Mit dem Begriff “limited hangout” wird eine PR-Strategie bezeichnet, nach der man zu nicht mehr verheimlichbaren Sachverhalten begrenzte Eingeständnisse veröffentlicht – in der Hoffnung, den Schaden zu begrenzen und den Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Bei den seit Anfang des Monats Furore machenden “Pentagon Leaks” – Links dazu in * Notizen-76 – scheint mir ein solcher Fall vorzuliegen. Die Dokumente sind wahrscheinlich echt, der 21-jährige Airman der National Guard, Jack Teixera, aber ist kein echter Whistleblower wie es Chelsea Manning oder Edward Snowden waren – und die Gamer, denen er das Material auf den Server hochlud, nicht der “Guardian” oder die “New York Times” und schon gar nicht Wikileaks. Es ist dem jetzt verhafteten Leaker offensichtlich nicht darum gegangen, die Öffentlichkeit über Missstände oder Kriegslügen aufzuklären, sonst hätte er sie nicht einen Monat lang unbeachtet auf einem Game-Server gelassen – und sonst hätte es auch nicht das britische Geheimdienst-Outlet Bellingcat gebraucht, um sie dort zu “finden”, als nach über vier Wochen die ersten Dokumente auf Twitter auftauchten. Darunter auch solche, die gar nicht auf einem Military-Server liegen können, weil sie von der CIA stammen und nicht an das Militär ausgeliefert werden. Darauf hat der CIA-Veteran und Blogger Larry Johnson mehrfach hingewiesen. Auch ansonsten ist das offizielle Narrativ – ein junger Mann, der mit den Top-Secret-Papieren in seiner Gaming-Community angeben wollte – äußerst fragwürdig, es sei denn, genau dies war der Sinn der Operation: die weitere Durchsetzung des Restrict Act, mit der die Behörden noch mehr Kontrolle und Zugriff auf private Server und Chatrooms erlangen wollen. Denn wenn solche streng geheime Papiere wochenlang dort frei herumliegen können… da muss man doch etwas tun ??!
Für diese Version könnte sprechen, dass die Lecks wirkliche oder gar kriegsentscheidende Geheimnisse nur für diejenigen enthalten, die vollständig zum Opfer westlicher Propagandaschleudern geworden sind. Und es für die Realität halten, dass man mit Sanktionen “Russland ruinieren” (A.Baerbock) kann, dass den Russen (seit einem Jahr) ” jetzt die Raketen ausgehen”, dass sie “schwere Verluste” erleiden und die Ukrainer nur noch ein paar Panzer mehr brauchen für den “Sieg” usw.usf. – nur ein komplett gehirngewaschenes Publikum kann von den Zahlen und Daten der “Leaks” – über die hohen Verluste der Ukrainer, die Schwäche ihrer Luftabwehr und ihres untrainierten Personals – überrascht sind. Auch von der Nachricht, dass die USA ihre eigenen Alliierten bespitzeln, wird nur schockiert, wer von Merkels Handy noch nie gehört hat und die Nordstream-Sprengung für ein Werk der Russen hält. Also: auch wenn “Top Secret” draufsteht, enthalten die offenbarten Geheimnisse nichts wirklich Neues – sie entlarven nur die triumphalistische Propaganda, mit der die US-Regierung und ihre Vasallen zum Krieg treiben, als Fake-News. Und könnten – eine weitere denkbare Version – von den unsichtbaren Meistern in den Tiefen der Dienste und des Staats als Anti-Biden-Operation lanciert worden sein, synchron mit den aktuellen Enthüllungen eines ehemaligen Obama-Mitarbeiters, über die korrupten Geschäfte von Joe und Hunter Biden in der Ukraine .
