Für eine neue Friedenspolitik

Als Egon Bahr im August 2015 93-jährig gestorben war, wurde in den Nachrufen und Würdigungen oft darauf hingewiesen, dass es ohne die Entspannungspolitik Richtung Ostblock, die er seit Mitte der 60er Jahre mit seinem Chef Willy Brandt betrieben hatte, eine deutsche Wiedervereinigung so wohl nicht gegeben hätte. In meiner CDU-dominierten Provinzheimat wurden Brandt und Bahr damals als “Vaterlandsverräter” beschimpft und ich wählte bei meiner ersten Bundestagswahl 1972 nicht nur Willy Brandt, sondern war vorher sogar in die SPD eingetreten. Um nach ein paar Monaten mein Parteibuch aber unter Protest wieder zurück zu schicken, nachdem die neue SPD-Regierung verkündet hatte, die vor der Wahl versprochene Abschaffung der “Gewissensprüfung” für Kriegsdienstverweigerer doch noch beibehalten. Die alte Kommunisten-Parole “Wer hat uns verraten – Sozialdemokraten!” kannte ich damals zwar nicht, fühlte mich aber persönlich verarscht, weshalb es mit meiner SPD-Liebe nichts mehr wurde. Die Ostpolitik von Brandt und Bahr fand ich aber nach wie vor absolut richtig, zumal sie mir als Student in Westberlin dank Transit,-und Passierscheinabkommen konkrete Reiseerleichterungen brachte. Dass die deutsche Wiedervereinigung 1989 so nicht stattgefunden hätte ohne diese frühe Ostpolitik, für die Egon Bahr das Motto “Wandel durch Annäherung” geprägt hatte, wurde in den Nachrufen auf das sozialdemokratische “Urgestein” zwar überall vermerkt. Weniger aber wurde die Frage gestellt, warum auf diesen visionären ”Architekten”, “Baumeister” und “Wegbereiter” einer friedensfördernden und  erfolgreichen Politik in der SPD niemand mehr wirklich hörte. Denn nötig schien das angesichts der fatalen Russland,- und Ukrainepolitik allemal.

Aus diesem Grund hatte ich in “Wir sind die Guten – Ansichten eines Putinverstehers”, dem Buch das ich mit Paul Schreyer Ende 2014 veröffentlicht hatte, Egon Bahr zweimal zitiert und ihm ein Exemplar in sein Büro geschickt. Und fiel fast vom Hocker als er mich Anfang März anrief und sagte: “Ich habe ihr Buch gelesen und finde es großartig. Habe viel darin gelernt.” – “Herr Bahr, ich werde rot”, antwortete ich, “dass ein junger Spund einem alten Meister wie ihnen…” – “Wie alt sind Sie denn ?”  – “60” – „Na dann sind Sie ja wirklich ein junger Spund. Aber alt genug. Als Brandt mich zum ersten Mal mit nach Bonn zu Adenauer mitnahm, sagte der: `Politiker unter 50 sind nicht ernst zu nehmen, die sind noch in der Pubertät´, was mich maßlos aufregte. Heute würde ich sagen, er hatte recht.” Nach dem Lacher sprachen wir noch ernst und fast eine halbe Stunde über die politische Lage und Bahr erzählte, dass er gerade an einer Rede schreibe, zu der von der Deutsch-Russischen-Gesellschaft eingeladen worden sei. “Ich fahre aber jetzt erst mal in Urlaub und weiß nicht, ob ich sie überhaupt halten werde.” – “Warum nicht?” – “Die Lage ist brisant, wenn sie weiter eskaliert sind Jahrzehnte der Ostpolitik in Trümmern. Und auf einem Scherbenhaufen will ich nicht reden.”

Nachdem dann das Minsker Abkommen geschlossen war hatte Egon Bahr diese Rede dann Ende März 2015 noch gehalten, kurz nach seinem 93. Geburtstag – und es war nicht sein letzter Versuch einen solchen Scherbenhaufen zu verhindern. Sowohl in Washington wie auch in Moskau hielt er in diesem Sommer zwei weitere Vorträge – über die deutsche „Verantwortungspartnerschaft“ zwischen diesen beiden Nationen. Diese beiden Reden eröffnen einen soeben erschienenes Buch, das seine langjährige Lebensgefährtin und Ehefrau Adelheid Bahr jetzt herausgegeben hat: „Warum wir Frieden und Freundschaft mit Russland brauchen – Ein Aufruf an alle“ .

