Journalismus ist kein Verbrechen

Es steht viel auf dem Spiel, wenn heute vor dem High Court in London das Gerichtsverfahren gegen Julian Assange weiter geht: nicht nur  das Leben und die Gesundheit des Wikileaks-Gründers, der nach Willen der Vereinigten Staaten für 175 Jahre eingekerkert werden soll, sondern über dieses individuelle Schicksal hinaus die Antwort auf eine fundamentale Frage: Ist Journalismus ein Verbrechen? Wenn die Richter entscheiden, dass Julian Assange an die USA ausgeliefert werden darf – was eine erste Instanz aus gesundheitlichen Gründen und wegen der hohen Suizid-Gefahr des Angeklagten abgelehnt hatte –  lautet die Antwort eindeutig “Ja!”. Denn dann ist es mit Journalismus, wie wir ihn kannten und wie er in allen demokratischen Verfassungen als “Pressefreiheit” garantiert ist, definitiv vorbei – denn wer immer irgendwo auf der Welt etwas veröffentlicht, was den USA (oder auch einem anderen Staat) nicht passt, hat dann einen internationalen Haftbefehl zu gewärtigen.  Sein Status als Journalist, als Wachhund und Kontrolleur der nur geliehenen Macht demokratischer Regierungen, kann über Nacht entzogen werden, indem man ihn einfach als “feindlichen Geheimdienst” deklariert und kriminalisiert. Was nichts anderes ist als eine Kriegerklärung an den Journalismus: Jedes Urteil gegen Julian Assange ist eines gegen die Pressefreiheit hatte ich zu der erstinstanzlichen Entscheidung im Januar geschrieben, die 95% der absurden US-Anklage akzpetierte und allein den bedrohten gesundheitlichen und mentalen Zustand Assanges nach zehn Jahren Verfolgung und Isolation als Grund für die Nicht-Auslieferung gelten lies.  Zumal – wie es in der Urteilsbegründung hieß – “die Geheimdienst-Community ihm feindlich gesinnt ist“.  Für diese schon gut dokumentierte üble Gesinnung sind seitdem weitere Beweise aufgetaucht: der Kronzeuge für die angeblichen Hacker-Aktivitäten Assanges, Sigurdur  Thordarson, hat gegenüber einer isländischen Zeitung zugegeben,  seine Beschuldigungen erfunden zu haben, weil das FBI ihm dafür Geld und Strafmilderungen in einem Pädophilie-Verfahren versprochen hatte. Und ein Report von Michael Isikoff bestätigte einmal mehr die Pläne der CIA, Julian Assange aus der ecuadorianischen Botschaft zu entführen und zu ermorden. Dass in einem solchen Land kein faires Strafverfahren zu erwarten und die Anklageschrift nicht haltbar ist – der von Thorafdson erfundene Hacking-Vorwurf ist das einzige kriminelle Vergehen, die anderen 17 Anklagepunkte betreffen “Spionage” – sollte eigentlich auf der Hand liegen. Und wäre dieser Fall ein rechtsstaatliches Verfahren und kein kafkaesker politischer Prozess, hätte Assange schon längst aus der britischen Isolationshaft entlassen werden müssen.

Über den Verlauf des Verfahrens werde ich  heute und morgen hier Updates und Links einfügen, am Freitag gibts dann ein “3. Jahrtausend” dazu…

UPDATE
14:30 : Wenn man dem schon bei der ersten Verhandlung zuverlässigen Twitter-Thread von Kevin Gosztola folgt, verging der Vormittag vor allem mit Versicherungen seitens der Staatsanwaltschaft, dass die US-Seite nach der Ablehnung der Auslieferung ihrerseits Versicherungen nachgereicht hätte, dass Assange keine Sonderbehandlungen in Hochsicherheitsgefängnissen zu befürchten habe. Julian Assange folgt der Verhandlung aus dem Belsmarsh-Gefängnis über Video.

Auch der Jurist Dustin Hofmann, Büroleiter des EU-Abgeordneten Martin Sonneborn twittert aus London über die Verhandlung.

