9/11-Pseudo-Wissenschaft

Gibt es eine “Generation 9/11 ?” möchte die Uni Duisburg erforschen und hat dazu ein Online-Forum eingerichtet. „Mithilfe der Gruppendiskussion wollen wir untersuchen, wie die Erlebnisse vom 11. September gemeinsam erzählt, gegenseitig ergänzt und beurteilt werden“, so der Projektleiter Prof. Carsten Ullrich. Ein durchaus interessantes und lobenswertes Unterfangen, den Befindlichkeiten in Sachen 9/11 mithilfe der empirischen Sozialforschung wissenschaftlich näher zu kommen, sollte man denken – doch was sich  in dem seit Mitte März geöffneten Forum  “Nach 911”   abspielt, hat mit Wissenschaft wenig zu tun, denn sämtliche Beiträge, die Zweifel an der offiziellen Legende äußern, werden umgehend gelöscht. Wie hier und hier  ausführlich dokumentiert. Bei dieser   Studie geht es somit offensichtlich nicht darum, dem weiterverbreiteten Unglauben an die 9/11- Legende auf die Spur zu kommen. Wenn  89,5 Prozent der deutschen Bevölkerung glauben, dass die US-Regierung zu 9/11 “nicht die ganze Wahrhheit gesagt hat” und 38% der unter 39-jährigen, nach einer repräsentativen Umfrage der ZDF Forschungsgruppe Wahlen im Februar 2012 , überzeugt sind, dass die US-Regierung selbst in die Anschläge involviert war – und diese weiterverbreiteten und massiven Zweifel in einer soziologischen Untersuchung über die “Erlebnisse” nach 9/11 schlicht  ausgeblendet bleiben, ist der wissenschaftliche Wert dieser Forschung gleich Null.  Man kann zwar auch zB den Atheismus empirisch untersuchen und dabei alle “Ungläubigen” ausblenden – man erhält dann aber  nicht das Bild einer “Generation”, sondern nur eines darüber, was Gläubige vom Atheismus halten, denn Ungläubige wurden ja  gar nicht befragt. Insofern könnte die Duisburger Studie dann doch noch einen, wenn auch zweifelhaften Wert haben, nämlich zu eruieren, wie sich  die “Gläubigen” – also Menschen, die das Narrativ von Osama und den 19 Teppichmessern als Alleintätern des 11.9.  für die Wahrheit und Realität halten – mit dieser Legende fühlen.

Wie die Bevökerung die Informationen der Medien über das Verbrechen und die Reaktionen der Politik darauf berurteilen, ob und wie die Menschen empfinden, dass 9/11 politisch ausgeschlachtet wird, ob und wie konkret sich die Deutschen  vom “Al Qaida Netzwerk”, vom “Islamismus” bedroht fühlen oder von der Politik der USA usw….. all das sind interessante und wichtige Fragen, die mit den Mitteln der empirischen Soziologie zumindest näherungweise beantwortet werden könnten  – wenn sie wissenschaftlich und vorurteilsfrei an den Forschungsgegenstand heranginge. So aber kann auch  die Duisburger Untersuchung als ein weiteres Produkt der 9/11-Pseudo-Wissenschaft gelten, jenes Expertentums, das mit Nebelkerzen und propagandistischem Geschwalle über das V-Wort nichts anderes im Sinn hat, als dem nackten Kaiser neue Kleider anzudichten.

Der “S-Bahn Peter” von der CIA

UPDATE 23.03.: Günter Langer, umherschweifender Haschrebbel von einst und Zeitzeuge, hat über den  VS-Agenten Peter Urbach ein detailliertes Dossier  zusammengestellt.

“Peter Urbach soll in Kalifornien gestorben sein. Der V-Mann und Agent provocateur besorgte der ersten Generation der RAF Waffen und Equipment. Aus historischer Perspektive müsste der Berliner Verfassungsschutz als Pate der Roten-Armee-Fraktion gelten.” berichtete vor einigen Tagen  die Süddeutsche Zeitung – und die Perspektive ist durchaus richtig. Ebenso wie unsere Überschrift, die den V-Mann des Berliner Verfassungschutzes, der das Umfeld der  eher auf Spaßguerilla  ausgerichteten “Kommune 1” zum Terror anstiftete, der CIA zuordnet. Denn Verfassungsschutz und Polizei waren in den Frontstadt des Kalten Kriegs weisungsgebunden. Und dass die CIA die  direkt neben ihrem Hauptquartier in der Clayallee auf dem Campus der Freien Universität entstehenden “Studentenunruhen”  nicht nur im Auge hatte, sondern auch  Gegenmaßnahmen ergriff, davon kann mit Sicherheit ausgegangen werden.

