Bahnsteigkarten statt Gelbwesten?

Mein Fiat “Punto” kam unlängst ohne Beanstandungen durch den TÜV, nur eine fehlende Gelbweste wurde angemahnt. Die muss ich dringend besorgen – für das Auto, aber auch weil ich das Manifest der Gelbwesten gelesen habe. Anders als in den Medien kolportiert gehen die Forderungen der Bewegung weit über einen Stopp der Benzinpreiserhöhungen hinaus – der sechsmonatige Aufschub, den die Regierung jetzt verkündet hat, wird  die Proteste deshalb auch nicht stoppen.

“Abgeordnete Frankreichs, wir übermitteln Ihnen die Direktiven des Volkes, damit Sie diese in Gesetze umsetzen. Abgeordnete, verschaffen Sie unserer Stimme Gehör in der Nationalversammlung!” heißt es in dem von den Protestierenden an Parlament und Presse übermittelten Kommuniqué – und wie die Bewegung selbst sind auch ihre Forderungen nicht von Parteien oder NGOs gesteuert , sie kommen nicht von “links” oder “rechts”, sie kommen von unten. Und sind gerichtet gegen eine Regierung und ein Wirtschaftssystem, in dem  20% der Bevölkerung unter der Armutsgrenze leben und sich nicht einmal mehr ihre Lebensmittel leisten können.

Der als strahlender Hoffnungsträger gehypte Emmanuel Macron steht nach 18 Monaten Amtszeit so schlecht da wie kein französischer Präsident vor ihm und sein desolater Umgang mit den Protesten wird die Zustimmung weiter sinken lassen. Dass er sich hinsetzt und beginnt, die Direktiven der “Gelbwesten” abzuarbeiten ist bei einem Muster-Zögling der Finanzelite und des Rothschild-Konzerns schwer vorstellbar, denn es widerspricht den Direktiven derer, die ihn als Präsident aufgebaut haben. Weiter Aussitzen und Ignorieren kann Macron die Proteste aber auch nicht – mit der Ankündigung die von ihm abgeschaffte Vermögenssteuer  möglicherweise wieder einzuführen, deuteten sich heute schon weitere Zugeständnisse an. Die “Gelbwesten” zeigen also Wirkung, auch wenn sie in den Medien hierzulande nur als randalierende Gewalttäter gezeigt und ihre konkreten Forderungen kaum erwähnt werden. Sie sind in weiten Teilen 1:1 übertragbar und würden auch in Deutschland eine Mehrheit finden – da aber die Deutschen bevor sie revolutionäre Forderungen stellen bekanntlich immer eine Bahnsteigkarte lösen, ist damit nicht zu rechnen.

Schon warnen Linke und Transatl-Antifa vor brauner Unterwanderung der gelben Westen und dass man sich nicht mit ihnen soldiarisieren sollte – wär ja auch noch schöner, Demonstrieren ohne Bahnsteigkarte und Segen aus Brainwashington. Da war der Franzmann dem Teutonen ja schon immer voraus: wenn er die Faxen dicke hat,  haut er auf den Putz und geht auf die Barrikaden – und überwindet, wie man an den Forderungen des Kommuniqués sehen kann, die Gegensätze zwischen Parteien, Ideologien und Lagern. Wohin der Aufstand führt, ist noch nicht abzusehen; dass er von oben kleingemacht, diffamiert, gespalten werden soll,  ist erwartbar; dass er dennoch weiter geht, bis seine Forderungen abgearbeitet und auf den Weg gebracht sind, kann man nur wünschen.

8 Comments

  1. d’accord!
    Aber das “und ihre konkreten Forderungen kaum erwähnt werden” stimmt nicht. Wie kommen Sie zu so einer Pauschalaussage? In zahlreichen Medien, selbst im Staats-TV”, wurde und wird ausführlich über die gesamte Bandbreite der Proteste (Forderungen) informiert.

