Gestern nacht ist Christian Semler gestorben. Er wurde 74 Jahre alt und war einer meiner klügsten und sympathischsten Kollegen. Seinen Namen kannte ich schon als Teenager, denn er war neben Rudi Dutschke einer der führenden Köpfe der Studentenbewegung, später war er ein Mitgründer der maoistischen KPD/AO, was “Aufbauorganisation” hieß, von uns aber nur “A Null” genannt wurde, denn der rigide Parteikommunismus war nicht mein Ding. Als ich mich Ende der 80er Jahre von der taz verabschiedete, kam Christian gerade dazu – und als ich vor einigen Jahren in beratender Funktion wieder zur taz stieß war er, obwohl schon im Rentenalter, immer noch da. Und wenn man bestimmte Fragen hatte, etwa zu historischen Ereignissen der Weltgeschichte, gab es niemanden, der einem aus dem Stand gelehrter und ankedotenreicher dazu berichten konnte als Christian Semler. Obwohl eigentlich studierter Jurist war er eine wandelnde Enzyklopädie, besonders wenn es um sein Spezialgebiet, die Aufstände und Revolutionen der Erniedrigten und Beleidigten in aller Welt und zu allen Zeiten ging. Seinem einstigen maoistischen Dogmatismus stand er äußerst selbstkritisch gegenüber und meinte, wenn man ihn darauf ansprach: “Ein Glück, dass wir uns damals nicht durchsetzen konnte.” Für die Befreiungsbewegungen in den kommunistischen Ländern hatte er offene Augen und Ohren, doch ohne damit gleich – wie viele andere “Alt-68er” – in dumpf neo-liberale, kapitalistische Propaganda zu verfallen. Über die Verflüssigung von Gewissheiten schrieb er vor einigen Jahren in einem Artikel über das Altwerden, den die taz heute wieder veröffentlicht hat – auch bei seinem eigenen Älterwerden haben sich die Gewissheiten des einstigen Hard-Line-Maoisten verflüssigt, ohne damit freilich zu intelektuellem Wischi-Waschi zu werden – oder, wie ebenfalls viele seiner “Genossen” von einst, in opportunistischem Renegatentum zu enden. Auch deshalb war Christian ein seltener Schatz, den ich in der Raucherecke schon sehr vermisste als er dieses Laster vor einiger Zeit aufgab. Jetzt, wo er für immer gegangen ist, möchte man ihm mit seinem Freund Rudi zurufen: “Christian, der Kampf geht weiter!” – und mit Wolfgang Neuss – einem guten Freund seiner Mutter, der Schauspielerin und Kabarettistin Ursula Herking, hinzufügen: “Wir schaffen es, ohne Waffen SS!”
Semler im Taz-MAGAZIN
http://mitglied.multimania.de/sarkasmus/Schwarzbuch/f153.htm
‘Fand seine geschichtlichen Artikel eigentlich immer zum Besten gehörend, was im Angebot stand.
Sehr schwerer Verlust.
-p-
… wegen ihm habe ich ganz lange der taz die Treue gehalten … bis Sudel-Kai Genosse wurde und das Oskar-Bashing und die Fischer-Lobhudeleien unerträglich wurden.
ne, ne, stimmt schon: Semler war ein
heftiger Dogmatiker und wurde zu einem selbstkritischen und weisen Mann …
irgendwie vorbildlich … mensch kennt andere Karrieren: … vom Straßenkämpfer über den Menschenrechtskrieger zur gutbezahlten Konzernnutte ….
@waterboardet am 15.02.2013 um 19:10 Uhr
Vielleicht würde der Joschka Fischer auch gerne in so empathischer Erinnerung bleiben wie der Christian Semler……….diese Chance hat er vertan. Er ist ein NWO-Puppet und kommt aus der Nummer auch nicht mehr raus. Eigene Eitelkeit und Privilegien behindern den Mann intellektuell zusätzlich. Wahrscheinlich gehören nur diejenigen, die Taxifahrer und Bücherdiebe geblieben sind, noch halbwegs sich selber.
Ein „ Staatenlenker“ ohne Mandat spricht
ex cathedra his Master’s Voice
http://www.youtube.com/watch?v=g3O0iO2pxb4