Massaker zum Geburtstag

Nachdem ich von den jüngsten Massakern an oppositionellen Demonstranten  hörte, bei denen über 50  Menschen  erschossen und über 1000   verletzt worden waren, atmete ich kurz auf, dass das nicht Russland passiert ist. Denn sonst wäre jetzt vielleicht ein Weltkrieg im Gange, weil damit ja wohl der letzte Beweis vorläge, dass es sich bei Putin um ein “Monster” handelt, das dringend beseitigt werden muss. Bibi Netanjahu aber, der israelische Präsident, kann zum 70. Geburtstag seines Staats einfach so tun, als ob er von Wasserwerfern, Tränengas und Gummiknüppeln noch nie gehört hat und unbewaffnete Demonstranten einfach abknallen lassen – aber niemand nennt ihn “Tier” oder “Monster” oder einen schießwütigen “Autokraten”. Ja, nicht einmal mit großen Ohren und fieser Nase darf man ihn karikieren, dann fliegt man als Cartoonist gleich raus bei der “Süddeutschen Zeitung”, denn das ist “Stürmer”-Stil und erinnert an die dunkelste Phase der deutschen Geschichte, die sich nie wiederholen darf.

Die Karikatur von Dieter Hanitzsch war am Dienstag in der Printausgabe der Zeitung erschienen. Sie zeigt Netanjahu in Gestalt der Siegerin des Eurovision Song Contest, der Israelin Netta. In einer Sprechblase heißt es “Nächstes Jahr in Jerusalem”, dazu hält Netanjahu eine Rakete mit Davidstern in der Hand. Damit, so meinte der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, sei eine rote Linie überschritten: „Mit einer derartigen geschmacklosen Zeichnung entwertet man jede berechtigte Kritik an den Handlungen der israelischen Regierung“, sagte er der “Bild”-Zeitung.

Was aber, wenn von solcher “berechtigten Kritik” kaum eine Spur ist, wenn Netanyahu ein Gemetzel nach dem anderen veranstalten und die palästinensische Minderheit in seinem Land  wie Untermenschen behandeln kann, ohne irgendwelche Sanktionen, Forderungen nach “regime change” oder gar militärische Drohungen befürchten zu müssen ? Wie tief muss die angeblich “einzige Demokratie im Nahen Osten” noch sinken, bis der Rest der Welt ihren an finsterste Kolonialzeiten und  Apartheidsregime erinnernden Methoden  Einhalt gebietet ? Und aufhört, wie die deutsche Bundesregierung,  “beide Seiten” zur Mäßigung zu mahnen – also die Opfer und die Täter.

Dass unter den nach Deutschland geflüchteten arabischen Menschen auch einige mit strikt antisemitischer Gesinnung sind, kann  – sofern sie dieser Gesinnung durch öffentliche Äußerungen oder Straftaten Ausdruck geben – sicher ein Problem darstellen.  Mindestens ebenso problematisch ist es aber, wenn ein rasender Philosemitismus zur Staatsräson wird, der nach einem Massaker wie dem jüngsten in Gaza den Opfern dieselbe Schuld zuweist wie den Tätern und protestierende Demonstranten auf eine Stufe mit mordenden Killertruppen stellt.  Denn das ist nichts anderes, als nach den Mordanschlägen bei  “Charlie Hebdo” die Zeichner zur Mäßigung oder angesichts Hitlers Verfolgung der “raffenden Juden” diese zu etwas mehr Großzügigkeit aufzufordern: menschenverachtender Zynismus.

Wäre ein solches Massaker an einer unterdrückten Minderheit in Russland, Syrien oder Iran geschehen könnten wir uns vor dem Aufschrei und dem Kriegsgetrommel bei McMedien kaum retten und der übelste “Stürmer”-Stil wäre in den Karikaturen von Putin oder Assad  gerade recht. Netanjahu aber muss stets als freundlicher alter Herr dargestellt werden, ganz gleich, wie viele Menschen er ermorden läßt ? Wenn die besondere Verantwortung Deutschlands für die Existenz Israels in derart doppelten Standards besteht, ist sie untragbar.

4 Comments

  1. So isses.
    Unter diesen Umständen werden auch die offen menschenverachtenden Auswürfe der “Hasbara”-Kolonnen in den Kommentarspalten hiesiger Online-Zeitungen immer unerträglicher und wirken letztlich kontraproduktiv. Schon die geringe Anzahl der Artikel zum Thema fällt sofort auf. Und auch der ständige Gebrauch der Wörter “Grenze” und “Grenzzaun”, wo es doch gar keine Staatsgrenze gibt! Oder ist die Verabschiedung der Zweistaatenlösung ganz nebenbei erfolgt, und womöglich nur wegen ESC und der royalen Hochzeitshysterie untergegangen?

  2. Wenn man über manche Dinge zu sehr grübelt, dann macht das bloß depressiv und wirft Fragen auf, die (Zitat A. Merkel) “nicht hilfreich” sind.

    Möglichweise verfügt ja Israel über ein ähnliches Zauberwort wie die USA mit ihrem Exzeptionalismus. Vielleicht “moralische Autorität” aufgrund des kollektiven Opferstatus?

    Jedenfalls machen wir Deutsche das, was wir schon immer gut konnten: Mächtigen gehorchen, kuschen, Gesinnungsprüfbehörden und Schrifttumskammern einrichten, um unzureichend Angepasste abzustrafen etc. Frappierend, wie wenig sich daran ändert: man macht weiter wie zuvor, dreht nur das Vorzeichen rum.

    Anderes Besipiel: Die Stasi legte bekanntlich Akten an, um Karrieren zu vernichten. Nach 89 machte die Stasi-Unterlagenbehörde – teilweise in den gleichen Räumen und sogar mit den gleichen Mitarbeitern und vor allem natürlich mit den gleichen Akten – einfach mit dem Denunzieren weiter. Unglaublich, aber wahr.

    Entwickelt hat sich nur die “Vermarktung” des Systems nach außen: keine plumpe Diktatur mehr, sondern ein angeblich freiheitliches, tolerantes und liberales Land, in dem der deutsche Untertan sich ausleben kann.

  3. Es sind nun mal die “Auserwählten” was ja nicht jedem gleich klar ist und die die paar acht Milliarden anderen sind eben nicht “auserwählt” und haben auch keine Atombomben und U-Boote wie die “Auserwählten”. Naja, macht aber nichts das es niemand sagt, denn man will ja kein “Anti – Semit” sein, gell…Warum eigentlich nicht ? Sind doch sowieso alle die nicht “auserwählt” sind ^^

  4. Merke: “Wenn Zwei das Selbe tun, ist es noch lange nicht das Gleiche!” Oder mit dem Titel ihres Buches “Wir sind die Guten”! In diesem Sinne, ein auf den Punkt gebrachter Beitrag.

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