Immer noch Krieg in Pipelineistan

Was passiert, wenn eine Kopf-Ab-Wickelmütze,  Chef von Hay’at Tahrir Al Sham (HTS), einem Abkömmling von Al Quaida und ISIS,  gestern noch mit zehn Millionen Dollar Kopfgeld als Terrorist zur Fahndung ausgeschrieben, heute Präsident in Syrien ist ? Alles easy, Bruder – siehe dazu das Video ganz unten.
Worum es wirklich geht in Syrien –   “Pipeline-istan” – wurde hier schon vor  Jahren berichtet. Dass die Waffen für die “Rebellen” aktuell aus Katar finanziert wurden und die Jihadisten aus Saudi-Arabien stammen, passt historisch ins Bild.

“Seit Assad 2009 die projektierte Katar/Saudi-Arabien-Pipeline absagte und sich für eine Iran-Irak-Syrien-Pipeline entschied, mit der die EU übers Mittelmeer versorgt werden kann, mutierte er in Windeseile vom sympathischen Augenarzt zum üblen Diktator. Nun wäre es für die Öl,-und Gas-Bedürftigen Europäer, die nach dem Willen des Imperiums ihre Abhängigkeit von russischen Lieferungen reduzieren sollen, völlig egal, ob ihr Gas aus Katar oder Iran stammt. Nicht aber Onkel Sam: nach der Einigung im Atomstreit und der Aufhebung der Sanktionen gegen Teheran wäre der Iran mit dieser Pipeline dick im Geschäft.” (Krieg in Pipelineistan”, 8.12.2015)

 

Schon drei Jahre zuvor hatten wir  hier festgehalten, dass es nicht um Syrien, Demokraten vs. Diktatoren usw. geht, sondern um strategische Kontrolle im globalen Erdgasgeschäft.

Während die Menschenrechtsbellizisten nach den großartigen “Erfolgen” in Afghanistan und Irak ( ca. 1 Mio Leichen) nunmehr Syrien ins Auge fassen um nach bewährter Methode Humanität und Demokratie zu verbreiten, und Israels Präsident mal wieder auf PR-Tour für einen “Selbstverteidigungs”-Krieg gegen die nicht vorhandenen Atomwaffen des Iran tingelt, gerät naturgemäß aus dem Blick, worum es bei dem Zirkus eigentlich geht: Öl und Gas. Seit Mitte der 90er Jahre plante der US-Konzern Unocal TAPI – die Turkmensistan-Afghanistan-Pakistan-Indien Pipeline. Nachdem sich die ursprünglich als Hüter der Pipeline in Afghanistan installierte Taliban-Regierung bei den Verhandlungen über die Transitgebühren als zu hartnäckig erwies, wurde der vom Unocal-Vertreter angedrohte “Teppich voller Bomben” prompt geliefert und die Taliban unter dem Vorwand der Terrorbekämpfung aus Kabul wieder verjagt. Als erste Amtshandlung unterzeichnete der danach installierte Prädident Kharzai dann in Dezember 2002 den Vertrag über TAP – ohne “I”, denn die Verlängerung nach Indien blieb noch offen. Die Inder verhandelten unterdessen über IPI – eine Iran-Pakistan-Indien Pipeline, die den USA ein Dorn im Auge ist, weil sie TAPI relativ unrentabel macht. Doch weder Indien noch Pakistan wollen sich auf eine allein US-kontrollierte Versorgung mit Erdgas verlassen und halten trotz amerikanischem Druck an IPI fest, die auf iranischer Seite schon fertig ist und 2014 in Betrieb gehen soll. Schon seit 2010 in Betrieb ist die russische Pipeline Blue Stream, die Gas durch das Schwarze Meer in die Türkei befördert, und die jetzt mit “Blue Stream 2” verlängert werden soll – nach Syrien. Dass sich Assad auf dieses Angebot eingleassen hat – statt auf die von USA und EU angebotenen Gaslieferungen aus Ägypten – ist ein entscheidender Grund für den vom Westen massiv propagierten Regimewechsel in Damaskus: der Zugang für russisches Gas zum Mittelmeer. Zudem hat Syrien unlängst einen milliardenschweren Vertrag mit Iran und Irak über die Lieferungen von iranischem Erdgas ans Mittelmeer geschlossen – und damit weitere drohende Konkurrenz für das anglo-amerikanischen Piplinegeschäft ebenso wie für die Exploration der 2010 entdeckten großen Erdgasreserveroirs im “levantinischen Becken” vor Zypern, die Israel ausbeuten will. Es geht bei den aktuell hochgekochten Konflikten also weniger um ein autokratisches Mullah-Regime in Teheran oder einen Diktator in Damaskus, die zugunsten von Demokratie und Humanität “beseitigt” werden sollen, es geht um Konkurrenten und strategische Kontrolle im Erdgasgeschäft. (Krieg in Pipeline-istan, 4.3.2012)

Ohne diesen Hintergrund sind die Ereignisse in Syrien nicht zu verstehen, so wenig wie der Zeitpunkt, zu dem sie erfolgt sind: als militärischer Angriff auf die Ziele von BRICS, zu dessen Mitgliedern jetzt auch der Iran zählt (und Syrien sich angemeldet hat.) Russland hat sich aus seinem Militärhafen und dem Luftwaffenstützpunkt in Syrien  kampflos zurückgezogen und den Islamisten beim Sturm von Hay’at Tahrir Al Sham (HTS) auf Damaskus nichts entgegengesetzt. Was mit den nur 400 dort stationierten Militärs auch kaum möglich gewesen wäre. Dass die Vertreibung Assads in den westlichen Medien  allenthalben als Niederlage Putins gefeiert wird, könnte indessen ein wenig voreilig sein und schnell verblassen, meint auch  Larry Johnson – Ex-CIA und Kenner der Islamistenszene, der HTS für “radikaler als die Taliban” hält, während der Kollaps-Experte meines Vertrauens, Dmitry Orlov, einen Zusammenbruch der arabische Welt und Rückfall in die Stammerskriege des 6. Jahrhunderts am Horizont sieht. Alles andere also als ein fröhliches Sommerfest:

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Erschienen am 10. Juni 2024

Mathias Bröckers: Inspiration – Konspiration – Evolution. Gesammelte Berichte aus dem Überall,  Fifty-Fifty (Juni 2024), 464 Seiten, 30 Euro

 

 

 

 

 

Der Westen im Niedergang

In der letzten  3.JT Sendung (Hyperschallknall) haben wir am Ende schon kurz über das Buch von Emmanuel Todd  (“Der Westen Im Niedergang”) gesprochen. Wäre ich noch wie in den 90ern in der Sachbuch-Jury der “Süddeutschen Zeitung”, würde ich alle befreundeten Juroren anrufen, mit “Lesebefehl” und der Bitte, ihr Votum beim “Sachbuch des Jahres” für dieses wichtige, erkenntnisreiche, absolut lesenswerte Werk abzugeben. Auch und gerade zu einem Zeitpunkt,  an dem ein Weltkrieg so nahe scheint wie seit Jahrzehnten nicht – und Europa sich immer tiefer in den Konflikt der Supermächte hineinziehen lässt in dem es nur Verlierer dastehen wird.   Und – wenn man der angelsächsichen Heartland-Theorie von Halford Mackinder folgt, über die Ulrike Guèrot gerade ein Buch veröffentlicht hat – auch genau so dastehen soll. Über diesen Niedergang hat sie mit Emmanuel Todd ein ausführliches Gespräch geführt.