Dass nach einer Forsa-Umfrage in diesem Jahr 94% aller Deutschen gute Beziehungen für wichtig halten, spiegelt sich in dem übergreifenden und überparteilichen Spektrum der Autorinnen und Autoren wider. Von Matthias Platzeck und Sigmar Gabriel von der SPD über Wolfgang Kubicki von der FDP und den Linken Oskar Lafontaine bis zum CSU-Mann Peter Gauweiler und der Grünen Antje Vollmer. Militärs wie der ehemalige General Harald Kujat, Musiker wie Justus Frantz und Konstantin Wecker und zahlreiche Osteuropa-Experten wie Gabriele Krone-Schmalz zeigen in ihren Beiträgen auf, warum Egon Bahrs berühmte Formel der deutschen Ostpolitik – „Wandel durch Annäherung“ – heute notwendiger denn je scheint. Und die auf weitere Konfrontation setzenden Politik der Bundesregierung dringend einer Revision bedarf – nicht in Form eines deutschen „Sonderwegs“, sondern in Form einer vermittelnden und ausgleichenden Position Deutschlands zwischen den Blöcken. Wie das konkret gehen kann, hat Egon Bahr in seinen letzten Reden – etwa in Bezug auf die Krim – klar gemacht – mit der feinen Unterscheidung zwischen Anerkennung und Respektierung, analog der westdeutschen Politik gegenüber der DDR: keine völkerrechtliche Anerkennung, aber staatsrechtliche Respektierung. Diese Haltung der Regierung Willy Brandts hatte 20 Jahre lang den völkerrechtlichen Rahmen abgegeben, dank dem dann viele Verträge und internationale Abkommen möglich wurden. Eine Politik, die nicht nur den Frieden sicherte, sondern auch das Leben auf beiden Seiten der Grenze verbesserte – bis hin zum Fall der Mauer und der Wiedervereinigung. Die Aufrüstung der Nato und der Bundeswehr, wie sie die aktuelle Bundesregierung betreibt, ist das genaue Gegenteil einer solchen Politik. Umso wichtiger ist dieser Aufruf von Persönlichkeiten aus allen politische Lagern, dem man viele Leserinnen und Leser wünschen muss – nicht nur in der Bevölkerung, die ohnehin eine Ostpolitik im Geiste von Egon Bahr verlangt. Sondern vor allem in den Parteien der Regierungskoalition, die kräftig dabei ist, diese so erfolgreiche und friedensichernde Ausrichtung der deutschen Politik in einen explosiven Scherbenhaufen zu verwandeln.

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8 Comments

  1. Wer in Deutschland Frieden und Freundschaft mit Russland fordert, begibt sich automatisch in Widerspruch zu den (politischen Eliten der) USA.

    Friedensvertrag und Wiedervereinigung – als neutrales Deutschland – hatte die UdSSR schon 1952 angeboten. Der Westen wollte nicht, denn es ging darum, einen Kalten Krieg zu führen. Als es 1990 dann zur Einheit kam, weil die UdSSR diesen Krieg ökonomisch verlor und seine Satellitenstaaten verkaufen musste, geschah es nach Konditionen, die der Westen diktierte.

    Damals wie heute brauchen bestimmte Kräfte Deutschland als Waffe gegen Russland. Dass die deutsche Regierung notorisch die Interessen des eigenen Souveräns (das Wahlvolk) ignoriert, ist ja nichts neues. Bislang konnte die deutsche Elite – wenn sie sich überhaupt zu Erklärungen herabließ – auf den großen Bruder in Washington und das Bündnis mit ihm verweisen.

    Aber jetzt hat der vom amerikanischen Volk gewählte Präsident vom neoliberalen Globalismus abgeschworen, führt einen Wirtschafts- und Handelskrieg gegen seine Vasallen und nennt sie auf offener Bühne “Feinde”. Seine heimischen Gegner werfen ihm eine zu große Russland-Nähe vor. Ein deutscher Außenminister nannte ihn “Hassprediger”. Bündnisse sehen anders aus.

