Die Akte Khalid Al-Midhar

Mathias Bröckers / AndreasHauß / Christian C. Walther: 11.09. – 20 Jahre danach. Einsturz einer Legende. Westendverlag, 1182 Seiten. 18 Euro.

Präsident Joe Biden hat Ende letzter Woche eine “executive order” erlassen, nach der im Zusammenhang mit 9/11 weitere Dokumente über die Verbindungen zwischen Saudi-Arabien und den vermeintlichen “Hijackern” offengelegt werden sollen. Da sowohl die Bush-Regierung wie auch seine Nachfolger Obama und Trump die Freigabe von Dokumenten dazu abgelehnt hatten – zuletzt hatte Trumps Justizminister Barr aus Gründen der “nationalen Sicherheit” ein Veto eingelegt – bleibt abzuwarten, ob Joe Bidens Erlaß nun wirklich praktische Folgen hat.  Und es  dann Opferangehörigen möglich wird, vor einem US-Gericht Klage gegen das saudische Königreich wegen Beihilfe zu den 9/11-Anschlägen einzureichen. Falls es wirklich dazu kommen sollte – und es dem amtierenden König und Knochensäger Bin Salman nicht gelingt, die Kläger mit vielen Millionen ruhig zu stellen – würde das freilich ein Fass ohne Boden bzw. eine Büchse der Pandora öffnen. Denn es müsste deutlich werden, dass eine solche saudische “Beihilfe” gar nicht möglich gewesen wäre ohne die schützende Hand der CIA über dem gesamten Projekt. Wie letztere bei dem angeblichen “Cheflogistiker” der Anschläge, Khalid Al-Midhar am Werke war, haben wir 2011 beschrieben. Es ist jetzt im 3.Akt der 9/11-Trilogie (Seite 873 ff.) noch einmal nachzulesen und sollte klar machen, dass eine saudische “Beihilfe” nur sehr schwer als separates Ermittlungsverfahren zu führen sein wird. Hier ein Auszug:

Fassen wir die Akte Khalid Al-Midhar noch einmal kurz zusammen: Seit 1998 wurde das Haus seines Schwiegervaters im Jemen observiert, in dem er ein und aus ging; 1999 wurde er von Omar Al-Bayoumi in Kalifornien empfangen, einem Saudi mit Geheimdienstverbindungen (von dem der Commission Report verharmlosend vermerkt, er sei ein »unwahrscheinlicher Kandidat für klandestine Beziehungen mit islamistischen Extremisten«); im Januar 2000 nahm er an einem Al-Qaida-Planungstreffen in Kuala Lumpur teil, das vom malaysischen Geheimdienst auf Video aufgezeichnet und den US-Behörden übermittelt wurde; er und seine »Studien«-Kollegen in San Diego erhielten über ihren Mentor monatliche Schecks von der Frau des saudischen US-Botschafters Prinz Bandar; im September 2000 nahmen Al-Midhar und Al-Hazmi eine neue Wohnung in San Diego, im Haus des FBI-Informanten Abdussattar Shaikh. Danach reiste Al-Midhar in den Jemen, wo im Oktober 2000 der Anschlag auf das US-Schlachtschiff Cole erfolgte, für den sowohl Gäste des safehouse seines Schwiegervaters als auch Teilnehmer des Malaysia-Treffens verdächtigt wurden. Zum selben Zeitpunkt wurde der oberste Terroristenjäger des FBI, John O’Neill, davon abgehalten, im Jemen zu ermitteln, und erhielt von Bushs Botschafterin Barbara Bondine Einreiseverbot. Stattdessen wurde Khalid Al-Midhar im Juni 2001 ein frisches Einreisevisum für die USA erteilt.