 

R.I.P. Telepolis

Telepolis löscht über 50.000 alte Artikel und benennt diese digitale Zensur und Geschichtsklitterung “journalistische Qualitätsoffensive”. Die “literarische Qualitätsoffensive” der Bücherverbrennung lässt grüßen! Einige “Archivperlen” will Schriftleiter Harald Neuer frisiert wieder aufleben lassen, meine ca. 200 tp-Artikel seit 1996 werden aber wohl nicht dabei sein, schon gar nicht die “WTC Conspiracy”-Kolumnen , die aber zum Glück gedruckt vorliegen. Das gilt für die meisten der über 50.000 Artikel aber leider nicht, denn Online-Magazine werden nicht in der Nationalbibliothek hinterlegt, sondern sind ihr eigenes Archiv. Wenn der Heise-Verlag, der Telepolis betreibt, sie von seinen Servern löscht, sind sie aus der Geschichte verschwunden.
Wie nach der Bücherverbrennung können die Inhalte dann nur noch in Form privater Kopien überleben und Autoren können froh sein, noch eine gespeichert zu haben, ansonsten ist das Werk ein für allemal verloren. Nicht nur für sie, sondern auch für die Historiker der Zukunft, die die Bedeutung des Onlinejournalismus und seine Rolle beim Entstehen medialer Gegenöffentlichkeit erforschen – und die Inhalte eines der ersten und  wichtigsten Magazine in Deutschland gar nicht mehr finden. Weil Telepolis sich 2021 ein “journalistisches Leitbild” verpasst hat, dem die Inhalte der ersten 25 Jahre dieses Magazins nicht mehr entsprechen. Zur Begründung für die massenhafte Löschung schreibt Neuber, man habe die Texte „zunächst aus dem Archiv genommen“, da man „für deren Qualität nicht pauschal garantieren“ könne.Wir mussten aber einsehen, dass es keine realistische Möglichkeit gibt, die enorme Menge von Artikeln aus gut 25 Jahren hinreichend zu prüfen.“ 

Dass 1933ff. eingestellte Schriftleiter jahrzehntealte Artikel aus den Archiven ihrer Zeitung entfernt hätten, weil sie nicht mehr dem neuen Leitbild der Schrifttumskammer entsprachen, ist mir nicht bekannt  und auch eher unwahrscheinlich, weil sie nur für den aktuellen Inhalt ihres Blatts verantwortlich waren und nicht für die Säuberung der Vergangenheit. Warum und nach welchen Kriterien müssen historische Artikel überhaupt “hinreichend” überprüft werden ? – oder anders gefragt: wo kommen wir hin, wenn alle Zeitungen und Medienhäuser ihre Archive von allen Texten säubern,  die sich als als falsch, tendenziös, unsachgemäß und unjournalistisch im klassischen Sinnen  herausgestellt haben ? Welche Medienrealität werden die oben angesprochenen Historiker in einem derart durchgekärcherten  Daten,-Nachrichten,-Meinungs-Korridor einst noch finden ? – jedenfalls nicht die, die in der Öffentlichkeit existiert hat.
Sondern nur die von  `NewsGuard` –  einem mit Millionen aus aus der PR,-und Werbebranche finanzierten Unternehmen,  das die Glaubwürdigkeit von Medien untersucht und bewertet – als “vertrauenswürdig” eingestuften Medien. Mit voller 100% Punktzahl für das ehemalige Nachrichtenmagazin “Spiegel”, die FAZ  und mit kleinen Abstrichen für die anderen Mainstreammedien, also genau jene, denen die PR,-und -Werbebranche weiter ihre unglaubwürdigen Produkte – Propaganda und Reklame – verkaufen will und ihnen eben deshalb des Image “glaubwürdig” verpassen muss. Von einem solchen Bewertungsportal  “mit der vollen Punktzahl als “sehr glaubwürdig”  eingestuft zu werden, wie TP-Leiter Neuber stolz verkündet, ist offensichtlich der  Hintergrund für die Säuberungsaktion bei Telepolis.

Warum es nicht reicht, dem “News Guard” Reinheitsgebot  zu genügen, indem man Beiträge aus dem Archiv als solche kennzeichnet – wie es bei Telepolis seit 2021 schon geschieht, mit dem überflüssigen Hinweis auf mögliche Inkompatibilität mit der neuen “Leitbild”-Ideologie – und gleich das gesamte Archiv geschlossen wird, ist unerklärlich. Dass der IT-Verlag Heise nicht genug Serverplatz zur Verfügung hat oder die Kosten für das Hosting eines Archivs mit 50.000 Textdateien zu hoch sind oder bergeweise Gerichtsklagen wegen alter Artikel eingegangen sind, kann eigentlich nicht sein. Auch  dass in 25 Jahren Telepolis-Artikeln so häufig  gegen  neue Sprachregeln verstoßen wurde – weil etwa das “N-Wort” benutzt wurde und von “Pipi” statt korrekt von Urin Langstrumpf die Rede war – dass man gleich das ganze Archiv sperren muss, kann kein Grund sein.

Was Schopenhauer über die Archive sagt – “Wie die Schichten der Erde die lebenden Wesen vergangener Epochen reihenweise aufbewahren; so bewahren die Bretter der Bibliotheken reihenweise die vergangenen Irrtümer und deren Darlegungen.“ – gilt selbstverständlich auch für die Fake News von gestern, das tödliche Grippevirus von vorgestern und die Massenvernichtungswaffen vor zwanzig Jahren. Wer sich durch Ausradieren vergangener Irrtümer zu einem Organ der Wahrheit stilisiert, macht sich als journalistisches Medium lächerlich und nicht glaubwürdig.

Journalistische Qualität und Objektivität erreichen zu wollen und dabei und den fragwürdigen Kriterien einer Firma zu folgen, die von einem Ex-CIA und einem Ex-NATO-Chef “strategisch beraten” wird, ist nicht vetrauenswürdig, sondern peinlich. Indes ganz auf der Linie des gerade enttarnten pseudo-investigativen Journalisten-Netzwerks OCCCP, das von der US-Regierung finanziert und gesteuert wird und mit dem auch deutsche Medien eng zusammengearbeitet haben. An ihrer NewsGuard-zertifizierten Glaubwüridgkeit wird das nicht kratzen, so wenig wie die Millionenspenden von Bill Gates an “Spiegel” und andere  Großmedien nicht an deren  rundum “vertrauenswürdigen” Berichterstattung zur Pandemie kratzen konnten.

Von Medienprojekten, die als Tiger starten und als Bettvorleger enden kann ich als einstiger Mitgründer der “taz” ein trauriges Lied singen, doch selbst nachdem diese Zeitung zu einem olivgrünen NATO-Kampfblättchen verkommen ist und in Sachen Covid wie der “Wachturm” der “Zeugen Coronas” auftrat, käme dort niemand auf die irrsinnige Idee, das Archiv zu sperren, weil man nicht mehr für die “Qualität” historischer Artikel garantieren kann. Zumal wenn – wie bei der taz so bei Telepolis – das ganze Image, der Nimbus, die Marke, im Kern  auf solchen nicht von NewsGuard-Praktikanten “zertifizierten” Inhalten und Sichtweisen beruht. Telepolis wurde nicht bedeutend und groß, weil man für die Berichte nur dpa-, und AP-Ticker verwurstete, sondern weil andere Quellen, Dokumente, Zeugen und Sichtweisen zu Wort kamen als bei diesen Agenturen.

Für die Hoffnungen, den mit dem Internet eintretenden Strukturwandel der Öffentlichkeit für einen freieren, erweiterten demokratischen Diskurs zu nutzen,  war in Deutschland das Onlinemagazin Telepolis 1996 das erste publizistische Organ  – gegründet von einem  Philosophen  (Florian Rötzer) in einem bis dahin in einem ausschließlich auf Technik spezialisierten Verlag (c`t Magazin), als Fusion von Digitalem und Technik mit Geist und Kultur, Wissenschaft und Kunst, ein journalistisches Pionierprojekt zu einer Zeit, als den Kollegen in den Printmedien “Netscape” und “Google noch unbekannt waren und Netzrecherche als unanständig galt.

