Als ich 2004 einmal in einer Fernsehsendung mit zwei “Spiegel”-Redakteuren über 9/11 diskutiert hatte und wir danach bei einem Kaffee noch plauderten, meinten sie, dass sie einiges in meinen Büchern ja auch richtig gut fänden – zuvor in der Sendung hatten sie mir “Verschwörungstheorien” und “schlechte Recherche” vorgeworfen – nur dass ich ihre Zeitschrift immer als “ehemaliges Nachrichtenmagazin” bezeichne, das würde ihnen überhaupt nicht gefallen. Diese Bezeichnung war mir einmal bei einem Vortrag rausgerutscht, als ich eine Spiegel-Story mit dem Titel “9/11 – Was wirklich geschah” kommentierte, und wie das so ist – wenn das Publikum lacht, nehmen wir den Gag ins Repertoire – zog diese Präzisierung der hochkarätigen Marke “Nachrichtenmagazin” dann als geflügtes Wort seine Kreise. Zu erfahren, dass sich die “Spiegel”-Leute darüber ärgerten, war natürlich erfreulich.
Es war unter anderem auch diese Story – eine im Reportagestil von einem Dutzend Reportern montierte Geschichte der “wirklichen” Ereignisse – und ein Buch, das sie daraus gemacht hatten, was ich 2002 mit dem “Spiegel”-Redakteur Ulrich Fichtner beim “Funkhausgespräch” im WDR-Radio diskutierte.Und weil das Internet (und meine Festplatte) nichts vergisst, habe ich das Transskript der Sendung gerade noch einmal hochgeladen:
Bröckers: Nein, Sie machen es sich zu einfach, weil Sie behaupten dauernd, der SPIEGEL recherchiert ordentlich und versucht, so wahrheitsgemäß wie möglich usw….
Fichtner: Der SPIEGEL tut sein Bestes, das ist das Problem. Der SPIEGEL tut sein Bestes und ich gebe ja zu, dass er keineswegs perfekt ist. Ich gebe zu, dass der SPIEGEL nicht in der Lage war, diese Vorgänge …
Bröckers: Sie haben völlig versagt. Seit dem 11. September findet kein investigativer Journalismus statt bei Ihnen. (Beifall)
Soweit ein kleiner Auszug aus dem langen Gespräch, das Walter van Rossum moderierte – und das mir heute morgen einfiel, als ich den Artikel von Ulrich Fichtner über die Fake-Reportagen des “Spiegel”-Reporters Claas Relotius las: eine Selbstbezichtigung in eben diesem bescheuerten Reportagestil, mit dem der phantasiereiche Relotius die Redaktionen geleimt hatte. Bißchen sachlich, bißchen menschlich, mit “authentischen” Protagonisten, atmosphärischem Hintergrund, Zitaten, die als Teaser taugen und – ganz wichtig – mit Storys, die zum allgemeinen Spin passen. Das große Entsetzen, wie so etwas die hochmögende Dokumentationsabteilung des “Spiegel” überwinden konnte, kann ich zwar nachvollziehen aber auch nicht weiter ernst zu nehmen. Und ginge es wirklich darum, mit Pseudo-Journalismus und Fake-Reportagen aufzuräumen und Transparenz herzustellen, hätte ich für Ulrich Fichtner, mittlerweile Vize-Chefredakteur beim “Spiegel”, einen ziemlich heißen Tip, wie man die Leser nicht länger hinter die Fichte führt und aus dem “ehemaligen” wieder ein brauchbares Nachrichtenmagazin machen kann: fangt einfach bei 9/11 an!
Auch auf Rubikon erschienen.
Update: Ein schönes Beispiel für die Machart der Spiegel-Fakes: zwei Bewohner von Fergus Falls, einer Kleinstadt in Minnesota, deren Bürger “Sonntags für Trump beten”, zerpflücken den “Report” des preisgekrönten Journalisten Relotius.
Ist es nicht dreist vom Spiegel, den Autor wegen seiner Syrien-Stories anzuprangern, aber geichzeitig weiterhin zu behaupten, dass diese ganzen Lügengeschichten, die Spiegel und andere über den Syrienkrieg verbreiten, die reine Wahrheit sind und dass jeder, der daran zweifelt, ein Irrer ist (mindestens)?
