Mit der Demokratie und dem Wahlvolk ist es ja so eine Sache: wenn das Ergebnis paßt, ist alles dufte, aber wehe wenn nicht. Da stimmten zum Beispiel über 90 % der Bewohner der Republik Krim für einen Exit aus der Ukraine, nachdem dort eine neue Regierung mit fragwürdigen Methoden an die Macht gekommen war. Weil die neue Regierung dem Westen paßte, war freilich die Abwahl der alten – mit Maschinenpistolen beim Mißtrauensvotum im Parlament – demokratietechnisch kein großes Problem. Anders als das eindeutige Referendum der Krimbewohner, denn ein “Ukrexit” war unerwünscht und mußte deshalb als eine von kleinen grünen Männchen – bösen Russen ! – irgendwie gewaltsam herbeigeführte “Annexion” dargestellt werden. Dass dann wenig später die Niederländer mit deutlicher Mehrheit (60%) den Assoziierungsvertrag mit der Ukraine ablehnten, paßte den EU-Oberen in Brüssel nicht – die Mehrheit der Holländer nun aber als Opfer perfider Putin-Propaganda hinzustellen hätte den Bogen der Russen-Paranoia dann doch überspannt. Jetzt sollen sie neu abstimmen, bis das Ergebnis paßt und eine am Rande zum failed state und ökonomischen Bankrott stehende Nation nach Europa geholt werden kann.
Ähnlich klingt es jetzt auch nach dem Brexit: die Briten, die für den Austritt stimmten, wußten offenbar nicht, auf was sie sich einlassen – und die Anführer der Kampagne verlassen das sinkende Schiff. Also am besten noch mal abstimmen, bis das Ergebnis paßt – meint auch die Schurnalistin des Jahres 2015. Und der EU-Parlamentarier Martin Schulz setzt gleich noch einen drauf, und fordert eine “echte europäische Regierung” – auf dass die Mitgliedsländer mit ihren Parlamenten und Volksabstimmungen wie über den Brexit die Arbeit der EU-Bürokraten nicht mehr durcheinanderbringen. Wie die doofen Griechen mit ihrem “Oxi”, die dummen Briten mit ihrem Brexit, die unterbelichteten Holländer mit ihrem Ukrexit – und überhaupt das ganze Wahlvolk, die Massen, die Herde von “sheaple”.
Wenn es mal überraschend knirscht im Gebälk der Demokratie, wird schnell klar, dass dieses “Gebälk” eine Illusion ist. In unserem neuen Buch heißt es im Kapitel “Demokratie” dazu:
“Schon Aristoteles hatte ja die Gefahr kommen sehen, »dass die Armen, weil sie Mehrheit bilden, das Vermögen der Reichen unter sich aufteilen«, und James Madison, einer der Gründungsväter der US-amerikanischen Demokratie, unterstrich noch in der Verfassungsversammlung anno 1787: »Die erste Verantwortung der Regierung ist es, die Minderheit der Reichen vor der Mehrheit zu schützen.« Dieses Ziel ist inzwischen erreicht (→Verteilung), nachdem es vorübergehend zwischen zirka 1950 und 1970 so aussah, als sollte tatsächlich im Sinne der Mehrheit Politik betrieben werden können. Heute aber ist diese Gefahr gebannt, das Paradox der Demokratie elegant umschifft: Unsere Eliten steuern Wirtschaft, Medien, Politik und Geistesleben mit sanfter, unsichtbarer Hand. Mit bewundernswerter Konsequenz und verantwortungsvoller Klarheit ist es ihnen dabei gelungen, die Illusion von Mitbestimmung der Massen aufrechtzuerhalten – mittels schlichter Konsumreize und des Schürens von Ängsten, vulgo: Propaganda. Edward Bernays, Vordenker dieses Prozesses und Vater der modernen Meinungsmanipulation, notierte schon 1928: »Unsere Demokratie muss von einer intelligenten Minderheit geführt werden, die weiß, wie man die Massen leitet und lenkt.« Tut sie. Weiß sie. »Missionskritisch« ist es hierbei, per Design die eben nicht immer problemlos steuerbaren, latent unzufriedenen 75 Prozent der Bevölkerung von den Wahlen fernzuhalten oder ihre abgegebenen Stimmen nicht zu werten.”
Eine solche “missionskritische” Lage haben wir jetzt, nachdem die Elite-Fuzzis Cameron und Johnson auf die irre Idee kamen, ihren innenpolitischen Hahnenkampf mit einem EU-Referendum auszutragen – und mit dem Brexit vor einem Scherbenhaufen stehen bzw. vor ihm weglaufen, weil er nicht mehr problemlos steuerbar ist. Und deshalb von den amtierenden Bürokraten und Schurnalisten (s.o.) am liebsten rückgängig gemacht, ungewertet bleiben, nullifiziert werden soll. Allen voran ausgerechnet der Kriegsverbrecher Tony Blair, dem es aber jetzt möglicherweise ans Leder geht. Zumindest ein bißchen.
Ich hatte schon geschrieben, dass ein Brexit eher eine Katastrophe für die Briten als für Europa darstellt und man ihrer Rolle in dieser EU keine Träne nachweinen muß. Ebensowenig wie den anderen Nationen, die mit einem Austritt liebäugeln, denn das ganze Konstrukt Europäische Union, in den letzten Jahren zu extremen Schnellwachstum getrieben, war noch nie eine echte “Union”, sondern stets nur ein Wirtschaftsverband egoistischer Nationen. Dass diese miteinander Handel und Wandel treiben, statt sich wie bis ins vorige Jahrhundert dauerhaft zu bekriegen, ist ohne Frage ein zivilisatorischer Fortschritt. Aber weder ein Brexit, noch ein Dexit oder Fraxit oder sonst ein Austritt bedeuten gleich wieder Krieg. Sie könnten aber zeigen, dass ein Rückfall ins Nationale, Nationalistische keine wirkliche Perspektive bietet – und langfristig zu einer echten, föderativen, solidarischen Union im “Haus Europa”, führen. Geht nicht ? Gibts nicht…oder es gibt wirklich Krieg.
(Die Abbildung ist ein Tweet der russischen Botschaft in London.)