Jedes Urteil gegen Assange ist eines gegen die Pressefreiheit

(Mit UPDATES unten) Morgen wird in London das Urteil  im Auslieferungsprozess des Wikileaks-Gründers Julian Assange verkündet. Wie ich seit Jahren  in Dutzenden Beiträgen hier im Blog und in meinem kleinen  Buch dazu immer wieder deutlich gemacht habe, geht es in diesem  Auslieferungsverfahren und der  Anklage der Vereinigten Staaten, die Julian Assange lebenslänglich einsperren wollen, um weitaus mehr als um das persönliche Schicksal eines Journalisten – es geht um die Pressefreiheit insgesamt und damit um das Fundament demokratischer Gesellschaften weltweit. Wenn mit einer Verurteilung Assanges ein Präzedenzfall geschaffen wird, kann kein Journalist, kein Publizist oder Verleger, kein Medium oder Presseorgan und kein Blogger irgendwo auf der Welt etwas veröffentlichen, von dem die USA behaupten, es verstoße gegen ihre “nationale Sicherheit” – ohne am nächsten Tag von einem internationalen Haftbefehl samt Auslieferungsersuchen bedroht zu sein. Auch wenn er nichts anderes getan hat als das, was die Presse zu tun hat und wofür ihr in jeder demokratischen Verfassung ein besonderer Schutz zu kommt: als Wachhund die Macht der Regierenden, die vom eigentlichen Souverän nur geliehen ist, zu kontrollieren. Wozu als wichtigste Aufgabe zählt, Rechtsverstöße der Regierungen aufzudecken und dem souveränen Volk zur Kenntnis zu bringen. So wie es Julian Assange  in hervorragender Weise getan hat. Es hat ihm Dutzende von Journalisten,-und Menschenrechtspreise in aller Welt eingebracht  – und die Bedrohung, lebenslänglich in einem Gefängnis zu verschwinden, falls das US-Regime seiner habhaft wird. Weil dort von einem  rechtsstaatlichen Verfahren nicht ausgegangen werden kann – zum einen betreiben die USA ja nach wie vor illegale Foltrergefängnisse wie in Guantanamo, zum anderen wurden Assanges Gespräche mit Anwälten von den US-Geheimdiensten abgehört, wodurch ein fairer Strafprozeß unmöglich wird – allein aus diesen Gründen wäre eine Auslieferung aus rechtlichen Gründen eigentlich ausgeschloßen.

Aber dies ist ein politischer Fall mit dem ein Exempel statuiert werden soll, weshalb nicht damit zu rechnen ist, dass Julian Assange mit dem Urteil nun auf freien Fuß gesetzt wird. Er sitzt schon seit fast zwei Jahren in britischer Isolationshaft, obwohl er nur gegen eine Kautionsauflage verstoßen hat, für das er spätetestens nach 50 Wochen hätte freikommen müssen, denn er hat in Großbritannien keine Straftaten begangen. Gleich wie das Urteil das Magistrate Courts also ausfällt, wird mindestens eine der beiden Seiten Berufung beim Supreme Court einlegen.

Dies gilt auch für den Fall, dass das Gericht die 17 Anklagepunkte nach dem Spionagegesetz (und 170 Jahre Haft)  zurückweist, und nur  wegen des “Computerverbrechens” (5 Jahre Haft) – der Hilfe, die Assange Chelsea Manning beim “Hacken” geleistet haben soll – der Auslieferung zustimmt. Dass  auch dieser Anklagepunkt, den sowohl Chelsea Manning selbst sowie alle der im Prozess vernommenen Sachverständigen und Zeugen zurückgewiesen haben,  unhaltbar ist, könnte die Richterin nicht daran hindern, so ihren Kopf aus der politischen Schlinge zu ziehen – und es a) der Berufungsinstanz zu überlassen, eine endgültige Entscheidung zu treffen und b) bis dahin die Fortsetzung der Haft anzuordnen.

Dieser surreale und kafkaeske Prozess ist also mit dem Urteil vom Montag nicht beendet – und man kann nur hoffen, dass die Forderungen des UN-Sonderberichterstatters für Folter, Nils Melzer, endlich erfüllt werden und Julian Assange sich in einem Sanatorium von den Folgen der unmenschlichen Behandlung erholen und auf das anstehende Verfahren vor dem Supreme Court angemessen vorbereiten kann. Wenn die im Brexit-Chaos vernebelte britische Justiz noch einen Restbestand ihrer rechtsstaatlichen Kultur erhalten will, müsste sie spätestens am Dienstag so und nicht anders handeln. Jedes Urteil gegen Assange ist eines gegen die Pressefreiheit – und gegen die Demokratie: wenn das Aufdecken von Kriegsverbrechen bestraft wird, ist sie keine mehr!

