Wenn “Diktator Putin” (taz) im “Club der Autokraten” (SZ) seine “Schurken-Allianz” (BILD) willkommen heißt und keine “Angst vor einer Verhaftung”(FAZ) haben muss, lernen Zeitungsleser schon in der Überschrift, dass es hier wohl um so etwas wie ein Treffen der “ehrenwerten Familien” gehen muss, zu dem als “Pate” ein KI-generierter Marlon Brando geladen hat – willkommen in “Der Putin – Teil 1”. Sie küssen dem “Godfather” den Ring, schwingen große Worte, schwören ewige Treue, aber wir Zuschauer wissen natürlich: alles nur Show, alles Fake, nächste Woche gehen sie sich wieder gegenseitig an der Gurgel. Wie das eben so ist bei Autokraten, Potentaten und Mafiosi, die sich jeder Moral und der… ähem… “regelbasierten internationalen Ordnung” entziehen und die Geschäftsinteressen ihrer “Familien” mit Gewalt durchsetzen. Mit ihren berüchtigten Angeboten, die man nicht ablehnen kann…
Welches Angebot der Pate Putin gemacht hat, dass Vertreter aus 36 Nationen, darunter zwei Dutzend Staatschefs, seiner Einladung nach Kasan folgten, lassen die Kommentatoren der deutschen Angst-Presse indes im Unklaren, Drohungen, Erpressungen oder Pistolen an den Schläfen der Präsidenten bleiben ebenso unerwähnt wie die anderen Gründe, warum aus der halben Welt die Bosse anreisen, um dem capo dei capi die Ehre zu erweisen. Klar ist nur: es geht um nichts Gutes
“Die Narrative der Autoritären haben den Westen in die Enge getrieben”, erzählt die “Süddeutsche”, als ob es Erzählungen gewesen wären und nicht Explosionen wie Nordstream, die Deutschland in den Niedergang getrieben hätten und als ob das NATOstan-Narrativ vom “freien”, “demokratischen” Westen (und einem undemokratischen/autoritären/barbarischen Rest der Welt) sich nicht selbst seit Jahrzehnten demontiert hätte und mittlerweile auch hemmungslosen Genozid wie in Gaza als “regelbasiert” akzeptiert. Und als ob dieser “Westen” sich nicht jeder Moral und jeder internationalen Ordnung entziehen und die Geschäftsinteressen der “Familie” stets mit Gewalt durchsetzen würde. Etwa mit Angeboten von überteuertem Fracking-Gas aus den USA, die kein normaler Mensch freiwillig annehmen würde – aber eh sie ihm den ganzen Laden in Schutt und Asche legen, zahlt der Wirt dann doch lieber Schutzgeld. Und hält, wie unser Olaf, den Mund oder sagt, dass er die Ami-Bandidos braucht um sich vor den Born-To-Be-Wild-Russkis zu schützen, weshalb das Bier jetzt noch teurer werden muß…
Der Geldschein, mit dem der Pate seiner Zentralbankchefin Elwira Nabiullina scherzhaft zuwedelt – eine gemeinsame BRICS-Währung – ist zwar noch ein symbolisches Muster, das in der Zukunft liegt, aber es deutet an, wohin die Reise hingehen soll: zu einer Alternative zum von der G7-“Familie” kontrollierten globalen Finanz,-und Banksystem und seiner Institutionen wie Weltbank, Währungsfonds und Handelsorganisationen. Um neue Börsen und Rating-Agenturen, die das “fixen” der Getreide, Gold,- und Rohstoff-Preise nicht allein der Wallstreet und der City of London überlassen; um ökonomische und finanzielle Kooperation nicht nur der jetzigen BRICS-Länder (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika) und der neu aufgenommenen (Ägypten, Äthiopien, Iran, Vereinigte Arabische Emirate) sondern auch unter den vielen um Mitgliedschaft anstehenden Nationen und dem Rest der Welt. Es ist ein gigantisches Projekt, das fast die Hälfte der Erdbevölkerung betrifft, deren Repräsentanten bei dem Treffen in Kasan versammelt waren, und ein langfristiges, multilaterales Unternehmen, weil es eine Parallelstruktur zu den nach dem Zweiten Weltkrieg vom “Westen” installierten internationalen Organisationen schaffen will. Es wird auf absehbare Zeit den US-Dollar als globale Leitwährung nicht ersetzen, aber den Ländern des Globalen Süden Alternativen bieten für Währungsreserven, Kredite, Versicherungen etc. sowie für Import,-und Exportgeschäfte in ihren Landeswährungen.