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Unterdessen geht es mit dem Ende der unipolaren Welt zügig voran und alle Wege führen in die Haupstädte der neuen Multipolarität – nach Moskau und Peking. Während Brasiliens Präsident Lula das weiß – er besuchte in Shanghai die Inauguration seiner Vorgängerin Dirma Rouseff als Präsidentin der neuen BRICS+ “New Development Bank” und vereinbarte mit Präsident Xi weitreichende Kooperatiponen – blamierten sich andere westliche China-Besucher bei dem Versuch, die Chinesen auf NATOstan-Linie zu bringen. Pepe Escobar hat über Macron und die anderen so schön geschrieben, dass ich mal ein Stück mit deepl übersetzt habe:
Indem er Le Petit Roi nach China einlud und nicht weniger als sechs Stunden persönlich mit seinem Gast verbrachte, zeigte Xi Jahrtausende alte Diplomatie in ihrer besten Form. Er erinnerte seinen Gast an die turbulente Geschichte zwischen Frankreich und den angelsächsischen Mächten, und er sprach über Souveränität. Die wichtigste subtile Nebenhandlung: “Europa” sollte sich gut überlegen, ob es sich dem Hegemon unterordnen und die massiven wirtschaftlichen Turbulenzen so gut wie möglich vermeiden will, wenn der Tag der Konfrontation mit den USA gekommen ist. Es ist Pekings Priorität, die zunehmenden Versuche der USA, China einzukreisen, zu unterbinden.
So behandelte Xi Frankreich als einen potenziellen echten Souverän, sogar unter der EU; oder als eine Art Abspaltung vom EU-Dogma.
Diese konfuzianische Einladung zu erkenntnistheoretischem Wachstum enthielt natürlich noch eine weitere wichtige Botschaft. Für diejenigen, die aufgrund komplexer geopolitischer Zusammenhänge nicht bereit sind, China freundlich gesinnt zu sein, wird es für Peking nie zu spät sein, die weniger “freundliche” Seite des chinesischen Staates zu zeigen – wenn sich die Situation ergibt.
Übersetzt heißt das: Wenn der Westen auf den totalen Machiavelli setzt, wird China den totalen Sun Tzu anwenden. Auch wenn Peking lieber auf internationale Beziehungen unter der Ägide von Schönheit, Güte und Wahrheit setzen würde als auf “Ihr seid für uns oder gegen uns”, auf Terrorkrieg und Sanktionsdemenz.
Hatte der Petit Roi also einen “Straße nach Damaskus”-Moment? Das Urteil ist offen. Er hat den Hegemon buchstäblich in Angst und Schrecken versetzt, als er sagte, Europa müsse dem Druck widerstehen, “Amerikas Vasall” zu werden. Das deckt sich ziemlich genau mit den 51 Punkten, auf die sich Peking und Paris geeinigt haben, wobei der Schwerpunkt auf den “legitimen Sicherheitsbedenken aller Parteien” liegt. Die Amerikaner erschraken noch mehr, als Macron behauptete, dass Europa eine unabhängige “dritte Supermacht” werden sollte. Le Petit Roi machte sogar einige kleine Schritte zugunsten der Entdollarisierung (natürlich unter Aufsicht seiner Finanzmeister) und nicht zugunsten von Kriegen auf ewig.
Also mussten die Amerikaner in Panik die deutsche 5. Kolonne Annalena “360 Degrees” Bearbock in aller Eile nach Peking schicken, um zu versuchen, Le Petit Rois Ausbrüche rückgängig zu machen – und das offizielle Skript des Washingtoner Diktats in Brüssel zu bekräftigen. Niemand, nirgendwo, schenkte ihr die geringste Aufmerksamkeit. Das kam noch zu der krassesten Nebenhandlung der ganzen Geschichte hinzu: wie die Domina der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, von Peking als mehr als irrelevant behandelt wurde. Ein chinesischer Wissenschaftler beschrieb sie bissig als “nur das Sprachrohr einer zahnlosen Organisation. Selbst ihr Bellen klingt wie das Wimmern eines todkranken Hundes, der eingeschläfert werden soll”.