  2. So etwas wie momentan in Frankreich werden wir in Deutschland kaum erleben, da müssen sich unsere Eliten keine Sorgen machen. Zu gut funktioniert die Meinungsmache und Propagandamaschine in Deutschland, befeuert zusätzlich durch die Trägheit der breiten Masse der Deutschen. Es ist natürlich auch viel einfacher sich von unseren Politikern, Bild, Tagesschau, usw. die Welt erklären zu lassen. Da ist alles immer so schön Schwarz und Weiß. Wir sind prinzipiell die Guten, die Westliche Wertegemeinschaft per se, kann niemals falsch liegen, denn wo kämen wir da hin? Die anderen sind automatisch immer die Bösen, gegen die es unsere Werte zu verteidigen gilt. So weit, so schlecht. Die Welt besteht nicht nur aus Schwarz und Weiß, sondern aus vielen Grautönen. Es erfordert natürlich Zeit und Interesse, ein Gesundes Maß an Misstrauen gegenüber unserer Mainstreamberichterstattung, um irgendwann in Zweifel zu ziehen, was wir an Information geboten bekommen. Einfacher ist es doch, sich in seiner eigenen Echokammer zu bewegen, über die Merkel zu meckern und am Stammtisch über die Eseltreiber abzuledern. Einfacher allemal, als selbst den Hintern hoch zu kriegen und in seinem Bekanntenkreis mal Tacheles zu reden, wenn mal wieder über das Flüchtlingsgesocks, die faulen Hartz 4 Empfänger, den Bösen Putin, die blöden Linken, die ja alle nicht mit Geld umgehen können, oder die versoffenen Penner, die einen um einen Euro anschnorren, gemeckert wird. Hab ich wen vergessen? Mit Sicherheit lies sich diese Aufzählung noch um einiges Verlängern. Erstaunlich nur, dass immer mit einem gewissen Neid zu den Franzosen geschaut wird und dann der Spruch kommt: ” Die machen es richtig, so was sollte es mal bei uns geben…” Nur findet das nicht zu Hause auf der Couch statt…

  3. In behäbiger Vollgefressenheit , links und rechts in den Händen Bier und Chips haltend, sitzt der der Deutsche Dumm Michel vor den Fernseher! Aus den Bildschirm
    kommt der lange Arm mit den Löffel und rührt unter der aufgeklappten Schädeldecke, in der Grauen Masse. Der Dumm Michel grinst in stupider Blödheit
    vor sich hin, in der Gewissheit ordentlich informiert zu sein.
    P.S. Die Beste Karrikatur, die ich zu diesen Thema gesehen habe!

  4. Ich bin diese Woche quer durch Frankreich von La Rochelle bis Roanne gefahren. Jeder Kreisverkehr war von Gelbwesten besetzt. Es wurde viel diskutiert, ich habe viele kreative Plakate gesehen (gilet jaunes=sansculottes, Macron voie sans issue, usw.). Die Unterstützung geht offensichtlich quer durch die Bevölkerung. Es sind echte Sozialproteste. Les gens ont ras-le-bol! Die Franzosen haben die Schnauze voll. Nehmen wir uns ein Beispiel.

  5. In der BRD wäre dies ein “nicht vorgesehener Vorgang”: massenhaftes Demonstrieren, politisch lagerübergreifend und ohne Führung und Lenkung durch Gewerkschaften, Parteien oder andere geeignete – und einschlägig bewährte – Einflussorganisationen. Alle Staatsgewalt geht zwar vom Volke aus – so heißt es im GG Art. 20 – aber wenn sie einmal (aus-)gegangen ist, kehrt sie nicht mehr zurück, sondern bleibt bei all den “Organen” der repräsentativen Demokratie(-Simulation), deren einzige Aufgabe es ist, die Schäfchen von der Macht fernzuhalten, damit die neoliberale Elite beim Renditemachen nicht gestört wird.

    Und wenn die Schäfchen doch mal außer Kontrolle geraten und spontan auf die Straße gehen, weil es im Kessel brodelt, dann finden sich bestimmt ein paar von den “Diensten” geschmierte Krawallos, um dem Staat eine Rechtfertigung für das Unterbinden jeglicher “nicht hilfreichen” Ausübung von Demokratie zu liefern.

    Dem Putin hat der Westen ja immer vorgeworfen, dass er eine „gelenkte Demokratie“ praktiziere. Aber der gibt es ja wenigstens offen zu, in Schland dagegen herrscht noch viel Aberglaube. Dieser Zustand der Ahnungslosigkeit ist noch viel trauriger und führt effektiv zu größerer Ohnmacht.

    “Transatl-Antifa” halte ich übrigens für eine sehr gelungene Wortschöpfung.

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