Schon vor 16 Jahren gab es im “Spiegel” große Fake-Reportagen über das “Was 9//11 wirklich geschah” – Ein Kommentar, erschienen auf telepolis :
Der Skandal um die Fake-Reportagen im “Spiegel” kommt dem unterirdischen “Bild”-Lyriker Wagner vor, “als würde es von unten nach oben regnen. Nein schlimmer. Es ist, als hätten Paparazzi den Papst im Bordell erwischt.” Und er fügt hinzu: “Ich kannte Rudolf Augstein. Er hätte den Laden dicht gemacht.”
Ich kannte ihn zwar nicht, aber einige seiner leitenden Redakteure – und die wären, soviel ist sicher, als Verantwortliche oder Beteiligte einer solche Fälschungsserie sofort und reihenweise gefeuert worden. Und es wäre ein Verdikt von Rudolf ergangen, dass diese magazinigen, gefühligen Reportagen mit Human-Touch-Getue und Real-Life-Suggestionen, all diese “große Reportage”-Prosa mit ihren szenischen Textbausteinen aus dem Creative-Writing-Workshop, in einem “Nachrichtenmagazin” absolut nichts zu suchen haben. Sie haben ihre Berechtigung auf den Vergnügungsdampfern der Unterhaltungsindustrie, aber nicht in einem dem Journalismus verpflichteten Presseorgan mit dem Motto: “Sagen, was ist.”
Dass Spiegel-Artikel zu Augsteins Zeiten nur in Ausnahmefällen namentlich gekennzeichnet waren, hatte ja durchaus sein Gutes: Verhinderte Schriftsteller und Prosaisten konnten sich nicht spreizen, die berichteten Tatsachen, die Nachricht, stand im Vordergrund. Und die Qualität der Beiträge wurde nicht in Journalistenpreisen gemessen, sondern an dem, was sie politisch, juristisch oder sonst wie ins Rollen brachten.
Diese Zeiten sind lange vorbei und am wenigsten kann man das dem jetzt geächteten Jungstar am Reporterhimmel Claas Relotius vorwerfen, denn der phantasiebegabte Autor hat einfach nur geliefert, was seine Oberen verlangten und in ihren Spin passte. Keine Nachrichten, sondern Stimmungsbilder – und wenn die Stimmung stimmt, kommt es auf Fakten nicht mehr wirklich an. Wenn dann das, “was ist”, zum Beispiel die stinknormalen Trump-Wähler einer Kleinstadt in Minnesota, den gewünschten Spin nicht hergibt, dann erfindet der kreative Schreiber eben ein finsteres Nest waffentragender Dumpfbacken. Und wenn das Narrativ stimmt, sind die Fakten zweitrangig und der Schwurbel kommt prominent ins Blatt.
Als ich 2004 einmal in einer Fernsehsendung mit zwei “Spiegel”-Redakteuren über 9/11 diskutiert hatte und wir danach bei einem Kaffee noch plauderten, meinten sie, dass sie einiges in meinen Büchern ja auch richtig gut fänden – zuvor in der Sendung hatten sie mir “Verschwörungstheorien” und “schlechte Recherche” vorgeworfen – nur dass ich ihre Zeitschrift immer als “ehemaliges Nachrichtenmagazin” bezeichne, das würde ihnen überhaupt nicht gefallen. Diese Bezeichnung war mir einmal bei einem Vortrag rausgerutscht, als ich eine Spiegel-Story mit dem Titel “9/11 – Was wirklich geschah” kommentierte, und wie das so ist – wenn das Publikum lacht, nehmen wir den Gag ins Repertoire – zog diese Präzisierung der hochkarätigen Marke “Nachrichtenmagazin” dann als geflügeltes Wort seine Kreise. Zu erfahren, dass sich die “Spiegel”-Leute darüber ärgerten, war natürlich erfreulich.
Es war diese “9/11 – Was wirklich geschah”-Story – eine im Reportagestil von einem Dutzend Autoren montierte Geschichte der “wirklichen” Ereignisse – und ein Buch, das sie daraus gemacht hatten -, die ich im Oktober 2002 mit dem “Spiegel”-Redakteur Ulrich Fichtner im WDR-Radio diskutiert hatte. Nachdem Fichtner mein aus der WTC-Conspiracy-Serie auf Telepolis hervorgegangenes Buch (“Verschwörungen, Verschwörungstheorien und die Geheimnisse des 11.9.”, Verlag Zweitausendeins) im “Spiegel” als “Septemberlüge” von links mit der “Auschwitzlüge” von rechts verglichen hatte, lud uns Walter van Rossum zur Diskussion ins WDR-Funkhaus ein.
Als ich jetzt die selbstkritische Darstellung der Fälschungsserie im “Spiegel” las – verfasst von dem mittlerweile zum Vize-Chefredakteur aufgestiegenen Ulrich Fichtner erinnerte ich mich an diese Debatte. Und fand die Lektüre des Transskripts der Sendung überaus aufschlussreich.
Nicht nur medienhistorisch – der penetrante Generalverdacht von “Quellen aus dem Internet” -, sondern auch aktuell, denn es ist genau dieser Fake-Reportage-Stil, der Fichtner hier in Sachen 9/11 vorgehalten wird: die Real-Life-Suggestion, das so Tun als würde man “Terroristen” bei der Vorbereitung des Anschlags über die Schulter schauen, die ganze szenische Dramaturgie mit atmosphärischen Einsprengseln und der “Wir waren dabei und kennen die Wahrheit”-Gestus, der sich dann auch nicht scheut, diese Prosa-Melange unter dem Titel “9/11- Was wirklich geschah” als Dokument, als Nachricht, als Journalismus zu verkaufen.