Als meine  am 13.9.2001 gestartete “WTC-Conspiracy” – Kolumne im Sommer 2002 im Buch erschien (“Verschwörungen, Verschwörungstheorien und die Geheimnisse des 11.9.”), hatte mich mein Verleger kurz vor Drucklegung noch um einen Vorspann gebeten, um zu erklären was eine “Suchmaschine” und “Links” sind.  Die kleine web-pädagogische Handreichung „Zweimal täglich googeln“ gereichte mir dann aber eher zum Nachteil. Meine Quellen wurden von der Kritik durchweg als »unseriös«,  weil »nur bei Google recherchiert« eingestuft, obwohl mehr als 90 Prozent der angegebenen Links auf bekannte »seriöse« Medien verwiesen. Dass das Internet ein Übermedium ist, in dem alle anderen Medien erreichbar sind, hatte der »Holzjournalismus« 2001 noch nicht verstanden und verkaufte das Netz als Drohkulisse für die garantierte Unseriosität gefährlicher Informationen. Das funktioniert heute wo alle im Netz sind nicht mehr, weshalb  jetzt NewsGuard & Co. aussortieren, klassifizieren und zertifizieren und dem Publikum für betreutes Lesen zur Verfügung stellen.

Willkommen in Brainwashington D.C. . Und bei einer meiner in den  Telepolis-Giftschrank verbannten “unqualifizierten” Bemerkungen. Weil diese hundertausendfach gedruckt und übersetzt bis nach Indonesien vorliegen, kann ich über diese digitalen Bücherverbrennung zwar nur als halb betroffener Hund  aber dafür umso lauter bellen: Hallo Heise/Telepolis: Was soll der Scheiß? Wollt ihr wirklich alles über “Daten – Aufzucht und Pflege” (Wau Holland), die Grundregeln der Online-Kultur, der Hacker-Ethik und des freien Informationsaustauschs restlos vergessen? Okay, dann trennt euch von der Telepolis-Vergangenheit, in der dieser Geist wehte, vertraut der journalistischen  Desinfektion durch die NewsGuard-Impfung und benennt euch in “Tewokelis” oder wie auch immer um. Doch Spaß beiseite: das Archiv zu sperren, zu manipulieren und gar zu eliminieren, ist ein Verbrechen! Auch wenn es einen Strafgerichtshof für Übergriffe auf das digitale Weltkulturerbe noch nicht gibt. Was es aber sicher gibt, sind Institutionen – Wau Holland-Stiftung, Digitalcourage, EFF u.a. – die das digitale Archiv von 25 Jahren Telepolis-Magazin unangetastet bewahren und offen halten würden. Ihnen dieses unerwünschte historische Erbe zu überlassen gebietet nicht nur die zeit, – und medien-geschichtliche Verantwortung, sondern schlicht der Anstand. In diesem Sinne: Die Wiederauferstehung von “Telepolis 1.0” ist überfällig!

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Erschienen am 10. Juni 2024

Mathias Bröckers: Inspiration – Konspiration – Evolution. Gesammelte Berichte aus dem Überall,  Fifty-Fifty (Juni 2024), 464 Seiten, 30 Euro

 

 

 

 

 

 

3.JT #111 : HYPERSCHALLKNALL

Eine neuartige Rakete verändert das strategische Gleichgewicht – nicht nur im Ukraine-Konflikt. Unterdessen knirscht es weltweit im Gebälk der Regierungspaläste. In Tiflis und in Seoul gibt es Tumulte. Und dabei ist Donald Trump noch nicht mal im Amt. Über all das und mehr reden Robert Fleischer, Dirk Pohlmann und Mathias Bröckers im Dritten Jahrtausend. Alle Links zur Sendung hier.

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Erschienen am 10. Juni 2024

Mathias Bröckers: Inspiration – Konspiration – Evolution. Gesammelte Berichte aus dem Überall,  Fifty-Fifty (Juni 2024), 464 Seiten, 30 Euro

 

 

 

 

 

Größenwahn, Great Game und Hirnfäule

In der letzten Woche hatte ich die Reaktion des Westens auf den Einschlag von “Orseschnik” mit den Nahtod-Phasen Eins (Nicht-Wahrhaben-Wollen) und Zwei ( Zorn, Wut) verglichen, dem Leugnen des Untergangs (der militärischen Niederlage) und die nach der Einsicht die Unvermeidlichkeit  aufsteigende Wut. Dass “Freund Hein” über eine Sense verfügt, gegen die kein Kraut gewachsen ist, ist schwer zu schlucken und aus dem Unwillen resultiert Zorn: Jetzt schicken wir 100.000 Krieger mit den neuesten und besten Waffen, gegen die alle bisherigen “wie Peanuts” aussehen, und werden ihm zeigen wo der Hammer hängt. So oder so ähnlich reden zumindest die vom kommenden US-Präsidenten Trump zur Sterbebegleitung der Ukraine erwählten Diplomaten und “Sicherheitsberater” wie General Kellog, der einen illusionären  “Peace Plan” präsentiert hat: die von Russland kontrollierten Regionen aufgeben und die Rest-Ukraine unter einen NATO-Schutzschirm stellen. Also genau das, was für die Russen seit über 30 Jahren ein NoGo ist und weshalb sie vor 34 Monaten ihre “Militäroperation” begannen: keine US-Raketen vor ihrer Haustür, keine NATO in der Ukraine. Vor 32 Monaten hatten sich Moskau und Kiew in Istanbul auf diese Eckpunkte friedlicher Koexistenz schon weitgehend geeinigt, doch das US-Imperium in Gestalt des britischen Ex-Premiers Boris Johnson stoppte diese Verhandlungen und trieb die Ukraine weiter zum Krieg. Jetzt spricht dieser Johnson erstmals offen aus, dass es sich dabei um einen Proxy War handelt und “wir” die Ukrainer, unsere Proxies, “mit einer Hand hinter dem Rücken” kämpfen lassen und nur weitere Milliarden  (“half a trillion, whatever”) und Waffen helfen. Um Russland an den Verhandlungstisch zu bringen, indem man, so Donalds naiver Captain Kellogs, mit der Lockerung von ein paar Sanktionen lockt. Von denen außer ihm jeder weiß, dass die russische Wirtschaft sie erfolgreich umschifft und mit BRICS und Dreiviertel der Welt wunderbar im Geschäft ist. Auch wenn Trump gegen diese Kooperation vorgehen will, die den “mächtigen US-Dollar” und die “wundervolle US-Ökonomie” bedroht, wie er auf X ankündigt

“The idea that the BRICS Countries are trying to move away from the Dollar while we stand by and watch is OVER. We require a commitment from these Countries that they will neither create a new BRICS Currency, nor back any other Currency to replace the mighty U.S. Dollar or, they will face 100% Tariffs, and should expect to say goodbye to selling into the wonderful U.S. Economy. They can go find another “sucker!” There is no chance that the BRICS will replace the U.S. Dollar in International Trade, and any Country that tries should wave goodbye to America.”

Dass niemand den Dollar ersetzen will, sondern die BRICS-Länder sich nur Alternativen für bilateralen Handel schaffen und Trump mit idiotischen Plänen von “100 % Zoll” das Vertrauen in seinen (ohn-)mächtigen (Petro-)Dollar und die wunderbare total verschuldete US-Ökonomie weiter untergräbt, sollte ihm mal jemand stecken.
Wie im Militärischen macht sich die “einzige Weltmacht” auch im Ökonomischen Illusionen über ihre globale Einzigartigkeit, die von der realwirtschaftlichen Wirklichkeit aber genauso wenig gedeckt ist wie von der Realität auf dem Schlachtfeld. Dort hat das Imperium sein Monopol technisch überlegener Waffen ebenso verloren wie auf dem Feld der Wirtschaft die industriellen Kapazitäten und Produktionsmöglichkeiten und ist gar nicht mehr in der Lage,  einen längerfristigen Krieg zu führen. Dasselbe gilt für die NATO-Vasallen in Europa, deren Nachschubmöglichkeiten weitgehend erschöpft sind,  weil sie in einem Jahr nur soviel Panzer produzieren können wie Russland in einem Monat, sie aber weiter zur Verschrottung in die Ukraine schicken wollen”solange es nötig ist”. Wie lange noch? Dass die Wandermumie Joe Biden geächtete Landminen liefert und von Kiew fordert,  jetzt auch 18-jährige an die Front einzuziehen, ist kein gutes Zeichen – wer nur noch Kanonenfutter zu bieten hat, kann keinen Krieg gewinnen. Und den überlegenen Gegner auch nicht dazu bringen, seinen Vormarsch zu stoppen und den Konflikt “einzufrieren”. Wer nur noch den Atomschlag – und damit die garantierte gegenseitige Vernichtung – auf der Pfanne hat, dem bleibt nur die Kapitulation.
        Eigentlich sehr simpel, aber die Einfachheit macht es gerade so schwierig, weil das US-Imperium in den letzten sieben Jahrzehnten eine Selbstüberschätzung entwickelt hat, die jedes Eingeständnis von Schwächen, Fehlern und gar einer fatalen Niederlagen extrem schwer macht. Willkommen in der dritten Nahtod – Phase: den Versuchen zu verhandeln und mit einem “Deal” dem Unausweichlichen zu entkommen, die vergeblich bleiben, da die Niederlage feststeht. Gegen Oreschnik & Co. ist kein Kraut gewachsen.

