Postfaktisch – Ein Kampfbegriff als Wort des Jahres

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Um die Ursprünge der modernen “Fake News” in den Blick zu nehmen, hatte ich im letzten Beitrag auf die “Operation Mockingbird” , die große Unterwanderung der “freien” Presse durch die CIA, verwiesen, mit der das “Postfaktische” von 1950 an seinen Lauf nahm – wenn auch weitgehend unbemerkt, denn das Publikum konnte ” Real News” und “Fake News” nur schwer unterscheiden.  Um z.B. schon  1964 über den Fake des  Zwischenfalls im Golf von Tonkin zu erfahren, mit dem das Massenbombardement Vietnams begründet wurde, musste man den Newsletter des Guerilla-Journalisten I.F.Stone lesen, sämtliche Großmedien hingegen verbreiteten  die CIA-Story von einem Angriff auf amerikanische Kriegsschiffe.  So wurden  auch die von der Warren Kommission produzierten und äußerst zweifelhaften Untersuchungsergebnisse des Mords an John F. Kennedy in den Medien unisono als Fakten präsentiert, bis 1967 auch juristische Zweifel  an dem angeblichen  Einzeltäter Lee Harvey Oswald zur Eröffnung eines Verfahrens  und einer ersten Überprüfung dieser Fakten führten. Die Regierung versuchte darauf, mit einer Sabotage des Verfahrens einen umfangreichen Fakten-Check zu verhindern und die CIA startete eine Mockingbird-Offensive mit jenem berüchtigten Memo, das alle Stationen dazu aufforderte, ihre Medienkontakte zu nutzen und für Kritik an der Einzeltäterthese die Bezeichnung “Verschwörungstheorie” zu lancieren.  Diese Betriebsanleitung zur Diskreditierung von Dissidenz feierte dann nach 9/11 fröhliche Urstände und führte zu einem geradezu inflationären Gebrauch des Begriffs, der seitdem zur Diskurskeule Nr. 1 geworden ist. Als Kampfbegriff mit dem jede nicht der Orthodoxie entsprechende Sichtweise aus der öffentlichen Debatte herausgehalten werden soll.

Welcher Irrsinn hat nun die “Gesellschaft für deutsche Sprache” nun geritten, “postfaktisch” nicht zum Unwort, sondern zum “Wort des Jahres” zu küren ?  Und nach der Inflation von “Verschwörungstheorie” nun gar ein ganzes “postfaktisches Zeitalter” auszurufen ?  “Immer größere Bevölkerungsschichten sind in ihrem Widerwillen gegen »die da oben« bereit, Tatsachen zu ignorieren und sogar offensichtliche Lügen bereitwillig zu akzeptieren, ” meint die  GdfS in der Begründung, fragt aber nicht, woher dieser “Widerwille” der Bevölkerung gegen die Obrigkeit kommt  – und schon gar nicht, ob dieser vielleicht damit zu tun haben könnte, dass “die da oben” und ihre Medien einfach oft genug beim Ignorieren von Tatsachen und auch beim offensichtlichen Lügen ertappt worden sind, dass ihren “Fakten” immer weniger Menschen trauen. Nicht aus dumpfem “Widerwillen”, sondern aus Erfahrung. Dies nun mit einem psychologischen Kampfbegriff, einer Diffamierungsvokabel zu kontern, die bei aller Unschärfe mit ihrem “post-“insinuiert, dass es mal ein “Prä”, eine Welt der Faktizität und “objektiv” berichtender Presse gegeben hätte – bis das böse Internet mit seinen perfiden “Fake News” dann zu lügen begonnen hat – scheint mir kein Zufall, sondern eher wie ein weiteres Aufbäumen der sterbenden Leitmedien, deren Herrschaft über die Konstruktion und Deutung von Wirklichkeit verloren gegangen ist.

“Die Rede vom “Postfaktischen” ist deshalb auch nicht einfach nur “postmoderner Unfug”, sondern die neueste Diskursstrategie im seit der letzten Jahrhundertwende tobenden Kampf um die Zuständigkeit für die Konstruktion jener Wirklichkeit  die Grundlage unserer Alltagsgewissheiten ist. Falls Niklas Luhmann (1995) mit seinen Analysen Recht hatte, haben die Massenmedien seit Entstehung der bürgerlichen Öffentlichkeit (dies wiederum beschrieb Jürgen Habermas 1962) eine zentrale Funktion: die Herstellung und Absicherung des verbindlichen Sinnhorizonts einer Kultur, also die Bestimmung all dessen, was als “wahr und wirklich” gilt. Wenn man Luhmanns These durch die wissenssoziologische Idee der Konkurrenz orthodoxer (fraglos geltender) und heterodoxer (kulturell zurückgewiesener, illegitimer) Wissensbestände ergänzt, zeigt sich, dass die Rolle der Massenmedien bei der Festlegung orthodoxen Wissens seit der Jahrtausendwende prekär geworden ist. Mit dem Aufstieg des Internets sind die traditionellen Leitmedien nicht mehr die unangefochtenen Konstrukteure von Wirklichkeit.” (Michael Schetschte:  Wider die Rede vom “Postfaktischen”)