Der unermüdliche Al-Qaida-Jäger John O’Neill indessen trat frustriert von seinem Amt zurück, und kaum hatte er Ende August sein Büro verlassen, setzte die CIA Khalid Al-Midhar auf die Watchlist für die Zuwanderungs- und Einreisebehörde (INS) und die Polizei. In diesem Eintrag wird er als »gefährlich und bewaffnet« bezeichnet, als je- mand, der einer genauen Überprüfung (»secondary inspection«) zu unterziehen ist. Am 4. September widerrief das State Department sein gültiges Visum wegen »Beteiligung an terroristischen Aktivitäten«, am 5. September wurde dieser Widerruf in die INS-Watchlist eingetragen. Erst eine knappe Woche vor den Anschlägen also wurde der spätestens seit 1998 der CIA als militanter Islamist bekannte Khalid Al-Midhar, der bei einem FBI-Informanten zur Untermiete wohnte, zur Fahndung ausgeschrieben. Allerdings nicht wirklich, wie aus einem kaum beachteten Staff-Report der 9/11-Commission hervorgeht, der vier Wochen nach dem Abschlussbericht veröffentlicht wurde. Denn der Eintrag in die INS-Liste vom 5. September 2001, dass sein Visum widerrufen worden sei, war mit der Anweisung versehen, dass Al-Midhar nicht verhaftet werden solle, da das State Department ihn »als möglichen Zeugen in einer FBI-Untersuchung« identifiziert habe. Eine schützende Hand (→ Kap. 17) gewährte den späteren »Hijackern« also auch in den letzten Tagen noch immer freies Geleit – und ermöglichte es Kahlid Al-Midhar, seine Rolle als »Logistiker« (Spiegel) des 11.9. zu Ende zu spielen.

Wir unterdessen fragen uns, ob die Logistik und die Verbindungen des Khalid Al-Midhar nicht sehr stark darauf hindeuten, dass es sich bei ihm um ein »Asset«, einen »IM«, einen Agenten handelte, der in den USA tun und lassen konnte, was er wollte, weil er im Auftrag eines Geheimdiensts unterwegs war. Der zwar auf der Watchlist der CIA stand, weil er engste Verbindungen zu einem Al-Qaida- Nest im Jemen unterhielt, der aber von den saudischen Royals alimentiert und von saudischen Agenten umsorgt wurde und der bei einem FBI-Mitarbeiter zur Untermiete wohnte – kein einsamer Terrorist under cover im Feindesland, sondern ein Agent mit besten Kontakten.

Der Autor Lawrence Wright sprach mit einigen der Beamten der FBI-Einheit I-49, die für Al-Midhar und Al- Hazmi zuständig gewesen wäre, hätte sie denn von seiner Rolle erfahren. Dass sie davon nicht erfuhren, so glaubt »mindestens die Hälfte der Jungs im Büro«, hatte damit zu tun, »dass die CIA Al-Midhar und Al-Hazmi schützte, weil sie hoffte, die beiden zu rekrutieren«. Oder, können wir hinzufügen, dass die CIA sie im Joint Venture mit den saudischen Kollegen schon rekrutiert hatte als V-Männer (oder Agents Provocateurs?) in der »Logistikzentrale« von Al-Qaida …” (…)

Aus:

Mathias Bröckers / Andreas Hauß / Christian C. Walther, .: 11.09. – 20 Jahre danach. Einsturz einer Legende. Westendverlag, 1182 Seiten. 18 Euro.

3 Comments

  1. Zufällig gestern Verblüffendes im Mainstream-TV:

    https://www.daserste.de/information/reportage-dokumentation/dokus/sendung/slahi-und-seine-folterer-102.html

    Dem Typen wurde vorgeworfen, drei der angeblichen Bruchpiloten angeworben zu haben und er wurde über Jahre in Guantanamo gefoltert. Dadurch abgepresste Geständnisse sollten per Lügendetektor verifiziert werden, aber Fehlanzeige, ihm war nichts nachzuweisen. Heute vergibt er seinen Folterern, die lassen sich sogar interviewen, plaudern im Videocall mit ihm und beschweren sich, dass sich niemand um ihre [sic!] Traumata kümmert…

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