Endlich Freiheit

“Alles ist nichts, wenn nicht die Freiheit alles ist, meine Damen und Herren. Gerade als Mensch und Christ sage ich, Joachim Gauck, Ihnen: Nur die Freiheit eines Christenmenschen ist es, die ihn frei macht – und was ist es, was ihn frei macht? Es ist die Freiheit! Doch was ist Freiheit? Was ist ganz konkret Freiheit, wenn von Freiheit hier und jetzt die Rede, meine Rede, ja: unser aller Rede ist? Ganz einfach, meine Damen und Herren: Die Freiheit ist keine x-beliebige Freiheit, sondern eine konkrete Freiheit, die konkret ist, weil sie Freiheit meint.”

Ob sich der Bundespräsident in spe  noch an das Manuskript seiner Rede hält, die schon vorab geleakt und der taz zugespielt wurde, ist zwar zu bezweifeln, sehr viel anders wird’s aber wohl nicht werden, wenn die begnadete Lallbacke vor der Bundesversammlung zur Inauguration antritt – und auf jeden Fall ein Feuerwerk der guten Laune. Zugegebenermaßen hatten wir uns für dieses Großevent in Sachen Feuerwerk ja eher Georg Schramm gewünscht, doch auch mit Gauck tritt, wie Konrad Hartmann-Meister in seiner feinsinnigen und unbedingt lesenswerten Analyse aufzeigt, recht eigentlich ein weiterer Komiker an:

“Der politische Kabarettist Joachim Gauck bewirbt sich derzeit für das höchste Staatsamt. Nachdem der talentierte Satiriker, der für sein Programm “Freiheit” euphorische Kritiken bekam, bereits Stasi-Chef Erich Mielke beerbte hatte, will er nun auch Erich Honecker nachfolgen, dessen Foto einst die ostdeutschen Amtsstuben zierte. Die neue Figur des vielseitigen Künstlers als “oberster Dienstherr” beweist einen feinsinnigen Humor, hatte doch Gauck früher ausgerechnet die Obrigkeit prinzipiell abgelehnt. In den zwei Jahrzehnten der deutschen Einheit glänzte der wandlungsfähige Gauck in kontrastreichen Rollen, die nun in einem Feuerwerk der guten Laune Revue passieren möchten.”

Gewinn für alle

Zum von der UN 2012 ausgerufenen internationalen Jahr der Genossenschaften und zum 20. Geburtstag der taz-Genossenschaft im kommenden April ist soeben das Buch “Gewinn für alle – Genossenschaften als Wirtschaftsmodell der Zukunft” erschienen. Neben dem aktuellen Boom an neuen Genossenschaften beleuchtet der von Konny Gellenbeck herausgegebene Band auch die Geschichte der solidarischen Ökonomie und die Zukunft des genossenschaftlichen Gedankens im Internet (Social Web) und für die Verwaltung von Gemeingütern (Commons).  Eine Sonderausgabe des Buchs ist ab sofort  im taz-Shop erhätlich. Ich habe als Redakteur und Autor  daran  mitgearbeitet und hier unlängst schon einen der frühen Pioniere des Genossenschaftsgedankens, Pjotr Kropotkin, vorgestellt. Heute ein weiterer kleiner Auszug – über den “Raiffeisen-Rebell” Fritz Vogt, der vier Jahrzehnte lang die kleinste Bank Deutschlands leitete:

To Small To Fail

Dass es die Bank, die Fritz Vogt als geschäftsführender Vorstand und einziger Angestellter von 1967 bis 2008 leitete, zu Weltruhm und Kultstatus gebracht hat – in Kinofilmen ebenso wie im japanischen Fernsehen – verdankte sich keinem Zufall. Sondern vielmehr der Tatsache, dass die Genossenschaftsmitglieder der Raiffeisenbank Gammesfeld auf der Schwäbischen Alb mit Fritz Vogt einen Verfechter der reinen Raiffeisen-Lehre als Vorstand berufen hatten. Dass man die Kasse im Dorf lassen soll und die Bank vor Ort bleiben muss, um zuverlässig und kostengünstig zu arbeiten – diesen Dezentralismus und Kommunitarismus Raiffeisenscher Prägung hat Fritz Vogt vier Jahrzehnte lang praktiziert.
Mit der kleinsten Bank Deutschlands hat er den 310 Mitgliedern der Genossenschaft Konditionen verschafft, von denen andere Bankkunden nur träumen können: Das Girokonto ist kostenlos, der Dispokredit kostet 4,5 Prozent Zins, Kredite mit fünf Jahren Zinsbindung fünf Prozent. Da Mitglied in der Bankgenossenschaft nur Einwohner von Gammesfeld werden können hat Fritz Vogt Kundenanfragen aus ganz Deutschland über die Jahre konsequent abgelehnt – ebenso wie Investitionen in die Bankausstattung. Die letzte und einzige Anschaffung war 1968 der Kauf einer »Kienzle«-Buchungsmaschine für 11 000 D-Mark, den Rest machte der Dorfbanker mit der Hand, einen Geldautomaten gab es nicht, Überweisungen wurden per Post verschickt.
Doch nicht nur wegen dieser sparsamen Effizienz arbeitete das »Kässle«, wie die Gammesfelder ihre Bank liebevoll nennen, stets profitabel – wegen ihrer überschaubaren Größe hatte sie auch noch nie einen Kreditausfall zu beklagen. Als die Bankenaufsicht in den 1980er Jahren den Einmannbetrieb schließen wollte, weil Fritz Vogts Amtswaltung das 1976 eingeführte Vier-Augen-Prinzip bei der Kreditvergabe verletze und er sich von den Kreditnehmern keinen Personalausweis zeigen lasse, landete der Fall vor Gericht und führte 1984 zum Entzug der Banklizenz. Was den »Raiffeisen-Rebell« jedoch nicht hinderte, allein weiterzumachen, bis er die Lizenz 1990 vom Bundesverwaltungsgericht wieder zugesprochen bekam. 2008 im Alter von 77 Jahren fand er einen Nachfolger, der die Bank in seinem Sinne fortführt. Sein Nachfolger hat jetzt zwar einen Computer angeschafft, und nach einem erfolglosen Überfall gehört mittlerweile auch eine Videokamera zum Inventar, ansonsten aber bleibt die Bank auch weiter »to small to fail«.
»Die großen Finanzkonzerne«, sagte Fritz Vogt nach seiner Pensionierung, »jetzt platzen sie. Gott sei Dank, kann ich nur sagen, auch um den Preis einer Weltwirtschaftskrise, Gott sei Dank. Denn jetzt kommt der Schwindel an den Tag.«
Sein Großvater, der 1890 die Kreditgenossenschaft Gammesfeld mitgründete und leitete wie sein Vater und er selbst, haben mehrere Weltwirtschaftskrisen und Währungsreformen erlebt – und überlebt: mit dem klassischen, dezentralen und kommunalen Raiffeisen-Konzept der Kreditgenossenschaft, das nach Vogts Ansicht von den großen Volks- und Raiffeisenbanken verraten worden ist. Deshalb sieht er für sie eine Zukunft nur in der Rückkehr zu den Prinzipien des Gründers. Während der Jahrzehnte seines Wirkens als Bankvorstand mag dies oft als kauzige Ansicht eines schrägen Vogels abgetan worden sein, der sein gallisches Dorf gegen die imperiale Besetzung durch die Hochfinanz verteidigt. Angesichts der aktuellen Finanzkrise jedoch erscheint diese kleine Genossenschaft als leuchtendes Vorbild für das gesamte marode Bankensystem.

Konny Gellenbeck (Hrsg.) “Gewinn für alle – Genossenschaften als Wirtschaftsmodell der Zukunft” – mit Beiträgen von Mathias Bröckers, Imma Harms, Silke Helfrich, Helmut Höge, Aline Lüllmann, Arndt Neumann, Jacques Paysan, Michael Sontheimer und Andreas Wieg.
250 Seiten, Sonderausgabe zum Sonderpreis von 8,50 Euro (statt 12,99 Euro) exklusiv im taz-Shop