UPDATE, Montag, 4.1.,  12:00:  Gericht lehnt Auslieferung ab! Richterin  Baraitser sagt wegen der hohen  Selbstmordgefahr sei es  ein “reales Risiko” wenn Assange unter besonderen administrativen Maßnahmen (SAMs) in einem US-Gefängnis inhaftiert wird, vor allem, weil die Geheimdienst-community ihm feindlich gesinnt ist. Eine Auslieferung wäre aufgrund der psychischen Gesundheit von Assange  erdrückend.

13:00:

 Bei der Verlesung des  Urteils bzw. des Twitter-Feed aus dem Gerichtssaal konnte es einem aber eigentlich nur Angst und Bange werden: das Gericht schloss sich nahezu vollständig den Behauptungen des US-Anklage an, ohne die von zahlreichen Sachverständigen und Zeugen vorgebrachten Gegenargumente zu berücksichtigen. Da Assanges Tätigkeit über die eines Journalisten hinausgegangen sei, weil er auch als „Hacker“ aktiv geworden ist, wäre gegen eine Verfolgung als Spion durch die USA nach Meinung von Richterin Baraitser nichts einzuwenden. Dies sei „kein politischer Fall“.  Und da das Recht auf freie Rede auch von US-Gerichten sicher beachtet würde, spräche nichts gegen einen Prozess in den USA. Auch dass die CIA Assange und seine Anwälte in der ecuadorianischen Botschaft abgehört haben – was im Übrigen vor einem spanischen Gericht noch nicht definitiv bewiesen und entschieden sei und deshalb hier nicht prozessrelevant– würde einem fairen Verfahren auf amerikanischen Boden nicht entgegenstehen.

Ich konnte es nicht fassen – schlechter und schlimmer hätte es kaum kommen können. Aber dann, nachdem sie  sämtliche grundlegenden Fragen der Pressefreiheit ignoriert und 95% der absurden Anklage bestätigt hatte, ging sie doch noch auf einen Punkt ein, den die Verteidigung mit zahlreichen Gutachten und Zeugen belegt hatte: dass der physische und mentale Zustand Julian Assanges und eine drohende Selbstmordgefahr ein zu hohes Risiko darstellen, wenn Assange unter besonderen administrativen Maßnahmen (SAMs) in einem US-Gefängnis inhaftiert wird, vor allem, „weil die Geheimdienst-Community“ ihm feindlich gesinnt ist.“ Deshalb lehnte das Gericht eine Auslieferung ab. Ihr “Prison-Industrial-Complex” fällt der Einkerkernation Nr.1 damit auf die Füsse. Führend bei der Privatisierung des Gefängniswesens und der “Anpassung” der Strafgesetze war seinerzeit unter Bill Clinton übrigens niemand anderer als der künftige Präsident Joe Biden. Mittlerweile hat er seinen Kampf für die “Crime Bill” in den 1990ern als “Fehler” bezeichnet – mit einem Fallenlassen der Anklage gegen Julian Assange könnte er zeigen, dass er das ernst meint.

18:00: Hier das schriftliche Urteil auf Scribd

Dientag 05.01.: Craig Murray war am Montag die einzige “Privatperson” im Hörsaal des Gerichts, da Julian Assanges Vater John Shipton ihn als “Familienmitglied” deklariert hatte. Er geht davon aus, dass Julian am Mittwoch aus dem Belmarsh-Gefängnis entlassen wird und bekundet die Hoffnung, dass die USA keine Berufung gegen das Urteil einlegen, da sämtliche Anklagepunkte akzeptiert wurden. Hier sein Bericht.

Mittwoch, 06.01.: Die psychologische Folter geht weiter! Richterin Vanessa Baraitser verweigert Entlassung gegen Kaution, weil die USA noch Berufung gegen die Nicht-Auslieferung einlegen könnten und weil Assange schon einmal gegen Kautionsauflagen verstossen habe. Er bleibt im Belmarsh-Prison isoliert und hat seit März 2020 seine Angehörigen nicht mehr gesehen.

