Schwester Guido und Mullah Mölli im "Anti-Semi-Finale"

Als ich vor einigen Wochen von der "taz", wo ich von den 80er Jahren Kulturedakteur gearbeitet hatte, zur morgendlichen Blattkritik eingeladen war und einen meines Erachtens zu israel-freundlichen Aufmacher mit dem Hinweis kritiserte, dass die aggressive Landnahme-Politik Scharons mich an die Groß-Deutschland-Attitüde Hitlers erinnert, erntete ich Kopfschütteln und Proteste. Zwischen Antizionismus und Antisemitismus unterscheidet auch bei der"taz" offenbar kaum noch jemand, beschwerte ich mich hinterher bei einem alten Kollegen, der aber nur meinte: "Ach Bröckers, was mußt du auch immer so übertreiben und Scharon mit Hitler vergleichen, Himmler hätte es doch auch getan..."

Nun bin ich gottseidank kein Grünen-Politiker und muß wegen dieser "übertriebenen" Bemerkung jetzt nicht zu Schwesterwelle und Möllemann ins Boot wechseln. Auch den Schuh des unvermeidlichen Broder, den "modernen Antisemitismus" ,muß ich mir nicht anziehen. Heute so wenig wie vor zwanzig Jahren, als wir nach dem (von Scharon verantworteten) Massaker von Sabra und Chatila auf der Kulturseite der "taz" eine flammende Anklage des französischen Dramatikers und Palästinakenners Jean Genet abdruckten - und Broder einritt und die Kulturredaktion des "linken Antisemitismus" bezichtigte. Seine kurz darauf großspurig verkündete Drohung, aus dem allseits antisemitischen Deutschland nunmehr auszuwandern, machte er dann nur sehr kurzfristig wahr, kam zurück und wurde von den Zeilenhonoraren für die immergleiche Platte rundlich. Aber keineswegs gemütlich : als die erste Folge meiner WTC-Serie am 13.9. in der "taz" erschien, hatte die Chefredaktion umgehend einen tobenden Broder am Apparat: es sei ein Skandal, ein "krankes Hirn" wie mich schreiben zu lassen. Er bescheinigte mir, auf einer Stufe mit den Holocaust-Leugnern und Propagandisten der "Protokolle der Weisen von Zion" zu stehen. (Mit dem später in der "taz" von seinem ehemaligen Verleger Klaus Bittermann veröffentlichten Vorschlag, man möge Broder doch bitte "als Stinkmorchel über Afghanistan abwerfen" hatte ich allerdings nichts zu tun.)

Zwar mag ein Autor, der thematisch vom Shoa-Business lebt, durchaus als Fachmann für Antisemitismus gelten, doch was die Hintergründe der aktuellen Debatte betrifft, halten wir uns doch lieber an den Originalton aus erster Hand - einem hohen Offizier unter  Ariel Scharon - dem verantwortlichen General des Libanon-Feldzugs 1982 und des "war on terror" in den palästinensischen Gebieten 2002. Als der Schriftsteller Amos Oz ihn nach dem Sabra-Chatila-Massaker im Dezember 1982 befragte, hatte dieser nichts dagegen, als "Nazi" bezeichnet zu werden:

"Nennen Sie mich wie Sie wollen. Nennen sie mich ein Monster oder einen Mörder(..) Nennen Sie Israel wie sie wollen, nennen Sie es es einen Judeo-Nazi-Staat wie es Leibowitz tut. Warum nicht? Besser in einem Judeo-Nazi-Staat leben als ein toter Heiliger sein. Es ist mir egal ob ich wie Ghadaffi bin. Ich brauche keine Bewunderung von Nicht-Juden. Ich brauche ihre Liebe nicht. Und von Juden wie Ihnen geliebt zu werden auch nicht."
(Interview in der israelischen Tageszeitung Davar, 17.12.1982)
http://www.counterpunch.org/pipermail/counterpunch-list/2001-September/013054.html

(An der zitierten Quelle, und an vielen anderen Stellen im Internet, wird der Gesprächspartner dieses Interview als Ariel Sharon bezeichnet. Auch ich hatte das in der ersten Fassung dieses Texts übernommen. Tatsächlich nennt Amos Oz in diesem Interview aber nicht den vollen Namen seines Interviewpartners, er hatte ihm, wie den anderen Militärs und Generälen, die er interviewte, Anonymität zugesichert. Die obige (und die unten zitierte) Aussage wird einem "C." zugeschrieben. Von ihm wird nur gesagt, dass er ein Militär "mit einer gewissen Vergangenheit" sei. Viele Interpreten haben diese Aussagen dennoch auf Sharon bezogen - und so wurden sie unter seinem Namen  im Internet verbreitet. Der Geist und der Hintergrund schien auch intimen Kennern des Nahen Ostens perfekt auf den amtierenden Präsidenten zu passen - auch Holger Jensen, ehemaliger "Newsweek"-Korrespondent, der aus dem "Scharon"-Interview im April in einem Kommentar für die "Rocky Mountain News" zitiert hatte. Nachdem jüdische Kreise dagegen protestierten, fragte Jensen bei Amos Oz persönlich nach, der die Identität des "C." nicht enthüllte, aber klar machte, dass es sich bei ihm   nicht um Ariel Scharon handelt. Jensen verfaßte daraufhin ein "Mea Culpa" - und quittierte  kurz darauf seinen Job als Redakteur "im beiderseitigen Einvernehmen".
Auch ich bekenne meine Schuld, falsch bzw. unüberprüft zitiert zu haben - und befinde mich damit in guter Gesellschaft mit noch einigen anderen israelischen und internationalen Jornalisten, wie mir Holger Jensen auf meine Anfrage zu diesem Fall bestätigte.
Dennoch scheint mir der Geist, das ideologische Umfeld, die Philosophie des gegenwärtigen israelischen Präsidenten  von den Aussagen seines ehemaligen Kombattanten gut getroffen. )

