Dass der Rechtsstaat gegen die massenhafte Ausspähung durch die NSA ebenso machtlos ist wie gegen von deutschen US-Stützpunkten koordinierten Drohenkrieg da die Bundesrepublik nur über eine limitierte staatliche Souveränität verfügt, ist keine Phantasie von durchgeknallten “Reichsbürgern”, sondern ein realpolitisches Faktum. Dass die Regierenden nur ungern davon reden – wer gibt schon gerne zu, dass er nicht Herr im eigenen Haus ist – ist verständlich, zumal eine solche Fremdherrschaft den Regierten nur schwer vermittelbar ist. Umso wichtiger scheint es da, sich über den Herren im Haus, seine Absichten und seine Vorgehensweise, kundig zu machen, über die “unter Freunden” stets beschworene “Wertegemeinschaft” hinaus. Hier kann das Kompedium hilfreich sein, das Armin Wertz, langjähriger Auslandskorrespondent u.a. für “Stern” und “Spiegel” jetzt vorgelegt hat: “Die Weltbeherrscher – Militärische und geheimdienstliche Operationen der USA”. Ein Lexikon amerikanischer Auslandseinsätze, “das neben seiner Nüchternheit allein schon durch seinen Umfang beeindruckt. In kurzen Abschnitten schildert er in chronologischer Reihenfolge hunderte (!) militärische und geheimdienstliche Operationen der USA im Ausland, die mal mehr, mal weniger verdeckt, die Politik in den jeweiligen Staaten in die gewünschte Richtung lenken sollten,” so Paul Schreyer in seiner Rezension des Buchs. Dass die Vereinigten Staaten von den 239 Jahren ihres Bestehens in 222 Jahren Krieg geführt haben, könnte dem historisch durchschnittlich informierten Leser als maßlose Übertreibung vorkommen – in Armin Wertz’ Chronologie indessen ist diese Kontinuität der Kriegsführung akribisch aufgelistet. Gerade in Zeiten, in denen von der “russischen Aggression” so häufig die Rede ist wie aktuell, kann diese sachliche historische Dokumentation als notwendiges Antidot dienen, um durch die Propagandanebel hindurch einen realistischen Blick auf die Weltlage zu behalten.
Die Herrscher der Welt
Einen realistischen Blick auf die Welt weit über die politische Lage hinaus beschert auch ein anderes Buch, das ich unbedingt empfehlen möchte: “Die Herrscher der Welt” von Bernhard Kegel. Verglichen mit den Akteuren, die hier beschrieben werden, ist das Imperium in Washington kaum mehr als ein Fliegenschiss, denn ihr Weltreich existiert seit gut 2,5 Milliarden Jahren, ihre Supermacht hat den gesamten Planeten kolonisiert und ihre Truppen haben Stützpunkte in jedem lebende Wesen. Die Rede ist von Mikroben. Der Untertitel des Buchs – “Wie Mikroben unser Leben bestimmen” – ist dabei noch untertrieben, denn ohne diese Kleinstlebewesen gäbe es gar kein Leben auf dieser Erde, denn erst sie haben geschaffen was wir heute Biosphäre nennen. Seit ich in den 80er Jahren die Arbeiten der Biologin Lynn Margulis entdeckte bin ich erklärter Fan dieser Mikroorganismen, die allgemein immer noch völlig falsch eingeschätzt werden, nämlich als üble, krankheitserregende Gefahr, die mit allen Mitteln bekämpft werden muß. Das Ergebnis dieser Fehleinschätzung – “multiresistente Keime”, die mit keinem bekannten Antibiotikum beseitigt werden können – liegt jetzt vor und verbreitet Horror in den Krankenhäusern der Welt. Wie so oft in ihrer Geschichte scheint die Menschheit das Kind mit dem Bad ausgeschüttet zu haben: eine geniale Entdeckung – die Waffe gegen pathogene Bakterien – wurde und wird derart massenhaft und unkontrolliert eingesetzt, dass sie stumpf geworden ist und wirkungslos zu werden droht.
Wie aussichtslos und selbstzerstörerisch es ist gegen die Supermacht der Mikroben zu kämpfen, zeigt schon die Tatsache, dass sich die dichteste Truppenstationierung auf dem ganzen Planeten ausgerechnet in unserem Darm befindet. Dass die Funktionen des Darms von höchster Relevanz für die Gesundheit sind ist seit der Antike bekannt, dass Bakterien hier eine entscheidende Rolle spielen weiß die Medizin ebenfalls schon lange – erst die Möglichkeiten der Gen-Sequenzierung aber hat der Mikrobiologie in neuester Zeit die Dimensionen dieser unsichtbaren Welt erschlossen. Nicht nur bei den Milliarden von Mikroben, die in hunderten verschiedenen Spezialeinheiten ihren Job im Darm verrichten, sondern auch die in die Billionen gehenden Bakterientruppen, die in allen anderen Organen am Werk sind. Noch längst sind nicht alle Funktionen dieses unfassbaren Gewimmels entdeckt und kartographiert, doch schon jetzt hat die Vielfalt dieser Fauna, die in Symbiose mit dem menschlichen Körper lebt, die Forscher dazu gebracht, bei Menschen (und Säugetieren) nicht länger von “Individuen” zu sprechen. Sondern von “Holobionten”. Unser Körper liefert nur den Rahmen, die Gestalt oder das Gefäß für eine Vielzahl verschiedener Lebewesen, die symbiotisch, zum gegenseitigen Nutzen, zusammenleben. Von dieser Entdeckung des “Holobionten” erzählt Bernhard Kegels Buch anschaulich und auf Grundlage der neusten Forschungsergebnisse. Es macht deutlich, dass sie nicht nur unsere Sicht auf “Bakterien”, sondern auch unser Verständnis der Evolution ändern muß: nicht “egoistische Gene”, die sich im Kampf ums Dasein durchsetzen, sondern kooperierende Mikroben machen das Leben aus.
Die Mikroben:
Sie schlendern locker oben lang und lachen herzhaft über die temporäre Randerscheinung Mensch, diesen trockenen Furz in den verstandesmäßig durch selbigen nicht fassbaren Äonen dauernden Zeitläufte.
Der Mensch als Surfbrett der Mikroben auf dem Weg in ruhigere Gewässer…
Sag ich mal.
🙂
Sie möchten sicherlich mit ihrem letzten Satz auf ein von Richard Dawkins veröffentlichtes Buch anspielen. “Das egoistische Gen”.
Es könnte ja sein, dass die Gene sich dem Nutzen der Mikroben bewusst waren und diese in Ihrer Hülle, dem Menschen, nur “dulden”.
Könnte ja sein….
@boga: Genau. Zumal auch die Mikroben von Genen gesteuert werden und ebenfalls einer Evolution unterliegen. Ohne ihren Wirt wären sie schließlich ebenfalls in einer etwas mißlicheren Lage.
Aber spannend ist das allemal. Es wird geschätzt, daß unser Körper zehnmal so viele Mikroben beherbergt, als er eigene Körperzellen hat…