1966 hatten die Studenten die erste Anti-Vietnamkriegs-Demonstration organsiert- die erste große gegen die USA gerichtete Demo in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg. Federführend bei der Organisation der Proteste waren dabei neben dem Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) und seinem Chef Rudi Dutschke vor allem der ASta der FU, dem zu dieser Zeit Wolfgang Lefèvre vorstand. Auf Rudi Dutschke schoß im April 1968 der  “verwirrte Einzeltäter” Joseph Bachmann, der zuvor  in einem braunen Terrorcamp ausgebildet worden war – und dass die Erschießung des Studenten Benno Ohnesorg im Juni 1967 kein Zufall, sondern eine gezielte Hinrichtung war,  steht nach denn erst unlängst entdeckten Fotos über die Ereignisse  ebenfalls fest. Nachdem der “Spiegel” über diese Fotos berichtet hatte, sprach ich mit einem Freund darüber, der damals an der FU studierte. Aus den Fotos geht hervor, dass der Todesschütze Karl-Heinz Kurras mit dem Einsatzleiter des Verfassungsschutzes Helmut Starke und weiteren Beamten zusammenstand, dann unbedrängt auf Ohnesorg zuging und ihm in den Kopf schoß. Aber warum dieser eher unpolitische Germanistikstudent, der die Demo vor der Deutschen Oper schon verlassen hatte und 200 Meter weiter in einem Hof stand ? “Ich glaube, er wurde mit Wolfgang Lefèvre verwechselt,” sagte mein Freund. “Der war groß, schlaksig und sein Markenzeichen war, dass er immer ein rotes Hemd trug.” Ein rotes Hemd, so wie der große, schlanke Benno Ohnesorg an diesem verhängnisvollen 2. Juni 1967.  Das schien mir die erste plausible Antwort auf die Frage – und mit den jetzt aufgetauchten Fotos, in denen der Schütze vor dem Mord mit den Geheimdienstlern zusammensteht, macht das Szenario Sinn. Denn natürlich hatte die Einsatzleitung Bilder der “Rädelsführer” (Dutschke, Lefèvre etc.) dabei – und da, im dunklen Hof, schien doch einer von ihnen zu stehen, dem man dann “in Notwehr” eine Sonderbehandlung angedeihen ließ.

Politische Morde gehören ebenso wie der Agent Provocateur seit je zum Standardrepertoire der Dienste, um legale Protesbewegungen zu radikalisieren und der Staatsgewalt Gründe zum gewaltsamen Einschreiten zu liefern. Benutzt werden dazu waffengeile Spezialisten wie der Polizeibeamte Kurras oder an der langen Leine geführte “Einzeltäter” wie Lee Harvey Oswald oder Joseph Bachmann – und Agenten wie Peter Urbach, die dafür sorgen, dass es bei der Empörung über diese Morde nicht bei den Puddingattentaten bleibt, wie in der “Kommune 1”, sondern aus Stinkbomben echter Terror wird. CIA und NATO haben diese Methode im Rahmen der Operation Gladio  und der  “Strategie der Spannung”  jahrzehntelang so erfolgreich durchexerziert, dass man sie mit Fug und Recht als Großpaten des Terrors bezeichnen kann. Und zwar als immer noch aktive, denn ihre Handschrift ist bis heute nachweisbar, von “Al Qaida” bis “NSU”.  Weil diese Patenschaften im Namen des Staates stattfinden wird  Letzteres aktuell noch als “Verschwörungstheorie” diffamiert – so wie damals in Bezug auf Benno Ohnesorg die Behauptung “Politischer Mord”.  Doch wie die Geschichte zeigt wird die Verschwörungstheorie von gestern oft zur historischen Wahrheit von morgen – fatal ist nur, dass dazwischen meistens mehrerer Jahrzehnte liegen…