Der aus der Psychologie bekannte Mechanismus der "Identifikation mit dem Aggressor" scheint mir hier sehr deutlich zu werden: Menschen, die in ihrer Kindheit Gewalt erfahren, werden selbst gewalttätig; Völker und Staaten offenbar auch. Insofern wäre der Staat Israel, geboren aus der Not vor dem gewalttäigen "Übervater" Hitler, aufgewachsen in einer feindlich-aggressiven Umgebung, psychohistorisch jetzt zu so etwas wie einem gewalttätigen Hooligan herangewachsen, der einfach nicht anders kann als aggressiv zu sein. Fragt sich, wie man Scharon und seine Armeen überzeugen kann, dass sie auch anders als mit den von ihrem grausamen "Vater" unbewußt übernommenen Nazi-Methoden überleben können. Selbstmordbomber scheinen dazu nicht die geeignete Methode - das wird sie nur provozieren, noch bessere "Nazis" zu werden.

Was den Antisemitismus betrifft, wird in diesem Interview mit sehr offenen Worten klargemacht, wie sehr den Hardlinern in Israel strategisch daran gelegen ist, die Judenfeindlichkeit durch gewalttätige Landnahmen und Massaker international zu provozieren:

"Ich will Ihnen sagen was die wichtigste Sache, die süßeste Frucht des Kriegs im Libanon ist: Es ist, dass sie jetzt nicht nur Israel hassen. Dank uns hassen sie jetzt auch all diese Feinschmecker-Juden in Paris, London, New York, Franfurt und Montreal in allen ihren Löchern. Und sie hassen auch all diese netten Juden, die sagen, sie sind anders als wir, nicht diese israelischen Gangster, sondern andere Juden, sauber und ordentlich (..). Bald werden ihre Paläste beschmiert sein mit dem Slogan: Juden, geht nach Palästina! Und wissen Sie was? Sie werden nach Palästina kommen weil sie keine andere Wahl haben. All dies ist ein Bonus den wir aus dem Krieg ziehen. Und war er das nicht wert ? Bald werden wir bessere Zeiten sehen. Die Juden werden kommen, die Israelis aufhören zu emigrieren und die, die schon ausgewandert sind, werden zurückkehren."

Die besseren Zeiten kamen bekanntlich nicht - Scharon wurde zwischenzeitlich Bevölkerungsminister und versuchte Israel mit russischen Aussiedlern zu füllen; und produziert jetzt als Präsident und Kriegsherr mit neuen Landnahmen und Gemetzeln wieder weltweite Kritik = "modernen Antisemtismus".

Nach dieser konspirativen Logik wären Neonazis und andere Rassisten, die Synagogen beschmieren und antisemitische Parolen verbreiten,die besten Erfüllungsgehilfen, um Scharons Raum ohne Volk zu besiedeln. Die zweitbesten Helfer wären jene, die sich an Gespensterdebatten wie der derzeitigen beteiligen - mit Schwester Guido und Mullah Mölli im Schaukampf, dem öligen Friedmann als Ringrichter, und Broder, dem Heribert Faßbender des Anti-Semi-Finales, mit dem amtlichen Kommentar. Wäre es nicht die PR-geile Nullpartei FPD, die mit dieser Nummer unter den 800.000 molsemischen Wahlberechtigten hausieren geht, ginge es um eine ernsthafte Debatte über Rolle und Funktion des Antisemitismus, dann müßte diese perverse Logik der israelischen Siedlungspolitik im Mittelpunkt stehen. Gerade in Deutschland, das aufgrund seiner mörderischen Geschichte eine ganz besondere Verantwortung für die Sicherheit Israels hat. "Ich möchte nicht in einem Land leben, wo der Antisemitismus mit einem Champagnerglas in der Hand Einzug nimmt in die politischen Salons." , bekundete die Grünen-Chefin Claudia Roth, die Möllemann wegen Volksverhetzung letzte Woche angezeigt hat. Auch dies eher ein wahltaktisches Manöver. Denn eben dieser Salon-Antisemtismus ist letztlich "die süßeste Frucht", die Scharon mit seine Bulldozer-Politik auf internationaler Ebene einzufahren hofft. Insofern paßt auch die absurde Übertreibung des Zentralratsvorsitzenden Paul Spiegel in der "Welt", Möllemanns Äußerungen seien "die größte Beleidigung seit dem Holocaust" - je übler man die Judenfeinde im Ausland ausmalt, desto besser für Israels aktuelle Siedlungspolitik.

Zurück zum Ausgangspunkt des Streits - der Äußerung des Grünen Karsli, dass Israel "Nazi-Methoden" anwende - mußte man wahrlich kein Antisemit sein, um bei den Fernsehbildern von palästinensischen Gefangenen mit Augenbinden und auf die Haut geschriebenen Nummern zu dieser Assoziation zu kommen. Doch ebenso ist Scharons Disposition nachvollziehbar, dass er als Jude eben "Nazi" sein muß, um nicht noch einmal den Nazis zum Opfer zu fallen. Hier steht er, und mit ihm die Mehrheit seines Volkes, und kann nicht anders. "Besser in einem Judeo-Nazi-Staat leben als ein toter Heiliger". Fragt sich, wie die Weltgemeinschaft mit diesem zum halbstarken "Fascho" herangewachsenen Staat umgeht, um einen dritten Weg aus dieser tödlichen Alternative zu eröffnen. Mit aufgeblasenen Spiegelgefechten wie dem derzeitigen FDP-Schaukampf sicher nicht.

04/06/02

Mathias Bröckers


www.broeckers.com