    Wem dient eigentlich das deutsche Politestablishment, wenn es weder den Interessen des eigenen Wahlvolks, noch denen des gewählten Vertreters des wichtigsten Bündnispartners folgt? Dient es vielleicht einer transatlantischen Mafia, die von Wählervoten – ob hier in Europa oder in Übersee – völlig unbeeinflusst, ganz eigene Ziele verfolgt? Und wie demokratisch ist das?

    Wahlvolk, Demokratie, Völkerrecht – was hat die gegenwärtige deutsche Polit-Elite eigentlich noch nicht verraten? Wird sie auch noch den Weltfrieden verraten, indem sie sich von der Transatlanten-Mafia in einen Krieg mit Russland treiben lässt?

  2. Danke Ihnen für diesen guten Beitrag. Danke aber auch an den Kommentar von Stefan, der eine gute Überlegung hierzu hatte.
    Ich hoffe, dass es auch in Zukunft noch genügend Menschen geben wird, die diese Dinge durchschauen.
    Es ist jedoch zu befürchten, dass auf Zeit gespielt wird, so dass mit der Zeit alle Menschen, die dieses Spiel noch durchschauen können, mit der Zeit aussterben werden und eine neue Menschenmasse abgewartet wird, die so zugelabert und aufgehetzt wird von dem täglichen Gehetze, dass dort keiner mehr von diesen neu bearbeiteten Menschen noch vernünftig reagieren wird. Also macht weiter mit der Klarstellung der Wahrheit, bevor es sonst nur noch die einseitig bearbeiteten Zombies geben wird.

  3. Eine richtig gute Aktion. Wir waren im letzten Jahr das erste Mal in Moskau und St. Petersburg und sind begeistert von diesem Land und seinen Menschen. Man fliegt nur zweieinhalb Stunden von Hamburg nach Moskau (eine faszinierende Stadt, die uns sehr gefallen hat). Uns verbindet viel mit Russland, viel mehr als mit vielen anderen Ländern. Ich kann nur jedem empfehlen, einmal dorthin zu fahren, um sich sellbst ein Bild zu machen. Wir dürfen uns nicht verhetzen lassen. Im 2. Weltkrieg, an dem Deutschland leider unstrittigerweise nicht “unbeteiligt” war, sind 27 Millionen Menschen in Russland (bzw. der damaligen Sowjetunion) umgekommen. Trotzdem reichen uns deren Kinder, Enkelkinder die Hand. Diese sollten wir in Freundschaft drücken. Es gibt Kräfte, die die Freundschaft und Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Russland seit über 100 Jahren aus geopolitischen Gründen und aus Angst vor Konkurrenz hintertreiben. Man will uns in einen Krieg mit Russland treiben. Dies gilt es mit aller Kraft zu verhindern.

  4. Leider gibt es immer weniger Politiker vom Typus eines Egon Bahr. Wenn man sich die Politik der letzten Jahrzehnte anschaut, dann komme ich nicht umhin, die Poltitik von Russland als Umsichtig zu bezeichnen, welches ich von den USA und Westeuropa in keiner Weise behaupten kann. Der Leser @Stefan hat es in seinem Beitrag gut beschrieben. Es sind Kräfte am Werk, welche Sie Herr Broeckers in ihren Büchern beschrieben haben, welche schon von Eisenhower und Kenndy als Deep State bezeichnet wurden und vor deren wachsenden Einfluss auf die Politik beide warnten. Genau diese sind es welche kein Interesse an einer friedlichen Welt haben. Sie sitzen in Führungspositionen, drängen den sprunghaften, leicht beeinflussbaren Trump zu einer noch unkalkulierbareren Politik und stellen Ihn gleichzeitig an den medialen Pranger. Dasselbe tun diese Kräfte, in dem sie in Westeuropa dafür sorgten, dass fast nur noch Personen in den Regierungen sitzen, welche in Transkontinentalen Thinktanks “Made by USA” ihr Rüstzeug erhielten und nun eine Politik forcieren welche NOCH! “großen” Teilen der Bevölkerung zuwider ist. Allerdings wird die gleichgeschaltete Medienmaschinerie ihr Trommelfeuer weiter gegen all die Andersdenkenden fortführen. Darum werden solche aufklärenden Beiträge wie dieser von Ihnen verfasste, immer notwendiger. Danke dafür!

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