Krieg in Pipelineistan

Während die Menschenrechtsbellizisten nach den großartigen “Erfolgen” in Afghanistan und Irak ( ca. 1 Mio Leichen) nunmehr Syrien ins Auge fassen um nach bewährter Methode Humanität und Demokratie zu verbreiten, und Israels Präsident mal wieder auf PR-Tour für einen “Selbstverteidigungs”-Krieg gegen die nicht vorhandenen Atomwaffen des Iran tingelt, gerät naturgemäß aus dem Blick, worum es bei dem Zirkus eigentlich geht: Öl und Gas. Seit Mitte der 90er Jahre plante der US-Konzern Unocal  TAPI – die Turkmensistan-Afghanistan-Pakistan-Indien Pipeline. Nachdem sich die ursprünglich als Hüter der Pipeline in Afghanistan installierte Taliban-Regierung bei den Verhandlungen über die Transitgebühren als zu hartnäckig erwies, wurde der vom Unocal-Vertreter angedrohte “Teppich voller Bomben” prompt geliefert und die Taliban unter dem Vorwand der Terrorbekämpfung aus Kabul wieder verjagt. Als erste Amtshandlung unterzeichnete der danach installierte Prädident Kharzai dann in Dezember 2002 den Vertrag über TAP – ohne “I”, denn die Verlängerung nach Indien blieb noch offen. Die Inder  verhandelten unterdessen über IPI – eine Iran-Pakistan-Indien Pipeline, die den USA ein Dorn im Auge ist, weil sie TAPI relativ unrentabel macht. Doch weder Indien noch Pakistan wollen sich auf eine allein  US-kontrollierte Versorgung mit Erdgas verlassen und halten trotz  amerikanischem Druck an IPI fest, die auf iranischer Seite schon fertig ist und 2014 in Betrieb gehen soll.  Schon seit 2010 in Betrieb ist die russische Pipeline Blue Stream, die Gas durch das Schwarze Meer in die Türkei befördert, und die jetzt mit “Blue Stream 2” verlängert werden soll – nach Syrien. Dass sich Assad auf dieses Angebot eingleassen hat – statt auf die von USA und EU angebotenen Gaslieferungen aus Ägypten – ist ein entscheidender Grund für den vom Westen massiv propagierten Regimewechsel in Damaskus: der Zugang  für russisches Gas zum Mittelmeer.  Zudem hat Syrien unlängst einen milliardenschweren Vertrag mit Iran und Irak über die Lieferungen von iranischem Erdgas ans Mittelmeer geschlossen – und damit weitere drohende Konkurrenz für das anglo-amerikanischen Piplinegeschäft ebenso wie für die Exploration der 2010 entdeckten großen  Erdgasreserveroirs im “levantinischen Becken” vor Zypern, die Israel ausbeuten will. Es geht bei den aktuell hochgekochten Konflikten also weniger um ein autokratisches Mullah-Regime in Teheran oder einen Diktator in Damaskus, die zugunsten von Demokratie und Humanität  “beseitigt” werden sollen, es geht um Konkurrenten und strategische Kontrolle im Erdgasgeschäft.

Der größte Finanzskandal aller Zeiten?

Ende letzten Jahres habe ich über den äußerst mysteriösen Fall des asiatischen Goldschatzes berichtet, den ein Bevollmächtigeter der sogenannten Dragon Family  vor ein US-Gericht gebracht hat und in dem es um Gold im Wert von  1,1 Billionen Dollar geht (pdf). Mittlerweile gibts es zum einen ein Interview mit dem Kläger, und zum anderen eine indirekt mit diesem Fall verbundene quasi offizielle Bestätigung, in Form einer Rede vor dem britischen Oberhaus, die Lord James of Blackheath vergangene Woche dort hielt – und Dokumente über illegale Gold,- und Geldwäschegeschäfte im  Ausmaß von sagenhaften 15 Billionen Dollar vorlegte, in die FED und europäische Großbanken verwickelt sein sollen.

