Eine Rezension von “Don’t Kill The Messenger -Freiheit für Julian Assange” ist auf dem Blog “Medienrealität” erschienen, auf dem Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Forschungs- und Lehrbereichs von Michael Meyen (LMU München) schreiben:
“Wer in der Demokratie schläft, wacht in der Diktatur auf“, so heißt es auf dem Cover des 113-seitigen Manifests „Don’t kill the messenger. Freiheit für Julian Assange“. Was lernt der interessierte Leser, was er nicht eh schon wusste? Eine ganze Menge. Matthias Bröckers bietet eine Aufarbeitung der Geschichte des hochstilisierten „bad-boys“ (S. 29) und Gründers der Enthüllungsplattform Wikileaks. Es geht um Informationskampagnen und politische Macht und letztlich um unser Demokratieverständnis überhaupt. Zentraler Punkt: der Imperativ der Transparenz und die komprimierte Rolle der Mainstream-Medien in westlichen Demokratien.
Für die einen ist der Gründer von Wikileaks ein verdächtigter Vergewaltiger, Narzisst, ein egoistischer, undankbarer Mensch und Hacker (S. 54). Für die anderen, inklusive Bröckers, ist er Reformer, Freiheitskämpfer und der „Kammerjäger der Demokratie“ (S. 44). Ein Mann, der Licht ins Dunkle der politischen Macht brachte und die „Ratten“ rennen ließ. Aus dieser Überzeugung macht der Autor auch keinen Hehl. Im Gegenteil, das Buch ist eine flammende Verteidigungsschrift für Julian Assange. Dessen Geschichte, so zeigt Bröckers, fiel den Filtern des medialen Mainstreams und den dahinterstehenden Machtinteressen zum Opfer. Ziel des Buches ist damit, an der Oberfläche dessen zu kratzen, was uns medial zu Assange präsentiert wird. Also ganz im Geiste Wikileaks: Transparenz als Waffe, auf der Suche nach der Wahrheit hinter der Manipulation.
Und auch wenn das Büchlein dünn ist, ist der Inhalt schwer: Von der Wikileaks-Geschichte und den Macht- und Wirtschaftsinteressen in den USA und der EU bis zur problematischen Rolle etablierter „liberaler“ Medienhäuser. Auch die Vergewaltigungsvorwürfe gegen Assange werden thematisiert sowie deren Hintergründe und ihre politische und mediale Ausschlachtung. Ziel aller Kampagnen sei, den „messenger“ zu diskreditieren und mundtot zu machen. An Assange solle ein Exempel statuiert werden, die Wahrheit sei egal. Dabei kämen rechtliche und politische Mittel zur Anwendung, die bei jedem anderen Fall undenkbar wären.
Bröckers spricht von „psychologischer Folter“ und Menschenrechten und lässt hier den Sonderbeobachter für Folter der Vereinten Nationen, den Schweizer Professor Nils Melzer, zu Wort kommen. Dieser besuchte Assange am 9. Mai im Gefängnis. Sein Fazit:
„In zwanzig Jahren Arbeit mit Opfern von Krieg, Gewalt und politischer Verfolgung habe ich nie erlebt, dass sich eine Gruppe demokratischer Statten zusammengeschlossen hat, um ein einzelnes Individuum so lange Zeit und unter so wenig Berücksichtigung der Menschenwürde und der Rechtsstaatlichkeit bewusst zu isolieren, zu dämonisieren und zu missbrauchen“ (S. 52).
Melzers Forderung: einen Schritt zurücktreten, Gehörtes hinten anstellen und versuchen, das eigene Assange-Bilde zu prüfen und zu fragen, was dahinter steht. Das Buch ist ein Schritt auf dem Weg in diese Richtung.
Kernfrage des Buchs ist aber immer, worauf unsere Demokratie gründet. Nach Bröckers ist die Antwort radikal einfach: „Die Macht wird den Regierenden nur geliehen, sie sind dem eigentlichen Souverän, dem Volk, jederzeit und öffentlich rechenschaftspflichtig“ (S. 29). Das heißt, in der Rechenschaftspflicht gründet sich die Legitimation der modernen Demokratie. Der aufgeklärte, souveräne Bürger ist das Machtzentrum, nicht der Staat selbst. Dafür braucht es Transparenz, das heißt Informationen über die Machenschaften der gewählten Repräsentanten – nicht durch diese gefiltert, sondern frei zugänglich und gern auch unbequem. Nichts anderes habe Assange getan.
Um diesen Punkt zu unterstreichen, streift Bröckers immer wieder durch die Geschichte (von der Antike bis zur Reformation) und sucht nach Beispielen, die Gerechtigkeit vor das Recht stellen. Die Übersetzung der Bibel beispielsweise. Durch sie wurde die Macht der Kirchenelite untergraben und den Menschen erlaubt, das Wort Gottes selbst zu lesen und zu denken. Gegen diese „Ausschaltung der Priesterklasse“ (S. 42) schickte die Kirche Inquisitoren ins Feld, heutzutage sei es der CIA. Denn durch Wikileaks sei die Gatekeeper-Funktion der politischen und wirtschaftlichen Eliten bedroht, die all die Informationen filtern, die ihre Interessen gefährden.
Wikileaks also als „Geheimdienst des Volkes“ (S. 45), der souveräne Bürger mit Informationen versorgt, weil etablierte Medien dieser Aufgabe nicht konsequent nachkommen? Ja. Laut Bröckers werde gerade im Fall Assange klar: Die vierte Säule der Gewaltenteilung trage nur solange, wie sie profitabel ist. Ein ums andere Mal zeigt er, wie Medienhäuser erst von Wikileaks profitierten, sich im Glanz der Wahrheit sonnten, um dann eigene politische und wirtschaftliche Interessen zu verfolgen. Ziel war weder Transparenz oder Wahrheit, sondern vor allem Eigennutz.
Im Buch endet die Überblicks-Chronik von Wikileaks mit dem 3. Juni 2019: Ein schwedisches Gericht beschließt einen erneuten Haftbefehl gegen Assange. Die Kürze des Buches ist damit seiner Aktualität geschuldet. Sollte man es lesen? Ja. Wird es die Meinung derjenigen ändern, die Assange für einen Verräter halten? Mit großer Sicherheit nein. Aber jeder, der sich für Assange und die strukturellen Hintergründe der geschaffenen Medienrealität um seine Person interessieren, kann hier nur dazulernen. Dabei muss man nicht alles mögen, was Matthias Bröckers schreibt und wie er dies tut. Lesenswert ist sein Manifest allemal, wenn auch „nur“, um sich wieder daran zu erinnern, dass das Schlafen in der Demokratie im Albtraum enden kann.
Empfohlene Zitierweise
Mandy Tröger: „Licht an – Ratten raus!“. In: Michael Meyen (Hrsg.): Medienrealität 2019. https://medienblog.hypotheses.org/6132