Happy Birthday: Juri ist gelandet

Gestern früh um 5.41 ist mit Juri mein drittes Enkelkind, der zweite Enkelsohn und der nächste “Stammhalter” sicher und wohlbehalten auf der Erde gelandet. Früher, als die Frauen noch das Heft in der Hand hatten und die Männer noch echte “Husbands”  waren – die ans Haus gebundenen, die nur Kinder zeugen und arbeiten durften – spielte das keine große Rolle, aber seit ca. 4.000 Jahren haben die Männer (zumindest pro forma) die Regie übernommen und die meisten Kinder tragen den Namen ihres Vaters.  Das war bei  meinem Sohn so und ist auch jetzt so – die Fortsetzung der “Dynastie” ist also zumindest für die nächste  Generation sichergestellt. Auch wenn jedes Kind ein Glück und ein großer Gewinn ist,freut das denn Großvater  noch ein mal ganz besonders. Nach dem anstrengenden Anflug hat der kleine Juri  sich an seinen ersten Tag auf dem Raumschiff Erde erstmal ausgeruht und meistens geschlafen.  Aber auch so hat er sicher gespürt, dass er seinen Eltern und der ganzen Familie herzlichst willkommen ist. Happy Birthday!!!

Vorsicht Verschwörung!

Am 28.2 lief im ZDF die Sendung “Vorsicht Verschwörung” und die Ankündigung machte schon klar, dass dies wieder eine der  Sendungen zu 9/11  ist, die ich mir nicht mehr ansehen kann. Weil der Effekt absehbar ist: nach dem ersten Kopfschütteln, und dem zweiten,  machen sich unweigerlich Empörung und Zorn über den verlogenen Dreck breit, gefolgt von Niedergeschlagenheit, Trauer und anhaltender schlechter Laune.  Zu oft, zumal um den Jahrestag im letzten September herum, hatte ich Ausnahmen gemacht und Beiträge solchen Kalibers angeschaut, in der Hoffnung  auf einen Funken neuer Erkenntnis – oder ein wenigstens ein brauchbares Argument, meine bisherigen Erkenntnisse zu überprüfen oder gar zu revidieren. Aber da kam nichts und wieder nichts,  stattdessen immer dasselbe niveaulose Geschwätz über das V-Wort.  Das will ich mir  mir einfach nicht mehr antun.

Aber zum Glück gibt es depressionsfeste, tapfere Indianer wie Sitting Bull, die sich diesen pseudo-journalistischen Müll  nicht nur gelassen ansehen können, sondern den ekelerregenden Auswurf der Pre$$titutes hernach auch noch auf den Obduktionstisch packen und die Desinformationen haarklein sezieren. Auf dass auch noch der Letzte unter dem medienkritischen Mikroskop erkennen kann, um was es sich  handelt: Propaganda, Desinformation, Lügen. Gäbe es eine Ethikkommission für Journalismus würden die Verantwortlichen  solcher Beiträge –  und  ca. 95 % der gesamten 9/11-Berichterstattung – natürlich  umgehend disqualifiziert. Aber eine solche Aufarbeitung wird wohl erst in 40-50 Jahren geschehen, wenn alle Beteiligten und die meisten Betroffenen schon im Grab liegen und die Historiker der Zukunft anhand sich öffender Archive die Details dieser grandiosen Gehirnwäscheoperation offenlegen. Was schief gelaufen ist kann man freilich jetzt schon feststellen: die Mainstream-Medien haben die Verpflichtung zur Recherche ignoriert und sich zu Stenographen und Lautsprechern der Regierungen degradieren lassen. Und als zumindest einige hellere Köpfe in den Redaktionen merkten, was da läuft, gab es schon kein Zurück mehr –  und so halten sie, wenn sie anständig sind, wenigstens den Mund, oder aber erzählen das Märchen von Osama und den 19 Räubern völlig ungeniert  immer weiter. Weil es sich bei diesem Märchen eindeutig um eine Verschwörungstheorie handelt, für die valide, gerichtsfeste Beweise  nicht vorhanden sind, werden uns Propagandastücke wie “Vorsicht Verschwörung” noch lange erhalten bleiben. Wo ein Märchen als Realität verkauft wird,  muß jede Kritik daran als  irreale Phantasie abgetan werden; und Kritiker als Märchenonkels mit UFO,- Lady-Di oder Bielefeld-Mumpitz in einen Topf gerührt. Anders ist das große Lügengebäude einfach nicht zuhaltern. Uns bleibt da nur die Rolle des kleinen Kindes aus dem Märchen “Des Kaisers neue Kleider”  und die Feststellung, dass das Osama-Märchen so bar jedes Realitätsgehalts ist wie der Kaiser bei Andersen nackt.

