Wie die öffentliche Meinung manipuliert wird

Es war Mitte der 70er Jahre in den Publizistik-Seminaren von Harry Pross, dass ich den Namen Walter Lippmann und von seinem  Buch “Public Opinion”  (“Öffentliche Meinung – Wie sie entsteht und manipuliert wird”) erstmals hörte. Es ist 1922 erschienen und wurde uns als Standardwerk über die Methoden der Steuerung öffentlicher Meinung ans Herz gelegt. Ich hatte damals auch ein Referat gemacht bei dem es u.a. um Lippmanns Werk ging, das ich jetzt gerne noch einmal lesen würde, aber die ganzen Papiere aus dem Studium sind schon lange entsorgt. Umso schöner ist es, dass ich diesen Klassiker jetzt noch einmal ganz neu lesen kann  – er erscheint am 1. August im Westend-Verlag. Ich weiß nicht, ob Lippmann auch heute noch auf den Lehrplänen von Publizistik-Instituten und Journalistenschulen steht – wenn nicht, wäre es ein schweres  Versäumnis. Denn jeder, der “irgendwas mit Medien” macht, sollte dieses Buch und die darin beschriebenen Methoden kennen. Hier ein kurzer Auszug aus der instruktiven Einleitung von Walter Ötsch und Silja Graupe:


“Lippmann beschreibt in Die öffentliche Meinung, wie Menschen durch imaginative Bilder beeinflusst und gesteuert werden können. Die Aktualität dieser Fragestellung liegt auf der Hand: Wir leben in einer Welt, in der andauernd versucht wird, die Vorstellungswelten breiter Schichten der Bevölkerung zu beeinflussen. Werbung, politischer Spin und Inszenierungen sind selbstverständlicher Bestandteil von Wirtschaft und Politik geworden. Der Rechtspopulismus hat dem eine neue Note verliehen. Auffallend ist, wie wenig über die mediale Beeinflussung von imaginativen Vorstellungen reflektiert wird. Ist Lippmanns Befund korrekt, dass die Fähigkeit verloren gegangen ist, über eigene Imaginationen und deren Veränderung in gebührender Distanz nachzudenken und sie aktiv zu gestalten? Lippmanns Werk ist für uns ein wichtiger Ausgangspunkt, um diese wichtige Frage zu thematisieren.(…) Lippmann ist kein Wissenschaftler, sondern Journalist, wenngleich er durch seine Studien in Harvard über eine Bildung in den in seinem Werk angesprochen Fragen verfügt. Lippmann verarbeitet in seinem Text eher assoziativ und narrativ eine Vielzahl von Themen, die weder klar voneinander abgegrenzt sind, noch klare Formen eines linearen Bezugs aufweisen. Zudem werden diese Themen häufig in damals aktuelle Kontexte eingebettet, die heutzutage oftmals verloren scheinen. Der Leser oder die Leserin heute ist deswegen verleitet, die vielen Assoziationen und Gedankengänge Lippmanns eher auszublenden, als sie für ein besseres Verständnis fruchtbar zu machen. Wie in unserer Einführung – so hoffen wir – deutlich werden wird, sind es aber gerade diese Assoziationen und Gedankengänge, die äußerst lebendige Bilder der von Lippmann behandelten Probleme zu geben vermögen: Bilder, die unsere produktive Einbildungskraft und unsere schöpferische Imagination anregen und gerade deswegen kaum geeignet sind, zu fixen, unreflektierten Stereotypen zu mutieren, die Lippmann als das zentrale Element einer von selektiver Wahrnehmung geprägten und prinzipiell durch Bilder steuerbaren Gesellschaft sieht. Anders: Der Stil, in dem Lippmann schreibt, mag nicht gerade einfach sein. Unserer Lesart zufolge aber trägt er wesentlich dazu bei, dass Lippmann zwar über Stereotype schreibt, doch zumeist ohne selbst mit und in Stereotypen zu argumentieren. Die öffentliche Meinung betrachten wir deswegen nicht als Werk der Propaganda, der Manipulation oder der Beeinflussung, gleichwohl es sich über weite Strecken als ein Handbuch für diese Praktiken lesen lassen mag. Lippmann, so scheint es uns, möchte mit Die öffentliche Meinung aufklären, zum Denken anregen und Debatten anstoßen – alles individuelle wie soziale Praktiken, die er bereits Anfang des letzten Jahrhunderts auf dem Rückzug in unseren westlichen Gesellschaften sieht.”

Walter Lippmann: Öffentliche Meinung – Wie sie entsteht und manipuliert wird, Westend-Verlag, 416 Seiten, 26,00


 

4 Comments

  1. Muss schon sagen, der Westendverlag bringt interessante Bücher, allmählich geht’s nicht mehr ins Regal. Wie ich zufällig sah, kommt dort im Oktober auch endlich der Mausfeld – “Warum schweigen die Lämmer?” – raus. Hab ich schon länger drauf gewartet, die pdf’s von ihm waren ja schon auf den Punkt gebracht.

    Inzwischen wird der Druck auf das neoliberale, manipulative Elitenimperium von allen Seiten immer größer, seine Bloßstellung schreitet voran und wer möchte kann Bücher über dessen Mechanismen und Praktiken lesen. Mit Trump, der die EU einen Feind nennt und sich lieber Kim, Putin und vielleicht bald Rohani zuwendet, werden die inneren Verwerfungen deutlich. Gleichzeitig bilden sich überall Protest- und Sammlungsbewegungen, denen bei aller Gegensätzlichkeit in ihren Werten und Zielen eines gemeinsam ist: das bestehende System zu hinterfragen, die Fakten auf den Tisch zu bringen und die Entscheidungsprozesse aus finsteren Hinterzimmern zurück ans Licht der Öffentlichkeit zu holen.

    Ich ahne jetzt, was gemeint war, wenn früher im Geschichtsunterricht von einer “vorrevolutionären Situation” gesprochen wurden. Da das herrschende System sich als global versteht, findet auch der Umbruch weltweit statt. Aber wann (und wie) schlägt das Imperium noch einmal zurück?

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