“Demokratie” braucht “Demagogie”

Dass der „mündige Bürger“, der mit „freiem Willen“ in „demokratischen Wahlen“ entscheiden soll, in der Praxis einer Gehirnwäsche unterzogen werden muss, ist eine Grundvoraussetzung der „Demokratie“. Wie dies organisiert wird, ist unter anderem Thema des neuen Buchs von Rainer Mausfeld, das ich heute auf “Rubikon” rezensiert habe.

Dass die alten Griechen im 5. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung einst erfanden, was wir heute Demokratie nennen – jeder volljährige Bürger hat eine Stimme, das Staatsvolk trifft mittels freier Wahlen seine am Gemeinwohl orientierten Entscheidungen und die Minderheit beugt sich dem Willen der Mehrheit – entspricht nur sehr bedingt der historischen Realität. Stimmberechtigt waren in Athen nur die „freien Männer“, die etwa 10 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachten.

Nur so konnte man davon ausgehen, dass halbwegs verantwortungsvoll und informiert im Sinne des Gemeinwohls entschieden würde, denn wer keine Ahnung hat, worum es überhaupt geht, wählt ja immer nur seinen persönlichen Vorteil, also das Falsche. Nicht gemeint war daher von Anfang an: Jede/r wählt mit. Dieses Szenario kannten die Griechen nur als Alptraum unter dem Begriff „Ochlokratie“ – also „Herrschaft des Pöbels“.

Doch auch dem reduzierten demos der Wahlberechtigten war nicht wirklich zu trauen: „Die Masse ist in ihren Auffassungen unstet und wetterwendisch, für ihre Fehlleistungen macht sie andere verantwortlich“, befand der Historiker Thukydides, der aber gleichzeitig auch die persönlichen Schwächen politischer Herrscher sah, deren Handeln vor allem durch „Verlangen nach Macht, um Herrschsucht und Ehrgeiz zu befriedigen“ geleitet würde. Als ideal sah Thukydides deshalb eine Regierungsform an, die beide Schwachpunkte vermeiden könne, wenn sie „dem Namen nach eine Demokratie, in Wirklichkeit die Herrschaft des Ersten Mannes“ sei.

Der Philosoph Aristoteles plädierte dann für eine „Herrschaft der Angesehenen und Besitzenden“, die dafür sorgen müsse, dass weder die Massen noch Tyrannen die Übermacht gewinnen könnten, denn in der Demokratie liege die Gefahr, „dass die Armen, weil sie Mehrheit bildeten, das Vermögen der Reichen unter sich aufteilten“. Und etwa 2000 Jahre später, als anno 1787 in den Vereinigten Staaten die erste Demokratie der Neuzeit gegründet wird, formuliert einer der Väter der Verfassung, James Madison, die Problemlage so: „Die erste Verantwortung der Regierung ist es, die Minderheit der Reichen vor der Mehrheit zu schützen.“

Getauft wurde das Kind, mit dem das Spannungsverhältnis zwischen Volk und Eliten ausbalanciert werden sollte, „repräsentative Demokratie“ und unter diesem Banner segeln heute die meisten Staaten auf der Welt. Sie sind also ganz im Sinne von Thukydides und Aristoteles dem Namen nach Demokratien, de facto aber Oligarchien, die Herrschaft von wenigen Reichen, deren erstes Interesse die Sicherung ihres Eigentums ist.

Dass dieses Eigentum verpflichtet, wie es noch heute in vielen Verfassungen steht, wussten auch schon die reichen Athener – wenn aufgrund der zahlreichen auswärtigen Kriege die Massen in der Stadt hungerten, wurde ein antikes Hartz4 – „Diobolein“ – ausgezahlt: jeder Arme bekam einen Essenszuschuss von zwei Obolen pro Tag. Sobald sich die Lage entspannte und keine inneren Aufstände mehr drohten, wurde diese „Sozialhilfe“ wieder gestrichen und begnadete Demagogen wie Perikles besänftigten das Volk mit Reden, dass so alles seine Richtigkeit habe. Es waren die Meister der Rhetorik, angesehene Redner, die als demagogos, das heißt, Führer des Volkes, bezeichnet wurden. Der Begriff war noch nicht negativ konnotiert, erst in der Neuzeit wurde daraus ein lügnerischer Hetzer.

Der Job der Demagogen aber war immer der gleiche – Wahrnehmungsmanipulation, Bewusstseinssteuerung und Empörungsmanagement der Massen – und auch wenn sich ihr Arsenal dank der Medien heute stark erweitert hat, sind ihre Techniken die gleichen geblieben. Es geht darum, mit imaginativen Bildern und Inszenierungen die Vorstellungswelt der Bevölkerung zu beeinflussen und zu lenken. Und dies im Idealfall so, dass den Betroffenen gar nicht auffällt, dass und wie sie beeinflusst und gesteuert werden.