Das – immerhin – scheint Olaf Scholz zu ahnen, und reiste deshalb ohne “Taurus” (aber mit 600 Millionen-Scheck) im Gepäck nach Kiew, um mit Zelensky “Heil Ukraine” zu rufen und auszuloten, wie lange das grüne T-Shirt mit seiner Größenwahn-Parole “Make Russia Small Again” noch durchhalten kann.
Deutlich weniger  verrückt und näher an der Realität scheinen dagegen die Vorstellungen von einer verkleinerten, drei-geteilten Ukraine, die russische Militärblogger veröffentlicht haben – mit den zu Russland übergetretenen Provinzen im Osten und Süden, mit einem “pro-rusissch” regierten Zentralstaat in der Mitte und “disputet regions” im Westen, über die sich die Russen mit den benachbarten Rumänen, Polen und Ungarn verständigen wollen. Ein solches Reservat, wo die ukrainistischen Bandera-Nazis folkloristische Fackelmärsche zum Führergeburtstag veranstalten können (“unbewaffnet, ohne Hassreden und unter Polizeiaufsicht!”) hatten wir hier ja schon vor zwei Jahren angeregt. Und das scheint mittlerweile noch das Beste, was den Resten der Asow-Brigaden und allen russland-hassenden Ukrainern blühen könnte.
Mit weniger wird sich Russland nicht zufriedengeben, und mehr ist für die Bidens/Trumps/ Johnsons und Scholzens samt NATOstan militärisch nicht erreichbar. Der große Plan, Russland zu schwächen und Putin zu stürzen – vor zehn Jahren mit dem Putsch auf den Maidan (Courtesy of CIA) gezündet – ebenso wie der Versuch, den Stützpunkt der russischen Marine auf der Krim und die großen Rohstoffreserven (Gas, Lithium) in der Ost-Ukraine unter Kontrolle zu bringen, sind auf ganze Linie gescheitert. Russland steht sowohl militärisch und ökonomisch wie auch gesellschaftlich stabiler denn je da, nach jüngsten (unabhängigen) Umfragen ist die Zustimmung zu “Lebensqualität” und “Zukunftsaussichten” auf einen All-Time-High. Indizien dafür, dass der Ukraine-Plan im Great Game des Imperiums doch noch an irgendeiner Stelle aufgehen und funktionieren könnte, sind nirgendwo zu finden. Außer der Revasallisierung Europas  – der Verhinderung von Handel und Wandel zwischen Deutschland und Russland – wurde nichts erreicht. Der  Kampf um die “Weltinsel”, das “Heartland” Alfred Mackinders, über den ich in dem Buch “Wir sind die Guten” (mit Paul Schreyer 2014/2019) ausfürlich geschrieben habe, ist der und Dreh-und Angelpunkt der anglo-amerikanischen Herrschaftsinteressen seit mehr als einem Jahrhundert – Ulrike Guerot hat über die Rolle der Heartland-Doktrin gerade ein neues Buch veröffentlicht  – und in diesem Kampf hat das Imperium eine schwere strategische Niederlage erlitten.  Auch wenn man es  noch nicht wahrhaben will und die bekoksten Krakeler in Kiew, London und Washington “Jetzt erst recht!”  schreien, ist daran nicht zu rütteln: das “Herzland” bleibt unter Kontrolle Russlands und die NATO bleibt draußen. Wer das nicht als Grundlage für Verhandlungen akzeptiert, braucht nicht einmal einen Tisch. Und wer das noch immer nicht versteht, ist nach dem soeben in Oxford gekürten englischen “Wort des Jahres” schlicht  “brain rot”:  zuviel Mainstrean-Müll googeln führt zur “Hirnfäule”…



Auch erschienen auf overton

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Erschienen am 10. Juni 2024

Mathias Bröckers: Inspiration – Konspiration – Evolution. Gesammelte Berichte aus dem Überall,  Fifty-Fifty (Juni 2024), 464 Seiten, 30 Euro

 

 

 

 

 



 

„Ab 5 Uhr 45 wird zurückgelächelt“

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Zum heutigen 101. Geburtstag von Wolfgang Neuss, geschrieben zu seinem 80. am 2.Dezember 2003