Selbsthilfe oder Staatshilfe ?

Zum von der UN 2012 ausgerufenen internationalen Jahr der Genossenschaften und zum 20. Geburtstag der taz-Genossenschaft im kommenden April ist soeben das Buch “Gewinn für alle – Genossenschaften als Wirtschaftsmodell der Zukunft” erschienen. Neben dem aktuellen Boom an neuen Genossenschaften beleuchtet der von Konny Gellenbeck herausgegebene Band auch die Geschichte der solidarischen Ökonomie und die Zukunft des genossenschaftlichen Gedankens im Internet (Social Web) und für die Verwaltung von Gemeingütern (Commons).  Eine Sonderausgabe des Buchs ist ab sofort  im taz-Shop erhätlich. Ich habe als Redakteur und Autor  daran  mitgearbeitet und hier unlängst schon einen der frühen Pioniere des Genossenschaftsgedankens, Pjotr Kropotkin, vorgestellt – und gestern die Genossenschaftsgründer Raiffeissen und Schulze-Delitzsch. Heute ein weiterer kleiner Auszug – über  Ferdinand Lassalle.

Am kommenden Samstag stellen wir das Buch auf der Leipziger Buchmesse vor, im taz.studio Halle 5,  Stand E 410 a,  15 Uhr (UPDATE: Eine Aufzeichnung der einstündigen Livesendung von SR-2-Kulturradio kann hier (als mp3)  angehört oder heruntergeladen werden )

Produktionsgenossenschaften in Arbeiterhand, finanziert durch Staatskredite: Das war neben der Forderung nach demokratischem Wahlrecht das Programm, mit dem sich der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein, der Vorläufer der SPD, 1863 formierte und zur Wahl antreten wollte. Doch was die Frage der Genossenschaften betraf, hatte ihr Chef, Ferdinand Lassalle, in einem Abgeordneten der liberalen Deutschen Fortschrittspartei, Hermann Schulze-Delitzsch, einen gefährlichen Gegenspieler, der in den Arbeiterbildungsvereinen und in der Öffentlichkeit erfolgreich für die neuen Kredit- und Konsumgenossenschaften warb. Statt mit Krediten »von oben« sollten die Arbeiter für Selbsthilfe und Solidarhaftung das nötige Kapital selbst ansparen und sich unabhängig von staatlicher Wohltätigkeit machen.

Für Lassalle war das »haarsträubender Blödsinn«, und seine ätzenden Polemiken gegen die »kleinbürgerliche Seele« des »Sparapostels« Schulze-Delitzsch, der den Arbeitern Mittelstandsillusionen vorgaukele, ließ er sogar dem politischen Hauptgegner Otto von Bismarck zukommen. Denn auch der witterte in den neuartigen Selbsthilfeprojekten große Gefahr, allerdings von anderer Seite. Bismarck sah in den von Schulze gegründeten Kreditvereinen die »Kriegskassen der Demokratie, die unter Regierungsgewalt gestellt werden müssen«.

Dass die Lösung der sozialen Frage nur einem starken Staat obliegen könne, darin waren sich der preußische Kanzler und der erste Führer der Sozialdemokraten durchaus einig. Während Bismarck in den Genossenschaften Tarnorganisationen der gescheiterten Revolution von 1848 und die Gefahr demokratischer Unterwanderung fürchtete, kratzten sie für Lassalle nur an der Oberfläche der sozialen Frage. Mit Sparvereinen, Gemeinschaftsläden und Kooperation von Kleinbetrieben ließen sich die Fragen der Produktion und der Lohnabhängigkeit nicht lösen, ebenso wenig wie mit Selbsthilfe und Selbstverantwortung der Arbeiterschaft. In »Produktivassoziationen« mit staatlicher Unterstützung sah Lassalle die einzige Möglichkeit zur Aufhebung des »ehernen Lohngesetzes«.