Auch wenn also schon seit dem antiken Griechenland bekannt ist, dass „Demokratie“ stets auch der „Demagogie“, der Beeinflussung und Lenkung der öffentlichen Meinung bedarf, ist Letztere – auch unter freundlicheren Namen wie Propaganda, Public Relations oder Werbung – eher ein Un-Thema öffentlicher Debatten. Dass der auf dem Papier „mündige Bürger“, der mit „freiem Willen“ in „demokratischen Wahlen“ entscheiden soll, in der Praxis einer Gehirnwäsche unterzogen werden muss, hat mit Mündigkeit, Freiheit und Volksherrschaft eigentlich nichts zu tun – ist aber eine Grundvoraussetzung für das, was wir heute „repräsentative Demokratie“ nennen.

„Gehirnwäsche“ ist ein starkes Wort und wie „Demagogie“ sehr negativ besetzt, im Weichspülgang lassen sich sicher freundlichere Worte dafür finden, aber es macht klar, was gemeint ist: die Konditionierung der Mehrheit im Interesse einer herrschenden Minderheit. Wie dies am besten funktioniert, hat Noam Chomsky vor einiger Zeit einmal so zusammengefasst:

„Der intelligente Weg, Menschen passiv und fügsam zu halten, besteht darin, das Spektrum akzeptabler Meinungen strikt zu begrenzen, aber eine sehr lebhafte Debatte innerhalb dieses Spektrums zu ermöglichen – und sogar kritischere und abweichende Ansichten zu fördern. Das gibt den Menschen das Gefühl, dass freies Denken stattfindet, während die Voraussetzungen des Systems immer wieder durch die Grenzen des zulässigen Bereichs der Debatte verfestigt werden.“

Wie dieser Zaubertrick angewendet wird , wie Fakten unsichtbar gemacht und Illusionen geschaffen werden, wie moralische Empörung durch Fragmentierung und Re-Kontextualisierung kanalisiert und organisiert wird – darum geht es unter anderem in dem Buch von Rainer Mausfeld „Warum schweigen die Lämmer?“.

Diese Frage war auch der Titel eines Vortrags, den der Autor vor einigen Jahren hielt und der zu seiner Überraschung im Internet sehr viele Zuschauer fand, eine Fortsetzung unter dem Titel „Die Angst der Machteliten vor dem Volk“ hatte in den letzten 12 Monaten fast 900.000 Zuschauer. Dies mag auch damit zu tun haben, dass Rainer Mausfeld, bis zu seiner Emeritierung Professor für Wahrnehmungs- und Kognitionsforschung an der Universität Kiel, dank seiner Profession besonders geeignet ist, nicht nur an den Oberflächen von Medienmanipulation und Fake-News zu kratzen, sondern ihre psychologischen Grundlagen deutlich zu machen.

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4 Comments

  1. 1.
    @roc
    Crash hin-Crash her
    Crash ist immer “Kaufklima” für die…die eh schon alles gestohlen haben
    Der ” Little Guy” darf dann da ein bisschen mitfahren
    Motto :
    ” Komm zu uns…wir sind die Besten….wir sind der Branchen-Bemchmark…investiere Dein Geld bei uns…wir garantieren Dir…
    dass Du nur 1/3 Deines Geldes verlieren wirst …und nicht über 2/3 ” 🙂

    Vielleicht kommen die “Big Boys” in Zukunft ja auch ohne Bäckermeister-Schuster-und Installateur aus… Angeblich hat ” Mr. Global-Papa-Corrupt ” ja 2 Familien zu versorgen…die voneinander gar nichts wissen…bei einer Familie ist er der Rabenvater ( Normal Economy ) bei der anderen Familie ( Deep State ) ist er der Sugar-Daddy https://www.youtube.com/watch?v=nP-8fgP2yLo

    2.
    Man darf die hörens-und lesenswerten Darlegungen
    von Prof. Rainer Mausfeld ( Danke Blog-Chef ! )

    https://www.heise.de/tp/features/Wir-leben-in-einer-Zeit-der-Gegenaufklaerung-4178715.html?seite=all

    nicht auf die “Ungewaschenen Massen” beziehen ( Das stimmt sowieso ) …
    sondern man muss sie GERADE AUCH beziehen auf die politische Kaste in Ihrer Gesamtheit…(Das stimmt noch viel mehr ) die sind in einer Echo-Kammer von Ideologie-Vorstellungen quasi religiöser Natur befangen…mit den Blockflöten CDU/CSU-SPD-Grüne…mir einer AfD als “Controlled Opposition”…mit DDR-Linken von anno dunemals …und mit einer FDP als Klientelpartei für Malermeister-und Zahnärzte…die heute gleichgeschalteten Rot-Grün-Funk-Staatsmedien legen dann immer noch ‘ne Schippe nach und das Ergebnis ist :

