Frisch aus dem Archiv: Das Stahlgewitter-Syndrom

In einem Aufsatz unter dem Titel “Der letzte Deutsche” hatte der Dichter Botho Strauß letzte Woche im “Spiegel” über die „Einwanderung der Entwurzelten“ bekundet: „Ich möchte lieber in einem aussterbenden Volk leben als in einem, das aus vorwiegend ökonomisch-demografischen Spekulationen mit fremden Völkern aufgemischt, verjüngt wird, einem vitalen.“ – und damit einen kleinen Empörungssturm im Feuilleton provoziert – wie man u.a. hier, hier und hier verfolgen kann. Ich fand den Text nicht als besonderen Aufreger, weil sich Strauß als intellektuelle Kapazität  bei mir schon seit langem disqualifiziert hatte, und als ich überlegte seit wann, fand ich im  Archiv diesen Artikel – erschienen am  15.08.1995 in der taz kurz vor dem Bosnien-Krieg.  Und nach 20 Jahren durchaus wieder aktuell, nicht nur wegen der Schlusspointe…

Seit Joschka mit seinem Filius für die Schluchten des Balkan schon den Nahkampf trainiert – oder doch nur „Mortal Combat“ auf dem Computer? -, egal, seit jedenfalls der Grünenhäuptling für den Kriegspfad trommelt, hat sich die Wertedebatte im grün-alternativen Lager erhitzt. Der alte Fundi- Realo-Konflikt ist, diesesmal als Streit zwischen Pazifisten und Bellizisten, wieder da, und er ist zugespitzter denn je.

Die Ablehnung von Militarismus und Nationalismus ist ein zentraler Grundwert der Partei und eben den stellt der Obergrüne mit seiner Forderung, zum Schutz der Schutzzonen in Bosnien zu internvenieren, in Frage. Fischer setzt mit seinem Papier auch ein Ausrufezeichen hinter die unlängst in dieser Zeitung geäußerte These, daß vom Interventions- und Draufschlagfieber, einer Art Stahlgewitter-Syndrom, wohl vor allem ehemalige Vertreter der antiautoritären Linken um die 50 befallen werden. Ob Joschka und Dany, Peter Schneider oder Botho Strauß mittlerweile morgens um fünf Ernst-Jünger-mäßig ein eiskaltes Bad nehmen, wissen wir nicht, ihre Rufe nach Mobilmachung und “Blutopfern” tönen aber fast schon so ähnlich.

Auch in Frankreich hungerstreiken Intellektuelle dem Kampfeinsatz der Fremdenlegion in Bosnien entgegen, und selbst das Simulationsschlachtroß Jean Baudrillard rasselt auf die alten Tage plötzlich mit dem Säbel. Daß es nicht Militärexperten, Generäle oder Friedensforscher sind, sondern Schreibtischakteure und -artisten, die am heftigsten Militäreinsätze fordern, mag noch verständlich sein – aus der sicheren Deckung des Schreibtisches ließ es sich schon immer am stürmischsten zum Angriff blasen -, daß es aber ausgerechnet ehemalige Antiautoritäre sind, die panisch nach der ultimativen Autorität rufen, wundert dann doch. Sind’s einfach nur die Hormone (der Bauchansatz, die Glatze), ist’s der Utopieverlust (der Machtzuwachs, die Angst), die Männerphantasien derart umpolen? Dr. Theweleit – übernehmen Sie!

Der Philsoph Sun Zi (zirka 500  v. Chr.), der wegen seines Buches “Die Kunst des Krieges” zum (äußerst erfolgreichen) obersten General des Königreichs Wu ernannt wurde, schrieb: “Siegen und Kämpfen ist nicht die größte Leistung. Die größte Leistung besteht darin, den Widerstand des Feinds ohne einen Kampf zu brechen. (…) Wenn du den Feind und dich selbst kennst, brauchst du den Ausgang von hundert Schlachten nicht zu fürchten. Wenn du dich selbst kennst, doch nicht den Feind, wirst du für jeden Sieg, den du erringst, eine Niederlage erleiden. Wenn du weder den Feind noch dich selbst kennst, wirst du in jeder Schlacht unterliegen.”

Welche der drei Optionen trifft auf die aktuelle Lage in Bosnien zu? Ich fürchte, es ist nur die dritte, denn wer ist der Feind, der mordet und zerstört, und wer sind wir, als Teil der Vereinten Nationen, die dort täglich versagen? Solange im olivgrünen Wahlkampfzelt darüber noch gegrübelt wird, wäre als außenpolitisches Signal vielleicht die Forderung angebracht, die deutschen Grenzen umstandslos für alle Flüchtlinge und Deserteure zu öffnen. Für den zweitgrößten Waffendealer der Welt wäre eine solche Geste im Rahmen der Produkthaftung mehr als angemessen.

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