Die Debatte um Selbsthilfe oder Staatshilfe dauerte auch nach Lassalles frühem Tod bei einem privaten Duell 1864 weiter an. Das von Schulze-Delitzsch im preußischen Landtag im- mer wieder eingebrachte Genossenschaftsgesetz scheiterte bis 1867 mehrfach an Bismarcks Veto, der die Gründung von Genossenschaften nur unter staatlicher Konzession und Kontrolle zulassen wollte. Und die Nachfolger Lassalles in der sozialdemokratischen Partei wie auch der radikaleren kommunistischen Parteien standen den Kredit- und Konsumgenossenschaften noch jahrzehntelang eher skeptisch gegenüber. Erst um 1900 setzte ein Boom »roter« Konsum-, Spar- und Wohnungsbaugenossenschaften ein. Kurz zuvor hatte der Berliner Arzt und Sozialökonom Franz Oppenheimer, der spätere Doktorvater Ludwig Erhards, sein genossenschaftliches Transformationsgesetz formuliert, nach dem Produktionsgenossenschaften in marktwirtschaftlicher Konkurrenz nur bestehen können, wenn sie sich auch ihren Absatz über Konsumgenossenschaften sichern. Dass aber auch diese Kombination nicht unbedingt ausreicht und staatliche Kontrolle und »Planwirtschaft« keinen genossenschaftlichen Erfolg garantieren, haben die Misserfolge der sozialistischen Zwangskollektivierungen in den folgenden Jahrzehnten gezeigt. Die Prinzipien der Selbsthilfe, Selbstverantwortung und Selbstorganisation, so zeigt die Geschichte, können nicht durch »Fürsorge« von oben ersetzt werden.

Konny Gellenbeck (Hrsg.) “Gewinn für alle – Genossenschaften als Wirtschaftsmodell der Zukunft” – mit Beiträgen von Mathias Bröckers, Imma Harms, Silke Helfrich, Helmut Höge, Aline Lüllmann, Arndt Neumann, Jacques Paysan, Michael Sontheimer und Andreas Wieg. 250 Seiten, Sonderausgabe zum Sonderpreis von 8,50 Euro (statt 12,99 Euro) exklusiv im taz-Shop

Einer für alle, alle für einen.

Zum von der UN 2012 ausgerufenen internationalen Jahr der Genossenschaften und zum 20. Geburtstag der taz-Genossenschaft im kommenden April ist soeben das Buch “Gewinn für alle – Genossenschaften als Wirtschaftsmodell der Zukunft” erschienen. Neben dem aktuellen Boom an neuen Genossenschaften beleuchtet der von Konny Gellenbeck herausgegebene Band auch die Geschichte der solidarischen Ökonomie und die Zukunft des genossenschaftlichen Gedankens im Internet (Social Web) und für die Verwaltung von Gemeingütern (Commons).  Eine Sonderausgabe des Buchs ist ab sofort  im taz-Shop erhätlich. Ich habe als Redakteur und Autor  daran  mitgearbeitet und hier unlängst schon einen der frühen Pioniere des Genossenschaftsgedankens, Pjotr Kropotkin, vorgestellt. Heute ein weiterer kleiner Auszug – über  Friedrich Wilhelm Raiffeisen und Hermann Schulze-Delitzsch:

»Man nennt die Vereine nach meinem Namen. Ich habe dieselben indes nicht erfunden. Der erste Verein war ein Kind unse- rer Zeit, aus der Not geboren. Ich habe nur die Patenstelle dabei übernommen«, hatte Friedrich Wilhelm Raiffeisen einst festgehalten, ganz in der pflichtbewussten Bescheidenheit eines preußischen Beamten und Christenmenschen. Doch seine Schrift „Die Darlehnskassen-Vereine als Mittel zur Abhilfe der Noth der ländlichen Bevölkerung, sowie auch der städtischen Handwerker und Arbeiter“, 1866 in Neuwied erschienen, war die Initialzündung für mittlerweile mehr als 330000 Genossen-schaftsbanken in aller Welt – und machte Friedrich Wilhelm Raiffeisen (1818–1888) zu dem heute international bekanntesten Pionier des Genossenschaftswesens. Als Kommunalbeamter und Bürgermeister in einer verarmten Landregion des Westerwalds gründete er 1847 einen »Brotverein« zur Bekämpfung der Hungersnot und einen »Hilfsverein zur Unterstützung unbemittelter Landwirte«, um die Bauern unabhängig von den Krediten von »Wucherern« zu machen. Sie sparten ihr Geld gemeinsam und konnten es sich im Bedarfsfall zu günstigen Konditionen ausleihen. Raiffeisens Projekte waren zu Anfang über Spenden finanziert, aus seinem christlichen Menschenbild heraus appellierte er an die Nächstenliebe vor allem der Reichen, was aber nur kurze Zeit erfolgreich war.
Auf Wohltätigkeit aber ließ sich auf Dauer nicht bauen, so dass Raiffeisen in seinem Buch von 1866 im Vorwort feststellte: »Die hier vorgeschlagenen Vereine gründen sich auf die unbedingteste Selbsthilfe. Letztere bewirkt die Entfaltung sowie die möglichst ausgedehnte Anwendung und Nutzbarmachung der Kräfte der Bevölkerung und des Bodens.« Aus diesen Anfängen wuchsen die Universalgenossenschaften in ländlichen Regionen, die bis heute als Raiffeisen-Organisationen bekannt sind und Landwirte außer mit Betriebskapital auch mit Saatgut, Düngemitteln und Maschinen ausstatten. In über hundert Ländern arbeiten mehr als 900000 Genossenschaften mit über 500 Millionen Mitgliedern nach Raiffeisenprinzipien, auch wenn die strengen Regeln des Gründers längst nicht mehr überall eingehalten werden.Continue reading →

Endlich Freiheit

“Alles ist nichts, wenn nicht die Freiheit alles ist, meine Damen und Herren. Gerade als Mensch und Christ sage ich, Joachim Gauck, Ihnen: Nur die Freiheit eines Christenmenschen ist es, die ihn frei macht – und was ist es, was ihn frei macht? Es ist die Freiheit! Doch was ist Freiheit? Was ist ganz konkret Freiheit, wenn von Freiheit hier und jetzt die Rede, meine Rede, ja: unser aller Rede ist? Ganz einfach, meine Damen und Herren: Die Freiheit ist keine x-beliebige Freiheit, sondern eine konkrete Freiheit, die konkret ist, weil sie Freiheit meint.”

Ob sich der Bundespräsident in spe  noch an das Manuskript seiner Rede hält, die schon vorab geleakt und der taz zugespielt wurde, ist zwar zu bezweifeln, sehr viel anders wird’s aber wohl nicht werden, wenn die begnadete Lallbacke vor der Bundesversammlung zur Inauguration antritt – und auf jeden Fall ein Feuerwerk der guten Laune. Zugegebenermaßen hatten wir uns für dieses Großevent in Sachen Feuerwerk ja eher Georg Schramm gewünscht, doch auch mit Gauck tritt, wie Konrad Hartmann-Meister in seiner feinsinnigen und unbedingt lesenswerten Analyse aufzeigt, recht eigentlich ein weiterer Komiker an:

“Der politische Kabarettist Joachim Gauck bewirbt sich derzeit für das höchste Staatsamt. Nachdem der talentierte Satiriker, der für sein Programm “Freiheit” euphorische Kritiken bekam, bereits Stasi-Chef Erich Mielke beerbte hatte, will er nun auch Erich Honecker nachfolgen, dessen Foto einst die ostdeutschen Amtsstuben zierte. Die neue Figur des vielseitigen Künstlers als “oberster Dienstherr” beweist einen feinsinnigen Humor, hatte doch Gauck früher ausgerechnet die Obrigkeit prinzipiell abgelehnt. In den zwei Jahrzehnten der deutschen Einheit glänzte der wandlungsfähige Gauck in kontrastreichen Rollen, die nun in einem Feuerwerk der guten Laune Revue passieren möchten.”

