“There’s No Business Like Shoa Business” – das Wortspiel hörte ich zum ersten Mal von dem israelischen Dramatiker Jehoschua Sobol, den ich 1984 traf, als sein Stück “Ghetto” in Berlin inszeniert wurde. Wir redeten über sein Stück, in dem es um die Konfrontation zwischen linken und rechten Juden im Ghetto Vilnius (bzw. im aktuellen Israel) ging, und nach dem Interview sprach ich ihn noch auf einige weitere Bücher und Werke zum Thema des Holocaust, der Shoa, an. Und Sobol sagte so etwas wie “Oh, that is not my thing, you know, that’s Shoa-Business”. Ich runzelte zuerst die Stirn, weil ich Show-Business verstanden hatte, aber dann fiel der Groschen. Wir lachten und sprachen dann noch über die künstlerischen Möglichkeiten, die ideologische Instrumentalisierung des Holocaust als Propaganda zu überwinden – und den rechten, militaristischen Zionismus zugunsten eines demokratischen, zivilen Israel.
Ich weiß nicht wie Jehoschua Sobol auf das Gedicht von Günter Grass reagiert hat, aber ich vermute stark, dass er die Sache ähnlich sieht, wie der Kommentator der Haaretz, Gideon Levi, der meint “Israelis can be angry with Gunter Grass, but they must listen to him” – und sich in seiner Haltung wohltuend von dem delirierenden Amoklauf mit der Auschwitz-Keule unterscheidet, den der hiesige Medienmainstream veranstaltet. Dieser rasende Philosemitismus, der auf Knopfdruck “Antisemitismus” schreit, ist “Shoa Business” live und in Reinkultur, Instrumentalisierung des Holocaust für politische, militärisch/industrielle Zwecke – in diesem Fall für einen von Israel seit Jahren propagierten “Präventiv”-Krieg gegen Iran, über dessen konkreten Beginn in den westlichen Medien seit Wochen spekuliert wird. Weil der Iran angeblich bis an die Zähne (und demnächst mit Atombomben) bewaffnet schon an seinen Grenzen steht, bereit Israel und die gesamte Judenheit zu vernichten.
Diese groteske Realitätsverzerrung (siehe Karte) ist – wie schon bei den nicht vorhandenen WMD des Irak – ein publizistischer Grundpfeiler der Kriegsstrategie und sie funktioniert durch flächendeckende Medienpenetration. Nur was wieder und wieder repetiert wird, bleibt hängen – und so wurde in den letzten Jahren mit ein paar falsch übersetzten Verbalinqurien die Aggresivität der iranischen Außenpolitik wieder und wieder beschworen. Und wie schon beim Irak sind nicht vorhandene Massenvernichtungswaffen und die dadurch drohende die “Gefahr eines neuen Holocaust” permanent in den Nachrichten. Diese Propagandaoperation hat Grass nachhaltig gestört und ihr den Zauberstab der Definitionsmacht und Meinungshoheit entrissen – der alte Blechtrommler hat für einen Moment die Kriegstrommeln zum Schweigen gebracht und der Welt einen Durchblick auf die wahren Größenverhältnisse im Konflikt Israel/Iran gebracht: 500 zu 0. Zählt man die rund um den Iran herum stationierten USA mit ihren 5500 Nuklearbomben dazu liegt das Verhältnis von Angreifer und Verteidiger, Täter und Opfer bei 6000 : 0. Zugunsten des “Opfers”, was somit garantiert keines ist und nach allen Gesetzen der Logik und des Menschenverstands auch keines werden kann.
Weil aber diese Gesetze im Reich von Lord Voldemort auf den Kopf gestellt sind wie unter Orwells Big Brother – War is peace. Freedom is slavery. Ignorance is strength. – werden diejenigen, die diese groteske Realitätsverschiebung beim Namen nennen mit der “magischen Verfolgungsmarke” belegt. Das ist nun im Falle Grass mit einer derart überzogenen Hysterie geschehen, dass das bis dato wie geschmiert laufenden “Shoa-Business leidet – denn wie das so ist, wenn ein Verkäufer mit seiner Werbung maßlos überzieht: die Kunden werden mißtrauisch, fragen nach, vergleichen. Was ihr gutes Recht ist und ihnen niemand verwehren kann, der weiter im Geschäft bleiben und seine Reputation behalten will. Und da noch die schärfsten Gegner des Gedichts jetzt unisono betonen, dass Kritik an Israel “natürlich” erlaubt und auch seine Massenvernichtungswaffen “kein Tabu” sind – dann könnte ja die öffentliche Diskussion darüber jetzt endlich beginnen. Auch die deutschen Waffenlieferungen könnten zum Thema werden, wenn nicht mehr bei jedem Einwand reflexhaft das “Existenzrecht” in die Waagschale geworfen wird, sondern über das “Expanisonsrecht” Israels diskutiert werden kann. Ebenso wie über die Apartheidspolitik, die man bis dato nicht in den Mund nehmen durfte, ohne vom Holocaust-Hammer der Inquisition getroffen zu werden.
Noch ist von einem derart offenen Diskurs aber wenig zu merken, zwar rudern die Grass-Verleumder ein bißchen zurück – Israels Einreiseverbot und Forderungen des Nobelpreisentzugs sind dann doch wohl zu nordkoreanisch für die angeblich “einzige Demokratie im Nahen Osten” – doch im Grundtenor regiert weiterhin das große “Aber”. Denn natürlich sei “Kritik an Israel” jederzeit erlaubt – doch dann folgen das große “Aber” und spaltenlange Ergüsse über das Seelenleben und die Befindlichkeiten des Autors, seiner Vergangenheit, seines Alters, seiner verheimlichten Nazi-Jugendsünden. Was nichts anderes ist als das Niedermachen des Botschafters zwecks Verleugung der Botschaft. Oder hat man in den Leitmedien jetzt schon eine Recherche über die israelische Nuklearprogramm gelesen, oder darüber, wie einst Adenauer erpresst wurde, hinter dem Rücken der USA das erste Uran dafür zu liefern, oder eine Debatte darüber, inwieweit der Weltfrieden aktuell eher von der Politik der USA und Israels bedroht ist als von der des Irans ? Und ob der Doppelstandard der westlichen Politik, den man zugespitzt auf die Formel bringen könnte “Israel darf alles” tatsächlich so alternativlos ist, dass er auch weiterhin ein Tabu bleiben muß ? Wie kann die Sicherheit des Landes garantiert werden, wenn es abrüstet und sich in seine völkerrechtlich anerkannten Grenzen zurückzieht ? Diese großen und wichtigen Fragen müssen auf den Tisch und inflationäres Geschrei von Hitler, Holocaust und Antisemitismus ist keine Antwort. Wenn Grassens letzte Tinte dazu den Anstoß geben könnte wäre es ein Segen – für Israel, für Deutschland, für den Weltfrieden.