So weitreichend die Pläne in 134 Einzelbereichen sind, die dafür in Kasan ausgerollt wurden, so zahlreich sind auch die Hürden, die bei der Umsetzung noch überwunden werden müssen – doch kleinste gemeinsame Nennern, von denen aus sich weiter arbeiten lässt, scheinen die BRICS-Partner gefunden zu haben. So haben zum Beispiel gerade Indien und China ihren langjährigen Grenzkonflikt in der Himalaya-Region beigelegt und wollen – zum Unwillen der USA – enger kooperieren, auch die arabischen Emirate sitzen mit dem alten “Erzfreind” Iran mittlerweile an einem BRICS-Tisch und Saudi-Arabien will auch gern dabei sein. Da wächst etwas multipolar zusammen was nach der unipolaren US-Doktrin einfach nicht zusammenwachsen darf. Weshalb Indien schon im Vorfeld unter Druck gesetzt wurden ebenso wie andere Kandidaten und Partner der neuen Kooperationsplattform; diesem Druck, einschließlich Sanktionen, so machte Gastgeber Putin deutlich, werden auch künftige Partner wahrscheinlich noch ausgesetzt sein. Was diese aber, wie an der großen Zahl der Teilnehmer und Aspiranten zu sehen, nicht länger zu schrecken scheint, nicht zuletzt auch deshalb, weil Russland mit dieser großen Konferenz gerade demonstriert, wie über 16.000 verschiedene Sanktionen des Westens nicht nur verpuffen, sondern als Bumerang zurück fliegen. Pünktlich zum BRICS-Gipfel hat der IMF Russland als viertgrößte globale Wirtschaftsmacht (nach Kaufkraftparität) eingestuft, vor Deutschland und Japan, für die es weiter abwärts geht:
“Die Zahlen des IWF veranschaulichen diesen Trend in überraschender Deutlichkeit. Ägypten, ein Schwellenland, wird in den nächsten fünf Jahren 1,7 % zum weltweiten Wachstum beitragen, genauso viel wie die entwickelten Industrieländer Deutschland und Japan. Vietnam hingegen wird mit 1,4 % mit Frankreich und dem Vereinigten Königreich gleichziehen. In der Zwischenzeit werden Kanada und Italien, die beiden kleinsten G7-Mitglieder, jeweils weniger als 1 % beitragen – eine Zahl, die geringer ist als die einiger Länder mit niedrigerem BIP, aber größerer Bevölkerung, wie Bangladesch und die Philippinen.”
Interessant, oder ? Willkommen in den deindustrialisierten US-Kolonien Europas, die für die globale Wirtschaft im 21. Jahrhundert bedeutungslos wurden. Weil sie sich im Auftrag ihrer Kolonialherren vom Handel und Wandel mit den Zukunftsmärkten im Osten abgeschnitten und sich statt einem Beitritt der Bekämpfung von BRICS verschrieben haben, ebenso wie der militärischen Bekämpfung von Russland und China. Willkommen im Club der Verlierer, der außer Identitäts-Geblubbel – Wir sind die Guten, die Demokratie, die Menschenrechte, alle anderen: Autokraten, Despoten, Schurken! – dem Rest der Welt nichts mehr zu bieten hat an, weder an imaginären “Werten”, noch an realen Gütern. Und der nicht gemerkt hat, dass die gute alte”Teile und Herrsche”-Kanonenbootpolitik, dem das anglo-amerikanische Imperium seit 200 Jahren seine Macht und seinen Reichtum verdankt, an ihr Ende gekommen ist. Und sich das Diktum des “Realisten” und good old “Bloody Henry” Kissinger in der Ukraine, in Europa, im Mittleren Osten einmal mehr als wahr herausstellt: “Amerikas Feind zu sein ist gefährlich, Amerikas Freund zu sein fatal”.
Noch ist BRICS nur ein Club, laut Putin “kein anti-westlicher, sondern nur ein nicht-westlicher”, und weder ein militärisches Bündnis noch eine ökonomisch-politische Organisation wie die EU, doch wenn die in Kasan angedachten und vorbereiteten Projekte und Kooperationen in die Spur kommen, wird daraus ein Wirtschafts,-und Staatenverbund, der alle vom Westen dominierten globalen Institutionen in den Schatten stellt. Dass der UN-Generalsekretär den Teilnehmern seine Referenz erwies – und dafür von den US-Medien gekreuzigt wurde – scheint daher angemessen. Der 2006 gegründete Club, dem ein Hegdfonds-Manager das Kürzel BRICS – für die darin vertretenen “Schwellenländer” – gab, ist mit der Konferenz in Kasan zu einem globalen Player geworden, dem die Völker der Welt die Tür einrennen. Nicht weil sie den Patriarchen Xi und den Paten Putin so unwiderstehlich finden, sondern weil es unerträglich geworden ist, wie das US-Imperium mit permanenten Kriegen seine militärischen und wirtschaftlichen Interessen durchsetzt. Und eine neue, multipolare Weltordnung dringend erforderlich macht.
Hier zum Wochenende noch einige Video-Tipps
Thomas Fassbender (Berliner Zeitung), einer der wenigen deutschen Korrespondenten in Kasan, im Gespräch mit Roger Köppel (Weltwoche)
Dmitry Orlov, mein Lieblingsanalytiker des Chaos und des Niedergangs, mit einer wie stets punktgenauen Analyse der Lage Weltlage.
Larry Johnson und Andrei Martyanov über die offenbar weitgehend abgefangenen israelischen Raketen auf Iran
Sowie König Donald himself, immer noch überlebensgroß, in einem dreistündigen Gespräch mit Podcaster und Talk-Host Nr.1 Joe Rogan: Donald Trump.
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Erschienen am 10. Juni 2024
Mathias Bröckers: Inspiration – Konspiration – Evolution. Gesammelte Berichte aus dem Überall, Fifty-Fifty (Juni 2024), 464 Seiten, 30 Euro