Gewinn für alle

Zum von der UN 2012 ausgerufenen internationalen Jahr der Genossenschaften und zum 20. Geburtstag der taz-Genossenschaft im kommenden April ist soeben das Buch “Gewinn für alle – Genossenschaften als Wirtschaftsmodell der Zukunft” erschienen. Neben dem aktuellen Boom an neuen Genossenschaften beleuchtet der von Konny Gellenbeck herausgegebene Band auch die Geschichte der solidarischen Ökonomie und die Zukunft des genossenschaftlichen Gedankens im Internet (Social Web) und für die Verwaltung von Gemeingütern (Commons).  Eine Sonderausgabe des Buchs ist ab sofort  im taz-Shop erhätlich. Ich habe als Redakteur und Autor  daran  mitgearbeitet und hier unlängst schon einen der frühen Pioniere des Genossenschaftsgedankens, Pjotr Kropotkin, vorgestellt. Heute ein weiterer kleiner Auszug – über den “Raiffeisen-Rebell” Fritz Vogt, der vier Jahrzehnte lang die kleinste Bank Deutschlands leitete:

To Small To Fail

Dass es die Bank, die Fritz Vogt als geschäftsführender Vorstand und einziger Angestellter von 1967 bis 2008 leitete, zu Weltruhm und Kultstatus gebracht hat – in Kinofilmen ebenso wie im japanischen Fernsehen – verdankte sich keinem Zufall. Sondern vielmehr der Tatsache, dass die Genossenschaftsmitglieder der Raiffeisenbank Gammesfeld auf der Schwäbischen Alb mit Fritz Vogt einen Verfechter der reinen Raiffeisen-Lehre als Vorstand berufen hatten. Dass man die Kasse im Dorf lassen soll und die Bank vor Ort bleiben muss, um zuverlässig und kostengünstig zu arbeiten – diesen Dezentralismus und Kommunitarismus Raiffeisenscher Prägung hat Fritz Vogt vier Jahrzehnte lang praktiziert.
Mit der kleinsten Bank Deutschlands hat er den 310 Mitgliedern der Genossenschaft Konditionen verschafft, von denen andere Bankkunden nur träumen können: Das Girokonto ist kostenlos, der Dispokredit kostet 4,5 Prozent Zins, Kredite mit fünf Jahren Zinsbindung fünf Prozent. Da Mitglied in der Bankgenossenschaft nur Einwohner von Gammesfeld werden können hat Fritz Vogt Kundenanfragen aus ganz Deutschland über die Jahre konsequent abgelehnt – ebenso wie Investitionen in die Bankausstattung. Die letzte und einzige Anschaffung war 1968 der Kauf einer »Kienzle«-Buchungsmaschine für 11 000 D-Mark, den Rest machte der Dorfbanker mit der Hand, einen Geldautomaten gab es nicht, Überweisungen wurden per Post verschickt.
Doch nicht nur wegen dieser sparsamen Effizienz arbeitete das »Kässle«, wie die Gammesfelder ihre Bank liebevoll nennen, stets profitabel – wegen ihrer überschaubaren Größe hatte sie auch noch nie einen Kreditausfall zu beklagen. Als die Bankenaufsicht in den 1980er Jahren den Einmannbetrieb schließen wollte, weil Fritz Vogts Amtswaltung das 1976 eingeführte Vier-Augen-Prinzip bei der Kreditvergabe verletze und er sich von den Kreditnehmern keinen Personalausweis zeigen lasse, landete der Fall vor Gericht und führte 1984 zum Entzug der Banklizenz. Was den »Raiffeisen-Rebell« jedoch nicht hinderte, allein weiterzumachen, bis er die Lizenz 1990 vom Bundesverwaltungsgericht wieder zugesprochen bekam. 2008 im Alter von 77 Jahren fand er einen Nachfolger, der die Bank in seinem Sinne fortführt. Sein Nachfolger hat jetzt zwar einen Computer angeschafft, und nach einem erfolglosen Überfall gehört mittlerweile auch eine Videokamera zum Inventar, ansonsten aber bleibt die Bank auch weiter »to small to fail«.
»Die großen Finanzkonzerne«, sagte Fritz Vogt nach seiner Pensionierung, »jetzt platzen sie. Gott sei Dank, kann ich nur sagen, auch um den Preis einer Weltwirtschaftskrise, Gott sei Dank. Denn jetzt kommt der Schwindel an den Tag.«
Sein Großvater, der 1890 die Kreditgenossenschaft Gammesfeld mitgründete und leitete wie sein Vater und er selbst, haben mehrere Weltwirtschaftskrisen und Währungsreformen erlebt – und überlebt: mit dem klassischen, dezentralen und kommunalen Raiffeisen-Konzept der Kreditgenossenschaft, das nach Vogts Ansicht von den großen Volks- und Raiffeisenbanken verraten worden ist. Deshalb sieht er für sie eine Zukunft nur in der Rückkehr zu den Prinzipien des Gründers. Während der Jahrzehnte seines Wirkens als Bankvorstand mag dies oft als kauzige Ansicht eines schrägen Vogels abgetan worden sein, der sein gallisches Dorf gegen die imperiale Besetzung durch die Hochfinanz verteidigt. Angesichts der aktuellen Finanzkrise jedoch erscheint diese kleine Genossenschaft als leuchtendes Vorbild für das gesamte marode Bankensystem.

Konny Gellenbeck (Hrsg.) “Gewinn für alle – Genossenschaften als Wirtschaftsmodell der Zukunft” – mit Beiträgen von Mathias Bröckers, Imma Harms, Silke Helfrich, Helmut Höge, Aline Lüllmann, Arndt Neumann, Jacques Paysan, Michael Sontheimer und Andreas Wieg.
250 Seiten, Sonderausgabe zum Sonderpreis von 8,50 Euro (statt 12,99 Euro) exklusiv im taz-Shop

Krieg in Pipelineistan

Während die Menschenrechtsbellizisten nach den großartigen “Erfolgen” in Afghanistan und Irak ( ca. 1 Mio Leichen) nunmehr Syrien ins Auge fassen um nach bewährter Methode Humanität und Demokratie zu verbreiten, und Israels Präsident mal wieder auf PR-Tour für einen “Selbstverteidigungs”-Krieg gegen die nicht vorhandenen Atomwaffen des Iran tingelt, gerät naturgemäß aus dem Blick, worum es bei dem Zirkus eigentlich geht: Öl und Gas. Seit Mitte der 90er Jahre plante der US-Konzern Unocal  TAPI – die Turkmensistan-Afghanistan-Pakistan-Indien Pipeline. Nachdem sich die ursprünglich als Hüter der Pipeline in Afghanistan installierte Taliban-Regierung bei den Verhandlungen über die Transitgebühren als zu hartnäckig erwies, wurde der vom Unocal-Vertreter angedrohte “Teppich voller Bomben” prompt geliefert und die Taliban unter dem Vorwand der Terrorbekämpfung aus Kabul wieder verjagt. Als erste Amtshandlung unterzeichnete der danach installierte Prädident Kharzai dann in Dezember 2002 den Vertrag über TAP – ohne “I”, denn die Verlängerung nach Indien blieb noch offen. Die Inder  verhandelten unterdessen über IPI – eine Iran-Pakistan-Indien Pipeline, die den USA ein Dorn im Auge ist, weil sie TAPI relativ unrentabel macht. Doch weder Indien noch Pakistan wollen sich auf eine allein  US-kontrollierte Versorgung mit Erdgas verlassen und halten trotz  amerikanischem Druck an IPI fest, die auf iranischer Seite schon fertig ist und 2014 in Betrieb gehen soll.  Schon seit 2010 in Betrieb ist die russische Pipeline Blue Stream, die Gas durch das Schwarze Meer in die Türkei befördert, und die jetzt mit “Blue Stream 2” verlängert werden soll – nach Syrien. Dass sich Assad auf dieses Angebot eingleassen hat – statt auf die von USA und EU angebotenen Gaslieferungen aus Ägypten – ist ein entscheidender Grund für den vom Westen massiv propagierten Regimewechsel in Damaskus: der Zugang  für russisches Gas zum Mittelmeer.  Zudem hat Syrien unlängst einen milliardenschweren Vertrag mit Iran und Irak über die Lieferungen von iranischem Erdgas ans Mittelmeer geschlossen – und damit weitere drohende Konkurrenz für das anglo-amerikanischen Piplinegeschäft ebenso wie für die Exploration der 2010 entdeckten großen  Erdgasreserveroirs im “levantinischen Becken” vor Zypern, die Israel ausbeuten will. Es geht bei den aktuell hochgekochten Konflikten also weniger um ein autokratisches Mullah-Regime in Teheran oder einen Diktator in Damaskus, die zugunsten von Demokratie und Humanität  “beseitigt” werden sollen, es geht um Konkurrenten und strategische Kontrolle im Erdgasgeschäft.