Hier Craig Murrays Kommentar zur Verweigerung der Kaution: https://www.craigmurray.org.uk/archives/2021/01/both-tortuous-and-torturous/

 

 

5 Comments

  1. “Das letzte Geheimnis des Ultrareichtums ist seine Privatheit.” (spätere Notiz Hans Jürgen Krysmankis am Rand eines seiner Texte von 2004; s. ders. in: [i]0,1%. Das Imperium der Milliardäre[/i], Frankfurt am Main 2015, S. 30).
    Das “unverzeihliche Verbrechen” Julians, welches in keinem Gesetzbuch steht und für das man ihn vor den Augen der Welt so bestialisch wie zynisch unter den lächerlichsten Vorwänden und “Urteilen” umbringt, besteht darin, an jenes “letzte Geheimnis” gerührt und dabei vorgeführt zu haben, auf welche Weise sozusagen jedermann ein Eckchen jenes – wie jetzt alle Welt wissen muß, ultratoxischen – privaten Teppichs der neuen globalen Machthaberklasse aufheben und darunterspähen kann.

  2. Nicht nur die britische Justiz ist vernebelt! In allen Staaten des “Wertewestens” lässt Justicia mehr als zu wünschen übrig. Seit Corona kann man ein massives Versagen an fast allen Fronten beobachten. Selbst der Papst ist da unisono. Er forderte in seiner Neujahrsansprache die Freilassung eines eingesperrten Bischofs. Warum nicht auch die von Julien Assange? Es geht weiter wie gehabt!

    Zum gleichen Thema die “Hinweise des Tages” von den Nachdenkseiten:
    “Schicksalstag für Julian Assange”
    Britisches Gericht entscheidet heute über die Auslieferung des WikiLeaks-Gründers in die USA. Die Bundesregierung ging zuletzt etwas ehrlicher mit dem Fall um
    Kurz vor der gerichtlichen Entscheidung über einen Auslieferungsantrag der USA gegen den australischen Journalisten und Gründer der Enthüllungsplattform WikiLeaks, Julian Assange, hat sich die Bundesregierung erstmals kritisch zu dem Verfahren in London geäußert. Sie verfolge mit Sorge den Prozess in Großbritannien und die im November schriftlich eingereichten Schlussplädoyers von Anklage und Verteidigung, so die SPD-Bundestagsabgeordnete und Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Bärbel Kofler, am Mittwoch. Obwohl die Erklärung zurückhaltend formuliert ist, deutet sie auf ein Ende der Doppelzüngigkeit Berlins gegenüber einer der skandalträchtigsten Politprozesse in Europa hin.
    […]Zu erwarten ist allerdings, dass die jeweils unterlegene Seite nach dem heutigen Richterspruch binnen 28 Tagen in Berufung gehen wird. Der Rechtsstreit über eine Auslieferung von Assange in die USA könnte sich jahrelang hinziehen und am Ende vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ausgefochten werden. Der kritische Punkt ist daher nicht unbedingt die Auslieferung an sich, sondern die Haftbedingungen, die klar gegen menschenrechtliche Standards verstoßen.
    [….] Man könnte sagen, Vertreter des Außenamtes haben zur Causa Assange anhaltend die Unwahrheit gesagt, um sich nicht einem Fall von Politjustiz und Folter in den eigenen europäischen Reihen stellen zu müssen.
    [….]Wenn Richterin Baraitser heute das Urteil verliest, wird Assange all das nur mittelbar helfen. Nicht nur, dass die Kritik aus Berlin zu vage ist und zu spät kommt. Vor Ort wird sie auch nicht wahrnehmbar sein. Die Regeln zur Eindämmung der Corona-Krise in Großbritannien verhindern eine adäquate Prozessbeobachtung.”
    Quelle: Telepolis

    Anmerkung Moritz Müller: Wieder einmal deutliche Worte, die leider im derzeitigen Hintergrundrauschen aus Brexit, Pandemie und Hysterie unterzugehen drohen. Ich für meinen Teil werde, bis und während das Gericht um 11:00 MEZ zusammentritt mit ganzem Herzen an Julian Assange und seine Familie denken und positive Schwingungen nach London senden. Man kann es auch beten nennen. Bei der geballten Übermacht und Brutalität der Kräfte, die ihn in ihrer Gewalt haben scheint genau in diesem Moment nichts anderes möglich. Danach wird leider weiterhin über dieses und anderes Unrecht zu berichten sein. Dies scheint die Phase der menschlichen Entwicklung zu sein, in der wir uns gerade befinden. “

  3. Gut, dass Richterin Vanessa Baraitser gegen die Auslieferung von Julien Assange gestimmt hat. Allerdings bleibt bei der Begründung ein mehr als fahler Beigeschmack. Man kann es auch blanken Zynismus gepaart mit eiskaltem Kalkül nennen. Wenn Frau Baraitser als Grund Suizidgefahr bei Assange aufgrund der zu erwarteten Haftbedingungen in den USA angibt, dann frage ich mich, was an den Haftbedingungen, welchen Assange seit mehr als 2 Jahren in Belmarsh ausgesetzt ist, humaner sein soll?

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