Das Königreich der Sprache

09-09-16-2010-bildschirmkopieEnde August  erschien “The Kingdom of Speech” von  Tom Wolfe,  von jeher bzw. seit “Electric Cool Aid Acid Test” einer meines Lieblings -Schreiber/Reporter/Erzähler und als ich in der Ankündigung sah, dass es sich a) um non-fiction und b) um Darwins Evolutionstheorie  und Chomkys Universalgrammatik handelt, musste ich das Werk sofort bestellen und lesen. Weil ich a) Wolfes Romane zwar meistens  gut  fand, seine Reportagen aber immer vom Feinsten und mich b) schon viel mit Darwin und seinen mißratenen neo-darwinistischen Jüngern befasst habe sowie in den 70ern fünf Jahre Linguistik studiert und Chomsky quasi als studentische Muttermilch inhaliert hatte. Also die Theorie einer im Gehirn  quasi fest verdrahten Einrichtung, die dem Menschen, anders als den Affen und anderen Verwandeten, den Spracherwerb ermöglicht. Je nach dem, mit welchen Daten (Worten) die Maschine gefüttert wird,  kann ihre Software (“generative Transformationsgrammatik”), nach bestimmten formalen Regeln Sätze bilden. So entsteht aus einer begrenzten Anzahl Worte und einer begrenzten Anzahl Regeln eine prinzipiell unendliche Sprache. Darwin hatte das Entstehen der Sprache noch als Imitation des Vogelgesangs gedeutet, Chomskys Theorie eines in allen menschlichen Gehirnen befindlichen Sprachorgans wurde dann ab den 1950er Jahren zum herrschenden linguistischen Paradigma.  Gefunden, in  neuronalen Strukturen geortet oder sonst irgendwo (“Ich denke sowieso mit dem Knie” J.Beuys) lokalisiert wurde dieser geheimnissvolle grammatikalische Bio- Computer freilich bis heute nicht. Genausowenig wie der magische Mechanismus der “natürlichen Selektion”, der im Zentrum der Evolutionstheorie steht und sich wegen seines sehr allmählichen Ablaufs der Beobachtung entzieht. Wolfe erzählt, wie Darwin und die ehrenwerte Royal Society diese Idee von dem armen Feldforscher und “Fliegenfänger” Alfred Wallace abkupferten, der das erste Papier dazu aus dem fernen Malaysia eingesandt hatte, wie sie ihn danach nolens-volens als Ko-Pionier umgarnten und sich wieder entzweiten, als Wallace darauf beharrte, dass damit das eigentlich Menschliche, nämlich die Sprache, ja noch nicht gar nicht erklärt sei.

Insofern gab es in der Tat keinen Anlass aus der Evolutionstheorie eine umfassende “Theorie für Alles” zu machen, was dann  aber genauso geschah, wie später mit der Theorie der Universalgrammatik von Noam Chomsky, die fortan als linguistisches Evangelium galt. Bis ein weiterer “Fliegenfänger” – der vom Missionar zum Anthropologen zum Ethno-Linguisten mutierte Daniel Everett – eine einzigartige Entdeckung machte: ein von der Außenwelt völlig unberührtes Volk, die Pirahã im Amazonasdschungel Brasiliens, mit einer Sprache, die sich von allen bekannten Sprachen unterschied. Sie kannten weder Zahlen noch Singular und Plural oder Vergangenheit und Zukunft, geschweige denn beherrschten sie die Rekursion, das Allerheiligste des Chomksyismus, nämlich die Fähigkeit, ad infinitum  Nebensätze zu bilden. “Die schöne Frau, die mich heute früh an der Bushaltestelle so strahlend anlächelte,als ich von dem Buch aufsah, in dem Maurice Maeterlinck  über die Intelligenz der Blumen schrieb, dass…”  – so etwas können die Pirahas nicht. Sie haben  keinerlei Werkzeuge, außer Pfeil und Bogen, keine Götter und Kulte, keine Hierarchien oder Anführer – sie leben nur in der Gegenwart und haben eine entsprechende Sprache entwickelt. Everett erlernte sie in zwei Jahren, lebte fünf weitere Jahre bei diesem Volk und stellte fest; Sprache scheint nicht auf einer eingebauten Apparatur zu beruhen, sondern ist ein kulturelles Werkzeug, das von Menschen entsprechend ihrer Umgebung entwickelt wird.

Wie die Chomskyianer und der Meister selbst auf diesen Angriff ihrer Großtheorie durch einen Giftpfeil vom Amazonas reagierten, der mit sauberer Empirie und praktischer Feldforschung munitioniert das Paradigma der Linguistik erschütterte – dieser Lektion ist der zweite Teil von Wolfes Essay gewidmet und auch hier geht es wie bei Darwin/Wallace um das Drama Establishment vs. Außenseiter, Zitadelle der Wissenschaft vs. praktische Forschung, autoritative Ideologie vs. subversive Fakten. Klar, dass Wolfe seine spitze Feder eher Letzteren leiht – auch mit 85 schreibt er noch derart frisch, fröhlich und frei, dass diese 170 Seiten wie im Flug vergehen –  und klar auch, dass er mit seinem Anti-Darwin und Anti-Chomsky-Approach weder Kreationisten, noch Evangelikalen oder anderen Dumpfbacken das Wort redet. Sondern nur deutlich macht, dass weder die Evolutionstheorie noch die Universalgrammatik das Wunder erklären können, das uns erst zu Menschen macht: die Sprache.

2 Comments

  1. jaja, immer schön weiter semi-interessante kulturthemen beackern (um abzulenken?), während derweil der orange-häutige rassist, der noch dümmer als bush jr. zu sein scheint (“belgien ist eine wunderschöne stadt”), kurz vor dem einzug ins weiße haus steht, beraten von einem nazi (steve bannon), dessen alt-right buddies einen (weiteren) genozid auf dem boden der usa befürworten. warum gibt es hier nicht ein klares bekenntnis, eine klare warnung? aber nein, trumps isolationismus, seine haltung in sachen russland, der nato, welthandel (allesamt weit links von hillary), lässt broecki schweigen – zumindest drängt sich einem dieser eindruck auf. klar, er ist einer von den bernie-or-bust-leuten, die sanders noch nachtrauern. aber nun geht es ums ganze, hillary vs. trump. mir wäre es ja schon recht, wenn er sich auf die seite jill steins schlüge, aber nicht mal das tut er. *kopfschüttel* ich sähe hier gerne eine offene diskussion über das thema.

  2. Kriegt Trump nicht schon genug Aufmerksamkeit?
    Und ist ja nicht so daß die Leser hier wählen könnten, nicht mal die Pueritocaner dürfen mitwählen… eine echte Kolonie, das wäre auch mal ein Thema… es gibt so viele Themen wie soll Blog alle behandeln

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