Auf Manova ist heute ein Gespräch erschienen, das Marcus Klöckner mit mir geführt hat. Über Inspiration, Konspiration, Evolution und die Berichte aus dem Überall. Im Folgenden ein Auszug:
Marcus Klöckner: „Ach, mir wird das zu kompliziert, Mathias, da halt ich mich lieber an das, was sie im Fernsehen sagen.“ Das sagte einmal Ihre Mutter zu Ihnen. Sie führen dieses Zitat gleich zu Beginn Ihres neuen Buches an. Warum ist Ihnen diese Aussage hängengeblieben? Steht die Aussage im Allgemeinen dafür, wie viele Menschen immer noch den großen Medien Glauben schenken?
Mathias Bröckers: Das Zitat stammt aus einem Dialog mit meiner Mutter kurz nach 9/11, als wir zusammen die Tagesthemen über die Bombardierung von Tora Bora schauten, wo sich Osama bin Laden angeblich versteckt halten sollte.
Sie haben damals gerade über die WTC-Conspiracy für das Onlinemagazin Telepolis geschrieben.
Ja, und damals kommentierte ich gerade den TV-Bericht mit meinen Recherchen, dass zum Beispiel die angeblichen „Hijacker“ kaum fliegen konnten oder dass die Höhlenfestung Tora Bora von der CIA angelegt wurde und bin Laden einer ihrer Agenten war und so weiter. Das wurde dann meiner damals 74-jährigen Mama zu viel, und ich unternahm auch keine missionarischen Versuche, sie zur 9/11-Skeptikerin zu machen. Sie las die lokale Tageszeitung, hörte Nachrichten im Deutschlandradio, schaute abends die TV-Talkshows.
Sie tat wohl das, was die meisten Menschen taten, oder?
„Mit uns oder mit den Terroristen“, hatte George W. Bush verkündet, und die Medien machten mit: Jedes „Aber“, jeder Zweifel wurde ausgeblendet, jede Widerrede gegen das eindeutige Freund-Feind-Schema als Terrorunterstützung disqualifiziert. Insofern konnte das von einem nie da gewesenen, live im TV übertragenen Ereignis in Angst versetzte und verunsicherte Medienpublikum kaum anders, als dem offiziellen Narrativ Glauben zu schenken, der Jagd auf das klar definierte „Böse“ zuzustimmen und in den „Krieg gegen Terror“ zu ziehen.
Und dann, 20 Jahre später? Wieder das altbekannte Muster?
Der „Krieg gegen das Virus“, jetzt gegen Russland: Das Muster ist immer das Gleiche. Und ich habe das in der Einleitung zitiert, weil es nicht nur in der massenpsychologischen Stimmungsmache der Politik , der „Unterhaltungsabteilung des militärisch-industriellen-Komplexes“ (Frank Zappa), vorkommt, sondern auch bei den Themen jenseits des politischen Tagesgeschäfts, die die Essays dieses Buchs behandeln.
Sie werden bald 70. Wenn Sie so zurückblicken: Sehen Sie einen Unterschied zur Medienwelt heute im Vergleich zu vor 30, 40 Jahren? Oder anders gefragt: Was hat sich aus Ihrer Sicht verändert, gebessert, verschlimmert?
Computer und Internet waren für Medienwelt und Gesellschaft eine Revolution wie vor 500 Jahren Gutenbergs Buchdruck. Ich hatte schon 1984/85 das erste Modem illegal an meinen Telefonanschluss geklemmt und konnte mich mit dem Server der taz verbinden, wo auch schon die ersten Nachrichtenticker digital einliefen, konnte dann auch das erste Internetforum der Welt, The WELL in Kalifornien, besuchen und teilte all die Hoffnungen auf freien Informationszugang, globale Vernetzung und Kommunikation. Einiges davon hat sich ja erfüllt, das mobile Videophone, das zu den „Raumschiff Enterprise“-Zeiten meiner Jugend noch voll Science-Fiction war, ist heute mit WhatsApp & Co. alltägliche Realität.
Das kann man positiv sehen, aber …
… ja, aber wie die massenhafte Verbreitung von Büchern zu Gutenbergs Zeiten zu verschärften Kontrollen, Verboten und Bücherverbrennungen führten, wird auch im digitalen Zeitalter zensiert, gesperrt und gelöscht, was das Zeug hält. Der Staat investiert Milliarden zur Bekämpfung von „Desinformation“, das heißt von allem, was den offiziellen Narrativen – siehe oben – widerspricht.
Sie waren Mitbegründer der taz. Schon damals ging es darum, eine Art „alternatives“ Medium zum Mainstream zu haben. Schon damals gab es also wohl einen grundlegenden Konflikt im Hinblick auf die Berichterstattung der großen Medien. Nun gibt es heute sehr viele „alternative“ Medien. Durch das Internet wurde der Meinungskorridor erweitert – zumindest in gewisser Weise. Und dennoch: Die Berichterstattung der großen Medien zur Coronakrise, zum Krieg in der Ukraine und so weiter könnte konformer kaum sein. Wo liegen die Ursachen?
Immer weniger Konzerne beherrschen die gesamten Medien, in den USA sind es eine Handvoll, die über 90 Prozent des gesamten Outputs kontrollieren, und hier ist es kaum besser. Was will man da erwarten?
