“Rudi, wir baden weiter!”

Es war sein guter Freund Wolfgang Neuss, Großmeister des Kabaretts und des subversiven Witzes, der durfte das. Bei mir lag es etwas anders, ich war taz-Redakteur und hatte den Witz auf die  Titelseite gebracht, auf  den i-Punkt des Schriftzugs “tageszeitung”, der Mitte der 1980er  vom Kopf einer Persönlichkeit gebildet wurde, die an diesem Tag Geburtstag hatte, mit einem kurzen Satz dazu. Das war an diesem Tag Rudi Dutschke, der Kopf der Studentenbewegung, auf den ein verwirrter, von Springers “Bild” aufgehetzter Täter 1968 geschossen hatte und der 1979 an den Spätfolgen des Attentats gestorben war, nach einem epileptischen Anfall in der Badewanne. Einige Jahre zuvor hatte Dutschke am Grab von Holger Meins, der wegen Mitgliedschaft in der RAF inhaftiert und bei seinem Hungerstreik gegen die Haftbedigungen ums Leben gekommen war, mit den Worten “Holger, der Kampf geht weiter” und erhobener Faust einen großen Skandal verursacht. Darauf bezog sich nun der Satz “Rudi, wir baden weiter!”, den mir Wolfgang Neuss ein paar Tage vorher auf Band gesprochen hatte. Als Film,-und Bühnenstar war er einer der prominensten Unterstützer der APO und best friend von Rudi und seinen Genossen gewesen, und weil er eine wöchentliche Kolumne in der taz hatte, sprachen wir öfter über diese Zeit. Dass ich diesen typischen Neuss-Gag auf die Titelseite geschmuggelt hatte, wurde nicht nur in der Redaktion übelgenommen, sondern auch von vielen Leserbriefen als pietätlose Besudelung des 68-er-Denkmals Dutschke beschimpft. Aber das war es nicht, denn sowohl Neuss wie auch ich hatten schon seit einiger Zeit Rudi im Ohr, den magischen und heiseren Rap und Rant seiner Reden, die unser Freund Christoph Ludszuweit 1981 in seinem Stechapfel-Verlag auf Kasette herausgebracht hatte – wir waren Fans, Freunde und publizistischen Förderer, aber nicht nur seiner Stimme….
Das fiel mir jetzt wieder ein, als ich den schönen Artikel “Rudi Dutschke: die Kraft der Worte” über die neu erschienene CD-Box „Die Stimme der Revolution – Rudi Dutschke in zwölf Originalaufnahmen“ las – und das Zitat aus dem Nachruf von Michael Schneider:

“Ach, wie schlecht haben diese Herren denjenigen gekannt, dem sie jetzt ihre Nekrologe widmen. Sie alle bescheinigen ihm das, was man gemeinhin ‘Charisma’ nennt (einer der hilflosesten Begriffe bürgerlicher Soziologie): eine ungewöhnliche Rednergabe, eine fast demagogische Überzeugungskraft. Die Rednergabe gehörte zu seinem politischen Handwerkszeug; aber das Handwerkszeug war nicht, was ihn eigentlich ausmachte, sondern: dass er wirklich meinte, was er dachte und mit seiner ganzen Person dafür einstand. Wenn er ‘Charisma’ hatte, dann in einem radikal anderen Sinn, als die Vergötzer der Rhetorik und die Fetischisten des Kehlkopfs (Dutschkes ‘heiser, suggestiv surrende Stimme’) meinen: Er hatte Achtung vor dem Menschen und ein Ohr für den ‘geringsten unter seinen Brüdern’ und Genossen. Denn auch als radikaler Marxist hat er sein christlich-humanistisches Erbe nie verleugnet.”

Auch wenn ich ihn selbst nur einmal, 1978, live gehört habe, denke ich, dass das stimmt.. Er hat weder den Kampf für die Erniedrigten  und Beleidigten aufgeben, noch die Suche danach, wie eine ebenso radikale wie friedliche Revolution verlaufen kann. Und wenn er sieht, wie seine einstigen Genossen als Grüne und Linke mit Nato und Neoliberalismus ins Bett gestiegen sind, wälzt er sich sicher im Grabe. Und wir ? Baden weiter, aber aufgeben ist auch keine Lösung. Neuss hat da mit Vorliebe den bewunderten Kollegen Werner Finckh zitiert, der noch kritisches Kabarett machte als Goebbels schon alles gleichgeschaltet hatte: “Unsere Aufgabe kann nicht in unserer Aufgabe bestehen.”

4 Comments

  1. Das „charismatisch“ würde ich übersetzen mit „mitreißend“, folglich also „Charisma“ mit „Mitriss“. Charisma hatte er nach meiner Erinnerung. Menschlich war was dran.

    Ich erinnere mich aber auch, dass ich seiner Rede inhaltlich nicht folgen konnte. Aus heutiger Sicht urteile ich, seine und meine Filterblase waren disjunkt.

    „De mortuis nihil nisi bene“ ist kein Grund, ihn zu vergöttern.

  2. Rudi Dutschke wäre heute auch kein Kommunist mehr

    Tippe mal auf : ” Fuck you all…bloody Politicians”…& ” Sehen wir uns doch mal die Kryptowährungen an = Freedom for all…Karl Marx war nicht gestern…sondern der grimmige Mann aus Trier der ist…vor-vor-gestern “

  3. @
    und an wen soll das “Volkseigentum BILD Zeitung”..dann bitte-schön übergehen ?
    An Dich ?
    BILD.. gibt immerhin noch Gegensignale gegen die herrschende Covid-Hysterie …
    wer hätte das denn gedacht ?
    https://www.bild.de/video/clip/politik-inland/mit-bitterer-ironie-promi-aufstand-gegen-merkels-corona-politik-76165984.bild.html

    Die Zukunft pfeift sowieso nur noch der Quantencomputer
    Konservativ? Progressiv? Links? Rechts? Warum Quantencomputing das Ende des Binären einleitet – auch in unserem Denken
    https://taz.de/Ein-neuer-Paradigmenwechsel/!170712/

    oder…auch nicht…die Hoffnung stirbt zuletzt

Leave a Reply to Jörg Cancel reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *