noch vor zehn Jahren. Diese Welle zwingt zur Korrektur etlicher Irrtümer in Sachen Drogensucht.
 

Der größte: Cannabis, die angeblich so harmlose Modedroge dieses Jahrzehnts, ist weitaus gefährlicher als noch zu seligen Hippie-Zeiten - sie ist heute etwa fünfmal so wirksam. Das hochpotente Kraut, geraucht als Marihuana aus den Blütenständen oder als Haschisch aus dem Harz der Hanfpflanze, kann krank machen und im schlimmsten Fall Karriere und Leben zerstören.
 

("Ein Joint für die große Pause", S. 70 ff, Spiegel, 28.06.2004)

Die Behauptung vom steilen Anstieg des Wirkstoffgehalts widerspricht einer Studie der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EMCDDA), die "keine Hinweise auf einen bedeutenden Anstieg des Wirkstoffgehalts" in den meisten europäischen Cannabismärkten feststellen konnte (siehe "EMCDDA: Kein Anstieg des Wirkstoffgehalts" ).
 

Auch mit den Suchtberatungszahlen steht der "Spiegel"-Artikel auf wackeligen Beinen. Sieht man sich die Veröffentlichung des Instituts für Therapieforschung (IFT) an, auf die sich der "Spiegel" beruft, wenn er von 15000 hilfesuchenden Kiffern schreibt, dann zeigt sich, dass es sich dabei überwiegend um Personen handelt, die vor allem mit einer anderen Droge (in abnehmender Häufigkeit: Opiate, Alkohol, Amphetamin, Kokain) Probleme haben. Nur in 41,7% der ausgewerteten Fälle mit Cannabis geht es vorwiegend um Cannabis. Die IFT-Statistik nennt 8438 solcher Fälle. Ganz anders etwa bei Alkohol, der bei 85,4% Prozent der Suchtberatungsfälle, in denen er im Spiel ist, auch die Hauptproblemdroge darstellt (ähnlich auch bei Heroin: 82.2%). Auch ist bei der verbleibenden Zahl unklar, wie oft Probleme mit der Justiz oder dem Führerschein und nicht mit der Droge selbst Anlass für Drogenberatungsbesuche sind. Regelmäßigen Cannabiskonsumenten wird schließlich vom Gesetzgeber - anders als regelmäßigen Alkoholkonsumenten
- die Fahreignung pauschal abgesprochen, ohne dass sie unter Drogeneinfluss am Strassenverkehr teilgenommen haben müssen.
 

Fazit
Das Totalverbot hat den Anstieg des Konsums nicht gebremst, aber es verhindert Alters- und Qualitätskontrollen beim Verkauf. Es führt vor allem dazu, dass nicht offen über Konsumerfahrungen von Jugendlichen und Erwachsenen geredet wird. Es führt dazu, dass die einzigen Vorbilder von unerfahrenen Jugendlichen andere unerfahrene Jugendliche sind. So kann man die Jugend genausowenig schützen wie mit der Tabuisierung von Sexualität in den 50er Jahren. Damit wurde der Bock zum Gärtner gemacht.
 

Genau wie bei Geschlechtsverkehr kann man beim Umgang mit Cannabis zuviel falsch machen, als dass man es verantworten könnte, durch Tabuisierung die "Aufklärung" den Altersgenossen auf dem Schulhof zu überlassen.
 

Drogenwelle überschwemmt die Schulen [26.06.2004]
http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/0,1518,306013,00.html
 

2.5: Hauptdiagnose + Sekundärdiagnosen (Spaltenprozent) [IFT Suchthilfestatistik 2003]
http://www.cannabislegal.de/argumente/ift2003-hd.htm
 

Cannabis in der Pubertät [CLN#130, 17.10.2003]
http://www.cannabislegal.de/cln/cln130.htm#3
 

Zeitlmann (CSU) recycelt Pressemitteilung [CLN#128, 03.10.2003]
http://www.cannabislegal.de/cln/cln128.htm#3
 

 

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