Es gibt viele Sender und Zeitungen, aber von Medienvielfalt kann keine Rede mehr sein. Auch nicht bei den öffentlich-rechtlichen Medien, die ja zu ausgewogener, möglichst objektiver Berichterstattung verpflichtet wären und nicht, wie bei der sogenannten Pandemie, zum Durchpeitschen von Regierungsmaßnahmen und Diffamierung von Andersdenkenden.
Wie mit der Diskurskeule „Verschwörungstheorie“ der Meinungskorridor desinfiziert und gegen Kritiker vorgegangen wurde, die sich über dieses Reinheitsgebot hinwegsetzten, liefert für die künftige Medienforschung ein empirisches Musterbeispiel par excellence. Und „alternative“ Medien können nur eine Alternative bleiben, solange sie keine Reichweite erzielen; wenn sie ein Mllionenpublikum erreichen – wie zum Beispiel KenFM –, schlägt die Inquisition sofort zu, nicht anders als zu Gutenbergs Zeiten im ausgehenden Mittelalter. Und mit denselben Methoden: 175 Jahre Kerker forderte der „Vatikan“ in Washington für den Chef des wichtigsten Alternativ-Mediums unserer Tage, WikiLeaks-Gründer Julian Assange. Dass er nach einem juristischen Deal und fast zehn Jahren Gefangenschaft seit gestern in Freiheit ist, hat sein Leben gerettet und ist ein großes Glück. Es wird aber nichts daran ändern, dass das Aufdecken von Kriegslügen und Kriegsverbrechen staatlicherseits weiter diffamiert und sanktioniert wird.
Und die taz? Wo steht das Blatt heute?
Ökonomisch – dank der Genossenschaft als Träger – so gut wie nie, inhaltlich aber eher im Sumpf einer paradoxen Woke- und Waffen-Ideologie, die wie bei den Grünen mit den antiautoritären, pazifistischen Ursprüngen nichts mehr zu tun hat. Während der „Pandemie“ las sich das Blatt wie der „Wachtturm der Zeugen Coronas“ und jetzt wie eine russophobe NATOstan-Postille. Das betrübt mich natürlich, so viel Hyper-Konformismus, so viel Dummheit, soviel oliv-grüne Abgeschmacktheit. Aber zum Glück gibt es die AfD, auf die man als „Nazis“ mit dem Finger zeigen und sich selbst beweisen kann, doch noch irgendwie „links“ zu sein – und gleichzeitig in der Ukraine die echten Nazis der Asow-Brigaden mit Geld und Waffen auszustatten.
Eigentlich wollte ich mit Ihnen ein Interview zu Ihrem Buch führen. Aber in gewisser Weise machen wir das ja auch, oder? Ihr Buch versammelt Texte zu Themen, mit denen Sie sich in den Jahrzehnten Ihrer Arbeit beschäftigt haben. Das Thema Medien, der Zustand der Medien und Medienkritik – dem sind Sie eng verbunden. Warum ist das so?
Mein Vater war Redakteur und hat mich schon als Kind in die Druckerei mitgenommen. Seitdem liebe ich den Geruch von Druckerschwärze. Aber es hatte sicher nicht nur damit zu tun, dass ich mich am Ende des Studiums den Leuten anschloss, die auf dem TUNIX-Kongreß 1978 verkündeten, eine neue Tageszeitung zu gründen. Sondern vor allem mit dem Zustand der deutschen Medien im „Deutschen Herbst“, der einer Gleichschaltung schon ziemlich nahe kam. Doch um klassische Medienkritik geht es in diesem Buch nicht und wenn, dann in einem sehr erweiterten Sinne. Etwa in dem Bericht über das erstaunlichste Medium, mit dem ich je Kontakt hatte und das man wegen seiner Illegalisierung – schon durch die Inquisition des Mittelalters – auch zu den „alternativen“ Medien zählen könnte.
Nämlich?
Der „Spitzkegelige Kahlkopf“.
Wer oder was ist das?
Die Funktion seines Wirkstoffs – Psilocybin – habe ich mit einer Satellitenschüssel verglichen, mit der das Bewusstsein neue, ungeahnte Programme empfangen kann. Um die Rolle, die diese magischen „sprechende Pilze“ bei der Computerrevolution und der Entstehung des Silicon Valley – sowie vor 2.000 Jahren im Mysterium von Eleusis und bei der Entstehung der griechischen Philosophie – gespielt haben, geht es in zwei weiteren Essays. Platons Höhlengleichnis ist ja eine Mediengeschichte: „Gaukler“ werfen „Schattenbilder“ an die Wand, die von den Höhleninsassen für die wahre Realität gehalten werden. Mit seinem Hinweis, wie es einem Geflüchteten ergehen würde, der zurückkehrt um die Insassen über diese Trugbilder aufzuklären – „sie werden ihn wohl erschlagen“ –, ahnt Platon die „Cancel-Kultur“ unserer Tage schon ziemlich gut voraus.
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Erschienen im Juni 2024
Mathias Bröckers: Inspiration – Konspiration – Evolution. Gesammelte Berichte aus dem Überall, Fifty-Fifty (Juni 2024), 464 Seiten, 30 Euro