„Wir müssen Hitler so lange wiederholen, bis er ein Hit ist ….ab 5 Uhr 45 wird zurückgelächelt.“ Heute wäre Wolfgang Neuss 80 Jahre alt geworden – und garantiert kein bißchen leise. Angesichts von „Tätervolk-“ und Mahnmal-Debatte hört man es geradezu brüllen aus der Hochparterre-Wohnung in der Charlottenburger Lohmeyerstraße, wo er bis zum seinem Tod im Mai 1989 wohnte: „Wir leben mit dem Geist derer, die wir erschossen und erschlagen haben, wir wollten es immer werden und sind es nun, die klügeren Juden. Es dürfen wieder Witze gemacht werden, und zwar jüdische“ Natürlich jenseits aller political correctness, die Neuss schon 1955 vermissen ließ, als er als „Mann mit der Pauke“ – „Die von der CDU werden noch so lange machen, bis der liebe Gott aus der Kirche austritt“ – zum ersten Zensurfall des deutschen Fernsehens wurde: während seines Live-Auftritts täuschte der Intendant des „Sender Freies Berlin“ eine technische Störung vor. So frei war man denn doch noch nicht, im Muff der Adenauerjahre. „Das darf man nicht sagen ? Gerade deshalb mußte ich es sagen!“ – das war, und blieb die Neuss’sche Maxime. Mit 14 war er aus Breslau nach Berlin abgehauen und wollte zum Zirkus, seine Mutter sammelte ihn ein und schickte ihn in eine Schlachterlehre. Als Soldat landet er bald im Lazarett und merkt dass er Witze besser erzählen kann als andere, zurück an der Ostfront schießt er sich 1943 den Zeigefinger der linken Hand ab, um wieder ins Lazarett zu kommen: „Die Angst trieb mich zum Fortschritt. Selbstverstümmelung war und ist eine gute Friedensbewegung!
Mit bunten Abenden meldet sich Humorsoldat Neuss auch 1945 im Internierungslager zur Stelle und tingelt danach, mit einem Geiger und einem Leiterwagen über Land. Man spielt für Übernachtung und Abendessen in Gasthäusern – „Lachkalorien“ heißt das Programm. Wegen eines briten-feindlichen Witzes wird er zu einem halben Jahr Haft verurteilt, kommt aber nach wenigen Tagen frei. Es folgen erste Auftritte auf Profibühnen zusammen mit seinem Partner Wolfgang Müller; 1951 tritt Neuss mit der Pauke vor 20.000 Berlinern in der Waldbühne und erobert die Herzen der Frontstadt im Sturm: „Zwei Nummern Ost, zwei Nummern West –ich war ne Art Doppelagent“ Er spielt Theater unter Piscator, kleine und große Rollen in über 50 Spielfilmen, führt Regie bei den „Stachelschweinen“ und wird im Räuber-Duo mit Wolfgang Müller in „Das Wirtshaus im Spessart“ (1957) zum Filmstar- Liebling der Nation. Bald eröffnet kein Schuhgeschäft mehr ohne die kesse Schnauze von Neuss, die Strumpffirma „nur die“ verklagt ihn wegen eines Werbespots, in dem er einen Fernseher eintritt und bekundet: „Das machen nur die Strümpfe, NUR DIE, anders ist das Ding nicht kaputtzukriegen“. Die Kulturkritik am Fernsehen hinderte den „Doppelagenten“ Neuss freilich nicht, seinen ersten eigenen Film – „Wir Kellerkinder“ (1960) – von der ARD mitfinanzieren zu lassen; die heute selbstverständliche Praxis führte zum Eklat, der „Verband der Filmtheater“ lehnte die Aufführung in den Kinos ab – und so kam es, dass der vielleicht genialste deutsche Film über den Faschismus bei den Berliner Filmfestspielen außer Konkurrenz laufen mußte. Neuss mietete eigene Kinos an und zog für seinen „gesamtdeutschen Heimatfilm“ werbetrommelnd durch die Lande. Um seinem nächsten Film Zuschauer zu verschaffen, legte er sich nicht nur mit dem Fernsehen an, sondern wurde gleich zum „Verräter der Nation“ – in einer Anzeige für „Genosse Münchhausen“ (1962) im Berliner „Abend“ verriet er den Mörder der Durbridge-Serie „Das Halstuch“, des ersten „Blockbusters“ der jungen TV-Nation. Morddrohungen waren die Folge, den Spaß wollte sich das Wirtschaftswunderland von seinem Spaßmacher dann doch nicht verderben lassen.
Doch Neuss, nach dem Flugzeugabsturz seines Partners Müller als Komiker nun solo, befand: „In der Blüte meiner blauen Tage/ merkte ich dass Spaß ein Luxus war/ den man mit der Apothekerwaage/ abwog, denn er war entsetzlich rar./Da beschloß ich ungebeten, ein’ge in den Arsch zu treten“. Mit seinem Ein-Mann-Shows im „Domizil“ am Lützowplatz („Das jüngste Gerücht“, „Neuss Testament“ und „Asyl im Domizil“) Mitte der 60er Jahre mutiert der familien-kompatible Komiker von nebenan nicht nur zu „Deutschlands Kabarettisten Nr.1“ (Spiegel), sondern auch zum prominentesten Aushängeschild der außerparlamentarischen Opposition. Die nette Berliner Kodderschnauze wurde der scharfzüngigste Lautsprecher der APO, der komische Knallcharge zur politischen Instanz, der Filmstar und Playboy zum Anmacher und Unruhestifter. Und zum Aussteiger Anfang der 70er Jahre, als er die Bühne mit der Meditationsmatte tauschte, und seine Tablettensucht mit „Hanfmedizin“ kurierte. „Geistige Aufrüstung“ nannte Neuss das und die setzte er der Radikalisierung der 68er Kulturrevolution, dem Abdriften in den bewaffneten Kampf entgegen – das Morden und Brandschatzen hatte er hinter sich.
“Das letzte Mal war´n die späteren RAF-Leute bei mir nach der Baader-Befreiung und sagten: ‘Wolfgang, du mußt uns helfen, wir brauchen dein Auto.’ Ich hab gebrüllt: ‘ Seid ihr wahnsinnig’ und nicht mitgemacht – leider, wie man heute sagen muß. Denn wäre ich Wahnsinniger damals eingestiegen, hätte das ganze Abenteuer keine drei Tage gedauert.” Ein Foto von Ulrike Meinhof und ihren Zwillingen hing dennoch bis zum Schluß in seinem zu einer einzigen Pinwand ausgewachsenen Zimmer. Für Neuss kam als Konsequenz aus der Radikalität der 60er Jahre kam nur das Abenteuer der Selbstfindung in Frage. Und als er wieder auftauchte, aus der inneren Versenkung, bricht er sein Schweigen mit Worten, die den alten Kollegen irre und bizarr vorkommen. “Rauch nicht so viel von dem Zeug” mahnte sein Freund Uwe Johnson, bevor er sich langsam totsoff. Dass kein Biermann oder Enzensberger, kein Hildebrandt, Hüsch oder ein anderer Kabarett-Kollege es ihm nach tat und asketisch auf der Meditationsmatte Platz nahm, um Einblicke in´s Rad der ewigen Wiederkehr zu erhaschen, daß ihm kein Wolfgang Müller nachwuchs, nahm er keifend und zeternd übel. Ganz anders aber die Texte, die Neuss fortan produziert: immer noch der blitzschnelle Assoziations-Artist und Kalauer-König (“Die Nordsee ist umgekippt – hat mal jemand nen Lappen?”), aber er schöpft nicht mehr aus dem “Anti”, der Negation, dem permanenten Protest. Statt wie einst den Gegner mit verbalem Schnellfeuerbeschuß niederzumähen, übt sich der späte Neuss in der Zen-Politik der Umarmung, im “An-die-Wand-lieben” : „…ab 5 Uhr 45 wird zurückgelächelt.”

Als ich diesen “neuen” Neuss erstmal zu hören bekam, richteten wir ihm in der „taz” sofort eine Kolumne ein. Fortan sprach er mir wöchentlich seinen aberwitzigen, “buddhadaistischen” Monologe auf Band, in dem Lokalklatsch und Globalstrategie, Privatclinch und Weltkrieg, Kleinkunst und Großkultur, Tagesaktualität und Ewigkeit auf holographische Art kollidierten. Spritzig, witzig und weise. Klaus Theweleit, Chef-Analytiker deutscher Männerphantasien, hat Neuss’ “genialen Zeilen” zum Faschismus später zitiert – neben Benn, Jünger, Pound, Hamsun, Elvis, im “Buch der Könige”. Da gehört er hin, der Neuss, als Schlachtergeselle zu den Dichterkönigen, als deutscher Trommler neben den Rock`n Roll King. Paradebeispiel für einen, der nicht Faschist geworden ist – und nie vergaß, dass er einer sein könnte.
“Auf deutschem Boden darf nie wieder ein Joint ausgehen” entbot er Richard von Weizsäcker bei seinem legendären Talkshowauftritt 1983 zum Gruße – der Spruch war ihm am Nachmittag auf einer Glückwunschkarte zum 60. Geburtstag zugeflogen, von einem Fan aus dem Knast. Ihn gleich am Abend vor einem Millionen-Publikum als Appell an “Häuptling Silberlocke” zu bringen, war nicht nur typisch für die Neuss’sche Methode, es brachte auch das Phänomen dieser deutschen Biographie auf den Punkt. Nicht den typischen Oberleutnant, mit Oberwasser unter aller Regimen, sondern einen deutschen Schweijk und Torpedokäfer: “Ich hab nie aufgehört von unten anzufangen.”

Zum 80. Geburtstag sind seine gesammelten Werke in einer wunderbaren Sonderausgabe bei Zweitausendeins erhältlich – ( „Der totale Neuss“ , herausgegeben von Volker Kühn, 960 Seiten) – und präsentieren nicht nur die einzigartige Geschichte dieses großen kleinen Manns, sondern auch eine einzigartige Geschichte dieser Republik, gesehen von einem ihrer wachsten Zeitgenossen. So wie einst die Bücher Tucholskys den braunen Frontkomiker zum kritischen Volksaufklärer transformierten, könnte auch dieses Buch – sowie die auf CD vorliegenden Originaltöne des Meisters – eine Bildungslücke schließen. Im Zeitalter trostloser Commedy-Inflation sollte für die Akteure mehr denn je die Maxime des großen Vorsitzenden gelten: „Heut mach ich mir kein Abendbrot, heut mach ich mir Gedanken.“

Kapitulation oder nuklearer Winter

Es sieht nicht gut aus in den unterirdischen Produktionsanlagen  der Juschmasch-Werke im ukrainischen Dnipro/Dnjepropetrowsk, nachdem der riesige Miltiärindustrie-Komplex – einst von Stalin “bombensicher” zu einem der größten Rüstungsbetriebe der Sowjetunion ausgebaut – am 21. November einen Besuch von “Oreschnik” erhalten hat. In meinem ersten Kommentar dazu war davon die Rede, dass die neuartige russische Mittelstrecken-Rakete mit “Übungsmunition” ausgestattet gewesen sein soll, was aber eine Falschmeldung ist, die daher rührte, das auf den Videos der  Einschläge keine größeren Explosionen zu hören oder  zu sehen waren. Mittlerweile hat sich der Grund dafür heraus gestellt: die Rakete war nicht mit mit Explosiv-Sprengkörpern besetzt, sondern mit insgesamt 36 Stahlgeschossen, die mit einer Geschwindigkeit von 10.000 km/h einschlugen und dutzende Meter Beton durchdrungen haben. Auch wenn wir für die Herkunft des Fotos oben, das auf Telegramm kursiert,  nicht garantieren können – und wegen der totalen Nachrichtensperre der Ukraine über den Anschlag und die Folgen noch keine Bilder und Details bekannt geworden sind – würde es der Realität eines solchen Einschlags entsprechen, der nach Angaben von Bewohnern der Stadt  noch in einem Kilometer Entfernung erdbebenartige Erschütterungen ausgelöst hat. “Oreschnik” (Haselnuss) wird so genannt, weil die hyperschnell auf das Ziel fallenden separaten Sprengköpfe wie die herabhängenden Blüten eines Nussbaums aussehen, und wie Fachleute – hier Larry Johnson, oder hier Scott Ritter und Prof. Ted Postol, MIT-Raketenexperte – klar  machen, dieses neuartige System eine Waffe ist, die das Szenario des Kriegs schlagartig verändert, nicht nur in der Ukraine, sondern global. Zum einen, weil es die Zerstörungskraft einer Nuklear-Bombe hat, aber ohne Explosion, Feuersturm, radioaktive Verseuchung  und nuklearen Winter, und zum anderen, weil die Salve dieser “Haselnüsse” von keinem existierenden Luftverteidigungssystem gestoppt werden kann. Weshalb Russland für den Präzisionsschlag auf die Juschmasch-Raketenfabrik sowohl den USA eine 30-minütige Vorwarnung zukommen lassen konnte – sowie danach die Botschaft Präsident Putins, dies auch bei künftigen Einsätzen der Waffe zu tun, um “Zivilisten befreundeter Länder” nicht zu gefährden.

Noch scheint der Westen in der allerersten Kübler-Ross-Nahtod-Stufe  zu verharren, dem Leugnen und Nicht-Wahrhaben-Wollen des Sterbeprozesses: außer einem beliebigen Raketenangriff auf eine Rüstungsfabrik ist  – wenn man der hiesigen Presse folgt – nichts weiter geschehen. Bei Militärs und Strategen jedoch muss diese Botschaft tiefe Schockwellen auslösen, scheint doch “Oreschnik” in der Lage, jede militärische Institution, Einrichtung, Ansammlung in Schutt und Staub zu zerlegen. Was das bedeutet, für den aktuellen Kampf in der Ukraine und die Kriegsführung im Allgemeinen, muss man erst mal sacken lassen: es mit einem Gegner zu tun zu haben, der morgen mein Hauptquartier, meinen Seehafen, Flugplatz und jeden anderen Stützpunkt zerstören kann. Für Dienstag 26.11. hat die NATO deshalb ihren “Ukraine Rat” zu einer Sondersitzung zusammen gerufen, bei der indessen wenig herauskommen wird, weil NATOstan – außer einem Atomschlag, der zu gegenseitiger globaler Vernichtung führt – einfach nichts zu bieten hat, was diese “Haselnüsse” knacken oder abwehren kann. Niemand weiß, wie viele dieser Raketen mit ihren “experimentellen” Sprengköpfen Russland aktuell in der Hinterhand hat, Scott Ritter vermutet mindestens zwei Dutzend, die jedes Ziel in Europa erreichen können. 

Und was diskutieren die Pudel Emanuel und Keir ? Dass Frankreich und England jetzt Truppen in die Ukraine senden sollten! Ein klarer Fall von Nahdtod-Stufe eins, des Verleugnes und Nicht-Wahr-Haben-Wollen des Untergangs. Ebenso wie die fortgesetzten Angriffe mit ATACMS und StormShadows auf russisches Gebiet. Sie wollen und können es einfach noch nicht wahrhaben, dass sie militärisch Schachmatt gesetzt sind – und transformieren in Stufe zwei : Wut, zorniges Herumschlagen. Aber das hilft nicht, wenn die Niederlage feststeht. Die USA und ihre europäischenVasallen sind militärisch am Ende, ihre Proxy-Armee in der Ukraine ist nahezu aufgerieben, ebenso wie die Nachschubmöglichkeiten an Munition und Waffen, und der hypersonische Hammerschlag von “Oreschnik” zeigt,   dass sie auch technologisch unterlegen sind. Insofern stellt “Oreschnik”, was militärische Macht betrifft, einen ähnlichen Paradigmenwechsel dar wie im August 1945 die USA-Atombombe auf Hiroshima, nur mit dem Unterschied, dass sich die Russen an zivilisatorische Konventionen gehalten und für ihre Machtdemonstration nicht Hunderttausende Zivilisten ermordet haben. Und es auch nicht tun müssen: geeignete militärische Ziele in der Ukraine und ganz  Europa werden in den russischen Medien bereits rauf und runter diskutiert, einschließlich der Vorwarnzeiten,  bis Warschau braucht die “Haselnuss” 9 Minuten, bis Berlin 11, bis Paris und London 17 Minuten. 

Das war schon 2018 zu erkennen, als die neuen Waffensyssteme erstmals vorgestellt wurden und wir hier die Parole ausgaben “Don´t mess around with Ivan!”, aber die Ignoranz, Arroganz und Hybris des exzeptionalistischen Imperiums wollte es darauf ankommen lassen. Auf Trumps Kündigung des INF-Vertrags über die Begrenzung von Mittelstreckenraketen folgte nun pünktlich zu seinem zweiten Amtsantritt die Antwort: nicht-nuklear, aber von ungeheurer Zerstörungskraft. Und als eindeutige Botschaft, die nun in die Phase drei der NATO-Nahtod-Erfahrung führen wird: der Versuch des Verhandelns, des “Deals”, den der gewählte Oberdealer Trump bekanntlich “in 24 Stunden” bewerkstelligen wollte. Aber er hat nichts in der Hand, womit er drohen kann, sondern nur eine Wahl: Kapitulation oder nuklearer Winter.
Das wird schwer, doch dass der Plan gescheitert ist, Russland in der Ukraine eine strategische Niederlage beizubringen, wird auch jeden Tag offensichtlicher. Dass der von Trump nominierte Sicherheitsberater in Sachen Ukraine mit der Politik der Biden-Regierung “Hand in Hand” gehen will und sein neuer Bürochef tönt, dass man den bisherigen Support der Ukraine “wie peanuts” aussehen lassen wird, scheint indes nach mehr “Haselnüssen” geradezu zu betteln. Dass sie auch interkontinental fliegen und nuklear bestückt sein können, sollte diesen Wahnsinnigen dringend jemand flüstern.


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Erschienen am 10. Juni 2024

Mathias Bröckers: Inspiration – Konspiration – Evolution. Gesammelte Berichte aus dem Überall,  Fifty-Fifty (Juni 2024), 464 Seiten, 30 Euro

 

 

 

 

 



 



 

“ATACMS” Gambit und “Oreschnik” Matt

Ob ein Munitionsarsenal sowjetischer Waffen in der russischen Region Bryansk von US-amerikanischen “Army TACtical Missile System” (ATACMS)-Raketen am 19.November getroffen wurde, ist derzeit noch unklar. Laut russischem Verteidigungsministerium wurden von den sechs Raketen fünf abgefangen und eine beschädigt, die keinen Schaden angerichtet haben soll, laut Kiew wurden nur zwei abgefangen und vier sollen ihr Ziel erreicht haben.  Zweifelsfreie Videos oder Bestätigungen, was wirklich geschah, liegen aktuell  noch nicht vor, klar ist nur, dass das Arsenal im Westen Russlands, nahe der belarussischen Grenze,  für die Militäroperation keine Rolle spielt und auch ein “Volltreffer” allenfalls symbolische PR-Wirkung hätte. Dass Putin am selben Tag die Nuklear-Doktrin Russlands änderte und es erlaubte, im Falle von Luftangriffen eines nicht-nuklearen Proxies (Ukraine) Nuklearwaffen einzusetzen, wenn dieser von einer Nuklearmacht (USA) unterstützt wird, passt dennoch ins Bild. Tatsächlich können ja die ukrainischen Truppen die ATACMS-Raketen gar nicht selbstständig programmieren, feuern und steuern, ohne Support vom Pentagon sowohl über Satellit und wie auch vor Ort geht gar nichts. Dasselbe gilt für die britischen und französischen Mittelstreckraketen, die schon seit Beginn des Konflikts im Einsatz sind.
Was veranlasst aber die Wandermumie Joe Biden  kurz vor der Einbalsamierung nun doch noch,  direkt und unverblümt amerikanische Raketen auf Russland loszulassen, was seine Regierung  zwei Jahre lang verweigert hat ? Der Schweizer Militärexperte Ralph Bussard meint dazu: 

“Der Einsatz von Kurz- und Mittelstreckenwaffen soll ein möglicherweise bereits bestehendes Agreement zwischen dem Team von Trump und der Regierung Putin torpedieren, indem Putin zu Handlungen verleitet wird, die Trump keine andere Wahl lassen, als den Krieg fortzusetzen. Für die Russen sind deshalb derzeit Angriffe auf US-Einrichtungen und -Truppen ausgeschlossen. Mit dem Einbezug von Franzosen und Briten soll sichergestellt werden, dass der Krieg auch nach Trumps Amtsantritt weitergehen kann. Biden nutzte dabei natürlich die Großmacht-Ambitionen Frankreichs und Großbritanniens. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und der britische Premierminister Keir Starmer wissen aber auch, dass die russische Vergeltung Ende Januar primär sie treffen wird, sobald Trump am Ruder ist. Ich denke, Briten und Franzosen werden auf Tauchstation gehen, sobald es wirklich gefährlich wird.”

So schaut`s aus. Und “Tauchstation” scheint für die großmäuligen Briten der passende Begriff, wenn man sich vergegenwärtigt, was die russische Unterwasserdrohne “Poseidon” und der von ihr ausgelöste Tsunami mit ihrer verregneten Insel anstellen kann. Dass die Amerikaner für ihren Raketenangriff ein strategisch irrelevantes Ziel gewählt haben deutet an, dass man die Russen nicht über die Maßen provozieren will, sondern den Krieg noch irgendwie am Laufen halten will, wo die ukrainischen Truppen an der 800 Kilometer langen Front gerade überall massiv zurückgedrängt werden. Die Hoffnung, dass die Russen wütend auf eine NATO-Einrichtung außerhalb der Ukraine zurückschlagen werden – und man dann den “Bündnisfall” aufrufen, Krieg erklären und Trumps  Regierungsübernahme in USA verschieben kann – wird sich wohl  nicht erfüllen. Stattdessen setzen die russischen Truppen ihre systematische Demilitarisierung der Ukraine (und der NATO) weiter in aller Ruhe fort – und schickten laut Kiew gestern auf einen großen Industriekomplex in Dnipro ihre  “Doomsday”- Rakete RS-26, die allerdings nur mit Übungsmunition bestückt war, sonst wäre die Stadt Dnipro/Dnepropetrowsk nicht mehr da. Von russischer Seite ist der Einsatz einer neuartigen Mittelstrecken-Rakete mittlerweile bestätigt,  was  als Wink mit dem 50-Kilo-Tonnen-Zaunpfahl ja durchaus Sinn macht, um die Machtlosigkeit der westlichen Luftverteidigung gegen dieses hypersonische Monster zu demonstrieren. Die USA und Kanada haben daraufhin ihre Botschaften in Kiew vorsorglich evakuiert. Eine mit sechs steuerbaren Sprengköpfen bestückte “Oreschnik” (Haselnuss) – so nannte Putin die neue Waffe – will eben niemand aufs Dach bekommen.
Aber man kann ja weiter blubbern, dass “Putin blufft”,  weil “Russland die Raketen ausgehen” und sie schon die “Chips aus Waschmaschinen” plündern müssen, um überhaupt noch feuern zu können – solange noch ein allerletzter Ukrainer den Abzug drücken kann, muss das Narrativ mächtiges NATOstan vs. schwaches Russland nicht aufgegeben werden. Zelensky hat unterdessen “die Weltgemeinschaft” – drunter macht`s der kleine Kokskomiker nicht – aufgerufen,  den russischen Raketenabwurf zu kontern, wird aber feststellen müssen, dass da nichts geht. Außer ein paar mehr ATACMS oder Storm Shadows, die leichte Beute für die S-400 der Russen sind, haben die Kriegsherrn in Washington nichts zu bieten, was einmal mehr bestätigt: Amerika kann nur Monopoly, aber Russland kann Schach. Das ATACMS-Gambit – ein Dutzend “Bauern” (Stückpreis 3,5 Mio. $) im Feindgebiet zu opfern, um sich Vorteile zu verschaffen – ist nach hinten los gegangen; ein einziger Zug der “Haselnuss” hat gezeigt, was die Folgen sein werden, wenn die nächsten westlichen Raketen auf Ziele in Russland geschossen werden. Dazu sagte Wladimir Putin gestern: (übersetzt mit deepl.com):

Ich wiederhole: Die Erprobung der “Oreshnik”-Rakete unter Gefechtsbedingungen wird von uns als Reaktion auf die aggressiven Aktivitäten der NATO-Länder gegenüber Russland durchgeführt. Die Frage des späteren Einsatzes von Kurz- und Mittelstreckenraketen wird in Abhängigkeit von den Aktionen der USA und ihrer Satellitenstaaten behandelt werden. Die Ziele, die im Rahmen weiterer Tests unseres neuen Raketensystems zerstört werden sollen, werden auf der Grundlage ihrer Bedrohung für die Sicherheit der Russischen Föderation bestimmt. Wir halten uns für berechtigt, unsere Waffen gegen militärische Ziele derjenigen Länder einzusetzen, die ihre eigenen Waffen gegen unsere Ziele einsetzen.

Sollte es zu einer Eskalation aggressiver Aktivitäten kommen, werden wir entschlossen und reziprok reagieren. Den herrschenden Eliten jener Länder, die den Einsatz eigener Truppen gegen Russland planen, rate ich dringend, dies ernsthaft zu überdenken. Es versteht sich von selbst, dass wir, wenn nötig, als Vergeltungsmaßnahme Waffen wie die “Oreshnik” gegen Ziele in der Ukraine einsetzen und die Zivilbevölkerung sowie Bürger befreundeter Staaten anweisen werden, die Gefahrenzonen im Voraus zu verlassen. Wir werden dies aus humanitären Gründen tun. Wir werden dies öffentlich bekannt machen, ohne Angst von Gegenmaßnahmen des Gegners, der diese Informationen ebenfalls erhalten wird.

Warum ohne Angst? Weil es heute keine Mittel gibt, um solche Waffen abzuwehren. Die Raketen greifen Ziele mit einer Geschwindigkeit von Mach 10 an…(…)

Dass diese Ansage von den schwerhörigen Strategen in Washington und London wahrgenommen wird, kann man nur inständig hoffen. Russland blufft nicht. Das nächste Mal, so sollten alle bellizistischen Aktivisten jetzt wissen, wird die “Haselnuss” geladen sein. Und sie kann jedes Ziel in der Ukraine und in Europa treffen. Höchste Zeit, diese Übermacht anzuerkennen und Frieden zu machen!