    “The Zombiefication of Politics within a Matrix”

    Die “Matrix” ist allerdings nicht alternativlos…sondern bietet im Unterschied
    zu der Angela Merkel gleich 2 mal den Exitus an :

    Scheitert der Euro…kommt es zum 30-jährigen Krieg in Europa
    Scheitert der Euro nicht…kommt es zur Orwell-Diktatur de Luxe
    Eine gesunde Mischung aus beidem ist abzusehen…im besten Fall
    “Wohl temperiert”…und sonst eigentlich gar nichts…außer natürlich:
    Die ” Money-Printer” sind…wie immer…die Sieger 🙁

  2. Rainer Mausfeld bringt es wirklich auf den Punkt. Ich kenne (als Laie) keine andere Lektüre, die so umfassend, präzise und gleichzeitig verständlich geschrieben aufzeigt, wie das Manipulations- und Herrschaftsmanagement in der „marktkonformen“ Pseudodemokratie funktioniert und wie der Rest der Gesellschaft von der Elite systematisch hinter die Fichte geführt wird.

    Dass inzwischen solche Bücher von honorigen Leuten wie Prof. Mausfeld veröffentlicht werden, die die Herrschaftstechniken im Detail offenlegen, ist einerseits Symptom für die Spätphase des Systems und beschleunigt andererseits dessen Ende. Vor dem Wandel kommt stets die Erkenntnis.

    Der Steinmeier hat ja letztens geklagt, es gebe in der Gesellschaft einen “diffusen Hass auf das Establishment”. Da wird man wohl langsam aufmerksam? Wobei der Begriff “Hass” hier selbst schon wieder Diffamierungs- und Zersetzungsversuch ist.

    https://www.zeit.de/politik/deutschland/2018-10/frank-walter-steinmeier-hass-demokratie-rede-bundespraesident

    Nein, es geht nicht um Hass, sondern um berechtigte Empörung, weil Ihr neoliberalen Elitenpolitiker seit etlichen Jahren endgültig überzogen habt, moralisch bankrott seid und die Diskrepanz zwischen dem was Ihr sagt und dem was geschieht kaum noch vor den durch Euch regierten Schäfchen verbergen könnt. Und das beunruhigt Euch.

    Ihr habt nicht nur die Völker verraten, sondern auch die Werte selbst, mit denen Ihr uns regelmäßig agitieren möchtet. Ihr predigt “Demokratie” und wollt sie gleichzeitig verhindern. Eure eigentlichen Ziele dürften andere sein…

    Die Staatsgewalt, die vom Volke ausgeht, wurde Euch nur verliehen. Glaubt Ihr etwa ein Anrecht zu haben, auf ewig dort bleiben zu dürfen, wo Ihr jetzt seid? Wenn Ihr die geliehene Macht veruntreut und missbraucht, dann kommt sie vielleicht auch wieder zum Volke zurück?

    Wenn Ihr aus Euren Fehlern keine Konsequenzen (oder die falschen) zieht, dann wird der Souverän sie für Euch ziehen müssen, bevor Ihr die Gesellschaft weiter neoliberal und “marktkonform” atomisiert und zerstört oder die Welt in Brand steckt.

    Versuche von Indoktrination, Täuschung, Spaltung und Verblödung werden Euch jedenfalls nicht mehr lange weiterhelfen. Auch, weil man Eure Taschenspielertricks in Büchern wie dem von Rainer Mausfeld jetzt nachlesen kann.

    Zum Schluss noch ein passendes Zitat vom “Vater der public relations”:

    “Die bewusste und intelligente Manipulation der organisierten Gewohnheiten und Meinungen der Massen ist ein wichtiges Element in der demokratischen Gesellschaft. Wer die ungesehenen Gesellschaftsmechanismen manipuliert, bildet eine unsichtbare Regierung, welche die wahre Herrschermacht unseres Landes ist. Wir werden regiert, unser Verstand geformt, unsere Geschmäcker gebildet, unsere Ideen größtenteils von Männern suggeriert, von denen wir nie gehört haben. Dies ist ein logisches Ergebnis der Art wie unsere demokratische Gesellschaft organisiert ist.

    Große Menschenzahlen müssen auf diese Weise kooperieren, wenn sie in einer ausgeglichen funktionierenden Gesellschaft zusammenleben sollen. In beinahe jeder Handlung unseres Lebens, ob in der Sphäre der Politik oder bei Geschäften, in unserem sozialen Verhalten und unserem ethischen Denken werden wir durch eine relativ geringe Zahl an Personen dominiert, welche die mentalen Prozesse und Verhaltensmuster der Massen verstehen. Sie sind es, die die Fäden ziehen, welche das öffentliche Denken kontrollieren.”

    aus: Edward L. Bernays, Propaganda, 1925

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