Schreiben wie die Maus buddelt

Dass Helmut Salzingers “Der Gärtner im Dschungel”, eines meiner alten Lieblingsbücher, jetzt wieder erscheint ist eine besondere Freude. Ich kann es allen Stadt,-und Landmenschen ob mit oder ohne Garten nur allerwärmstens empfehlen. Hier ein kleiner Auszug aus dem Vorwort, das ich für das Buch geschrieben habe:

Helmut Salzinger (1935-1993), war Literaturkritiker der „Zeit“ und Schriftsteller (“Swinging Benjamin”, „Rockpower – Wie musikalisch ist die Revolution ?“ ), Pionier und „Übervater der deutschen Pop-Kritik“ (Deutschlandfunk) und einer der ersten, die im Zuge der Hippie,-und Alternativbewegung aufs Land zogen, um sich fortan möglichst biologisch aus dem eigenen Garten zu ernähren. Das ging –  wie bei einem Stadtmenschen und Intellektuellen kaum anders zu erwarten – ziemlich schief. Doch „Der Gärtner im Dschungel“, ein Jahr vor Salzingers Tod erschienen, erzählt nicht nur die Geschichte dieses Scheiterns, sondern auch den daraus resultierenden Erkenntnisgewinn:  aus dem Herrn und Meister der Natur wird eine Mitkreatur, die den Wesen um sich herum beim Wachsen zuschaut.

Was das Verfassen von Büchern angeht, hat der Philosoph Gilles Deleuze („Für eine kleine Literatur“) einmal eine Art Mimikry empfohlen: Schreiben, wie eine Ratte sich durchs Schilf schlängelt, wie eine Maus ihr Loch buddelt. Doch wie hätte ein solches Kleinwerden der Literatur auszusehen? Kann man wirklich schreiben wie eine buddelnde Maus? Und kann man vermeiden, dabei wie Kaninchen, der eitle Besserwisser in „Pu der Bär“, zu wirken? Man kann. Und „Der Gärtner im Dschungel“ ist ein solches Buch. Kein schweres, philosophisches, sondern ein kleines, weises. Sein Verfasser, Helmut Salzinger, hat mit der Nomadologie von Deleuze/Guattari vielleicht überhaupt nichts zu tun – und doch wiederum sehr viel; er hat geradezu das Gegenteil von nomadischer Literatur geschrieben – ein Gartenbuch nämlich. Und doch scheint diese Karte eines Mikrokosmos die gesamte Welt zu enthalten. Nicht zuletzt den Übergang vom Nomadischen zum Sesshaften. Mit dem ersten Spatenstich fing nämlich alles an:

„Auf der Erde ist jeder menschliche Zugriff ein Angriff (auf etwas, das bereits vorher bestand). Und im Garten speziell bedeutet jeder Handgriff nicht nur Eingriff, sondern zugleich auch Übergriff. Jede Pflegemaßnahme bewirkt Störung und Zerstörung – neben aller Pflege. Wenn ich das total verunkrautete Stück der Himbeeren säubere, damit Licht und Luft herankommen und der Boden abtrockne, dann rennen auch hier nach allen Seiten Spinnen und Käfer weg. Der Igel sieht sich entdeckt, und die Braunelle wippt nicht mehr auf den Stützdrähten für die Himbeerranken. Überall – wörtlich: überall lebt irgendwer. In diesem Sinne ist praktisch der gesamte Planet Erde von einer wimmelnden Hülle aus Leben umgeben, und da ist es unausweichlich, daß einer, wohin er tritt, einen anderen tottritt, jedenfalls als Mensch, zumindest tendenziell. Wer dabei nicht mittun will, wird es schwer haben in seinem Leben.“

Wer zwar brillante Essays über Walter Benjamin  schreiben konnte („Swinging Benjamin“, 1972) und als „Jonas Überohr“ in der Zeitschrift „Sounds“ Meilensteine der Musikkritik setzen – doch von Natur eigentlich keinen Dunst hatte und sich dennoch aus theoretischen und praktischen Gründen fortan aus dem eigenen Garten ernähren will, ist absehbar zum Scheitern verurteilt. Und die Geschichte dieses Scheiterns ist eine der Ebenen von Salzingers Buch. Eine andere ist der Erkenntnisgewinn, der aus dem Scheitern resultiert, aus dem potentiellen bio-dynamischen Selbstversorger wird ein Gärtner im Dschungel:

 „Seither ist immer was los, selbst wenn nichts geschieht. Mein Zeitgefühl hat sich verändert. Zeit ist ein gleichmäßiger Fluß geworden…Mein Blick weitet sich, ich bekomme ein Gefühl für natürliche Rhythmen. Das Jahr schließt sich zu einer zyklischen Einheit zusammen, einer Vegetationsperiode von Wachsen, Vergehen und Ruhe. Dann eine neue Runde. Jede Pflanze nimmt daran teil, und ich nehme allmählich wahr, daß auch ich selber, wenn ich es nur zulasse, an diesem rhythmischen Kreislauf beteiligt bin. Ich gehe zwischen den Lebewesen im Garten herum und habe gelegentlich das Gefühl, selber ein solches Lebewesen zu sein. Ein Wesen wie alle, von ihrer Art und Natürlichkeit. Das Empfinden, das sich dabei zuweilen einstellt, erinnert mich an so etwas wie Glück.“

„Der Gärtner im Dschungel“ ist eine Geschichte der Wahrnehmung – der Wiedergewinnung eines Gespürs für die Ganzheit und pulsierende Allgegenwart des Lebens, der unmittelbaren Wechselwirkungen von Mikro- und Makrokosmos, von Kleinstlebewesen und Gesamt-Biosphäre. Während einst der Garten ein Stück Kultur war, das gegen die Wildnis verteidigt werden musste, gerät er nun, gegen die flächendeckende Planierung durch die Zivilisation, zu einem Asyl für die Wildnis. Und der Macher des Gartens hofft, irgendwann „zum Bewohner des Gartens geworden zu sein und recht eigentlich zu seinem Bewuchs zu gehören, wie die kleinen Käfer und Spinnen unterm Gras dazugehören.“ (….)

Ich scheue mich nicht, dieses kleine Gartenbuch große Literatur zu nennen. Nicht nur, weil es das fundamentale Thema schlechthin behandelt – mit dem ersten Spatenstich begann alles, was wir heute Kultur nennen, die Kultivierung und Kontrolle des Territoriums und des Lebens –, sondern weil es dies aus praktischer Erfahrung tut, und in einem klaren, transparenten Stil, der die aus der Anschauung von Mikro-Ereignissen gewonnenen großen und tiefen Einsichten ohne Pathos vermittelt. Als Sachbuch enthält es mehr Information über die Natur als viele naturwissenschaftliche Werke; als kulturgeschichtlicher Essay verhandelt es nicht weniger als die Grundbedingungen des Menschseins; als Gartenbuch enthält es eine Vielzahl praktischer Tipps; und als einfacher Bericht von einem, der auszog, auf dem Lande zu leben, ist es beste, weil Geschichten erzählende Literatur. „Unkraut“, meinte einst Henry Miller, „ist die weiseste aller Lebensformen“. Helmut Salzinger hat einiges davon abbekommen. Und so hat er geschrieben wie eine Feldmaus buddelt – nicht nur Stadtratten können viel bei ihr lernen.

Helmut Salzinger, Der Gärtner im Dschungel, Westend Verlag, 204 Seiten, Hardcover, 18 Euro

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