Der deutsche Konspirologe Mathias Bröckers begibt sich mit seinem stillen Bestseller über den 11. September tief in heikles Fahrwasser. An einem Vortrag in Zürichs Roter Fabrik rechtfertigte er kürzlich seine Zweifel an der offiziellen Version der Ereignisse jenes denkwürdigen Tages.
Von Matthias Krobath
Mit sovielen Interessierten haben die Veranstalter nicht gerechnet. Erfreut nehmen sie in Kauf, weitere Stühle im Clubraum der Roten Fabrik aufstellen zu müssen. 120 Leute sind zum Vortrag des Berliner Journalisten Mathias Bröckers gekommen. Das sind fünfmal mehr als bei anderen Veranstaltungen der jährlich durchgeführten Reihe „Frühlingsüberwachen“.
Erstaunen muss dies freilich niemanden. Das letzte Buch des ehemaligen „Taz“-Kulturredaktors und heutigen freien Autors, "Verschwörungen, Verschwörungstheorien und die Geheimnisse des 11.9.", das im vergangenen August beim Verlag Zweitausendundeins erschien, verkaufte sich nämlich im deutschsprachigen Raum bereits über 100.000 Mal und steht in der 28. Auflage. Der Autor beschäftigt sich in seinem Werk mit den ungeklärten Fragen des Ereignisses und bettet sie ein in ausschweifende Überlegungen zur Entstehung von Verschwörungen und den dazugehörigen Theorien. Für Bröckers ist der Beweis der Täterschaft von „Osama Bin Laden und den 19 Hijackern“ nicht erbracht, ja er geht soweit, dies als Verschwörungstheorie „Brainwashingtons“ abzutun. Offensichtlich trifft seine Provokation voll ironischer Seitenhiebe und begründeter Spekulationen, aber ohne Beweise, den Nerv breiter Bevölkerungsschichten. Die Medien sind sich uneins, was sie vom Buch halten sollen. Während – unter zahlreichen anderen – die „Rheinische Post“ die Lektüre als „gutes Heilmittel gegen zu viel Leichtgläubigkeit“ empfiehlt, bezeichnet es der „Spiegel“ als „Bestseller des Unbehagens“ und kreiert in Anlehnung an die rechtsradikale Auschwitzlüge den Begriff der „Septemberlüge“. Das Nachrichtenmagazin will damit sagen, dass die „unaufgeklärte Linke“ aus antiamerikanischer Verblendung heraus eine neue Realität nicht wahrhaben wolle, nämlich jene der Terrorbedrohung durch islamische Gotteskrieger.
Verschweigen neuer Fakten
Das buntgemischte Publikum in der Roten Fabrik hört dem Vortrag des besonnen und etwas scheu wirkenden Bröckers aufmerksam zu. Der Autor liest kurze Passagen aus seinem Werk vor und erzählt dann, wie es dazu kam. Seinen ursprünglichen Plan, eine theoretische Abhandlung über Verschwörungstheorien zu verfassen, liess er fallen, als er vor dem Bildschirm im Angriff auf Amerika die „Mutter aller Verschwörungstheorien“ zu erkennen glaubte. Ab dem 13. September 2001 veröffentlichte er in der Webzeitung „Telepolis“ zwei bis drei Texte pro Woche, in denen er seine neusten „Google“-Recherchen verknüpfte und kommentierte. Die Beiträge sind auf seiner Homepage mit Links abrufbar und im Buch zusammengefasst. In seinem Vortrag liefert Bröckers ein Beispiel für die unsaubere Ermittlung in Bezug auf den Anschlag. Er behauptet, Berichte von BBC und anderen Medien würden belegen, dass mindestens sieben der 19 angeblichen Attentäter noch leben. Sie seien selbst in Interviews aufgetreten oder hätten sich bei lokalen Behörden gemeldet, um zu beweisen, dass sie zu Unrecht auf der Liste der Täter seien. Auf der Website des FBI findet man allerdings laut Bröckers noch immer die Liste der 19, die 48 Stunden nach dem Anschlag publiziert wurde – ohne Hinweis darauf, dass bei den Ermittlungen neue Fakten aufgetaucht sind.