Was dem kreativen Autor Roletius jetzt vorgeworfen wird, ist letztlich genau das, was seine Vorgesetzten und Ziehväter Ulrich Fichtner et. al. nach dem 11.9. September getrieben haben – mit dem einzigen Unterschied, dass sie sich Osama und die 19 Hijacker als Alleintäter nicht selbst ausgedacht, sondern vom Weißen Haus unhinterfragt übernommen und eine geile Story daraus gestrickt haben. Dass die wahren Fakten völlig unklar waren und entscheidende Fragen offen, war zweitrangig – das Narrativ stimmte und der Schwurbel kam auf die Titelseite.
Das Problem ist jetzt also gar nicht, dass ein aufgeweckter Newcomer dieses Prinzip durchschaut und sich trickreich zu Nutze gemacht hat, sondern dass man beim “Spiegel” anscheinend noch gar nicht gecheckt hat, wo das Problem eigentlich liegt. Nämlich in der Verabschiedung von der Übermittlung und Einordnung von Fakten, vom “Sagen, was ist” eines Nachrichtenmagazins – bei gleichzeitiger Hinwendung zu pseudojournalistischem Agendasetting und “Ausmalen, wie sich’s anfühlt”.
So sehr man sich beim “Spiegel” nun auch grämt – “Dieses Haus ist erschüttert. Uns ist das Schlimmste passiert, was einer Redaktion passieren kann. (…) Das beschämt uns. (…) Die meisten Kollegen reagieren erschüttert. Bei einigen fließen Tränen….” tropft es aus der jüngsten Ausgabe – helfen kann nur noch ein radikales Revirement im Sinne von Rudolf.
Narrische Zeiten eben, um es mit einem bayrischen Adjektiv zugleich zuzuspitzen und abzumildern; auf Hochdeutsch steht’s ja schon im OP.
Jetzt darf das “ehemalige Nachrichtenmagazin” (Scharfschütze B.) auch noch hinter einer anlässlich dieses “Hitlertagebuchgates” (- das Wort mit dem höchsten Genugtuungsfaktor in diesem Zusammenhang für mich -) aufgeflogenen Fake-Spendenaktion des Schlaucherls Relotius – für seine fiktiven Storyfiguren auf sein Privatkonto – her.
Ich nehme an, alle Spiegel im Hamburger Redaktionsgebäude wurden bereits auf unbestimmte Zeit abmontiert und eine Sonnenbrillenpflicht für sämtliches Personal verhängt, damit die Erbärmlichkeit jener Vorgänge nicht auch noch den restlichen Betrieb lahmlegt.
Es sollte uns, Schadenfreude beseite, doch schwer zu denken geben, wie weit es mit diesem verlogenen, wo man auch hinblickt verlogen-erfolgreichen Doitschland gekommen ist – denn das ist es, und ein anderes gibt es fast nicht mehr nach fast 30 Jahren “Sieg des Westens”… über sich selbst.
Der Witz an dem Medial aufgebauschtem Spektakel ist, dass hier so getan wird, als ob außer den von Roletius erfundenen Storys, bei der übrigen Berichterstattung dieses Magazins alles in Butter wäre. Was man da in den letzten Tagen an Aussagen so alles hören konnte. Von Ehrlichkeit in der Berichterstattung!? Journalistischen Ehrenkodex!? Beschädigung des Rufs der USA und der in ihr lebenden Menschen!? Da kamen bei mir eher Zweifel an der Zurechnungsfähigkeit dieser Personen und die Frage auf, “Was muß man zu sich nehmen, um solch einseitigen Bockmist zu verzapfen??”. In diesem Sinne, Ruhige Feiertage!
Das Problem ist vielleicht – und das sage ich als Journalist für regionale und überregionale Medien seit 16 Jahren -, dass zu viele Rezipienten “Sagen, was ist” verwechseln mit “Sagen, was man vorfindet”: So funktioniert journalistisches Storytelling nicht, selbst nicht im lokalen. Es ist eher wie ein Malen nach Zahlen, weil die abstrakten Vorgaben, vulgo das, was die Leute gewohnt sind und gemessen an Klickzahlen auch bevorzugen, bestimmen, wie die Geschichte gestrickt wird, ja wie der Journalist vor Ort die Realität sieht. Man arbeitet als Journalist bald unbewusst mit Klischees und Stereotypen, ist aber in der Lage, die differenziert zu nutzen und auch – für den vermeintlichen Erkenntnisgewinn – mit der Erwartungshaltung zu brechen.
Kann mir kein Journalist erzählen, dass er nicht schon mal Herzklopfen bekommen hat, wenn sich eine Story in großen Lettern präsentiert hat wie die Relotius-Sache mit dem Stadion in Kabul – es war eher seine Dummheit, nicht zu überdenken, dass die Fakten einfach zu checken sind. Aus Gründen der glaubhaften Bestreitbarkeit sind es deswegen im journalistischen Alltag eher die Lücken- denn Lügengeschichten, und zwar beinahe täglich: Der Insider-Bericht eines verärgerten Händlers würde die Bilanz des großen Volksfests misstönen lassen, müsste separat aufgezogen werden, um den hehren Standards gerecht werden zu können – also lässt man es in der Zeitnot. Oder der Veranstalter ist Geschäftsfreund des Herausgebers. Lügen braucht es im Normalfall gar nicht.