Das Transskript der WDR-Sendung von 2002 ist lang, aber sehr lesenswert. Der faule Abwehrzauber gegen Bröckers’ stichhaltige Argumente, den Spiegel-Mann Fichtner da inszeniert, spiegelt sehr gut diese ganze pseudo-journalistische Haltung, mit der man – wenn man schön brav ist – bis in die Chefredaktion des Blatts aufsteigt. Wer als wirklicher Journalist arbeitet, wie Bröckers in Sachen 9/11, wird in die Tonne getreten, wer passende Fake-Reportagen mit ‘human touch’ produziert wird Chef oder wie Relotius mit Journalistenpreisen ausgezeichnet.
Wir lernen daraus: Verschwörungstheorien im Sinne des Establishments zu verbreiten, lohnt sich, wer mit echtem, kritischem, investigativen Journalismus dagegen hält, muss sich warm anziehen. Solange die Fichtners dieser Welt über “Fake News” aufklären wollen, kann das nichts werden. Aber einen wie Bröckers in die Ermittlungs-und Aufklärungskommission des Spiegel zu berufen und mit 9/11 anzufangen, geht auch nicht, denn danach wäre die schicke Hütte an der Ericuspitze quasi Ground Zero und das ehemalige “Sturmgeschütz der Demokratie” ein Trümmerhaufen. Nur mit einer solchen “Disruption”, wie man das heute nennt, wäre etwas zu retten, für den Spiegel und den Journalismus insgesamt, so aber wird es, wie im Komm. von Jens schon angedeutet, nur Kosmetik geben. Die Syrien-Artikel des böööhsen Relotius waren Fake, aber der ganze Rest natürlich nicht.
retweeted :
von : Dr. Markus Krall (@Markus_Krall) | Twitter
“Habe vor, den Claas-Relotius-Preis ins Leben zu rufen. Verliehen wird er an bestechliche und korrumpierte Bannerträger des zwangsfinanzierten Schundfunks, für die best-recherchierte Halbwahrheit. Nominierungen willkommen.”
https://www.broeckers.com/911-2/funkhausgesprache/
Der SPIEGEL will 2002 schon gewußt haben “Was wirklich geschah”, während Bröckers auf Vertuschungen, offene Fragen und Zusammenhänge mit schon länger geplanten, die amerikanische Verfassung und die Bürgerrechte außer Kraft setzende Vorhaben hinwies. Ein einzelner Journalist (wahrscheinlich transatlantisch überwacht) hat hier bei weitem mehr Aufklärungsarbeit geleistet als ein sich zunehmend mehr transatlantischen Einflüsterungen und Vorgaben verpflichtendes, mit riesigem Potential ausgestattetes Nachrichtenmagazin.
„Lange zwar mahlen die Mühlen der Götter, doch mahlen sie Feinmehl.“
Sextus Empiricus in „Adversus mathematicos“, Ende des 2. Jahrhunderts (Deutschlandfunk Kulturarchiv)
Mit Glückwunsch zu der sauberen Retoure
-p
Die WDR-Diskussion ist wirklich aufschlussreich: für dieses idiotische Storytelling mit dem Gestus “Wir waren dabei”, das Bröckers an den 9/11-Storys des Spiegel kritisiert, wurde Relotius mit Preisen überhäuft. Der schlaue junge Mann hat genau das geliefert, mit dem die erfolgreichen Älteren wie Fichtner beim “Spiegel” aufgestiegen sind.
Medienhistorisch sehr witzig ist der dauernde Vorwurf an Bröckers, seine Quellen wären ja “nur im Internet” und deshalb nichts wert
Seit Watergate ist ein „gate“ traditionell eine große Katastrophe, aber eine mit Ausnahme-Charakter.
Bei diesem „Spiegel-Gate“ fragen sich jedoch inzwischen selbst die MSM:
„Hatte der Fall Relotius System?“
– https://www.tagesspiegel.de/medien/sagenwasist-hatte-der-fall-relotius-system/23808364.html
Nach dem Aufruf des freien Autors Fabian Goldmann schreiben Autoren unter dem an das Motto des „Spiegel“-Gründers Rudolf Augstein angelehnten Hashtag #sagenwasist im Netz von ihren Erfahrungen. Das erinnert den Tagesspiegel bereits an die Erlebnisberichte unter #metoo und #aufschrei. Die Scheinheiligkeit und das missbrauchte verschwiegene Machtgefälle zwischen Medium und Reporter kommen zur Sprache. Mal schauen, ob es mehr als eine Eintags- bzw. Ein-Monats-Fliege bleiben wird!