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Erschienen am 10. Juni 2024

Mathias Bröckers: Inspiration – Konspiration – Evolution. Gesammelte Berichte aus dem Überall,  Fifty-Fifty (Juni 2024), 464 Seiten, 30 Euro

 

 

 

 

 



 

Kriegskoalition fährt das Land an die Wand

Die Neuwahlen sollen jetzt am 23. Februar stattfinden, folgen werden dann wieder  eine Große Koalition und weitere sinnlose Milliarden für den verlorenen Ukraine-Krieg. Selbst wenn die beiden aktuellen Anti-Kriegs-Parteien AfD und BSW zusammen auf 40% der Stimmen kämen, bleibt ihnen nur die Opposition. Da die FDP wahrscheinlich unter 5%  und die Grünen auf einstelliges Niveau schrumpfen, ist Schwarz/Gelb/Grün (und noch mehr sinnlose Kriegs-Milliarden) wohl keine Option. Was die Lieferung von weitreichenden Waffen wie “Taurus” betrifft, an deren Blockade durch Olaf Scholz das Regierungsbündnis scheiterte, kann die SPD in den Koalitionsverhandlungen aber durchaus weiter auf der Bremse stehen, sodass Fritze Merz, weil er unbedingt  Kanzler werden will, am Ende klein beigeben wird. Zumal  weder “Taurus” noch andere Wunderwaffen irgendetwas an der militärischen Niederlage der Ukraine ändern können. Wenn Merz im Bundestag  rhetorisch den Dicken macht und Putin das Ultimatum setzt, den Krieg in 24 Stunden zu stoppen, weil sonst die Taurus-Raketen kommen, entspricht das ganz dem Fake-Mofa-Rocker Friedrich aus Brilon, der den “Hells Angels” mit der Ansage kommt, sie demnächst  aufzumischen. Eine Lachnummer. Lustig wäre auch, wenn jetzt statt Scholz der beliebte Pistolius ins Kanzlerrennen geschickt würde, um mit der Granate Flak-Zimmermann (FDP), den transatlantischen Dumm-Dumm-Geschossen Habeck/Hofreiter(Grüne) und dem Blackrocker Merz um den höchsten Waffeneinsatz zu pokern. Da Merzens (Ex-)Arbeitgeber Blackrock mit anderen Hegde-Fonds-Kollegen schon 40% des ukrainischen Bodens unter Kontrolle gebracht haben und gern auch auf das besonders rohstoffreiche Donbas-Gebiet zugreifen möchte – “das Lithium nicht Putin überlassen”, so Roderich Kriegsgewitter (CDU) und der olivgrüne Hofreiter – sind sie zu irrsinnigen Einsätzen bereit. Auch wenn sie nur Luschen auf der Hand haben.

Und auch ein anderer “Kriegsende in 24 Stunden”-Experte, Donald Trump, wird mit seiner Ansage nur erfolgreich sein können, wenn er einen “Deal” akzeptiert,  der die russischen Forderungen erfüllt, denn er hat (außer gegenseitiger nuklearer Vernichtung) nichts in der Hand, mit dem er Russland drohen könnte. Schon gar nicht  mit den 50.000 in Europa stationierten US-Truppen, wie es die “Washington Post” erfunden hat, die die Nachricht eines Telefonats zwischen Trump und Putin verbreitete, das nie stattfand. Was zeigt, das die Sabotage des gewählten Präsidenten schon begonnen hat, denn warum sonst schwingt sich ein CIA-Sprachrohr wie die WaPo zu solchen FakeNews auf, außer um Chaos zu stiften. Dass von den US-Truppen höchstens 20 Prozent front-tauglich sind, fügt das Blatt freilich nicht hinzu, genauso wenig  wie die Tatsache, dass die kampffähigen 10.000 US-Soldaten bei der aktuell gemeldeten KIA/WIA (Killed/Wounded in Action)- Rate an der Donbas-Front – vorgestern 2475 –  nicht einmal fünf Tage durchhalten würden. Und  50.000 Mann, die NATOstan noch hinterherschickt (wenn sie denn da wären), keinen Monat.  Auch wenn der Chef des NATO-Militärausschusses, Admiral Rob Bauer, tönt: „Ich bin mir absolut sicher, wenn die Russen keine Atomwaffen hätten, wären wir in der Ukraine und hätten sie rausgeschmissen.” 

Klar, und wenn der Papst nicht katholisch wäre….absolut sicher scheint nur: wer mit ahnungslosen Knallchargen in der Chefetage Krieg führt, die nach zwei  Jahren erstaunt feststellen: “Es gibt einen großen Unterschied zwischen Afghanistan und Russland ” , kann nur verlieren. Wie es die NATOstan-Helden zuletzt in Afghanistan demonstriert haben. Da Trump die zu 75% von den USA finanzierte Schlägertruppe ohnehin zu teuer ist und sein neuer Effizienzminister Elon Musk bei einer NATO-Kosten-Nutzen Rechnung nur tiefes Rot sehen wird, wäre der Zeitpunkt ideal, den ineffizienten Laden umzubauen oder ganz loszuwerden. Insofern geht in der Brüsseler NATO-Zentrale die Angst um, das Trump dem unrentablen Ukraine-Abenetuer den Stecker zieht. Spitzenvasall Deutschland, zweitgrößter Finanzier des Desasters, segelt jetzt schon nah an der Pleite und wenn Merz im März noch ein paar Schuldenmilliarden drauflegt, verschärft das die Schieflage nur weiter. Für den Rest der EU sieht es kaum besser aus,  realitätsfremde Kriesgtreiber blasen allenthalten die hohlen Backen auf und niemand scheint bemerkt zu haben, dass das Ziel des US-Imperiums nicht ein militärischer Sieg über Russland ist, sondern die Revasallisierung Europas: 
“Das wahre Ziel bestand nicht darin, Russland vollständig zu besiegen, sondern die Fähigkeit Europas zu verringern, Kapital unabhängig von New York und London anzuhäufen. Ist das nicht der wahre Preis dieses Krieges – eines Krieges, in dem Europa, einst ein Kontinent, der auf dem Weg zur wirtschaftlichen Autonomie war, unwiderruflich wieder in den Einflussbereich der USA gerissen und die Ukraine in einen gescheiterten Staat verwandelt wurde? Letztendlich muss nicht die Frage gestellt werden, ob die USA beabsichtigten, Russland militärisch zu besiegen, sondern vielmehr: Inwieweit wurde die Zerstörung der Ukraine zugelassen – vielleicht sogar gefördert – im Dienste einer viel größeren, weitaus unheilvolleren Strategie, die darauf abzielt, das europäische Kräfteverhältnis zugunsten Washingtons neu zu gestalten? Die Antwort ist klar, wie die anhaltende Tragödie der Ukraine bezeugt.” (

Lasst uns den Raum wieder öffnen für Debatten um die richtigen Lösungen, die so groß sind wie die Herausforderungen unserer Zeit. Der Moment ist jetzt.”

Okay, dann verraten wir jetzt die richtigen Lösungen, die beim Wahlvolk absolut mehrheitsfähig sind:

1) Wir stellen die Waffenlieferungen ein, die den verlorenen Krieg sinnlos verlängern und arbeiten mit den Russen an einer friedlichen Teilung der Ukraine, wie Deutschland es nach dem verlorenen 2. Weltkrieg demonstriert hat.
2)  Mit Sanktionen “Russland ruinieren” (A.Baerbock) ist nach hinten losgegangen, wir lassen diesen ruinösen Quatsch.
3) Wir bitten Russland,  “Nordstream 1” wieder einzuschalten.

So könnte aus dem kleinen Robert  doch noch ein großer Kanzler werden könnte, oder  aus Olaf Scholz, der diese Woche mit Putin telefoniert hat. Aber dabei nur die üblichen NATO-Textbausteine wiederholt hat. So wird das nichts mit “Vermittlung” und “Verhandlung”, die schwachköpfige Kriegskoalition fährt das Land an die Wand. Für sinnvolle, weiterführende  Gespräche gilt: Niederlage anerkennen,  Telefon nur mit weißer Fahne! 

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Erschienen am 10. Juni 2024

Mathias Bröckers: Inspiration – Konspiration – Evolution. Gesammelte Berichte aus dem Überall,  Fifty-Fifty (Juni 2024), 464 Seiten, 30 Euro