That’s it. Weshalb  die “Washington Post”, das Ur-Biotop der CIA-Fakes, dann eben auch eine Schwarze  Liste der alternativen Konstrukteure von Wirklichkeit veröffentlicht und ganz im Stile der Inquisition “Maßnahmen” gegen deren “Fake News” fordert – und gleichzeitig selbst an diesem Wochenende wieder schwerwiegende und explosive “Fakten” produziert, die ganz offensichtlich nichts anderes sind als ein dumpfer Fake. Es gäbe, behauptet die WaPo, nun klare Indizien, dass russiche Hacker die Wahl zugunsten Trumps manipuliert hätten – und zitiert dazu ausschließlich anonyme Quellen. Die “New York Times” assistierte ebenfalls mit anonymen Geheimdienstinformationen, nach denen “Konsens” bestehe, dass die emails über russische Kanäle  an Wikileaks gegangen seien. Dem Kommentar  aus dem Trump-Transition-Team auf diese neuen Enthüllungen ist ausnahmsweise nichts hinzuzufügen: ‘These are the same people that said Saddam Hussein had weapons of mass destruction.”

3 Comments

  1. Daß diese “Gesellschaft für deutsche Sprache” nichts als ein Propagandainstitut des Fake News Mainstream ist, weiß man schon ,seit sie das Wort “Lügenpresse” für ihre Propaganda (“Unwort des Jahres”) mißbrauchen. Damals – jetzt leider gelöscht! – zog Duden-online bereits über das Wort “Unwort” her. Inhaltlich war da damals zu lesen, daß das Wort “Unwort” selbst ein Unwort sei! Leider hat Duden-online den damaligen Eintrag inzwischen gelöscht ( sie das inzwischen gelöscht ( http://www.duden.de/rechtschreibung/Unwort ) !

    Auch im “Kluge” (“Kluge, Etymologisches Wort er deutschen Sprache”) – zumindest bis zu meiner “23. Aufl.” – ist das Wort “Unwirt” nicht zu finden.

    Daß sich diese selbsternannte(!) “Gesellschaft für deutsche Sprache” nun erneut(!) gerade um die deutsche Sprache einen Dreck schert, zeigt schon die Abartigkeit der von dieser “Gesellschaft” so hoch auf den Thron gehobenen Wortbildung “postfaktisch”!
    Denn dieses pseudolateinische “postfaktisch” hat mit Latein so wenig zu tun wie das”Handy” mit der englischen Sprache – aber gerade dies soll ja vorgetäuscht werden (obwohl einen kein Brite verstehen würde)!
    Auch heißt “post” lateinisch “nach”. Es hieße also ‘nachfaktisch’. Das ist aber nur die Zeit nach dem Weltuntergang! Alles andere ist “faktisch”!

    Was tatsächlich gemeint ist mit diesem Unwort “Postfaktisch” ist ‘faktenverachtend’ oder ‘faktenabstinent’. Also nix “nach” (“post”). “Postfaktisch” wären allenfalls das Brief- und das Päckchenporto!

    Sprachlich korrekt wäre es allein, statt von “postfaktisch”, von “sine facta” zu sprechen. Etwas so: “ … mal wieder einer Ihrer sine facta Vorträge, Herr Kollege. Schade um die vergeudete Zeit!

    Noch was: Wenn man auf Wikipedia unter “Gesellschaft für deutsche Sprache” nachsieht erfährt man, daß es sich keineswegs um eine “GESELLSCHAFT” (z. B. BGB-Gesellschaft, OHG, Akteingesellschaft usw.) handelt – sondern um einen Verein!
    Und sie sind auch im Vereinsregister eingetragen. Mit “e. V.” !
    Also eindeutig ein VEREIN – und keine “Gesellschaft”!
    Nur weil ihnen “Gesellschaft” schicker klang als “Verein” haben sie sich diese falsche(!) Bezeichnung “Gesellschaft” zugelegt. Das befindet sich auf dem Níveau von “Handy” – nein, ist absolut kein Englisch, täuscht dieses aber aus Angebergründen vor und klingt irgendwie ‘so schick weitgereist und welterfahren’!
    Und DIE wollen sich um die deutsche Sprache kümmern??!!

    Zum Schluß: Eine prima Besprechung des hier zitierten Artikels von Heise (Michael Schetsche) findet sich übrigens auf: http://www.danisch.de/blog/2016/12/11/und-der-name-einer-dieser-panikattacken-lautet-postfaktisch/

  2. Berichtigung:
    Auch im “Kluge” (“Kluge, Etymologisches Wort er deutschen Sprache”) – zumindest bis zu meiner “23. Aufl.” – ist das Wort “Unwort” nicht zu finden.”

  3. Zitat GfdS: “Das Kunstwort “postfaktisch” verweist darauf, dass es in politischen und gesellschaftlichen Diskussionen heute zunehmend um Emotionen anstelle von Fakten geht.”

    Da wirft der Mainstream wieder mit Dreck gegen den Wind und trifft sich selbst.

    Niemand beherrscht das Instrumentalisieren von Emotionen besser als einschlägige Anstalten, die mit Millionenaufwand angebliche “Dokumentationen” produzieren und dann Leute vor die Kamera zerren, um das Publikum mit der Macht der Bilder gefühlsmäßig zu beeinflussen. Blogs und soziale Medien können da schon rein technisch nicht mithalten. Und wer skandalisiert und fährt endlose Kampagnen, wenn es gegen missliebige Personen – Trump, Putin etc. – geht? Wer löst nüchterne Sachberichterstattung auf seinen gedruckten Seiten immer mehr durch subjektive Kommentare und Appelle ab?

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