Nach der deftigen Kritik durch den „Spiegel“ kam es zum Radioduell von Bröckers mit Ulrich Fichtner, einem jener „Spiegel“-Redaktoren, die ebenfalls ein Buch zum 11. September publizierten. Im Gegensatz zu Bröckers konnten sie vor Ort recherchieren und sich auf Zeugenaussagen berufen. Die Diskussion der Beiden auf dem Westdeutschen Rundfunk wurde zur heftigen Debatte über Funktion und Arbeitsweise des Journalismus; gegenseitig warfen sie sich vor, naiv zu sein. Fichtner ortete das Hauptproblem von Bröckers’ Buch in der Quellenlage: „Es ist eine internationale Presseschau, die Sie machen“, warf er Bröckers vor, „keine investigative Arbeit.“ Bröckers konterte, der „Spiegel“ habe letztlich „die Pressemeldungen der Polizeistelle nochmals abgedruckt“, ohne nachzufragen, woher die teilweise unglaubwürdig anmutenden Spuren stammten. Einige Male musste Fichtner dem Gegenüber Recht geben: „Die personellen Verflechtungen der US-amerikanischen Regierung mit bestimmten politischen und wirtschaftlichen Interessen, die sind also schon ein bisschen verblüffend“, bekannte er. Das Livepublikum im Radiostudio stellte sich deutlich auf die Seite des Underdogs.
Noch härtere Kritik als vom „Spiegel“ widerfuhr Bröckers von der Monatszeitschrift „Konkret“, für die er einst selbst schrieb. Niemand überprüft in Deutschland den Antisemitismus-Gehalt in Äusserungen von Medien und Politik genauer als das marxistische Magazin. Weil Bröckers die Regierung Sharon als einzige Profiteure neben deren amerikanischen Kollegen sieht, wird er als verkappter Anhänger einer jüdischen Weltverschwörungstheorie betrachtet: „Es ist unmöglich“, folgert der Autor es Beitrags, „irgendeinen Satz in Bröckers’ spekulativer Schwarte zu diskutieren.“ Allerdings schliesst er die „Möglichkeit von Komplotten“ dewegen nicht grundsätzlich aus.
Auch in der Publikumsdiskussion im Anschluss an Bröckers’ Vortrag in Zürich kommt die Frage nach Antisemitismus auf, weil der Autor neokonservative Juden aus dem Regierungsumfeld (wie Wolfowitz, Perle, Kagan oder Brzezinski) als Strategen der gegenwärtigen US-Aussenpolitik aufführt. Erwartungsgemäss weist Bröckers den Vorwurf weit von sich. Dass viele der Strategen in Washington Juden sind, will er nicht als rassistisches Argument akzeptieren: „Ich gebe kein Wasser auf irgendwelche Mühlen.“ Er behauptet, viele Geheimdienste – nicht nur der israelische Mossad, sondern z.B. auch der deutsche BND – stünden in Verbindung mit diversen Terrorzellen. Das dem Autor wohlgesinnte Publikum nimmt ihm seine Worte augenscheinlich ab.
Stille um Kommission zum 11.9.
Das Buch des baldigen
Wahlsolothurners stösst auch in anderen Weltregionen auf positives Echo. Bereits
sei es auf indonesisch, arabisch und in andere „exotische Sprachen“ übersetzt
worden, freut sich der Autor, ehe er erwähnt: „Mein Verleger hat sich aber in
Amerika bisher nur blutige Nasen geholt.“ Allerdings seien in den USA
mittlerweile einige Bücher auf dem Markt, die sich auf ähnliche Quellen beriefen
und vergleichbare Thesen und Vermutungen aufstellten wie er. Der bekennende
Kiffer und Autor von Hanf-Sachbüchern sagt, er habe vom „finsteren“ Thema
eigentlich längst genug. Überdies halte er es für naiv, an eine Aufdeckung der
wahren Umstände des 11. September in den nächsten vierzig Jahren zu glauben.
Trotzdem veröffentlicht er ein zweites Buch zum Thema, das im Juli erscheinen
soll. Diesmal beschränke er sich auf die Auflistung nachweisbarer
Ungereimtheiten, die ihm Zusammenhang mit dem Ereignis, das schlagartig die
amerikanische Sicherheitspolitik umkrempelte, aufgetaucht sind. Entschieden habe
er sich dazu, als er in den Ferien von der Ernennung Henry Kissingers zum
Präsidenten jener Kommission gehört habe, die der Wahrheitsfindung dienen soll.
Der frühere Aussenminister, der im Ruf steht, ein Meister der Geheimhaltung zu
sein, beendete die Farce selbst, indem er wegen kollidierender
Geschäftsinteressen auf den Posten verzichtete.
Die Kommission tagte übrigens Anfang April erstmals. Dabei warf die Witwe eines
Opfers im World Trade Center in etwa dieselben Fragen auf wie Bröckers in seinem
Buch. Das haben Sie, verehrte Leserinnen und Leser, in Ihrer Zeitung bestimmt
noch nicht gelesen, oder? Eben, würde der kritische Konspirologe da nur sagen.
Mathias Bröckers, "Verschwörungen, Verschwörungstheorien und die Geheimnisse des 11.9.", Zweitausendundeins, 2002.