Der “todkranke Hund” musste durch die Passkontrolle und den Zoll (“Irgendetwas zu deklarieren”?) Kein diplomatischer Status. Keine offizielle Einladung. Keine Souveränität. Und nein, man kann nicht mit dem Hochgeschwindigkeits-Sonderzug neben Macron nach Guangzhou fahren. Hier also eine weitere Botschaft – und zwar eine sehr anschauliche: Legt euch nicht mit dem 3.000 Jahre alten Ethos des Reichs der Mitte an.”
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Und, wie wir hier schon seit 2018 predigen “Don’t mess around with Ivan!”, denn der hat “Kinzhal” am Start, den “Dolch”, gegen den es keine Verteidigungswaffe gibt. Meines Wissens gab es im Krieg bisher nur zwei Einsätze der hyperschnellen Rakete. Auf Telegram und einigen Blogs wurde Anfang März die Meldung verbreitet, dass eine unterirdischer Kommandozentrale in der Nähe von Lemberg (Lvov) von Kinzahl-Atacken zerstört wurde und dabei auch zahlreiche NATO-Offiziere ums Leben gekommen seien. Da weder von ukrainischer noch von russischer Seite irgendeine Bestätigung dieses Vorfalls gab und auch in den sozialen Medien keine weiteren Details auftauchten, blieb die Nachricht ein Gerücht. Jetzt aber hat, wie Gilbert Doctorow bemerkt, erstmal eine Zeitung ausführlich darüber berichtet: „Die Katastrophe der NATO-Streitkräfte in der Ukraine“.:
“Wir wissen jetzt, dass nicht eine, sondern zwei Kinzhal-Raketen eingesetzt wurden, um einen Bunker zu sprengen, der sich mehr als 100 Meter unter der Erde befand und durch einen zu Sowjetzeiten errichteten Schild aus Stahlbeton geschützt war, der einem direkten Treffer durch eine Atombombe widerstehen sollte. Jede der Raketen war mit 500 kg Sprengstoff bestückt.Die polnischen, britischen und amerikanischen Offiziere waren sich ihrer Unverwundbarkeit in diesem Bunker, in dem sie täglich mit ihren ukrainischen Kollegen über die Kriegsführung berieten, so sicher, dass sie Dutzende ihrer Autos achtlos in der Nähe des Bunkereingangs abstellten, was der russischen Luft- und Satellitenaufklärung nicht entgangen war.Die Kinzhals wurden von einem MiG-31-Kampfflugzeug in einer Entfernung von bis zu 2.000 km vom Ziel abgefeuert, also weit außerhalb der Reichweite ukrainischer Flugabwehranlagen. Die Treffergenauigkeit lag nachweislich innerhalb eines Meters vom Ziel.”
Die Zeitung erinnert an eine kurze Meldung des Verteidigunsministeriums vom 9. März, dass man als Reaktion auf die vom Kiew in der Region Brjansk am 2. März organisierten Terroranschläg einen “Vergeltungsschlag” unternommen habe, bei dem eine dieser Raketen eingesetzt worden ist. Da weder Ort noch Details genannt wurden, ging diese Kurzmeldung einfach unter. Die Botschaft aber dürfte bei den NATOstan-Offizieren, die offiziell ja gar nicht dort sind, angekommen sein. Wenn sie künftig nicht unauffälliger parken, wird es nichts mit der “Frühjahrsoffensive”, die freilich ohnehin – wie auch aus den geleakten Papieren hervorgeht – zum Scheitern verurteilt ist. “Die Waffen nieder!” und an den Verhandlungstisch bleibt das Gebot der Stunde.
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Im Oktober 2022 erschienen:
Mathias Bröckers : Vom Ende der unipolaren Welt , Fifty-Fifty (2022), 288 Seiten, 20 Euro
Der internationale Bestseller über die Geschichte und Hintergründe des Ukraine-Kriegs: