Das Assange Auslieferungsverfahren: When Kafka meets Stalin

In der ersten Woche der Befragung von Zeugen und Experten liesen diese den in den Kreuzverhören sehr aggressiv auftretenden Staatsanwalt und Vertreter der USA regelmäßig schlecht aussehen, allen voran der bald 90-jährigen Daniel Ellsberg, der deutlich machte, dass die von Wikileaks publizierten Dokumente noch von viel größerer öffentlicher Bedeutung seien als die damals von ihm geleakten Pentagon-Papers. Und dass das Verfahren gegen ihn damals eingestellt wurde, weil die Ankläger sich illegal Zugang zu seiner Patientenakte verschafft hatten um ihn zu diskreditieren – genau das, was Assange jetzt widerfahren sei, weil seine Gespräche mit Anwälten und Ärzten in der Botschaft abgehört wurden.

Am Mittwoch und Donnerstag ging es dann wieder um das vermeintliche Sakrileg, dass Wikileaks Namen genannt und Menschen in Gefahr gebracht habe. Doch die Journalisten, die mit Assange damals an der Redaktion der Dokumente gearbeitet haben – darunter John Goetz, damals „Spiegel“ heute NDR – bezeugten das Gegenteil und sagten übereinstimmend aus, dass sich Julian Assange viele Nächte lang bemüht habe, Namen von Zivilisten zu schwärzen. Dass Passwort zu den unredigierten Papieren sei dann auch nicht von Wikileaks  veröffentlicht worden, sondern von den Autoren Luke Harding und David Leigh in ihrem Buch. Dort legen sie Assange auch die Aussage in den Mund, das US-Informanten in Afghanistan „Verräter“ seien und nicht geschützt werden müssten. Zu dieser Aussage befragte der Ankläger zwei der Zeugen, die dazu nichts sagen konnten, weil sie nicht dabei waren, John Goetz hingegen, der dabei war bei diesem Gespräch und bekundet hat, dass Assange das nie gesagt hätte, wurde dazu nicht befragt.

Stattdessen wollte die Anklage das Zeugnis eines Folteropfers zensieren, des Deutschen Khaled al-Masri, der im Urlaub von CIA-Agenten entführt und nach Stationen in verschiedenen Foltergefängnissen in einem Arrestzentrum in Afghanistan gelandet war. Bei den Recherchen dieses Falls waren die Wikileaks-Publikationen sehr hilfreich – und als die Staatsanwaltschaft das Video-Zeugnis al-Masris unterbinden wollte, protestierte der in einem Glaskasten eingesperrte Julian Assange lautstark: „Ich kann nicht akzeptieren, dass hier Aussagen von Folteropfern zensiert werden!“ Nachdem die Video-Verbindung mit al-Masri “aus technischen Gründen” abgebrochen wurde, stimmten die Vertreter der USA einer Verlesung seiner schriftlichen Aussage nur zu, wenn darin nicht von der Folter die Rede ist, die ihm widerfahren sei. Ählich verlangten die Ankläger am Freitag, dass der als Zeuge vernommene Chef des Reuters-Büro in Badgad – zwei seiner Angestellten wurden bei dem “Collateral Murder”-Angriff ermordet – nicht über den Inhalt des Videos reden dürfe. Willkommen beim Schauprozess “Kafka meets Stalin”…

John Pilger, der legendäre australische Reporter, der als eines von fünf „Familienmitgliedern“ im Gerichtssaal anwesend sein darf und der sich mit den Schauprozessen der Stalin-Zeit beschäftigt hat, stellt im Vergleich fest, dass es dort den Angeklagten zumindest erlaubt war, neben ihren Verteidigern zu sitzen und sich zu beraten – während Julian Assange in einer Glasbox isoliert ist und mit den Händen fuchteln muss, wenn er seinen Verteidigern etwas signalisieren will. An den Verhandlungstagen wird er morgens um 5 Uhr geweckt, nackt ausgezogen und durchleuchtet und dann anderthalb Stunden in der kofferartigen Zelle eines Gefangenentransporters zum Gericht gefahren, wo man ihn in Handschellen in den Glaskasten am Ende des Gerichtssaals führt.

Das Gericht und die Ankläger können sich solche Schikanen nur herausnehmen, weil sie wissen, dass die Medien darüber nicht berichten – wer wissen will, was in Old Baley verhandelt wird muss den Blog von Craig Murray lesen. Nicht einmal einem Vertreter von amnesty international wird Zugang zu der Verhandlung gewährt, drei Anträge der Organisation wurden abgelehnt. Man stelle sich vor, dies geschähe in einem anderen Land oder gar im Reich des ultrabösen Putin – was wäre da los bei unseren angeblich der Pressefreiheit, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie verpflichteten Medien und in der Politik. Wenn aber mitten in London Pressefreiheit, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie mit Füßen getreten  und der Journalismus weltweit bedroht wird – schweigt sich unsere angeblich rechtsstaatliche demokratische Presse weitgehend aus. Sie macht sich damit zum Komplizen der US-Regierung, die mit der Verfolgung von Julian Assange jeden zum Schweigen bringen will, der es künftig irgendwo auf der Welt wagt, ihre Verbrechen beim Namen zu nennen. Edward Snowden hat diesen unerträglichen Zustand auf den Punkt gebracht: „Wenn das Aufdecken von Verbrechen wie ein Verbrechen behandelt wird, werden wir von Verbrechern regiert.“

Auch als Podcast auf KenFM

Hinweis: Am Montag, 21.9. am Weltfriedenstag, spreche ich auf Einladung der Schweizer Friedensbewegung zum Fall Julian Assange  in der Elisabethenkirche in Basel, Beginn19:00

8 Comments

  1. Großbritannien hat sich schon vor längerer Zeit aus der zivilisierten Welt verabschiedet.

  2. Nicht nur der Schauprozess gegen Assange ist so kafkaesk. Auch die Dauerindoktrinierung der Corona-Psycho-Kampagne verkommt immer mehr zur Farce und die Räuberpistole um diesen vorgeblich mit einer megatödlichen MVW schikanierten rechtsradikalen russischen Pseudooppositionellen ist auch nichts anderes.

    Kaum noch auszuhalten in diesem als Staat getarnten Irrenhaus, in dem wir angeblich so “gut und gerne leben”. Hat man nur noch die Wahl, ein dauersediertes, indolentes Konsumzombieschäfchen, und also mit diesem System halbwegs zufrieden, zu sein – oder aber langsam Verstand und Fassung zu verlieren?

  3. Ach bitte, was sollen immer diese unsinnigen Begriffe “stalinistisch” u.ä.?
    Das ist ein Wort das von Faschisten erfunden wurde. Stalin war immer Marxist-Leninist und hat sich stets als Schüler Lenins bezeichnet. Nie anders.
    Deine Meinung zu Stalin stimmt total mit der von Wikipedia überein. Glaubst du auch was Wikipedia über Daniele Ganser und Ken Jebsen schreibt? Merkst du es immer noch nicht?!
    Das Mindeste ist Wikipedia nicht blind zu glauben und wenn deine Meinung (egal woher die nun kommt) mit Wikipedia übereinstimmt SOFORT Verdacht zu schöpfen und sich deshalb unabhängig von beiden Seiten zu informieren.
    Für den Anfang:
    https://sascha313.wordpress.com/2014/12/18/andrea-schon-geschichtslugen-fundamente-des-anti-stalinismus/

    1. Na, wenn Stalin stets treu in Lenins Spuren gewandelt ist (oder hat er das eigentlich nur behauptet?), dann muss er ja ein Guter gewesen sein.
      Lenin ließ den “Kronstädter Matrosenaufstand” ( „Alle Macht den Räten (Sowjets) – Keine Macht der Partei“) in bester Zaren-Manier 1921 blutig niederschlagen (“Nach der Kapitulation wurden viele Aufständische und unbeteiligte Bewohner Kronstadts hingerichtet” – Motto: nur nicht sparen mit dem Blut echter und potenzieller Gegner),
      https://de.wikipedia.org/wiki/Kronst%C3%A4dter_Matrosenaufstand

      Aber zur Ehrenrettung Lenins lässt sogar Wikipdia durchblicken, dass es sich ja gar nicht um einen gerechten Aufstand, sondern in Wahrheit um die konterrevolutionäre “Kronstädter antisowjetische Meuterei” handelte.
      Und dass Lenin zwecks Machterhaltung anschließend vom Kriegskommunismus zur “Neuen Ökonomischen Politik” umschwenkte.

      Machterhaltung war jedenfalls das Motiv Lenins, das Stalin am treuesten übernommen hatte und ebenfalls keine Blutbäder dafür scheute (bzw. noch viel weniger scheute als Lenin). Stalins fehlende Scheu fiel sogar schon dem sterbenden Lenin so penetrant auf, dass er seine Umgebung vor einem Nachfolger Stalin warnte – vergebens, wie wir inzwischen wissen. Und genau deshalb ist es nicht faschistisch, pseudo-kommunistische Blutrünstigkeit als “stalinistisch” zu bezeichnen.

      1. Na wenn du meinst Wikipedia berichtet die Fakten dann schau mal was die unter Ganser und Jebsen schreiben.
        Dieser von dir erwähnte “Aufstand” war made by Werte-Westen. Finanziert und bewaffnet. Wenn hier jemand näheres nachlesen möchte dann ist folgendes die Literatur dazu: Gerhard Schnehen – Stalin. Eine marxistische Biografie.
        Mir ist klar daß du ein Opfer der Hirnwäsche von MSM bist – zu naiv um sich aufzuraffen auch die andere Seite zu lesen, wie im Folgenden beschrieben:
        https://sascha313.wordpress.com/2020/07/13/psychologie-in-unserem-leben/

        Stalin hat übrigens 3-4x seinen Rücktritt eingereicht was jedes Mal abgelehnt wurde. Auch die NÖP Lenins ist im obigen Buch bestens beschrieben, sie galt übrigens nur für die Landwirtschaft. Aber das will ein Troll sowieso nicht wissen..

        1. Stalin setzte sich im Kampf um Lenins Nachfolge gegen Trotzki durch, weil er mit den ähnlich machtbewussten Sinowjew und Kamenew ein Triumvirat bildete. Letztendlich ließ er alle drei liquidieren – ob das im Sinne des verstorbenen Lenin war oder hauptsächlich im Sinne des eigenen Machterhalts?

          Waren bei Lenins Tod von den sowjetischen Mächtigen alle Agenten des Auslands – außer Stalin? Dann muss man sich doch wundern, wie einig sich zu Lenins Lebzeiten noch alle genannten Herren waren, dass die Kronstädter Arbeiter ausländischen Anstiftern folgen und daher als Verräter gnadenlos vernichtet werden dürfen.

          Der Sieger schreibt die Geschichte und wäre Stalin z.B. von Sinowjew abgelöst worden, dann verehrten vielleicht manche Russen bis heute ein “Väterchen Sinowjew”, der anders als Stalin nicht lange genug Gelegenheit hatte, blutrünstig zu sein. Dass Sinowjew eine große Bereitschaft dazu durchaus hatte, behauptete z.B. Robert Conquest, der in den von dir genannten DKP-Quellen ja nicht gut wegkommt. Aber selbst die zugegebenermaßen mit großen Vorbehalten zu genießende Wikipedia schreibt in diesem Zusammenhang distanziert-vorsichtig “so der antikommunistische Historiker Robert Conquest”.

          Vom westlichen Mainstream erfährt man in der Tat wenig darüber, dass Stalin “3-4x seinen Rücktritt eingereicht” habe. Aber wie ernst war es damit überhaupt einem Mann, der sich mit Harten Bandagen ins höchste Amt gekämpft hatte, dort über 30 Jahre lang bis zu seinem Tod blieb und immer wieder ehemalige Weggefährten und (echte oder vermeintliche?) Verschwörer töten ließ?
          Der SPIEGEL berichtete 1949 jedenfalls von einem “Gesuch” aus dem Jahr 1932, als Stalins Ehefrau nach einem Streit Suizid begangen hatte: “Aber niemand wagte, ihn anzunehmen, obwohl Stalin seine Feinde hatte. Molotow erhob sich: ‘Sie genießen das Vertrauen der Partei.’ Der Zwischenfall war erledigt”,
          https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-44437536.html

Leave a Comment

Your email address will not be published. Required fields are marked *