Was passiert, wenn eine Kopf-Ab-Wickelmütze, Chef von Hay’at Tahrir Al Sham (HTS), einem Abkömmling von Al Quaida und ISIS, gestern noch mit zehn Millionen Dollar Kopfgeld als Terrorist zur Fahndung ausgeschrieben, heute Präsident in Syrien ist ? Alles easy, Bruder – siehe dazu das Video ganz unten.
Worum es wirklich geht in Syrien – “Pipeline-istan” – wurde hier schon vor Jahren berichtet. Dass die Waffen für die “Rebellen” aktuell aus Katar finanziert wurden und die Jihadisten aus Saudi-Arabien stammen, passt historisch ins Bild.
“Seit Assad 2009 die projektierte Katar/Saudi-Arabien-Pipeline absagte und sich für eine Iran-Irak-Syrien-Pipeline entschied, mit der die EU übers Mittelmeer versorgt werden kann, mutierte er in Windeseile vom sympathischen Augenarzt zum üblen Diktator. Nun wäre es für die Öl,-und Gas-Bedürftigen Europäer, die nach dem Willen des Imperiums ihre Abhängigkeit von russischen Lieferungen reduzieren sollen, völlig egal, ob ihr Gas aus Katar oder Iran stammt. Nicht aber Onkel Sam: nach der Einigung im Atomstreit und der Aufhebung der Sanktionen gegen Teheran wäre der Iran mit dieser Pipeline dick im Geschäft.” (Krieg in Pipelineistan”, 8.12.2015)
Schon drei Jahre zuvor hatten wir hier festgehalten, dass es nicht um Syrien, Demokraten vs. Diktatoren usw. geht, sondern um strategische Kontrolle im globalen Erdgasgeschäft.
Während die Menschenrechtsbellizisten nach den großartigen “Erfolgen” in Afghanistan und Irak ( ca. 1 Mio Leichen) nunmehr Syrien ins Auge fassen um nach bewährter Methode Humanität und Demokratie zu verbreiten, und Israels Präsident mal wieder auf PR-Tour für einen “Selbstverteidigungs”-Krieg gegen die nicht vorhandenen Atomwaffen des Iran tingelt, gerät naturgemäß aus dem Blick, worum es bei dem Zirkus eigentlich geht: Öl und Gas. Seit Mitte der 90er Jahre plante der US-Konzern Unocal TAPI – die Turkmensistan-Afghanistan-Pakistan-Indien Pipeline. Nachdem sich die ursprünglich als Hüter der Pipeline in Afghanistan installierte Taliban-Regierung bei den Verhandlungen über die Transitgebühren als zu hartnäckig erwies, wurde der vom Unocal-Vertreter angedrohte “Teppich voller Bomben” prompt geliefert und die Taliban unter dem Vorwand der Terrorbekämpfung aus Kabul wieder verjagt. Als erste Amtshandlung unterzeichnete der danach installierte Prädident Kharzai dann in Dezember 2002 den Vertrag über TAP – ohne “I”, denn die Verlängerung nach Indien blieb noch offen. Die Inder verhandelten unterdessen über IPI – eine Iran-Pakistan-Indien Pipeline, die den USA ein Dorn im Auge ist, weil sie TAPI relativ unrentabel macht. Doch weder Indien noch Pakistan wollen sich auf eine allein US-kontrollierte Versorgung mit Erdgas verlassen und halten trotz amerikanischem Druck an IPI fest, die auf iranischer Seite schon fertig ist und 2014 in Betrieb gehen soll. Schon seit 2010 in Betrieb ist die russische Pipeline Blue Stream, die Gas durch das Schwarze Meer in die Türkei befördert, und die jetzt mit “Blue Stream 2” verlängert werden soll – nach Syrien. Dass sich Assad auf dieses Angebot eingleassen hat – statt auf die von USA und EU angebotenen Gaslieferungen aus Ägypten – ist ein entscheidender Grund für den vom Westen massiv propagierten Regimewechsel in Damaskus: der Zugang für russisches Gas zum Mittelmeer. Zudem hat Syrien unlängst einen milliardenschweren Vertrag mit Iran und Irak über die Lieferungen von iranischem Erdgas ans Mittelmeer geschlossen – und damit weitere drohende Konkurrenz für das anglo-amerikanischen Piplinegeschäft ebenso wie für die Exploration der 2010 entdeckten großen Erdgasreserveroirs im “levantinischen Becken” vor Zypern, die Israel ausbeuten will. Es geht bei den aktuell hochgekochten Konflikten also weniger um ein autokratisches Mullah-Regime in Teheran oder einen Diktator in Damaskus, die zugunsten von Demokratie und Humanität “beseitigt” werden sollen, es geht um Konkurrenten und strategische Kontrolle im Erdgasgeschäft. (Krieg in Pipeline-istan, 4.3.2012)
Ohne diesen Hintergrund sind die Ereignisse in Syrien nicht zu verstehen, so wenig wie der Zeitpunkt, zu dem sie erfolgt sind: als militärischer Angriff auf die Ziele von BRICS, zu dessen Mitgliedern jetzt auch der Iran zählt (und Syrien sich angemeldet hat.) Russland hat sich aus seinem Militärhafen und dem Luftwaffenstützpunkt in Syrien kampflos zurückgezogen und den Islamisten beim Sturm von Hay’at Tahrir Al Sham (HTS) auf Damaskus nichts entgegengesetzt. Was mit den nur 400 dort stationierten Militärs auch kaum möglich gewesen wäre. Dass die Vertreibung Assads in den westlichen Medien allenthalben als Niederlage Putins gefeiert wird, könnte indessen ein wenig voreilig sein und schnell verblassen, meint auch Larry Johnson – Ex-CIA und Kenner der Islamistenszene, der HTS für “radikaler als die Taliban” hält, während der Kollaps-Experte meines Vertrauens, Dmitry Orlov, einen Zusammenbruch der arabische Welt und Rückfall in die Stammerskriege des 6. Jahrhunderts am Horizont sieht. Alles andere also als ein fröhliches Sommerfest:
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Erschienen am 10. Juni 2024
Mathias Bröckers: Inspiration – Konspiration – Evolution. Gesammelte Berichte aus dem Überall, Fifty-Fifty (Juni 2024), 464 Seiten, 30 Euro