17:40: Die Verhandlung ist unterbrochen und wird morgen 10.30 Uhr fortgesetzt. Die Anklage hatte bis auf die letzten ca. 90 Minuten fast die gesamte Redezeit, die damit verbracht wurde, die psychiatrischen Gutachten aus dem ersten Verfahren anzuzweifeln.  Die Argumente der Veteidigung, das eine große Suizid-Gefahr gegeben wären aufgrund der “diplomatischen Zusicherungen” keine Hochsicherheitsverwahrung für Assange anzustreben hinfällig.

UPDATE  28.10, 18:30
Der zweite (und letzte) Verhandlungstag ist zu Ende:

“Der Lord Chief Justice sagt zum Abschluss, dass die beiden Seiten ihm viel zum Nachdenken gegeben hätten und dass Zeit brauchen wird, um zu einer Entscheidung zu kommen.”

Die Verteidigung Assanges hatte in ihrem Plädoyer vor allem auf die Unzuverlässigkeit us-amerikanischer Zusicherungen bei Auslieferungsverfahren verwiesen und Beispiele dafür aufgeführt. So könne etwa wie im Fall Chelsey Manning eine Grand ´Jury einberufen werden und wenn Assange dort die Aussage verweigert würde er wie Manning sofort in Beuge,-und Isolationshaft genommen. Auch die Zweifel der Ankläger an den psychiatrischen Gutachten zur schweren Depression und Suizidgefahr und die Behauptung, die Richterin der ersten Instanz hätte diese “einseitig” interpretiert, wurde von der Verteidigung zurückgewiesen. Am  Ende seines Plädoyers sagt Assange-Anwalt Summers: “First time that US has sought assistance of UK court to obtain jurisdiction over someone who an agency within the government planned to assassinate or poison” – Es ist das erste Mal, dass die USA die Hilfe eines UK-Gerichts bei der Verfolgung von jemandem ersucht, den ein Dienst innerhalb dieser Regierung ermorden oder vergiften wollte.”

Aktueller Stream zu Thema:

 

6 Comments

  1. Unter befreundeten Länder (bzw. als Vasall des großen Hegemon) muss man die konkrete Ermordungsgefahr halt als “bedrohten gesundheitlichen und mentalen Zustand” des Häftlings kennzeichen. Quasi “neigt zu Ermordungs-Zuständen” in Diplomaten-Englisch übersetzt.
    Sonst wird der Big Brother wirklich böse und greift noch zum Ehrenmord am Personal des Little Brother.

    1. Jetzt hat auch einer der Assange-Anwälte es ausgesprochen:
      die akute Gesundheitsgefahr der Ermordung durch den Auslieferungs-Antragssteller
      „Es wurde darüber geredet, Herrn Assange zu töten, zu entführen oder zu vergiften“, sagte der Anwalt des inhaftierten Australiers am Donnerstag vor einem Gericht in London,
      https://www.berliner-zeitung.de/news/anwalt-erwaehnt-moegliche-anschlagsplaene-auf-julian-assange-vor-gericht-li.191545

      Zur Gesichtswahrung der netten Asssange-Abholer hätte er vielleicht eine vornehmere lateinische Krankheitsbezeichneung bevorzugen sollen:
      „Potus facit exitus fixus“
      „Si vis pacem americanum para bellum“

  2. Was kann man als Quitessenz aus alledem ziehen? Vielleicht vieles. Mir bleibt immer ein Spruch in Erinnerung:
    Die Mächtigen dieser Welt zahlen in zwei Währungen: Silber oder Blei. Wenn Du das eine nicht willst bekommst Du das andere.

  3. na ja, wenn man beachtet, dass Journalisten lügen und ich denke da nicht nur an das Buch vom “verstorbenen” Udo Ulfkotte, dann kann ich der Überschrift nicht ganz zustimmen. Es sind die Journalisten, die uns ständig mit falschen Informationen futtern, genauswo wie die Ärzte uns mit falscher Behandlung krank halten, die Jouristen in der Illusion, wir würden Recht bekommen und Politiker im Glauben, sie würden in unserem Interesse handeln. Sie alle haben eines gemeinsam: sie haben geschworen genau das Gegenteil zu tun.

Leave a Comment

Your email address will not be published. Required fields are marked *