Die Drogenlüge

Im Jahr 1909 wurde das erste Globalisierungsgesetz auf den Weg gebracht: die Prohibtion von Drogen.Ein Jahrhundert später ist dieses Verbot nicht nur sozial- und gesundheitspolitisch gescheitert, sondern unterminiert durch seine Nebenwirkungen die Rechtsordnung und Gesellschaft in vielen Regionen der Welt. Das ist das Thema meines nächsten Buchs, das am 15. September erscheint :  “Die Drogenlüge – Warum Drogenverbote den Terrorismus fördern und Ihrer Gesundheit schaden”.
Im Folgenden ein Auszug aus der Einleitung:

Am Anfang war das Drogendelikt. Eva und Adam nahmen von der verbotenen Pflanze und wurden mit der Vertreibung aus dem Paradies bestraft. Theologen mögen einwenden, dass dies eine allzu profane Deutung des Sündenfalls sei, doch wenn wir die Geschichte aus dem Buch Genesis beim Wort nehmen, kann kein Zweifel daran be stehen, dass es sich bei der verbotenen Frucht um eine psychoaktive, bewusstseinsverändernde Pflanze – eine Droge – handelt. Und ebenso klar ist, dass Eva und Adam über ihre Eigenschaften im Dunkeln gelassen wurden: Die Autorität im Garten Eden hatte die Pflanze verboten, weil ihr Genuss angeblich tödlich sei. Mit dieser noblen Lüge – »nobel«, weil Gott per se nur das Beste für seine Ge- schöpfe im Sinn hat, und »Lüge«, weil es sich um Desinformation handelte – steht und fällt die ganze Dramaturgie der Geschichte. Denn was wäre geschehen, wenn Gott die Paradiesbewohner über »Risiken und Nebenwirkungen« des Präparats vom »Baum der Erkenntnis« sachgemäß aufgeklärt hätte? Eines kann man mit Sicherheit sagen: Der Menschheit wäre viel Ärger erspart geblieben. Vielleicht hätten die beiden es erst einmal bei einer homöopathischen Kostprobe belassen, anstatt gleich den ganzen »Apfel« zu essen. Aber selbst wenn sie sich – des ewig harmonischen göttlichen Einsseins überdrüssig – mit einer gezielten Überdosis in die rauhe (aber spannende) Dualität des Erdenlebens geworfen hätten, stünden wir heute besser da. Ohne mythologische Schuld, ohne Erbsünde und ohne einen zürnenden Gott. So aber war Eva auf Arzneimittelinformationen von der Straße angewiesen – Gerüchte einer Schlange statt Aufklärung von einem Arzt oder Apotheker –, und die Katastrophe nahm ihren Lauf. Wir müssen dem Herrn im Garten Eden keine bösen Absichten unterstellen, als er den Baum der Erkenntnis als tödliches Gift deklarierte. Er wollte vermutlich nur das Beste für seine Geschöpfe, doch er erreichte das Gegenteil. Nicht der Genuss der Pflanze, sondern die mit ihrem Verbot einhergehende Desinformation sorgte für den Absturz aus dem Paradies.

Der Rausch und seine Mittel sind so alt wie die Menschheit. Hätte »Ötzi«, der in den Südtiroler Alpen Anfang der neunziger Jahre gefundene »Gletschermann«, die italienisch-österreichische Grenze nicht schon vor mehr als 5000 Jahren, sondern in unseren Tagen passiert – er hätte außer einem Wetterumsturz auch die Drogenfahndung fürchten müssen. In den Taschen des tiefkühlkonservierten Steinzeitmenschen wurden halluzinogene Pilze gefunden, deren Wirkstoffe heute auf dem Betäubungsmittelindex stehen. Hätte unser Gletschermann den Zollkontrolleuren freimütig gestanden, dass er die Pilze regelmäßig konsumiere und einen größeren Vorrat zu Hause hätte, er wäre nach erfolgter Höhlendurchsuchung einem Haftrichter vorgeführt worden. Auf seine Einwendung, dass er auf die Pflanze angewiesen sei – aus medizinischen Gründen oder um spirituellen Kontakt mit dem »Geist der Vegetation« zu halten –, hätte man ihn in die Psychiatrie überwiesen und mit legalen Drogen vollgestopft – aus Ötzi wäre ein »Fall« geworden, eines jener Opfer, zu deren Rettung die Drogenkrieger ausgezogen sind. Ihre grundlegende Idee einer drogenfreien Gesellschaft, so zeigt dieser kurze Rückblick in die Steinzeit, war nicht erst seit den Zeiten der Puritaner falsch, sie widerspricht den Grundtatsachen der menschlichen Zivilisation.

Zu allen Zeiten haben Menschen bewusstseinsverändernde, geistbewegende Substanzen zu sich genommen. Zu allen Zeiten gab es Regeln, wie mit ihnen umzugehen ist, und Methoden, wie Missbrauch und Schäden durch diese Substanzen zu vermeiden sind. Doch erst seit etwa hundert Jahren sind einige dieser Substanzen international gea?chtet und werden mit den Mitteln des Strafrechts weltweit verfolgt. Auch diese Verbote waren, wie damals im Garten Eden, durchaus von guten Intentionen getragen, dem Wunsch, die Bevölkerung vor den Gefahren des Missbrauchs und der Sucht zu schützen. Die Beschluesse, die auf dem ersten Treffen der Diplomaten der »Opiumkommission« in Shanghai (1909) und in den anschließenden Konferenzen in Den Haag (1911/12) und Genf (1925) gefasst wurden und später in die »Single Convention on Narcotic Drugs« der Vereinten Nationen (1961) einflossen, waren beseelt von dem Wunsch nach einer »drogenfreien Gesellschaft« und der Überzeugung, diese mit den Mitteln der Kontrolle und des Strafrechts erreichen zu können.(….) Würde man die Väter des Drogenverbots heute mit den Ergebnissen konfrontieren, zu dem ihre Beschlüsse ein Jahrhundert später geführt haben, würden sie wahrscheinlich erschrecken: Was sie als institutionellen Segen der Menschheit auf den Weg gebracht hatten, um zahllose unschuldige Opfer vor der Heimtücke der Drogenabhängigkeit zu retten, hat sich als Fluch erwiesen. Sie haben ein Monster in die Welt gesetzt, das sich, seit US-Präsidenten Richard Nixon es 1971 »War on Drugs« (Krieg gegen Drogen) taufte, zu einer der gefährlichsten Plagen des Planeten ausgewachsen hat. Der Krieg gegen Drogen bedroht die Bürgerrechte und Freiheiten in aller Welt und erschüttert demokratische Strukturen und die gesellschaftliche Ordnung in vielen Regionen – von den Andenstaaten und Mexiko wo rivalisierende Banden derzeit ganze Provinzen in bürgerkriegs- ähnliche Zustände stürzen, bis nach Afghanistan und Pakistan, wo sowohl die »Taliban« wie auch ihre Gegner vom Drogengeschäft profitieren . So finanziert und fördert dieser Krieg gegen Drogen nicht nur den internationalen Terrorismus und die organisierte Kriminalität, sondern produziert darüber hinaus mit Abertausenden von »Drogentoten« die Opfer, zu deren Rettung er eigentlich erfunden wurde.

Die Lebenserfahrung, dass eine »gut gemeinte Absicht« ins Gegenteil umschlagen kann, trifft auf die Drogenprohibition zu wie auf keinen anderen Bereich der Politik. Was die Diplomaten 1909 auf Anregung der USA in Schanghai auf den Weg brachten und 1925 in der Genfer Drogenkonvention mu?ndete, war eines der ersten Experimente einer globalisierten Politik und stellt praktisch das erste globale Gesetz der Welt dar. Hundert Jahre später nun haben die desaströsen Folgen dieser Politik eines der größten Probleme der globalisierten Welt geschaffen Dass das Desaster, welches der Krieg gegen Drogen anrichtet, tatsächlich monströse Ausmaße angenommen hat und es deshalb kaum einen dringenderen Punkt auf der Agenda der internationalen Politik geben kann, als diesen Krieg sofort zu beenden – diese Behauptung speist sich nicht aus ideologischen Gründen. Es kann nicht mehr länger darum gehen, eine ideologische Debatte fortzuführen, die seit nunmehr einem Jahrhundert festgefahren ist zwischen den Extremen einer religiösen Moral, die Drogen schlechthin als »Sünde« betrachtet, und eines libertären Individualismus, der sich jede Bevormundung durch Staat und Autoritäten verbittet. Worum es gehen muss, ist der nüchterne Blick auf die Empirie – auf Zahlen, Daten und Fakten – und die objektive Bewertung der Gewinne und Verluste, um eine Grundlage zu schaffen für eine pragmatischen Entscheidung über eine Beibehaltung oder eine Änderung der bisherigen Strategie. Für einen ersten grundlegenden Befund freilich braucht es keine detaillierten empirischen Belege, sondern nur ein wenig Menschenverstand: Das »Drogenproblem« ist nicht lösbar. Vielmehr produziert die Prohibition das Problem, als dessen Lösung sie sich ausgibt.(….)

Aus: “Die Drogenlüge – Warum Drogenverbote den Terrorismus fördern und Ihrer Gesundheit schaden”

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