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Abu Ghraib ist überall

Wer „Krieg“ sagt, muß auch „Folter“ sagen

 

 

Dass Folterungen und Mißhandlungen von Insassen des Gefängnisses Abu Ghraib  allein dem teuflischen Charakter des „Schlächters von Bagdad“, Saddam Hussein, geschuldet waren, - diese Einschätzung muß nach den Bildern und Nachrichten von den  Übergriffen auf irakische Gefangene relativiert werden.

 

 

Dass das, was unter dem Saddam die Regel war unter George W. Bush eben nur die Ausnahme darstellt, die zudem  sofort und unnachgiebig geahndet wird –  dieser Spin der amtierenden Meinungspriester ist dabei nur ein schwacher Trost. Zum einen, weil die Folterpraktiken den Oberkommandierenden schon vor Monaten gemeldet und geduldet wurden und nur die Spitze eines Eisbergs darstellen, zum anderen aber vor allem, weil sich in dieser Parallelität der Folterherrschaft eine erschreckende Eigenschaft des Menschlichen offenbart: ob Demokrat oder Faschist, ob Moslem oder Christ, ob Mann oder Frau – bestimmte systemische Bedingungen locken offenbar aus jedem Menschen ganz schnell den Sadisten hervor.

 

An einem ruhigen Sonntagmorgen im Sommer 1971  nahm die Polizei der kalifornischen Universitätsstadt Palo Alto ein neun Studenten in ihren Wohnungen fest – sie wurden an den Polizeiwagen gelehnt durchsucht, zur Wache gefahren und  erkennungsdienstlich behandelt. Nach Verlesung einer  Anklageschrift wegen Einbruchs und Raubs wurden sie in einen Keller der Stanford Universität verfrachtet, der als Gefängnis hergerichtet war. Im Rahmen einer Simulation, die Philip Zimbardo, Professor für Psychologie und sein Team vorbereitet hatten sollten sie hier  für zwei Wochen (und 15 Dollar am Tag) die Rolle von Gefangenen spielen – während neun Komilitonen schichtweise als Gefängniswärter auftraten. Die Freiwilligen waren über Kleinanzeigen rekrutiert  und mit psychologischen Tests als mittelständische „Normalos“ (ohne neurotische oder kriminelle Vorbelastung) ausgesucht  worden – und  hatten zu Beginn der Simulation  per Münzwurf  das Los über ihre Rolle als Gefangener oder als Wärter entscheiden lassen.  Die Wärter wurden mit Khaki-Uniformen, gespiegelten Sonnenbrillen und Polizeiknüppel ausgestattet, die Gefangenen mußten lange Kittel und (als Ersatz für die Kahlrasur) einen Damenstrumpf über dem Haar tragen. Ziel dieser Simulationsstudie über die Psychologie der Haft war es, die Auswirkungen des Systems auf das Verhalten von Gefangenen und Wärtern zu ermitteln – doch nach nur sechs Tagen mußte die als „Stanford Prison Experiment“  bekannt gewordene Studie abgebrochen werden: „In nur wenigen Tagen wurden unsere Strafvollzugsbeamten zu Sadisten und unsere Gefangenen zeigten Anzeichen von Depressionen und extremem Stress“ .  Schon nach drei Tagen hatten die Wärter einen „Aufstand“ in einer Zelle dadurch bekämpft, dass sie die Insassen mit eiskaltem Kohlendioxid aus dem Feuerlöscher besprühten, in der Folge war es vor allem Nachts, wenn sich die Wärter von den Wissenschaftlern unbeobachtet glaubten, zu weiteren Übergriffen gekommen.

 

„Es gab drei Typen von Strafvollzugsbeamten. Zum einen gab es die strengen, aber fairen Strafvollzugsbeamten, die sich an die Regeln des Gefängnisses hielten. Dann gab es die "guten Kerle", die den Gefangenen kleine Gefallen taten und sie nie bestraften. Und schließlich verhielt sich ein Drittel der Strafvollzugsbeamten feindlich und willkürlich gegenüber den Gefangenen und war sehr einfallsreich darin, sich Demütigungen für die Gefangenen auszudenken. Diese Strafvollzugsbeamten schienen die Macht, die sie ausübten, außerordentlich zu genießen, dennoch konnte keiner unserer Persönlichkeitstests aus der Voruntersuchung dieses Verhalten vorhersagen.“

 

http://www.prisonexp.org/german/slide33g.htm

 

 

Das Stanford-Experiment selbst (das mittlerweile zum Thema eines Spielfilms wurde)  oder vergleichbar wirkungsmächtige Simulationen zur Beobachtung des Bösen sind seitdem nicht wiederholt worden –  zum einen, weil viele Forscher den Druck auf die Versuchspersonen als unethisch empfinden, zum anderen aber wohl auch, weil schon die Ergebnisse dieses abgebrochenen Versuchs noch Schlimmeres befürchten lassen. Dass ein Drittel der als normal geltenden Bevölkerung  nur durch eine feine psychische Membran von einem sadistischen Biest getrennt ist  - wie auch die berühmten Milgram-Experimente zur Gehorsamsbereitschaft gegenüber Autoritäten gezeigt haben - und dass es nur weniger Requisiten und einer Machtposition beim  Überwachen und Strafen bedarf, um diese potentielle Bestie hervorzulocken – dieser Befund rückt die aktuellen Geschehnisse in Bagdad in ein erschreckendes Licht: sie sind keine Ausnahme von der Regel, sondern Normalität des Ausnahmezustands.

Wie die Gefängnissituation liefert auch der Krieg jene systemischen, strukturellen  Vorausetzungen, unter denen sich zivile, vernünftige Menschen in kürzester Zeit in sadistische Folterknechte verwandeln. Philip Zimbardo schreibt in einem Brief zu den Vorfällen in Irak: 

 

dass das Fass des Krieges mit Essig gefüllt ist, der gute Gurken in saure Gurken verwandelt, und das immer tun wird. Er verwandelt die Mehrzahl guter Menschen, Männer wie Frauen, in Übeltäter." 

 

Die Verantwortung für die Taten  in Abu Ghraib, Guantanamo und anderswo, ist nicht allein den Ausführenden zuzuschreiben, nicht die Soldaten und Wärter  sind pervers, sondern die Situation, in die sie gebracht werden – und diejenigen, die sie dahin bringen.

 

„Die Menschen im Irak müssen verstehen, dass ich diese Praktiken verabscheuenswert finde. Sie müssen auch verstehen, dass das, was in diesem Gefängnis geschah nicht das Amerika repräsentiert, das ich kenne.“

 

Abgesehen von der in dem zweifachen „müssen“ enthalten Drohung (ansonsten…? ) hat sich George W. Bush, der verantwortliche Chef-Kommandeur des X-Ray-Camps  in Guantanamo, der US-Truppen im Irak und ehemalige Gouverneur des Todesstrafen-RekordhaltersTexas, mit dieser Entschuldigung auf zu erwartende Weise aus der Affäre gezogen – und geht nun zusammen mit Rumsfeld  hinter  ein paar Sündenböcken aus den untersten Rängen, die vor ein Kriegsgericht kommen, in Deckung. Und ihre Lautsprecher, wie der bekannte Radiomoderator Rush Limbaugh spielen die Folterungen auf einen „Studentenulk“ herunter – und werben um Verständnis für Soldaten und Agenten, die auch mal „Dampf ablassen“ müssten.

So zynisch und ekelhaft opportunistisch das klingt – bei ermodeten US-Besatzern im Irak ist Limbaugh der letzte, der Verständnis für „Dampf ablassende“ Iraker äußern würde – liegt er mit dieser Einschätzung wahrscheinlich richtiger als die Fahnenträger der  political correctness, die sich darüber aufregen. Das Stanford-Experiment hat gezeigt, wie bestimmte systemische Bedingungen ein Studentenspiel in kurzer Zeit in sadistische Realität verwandeln. 

 

Der  Fürst, empfahl Machiavelli in seinem gleichnamigen Buch, müsse zwar stets ein guter Mensch sein, dürfe  aber nie vergessen, das Tier bereit zu halten, um bei Bedarf auch grausam sein zu können – goldene Regeln der Machtpolitik, die  im allgemeinen Humanitätsdusel des post-heroischen Zeitalters gerne vergessen werden, auch wenn sie selbsverständlich weiter in Kraft sind. Zumal im Krieg, wo Schönwetterspielregeln wie die Genfer Konventionen immer weniger gelten, je mehr sich die Fronten verhärten,  und Folterungen und andere Grausamkeiten gang und gäbe werden. Israel, Palästina, Afghanistan,Irak…. Abu Ghraib ist überall, wo Krieg auf  Leben und Tod herrscht. Nur weil diese Unausweichlichkeit – die Barbarei der Kriegsrotuine - gemeinhin ausgeblendet wird, führen die Folterfotos jetzt  zu allgemeiner und weltweiter Entrüstung – auch und gerade bei jenen Leitartiklern, die Bushs Kriegspolitik bis dato ganz prima fanden und  die  10.000 zivilen Opfer

des Irakkriegs nicht einmal der Erwähnung wert. Den Krieg hochzujubeln, die ermordeten Unschuldigen als  unvermeidlichen „Kollateralschaden“ zu ignorieren, und jetzt im Inbrunst der Humanität die Grausamkeit von Folterungen anzuprangern – diese groteske Haltung entspricht dem klassischen „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass!“ Statt ihrem Publikum weiter einen  Bären aufzubinden, sollten sich die Meinungspriester des Mainstreams der Realität stellen: „Wer „Krieg“ sagt, muß auch „Folter“ sagen“.

 

P.S.:

Außer natürlich in Deutschland, wo ein sozialdemokratischer Verteidigungsminister die Truppe führt und sagt: „Die deutsche Frau raucht nicht“….pardon: „Der deutsche Soldat foltert niemanden.“  Und nicht nur das nicht: „Ein deutscher Soldat“, so Peter Struck  "foltert niemanden, achtet auf die Gesundheit der Gefangenen und befolgt internationale Gesetze.“

Und ein Professor, der in einer Talkshow die Meinung kundtut, dass Folter unter bestimmten Bedingungen für legitim gehalten werden könne, sieht sich einem Sturm von Rücktrittsforderungen ausgesetzt. Kuschelfreudige Gutmenschen jeder Coleur - von Grünenchefin Beer bis Schwesterwelle – sind entsetzt: Krieg ja, aber bitte nicht weh tun!? Und auf keinen Fall genauer hinschauen, etwa nach Wiesbaden-Erbenheim, auf die „Headquarters and Headquarters Detachement of 205th US Military Intelligence Brigade“ (Stab- und Stabskompanie der 205ten US militärischen Nachrichtendienstbrigade), wo die freundlichen Verhörspezialisten stationiert sind, die in Abu Ghraib und anderswo ans Werk gehen. Auf ihrer offiziellen Photoseite  nur Nettigkeiten aus dem Irak. Es wäre ja auch noch schöner, wenn Deutschland beim Foltern, der Mißachtung der Gesundheit von Gefangenen und dem Brechen internationalen Rechts täglich und tätig Mithilfe leisten würde.

 

Mathias Bröckers

 

URL des Artikels in Telepolis: http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/co/17437/1.html

 

 

 

 

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