Zugegebenermaßen durchschaue ich den gesamten Sachverhalt noch nicht – und seinen  Zusammenhang mit  den großen Mengen von asiatischem Gold, das in den 30er Jahren bei der Federal Reserve Bank deponiert wurde und für das entsprechende Bonds ausgestellt wurden. Weiteres Gold soll in den 60er Jahren in die USA gekommen sein, als der Bevollmächtigte des asiatischen Golddepots, Indonesiens damaliger Präsident  Soekarno, mit John F. Kennedy  darüber eine Vereinbarung traf. Die im “Chiasso Zwischenfall” an der italienischen Grenze zur Schweiz 2009 beschlagnahmten Bonds im Wert von 135 Milliarden Dollar beziehen sich auf Teile dieses Golddepots, von denen der Kläger Neil  F. Keenan, als  Bevollmächtigter des Soekarno-Erbes, behauptet:  “The IMF, the World Bank, the BIS (Bank für internationale Zahlungsausgleich) and the many federal banks, Sarkozy, Blair, the Bushes and many others have continually used them illegally.”

Eine anonyme Insidergruppe namens “White Hats” berichtet seit November 2010 über dieses geheime Finanzsystem  und behauptet, über Informationen  “from high level “inside” intelligent sources” zu verfügen mit denen sie die gesamte Verschwörung  auffliegen lassen will. Dass es seit Jahresbeginn schon 101 Rücktritte von Direktoren und leitenden Mitarbeitern von Großbanken  gab, führen sie bereits auf diese Enthüllungsarbeit zurück – und fordern jetzt eine offizielle  Untersuchung  der drei Überweisungen über jeweils  5 Billionen (trillions)  US-Dollar von JP Morgan  an die Royal Bank of Scotland im Jahr 2009. Während sich die meisten Berichte der “White Hats”  eher durch wissendens Raunen als durch konkrete Nachvollziehbarkeit auszeichnen, sind diese Transaktionen mit Dokumenten belegt, die auch Lord Blackheath dem Oberhaus vorlegte – und alleine das gäbe in der Tat Anlaß für eine strenge Untersuchung der Hintergründe. Die Mainstreammedien schweigen sich unterdessen weitestgehend aus bzw. berichten weiter ausführlich über die Großverschuldung Griechenlands und nahezu aller anderen Staaten.  Die allerdings schrumpfen angesichts dieser illegalen Billionen gleichsam zu Peanuts. (Das Bruttoinlandsprodukt  der gesamten EU  betrug 2009 etwa 16 Billionen Dollar)

Irgendwie scheint mir die Undurchsichtigkeit der ganzen  Geschichte damit zu tun zu haben, dass sich hier Großkriminelle  – anders als kriminell können derart gigantische Vermögen gar nicht entstehen – offenbar gegenseitig über den Tisch gezogen haben und deshalb nicht zur “Polizei” gehen können. Der laut Lord Blackheath um 15 Billionen erleichterte Mr.  Yohannis aka James Riyadi war laut Wikipedia ein Geschäftspartner  von Jackson Stephens, dem Tycoon von Arkansas, desen Name  in nahezu jedem größeren Geheimdienstskandal der letzten Jahrzehnte auftaucht, von Iran-Contra über BCCI bis 9/11.  Wer in diesem Fall also die Guten  oder die Bösen sind, ist schwer zu entscheiden – und hinterläßt die Befürchtung, dass diese ganzen Enthüllungen zu nichts führen werden. Zum einen, weil Korruption immer nur eine Frage der Nullen vor dem Komma ist – wer würde bei 500 Millionen nicht schwach ? – und zum anderen weil auch in diesen Kreisen die Regel gilt: Pack schlägt sich, Pack verträgt sich.

Der Sonne geht die Kohle (nicht) aus

Dass die Blitz-Reduktion der Solarförderung durch die Bundesregierung nicht nur von der betroffenen Solarindustrie scharf kritisiert wird, ist ebenso berechtigt wie der Vorwurf an Minister Rössler, mit dieser Entscheidung natürlich nicht die Wende zu erneubaren Energien zu fördern, sondern in erster Linie die Oligopole  der Energieriesen EON und RWE. Denn die befürchten nichts mehr als “grid parity” – ein neutrales Stromnetz, das nicht mehr nur von ihnen, sondern von zigtausend dezentralen Energieproduzenten kostengünstig gespeist wird – und eben dies droht ihnen mit der nächsten Generation von Solarzellen, mit denen die ohnehin schon massiv gefallenen Kosten der Photovoltaik nochmals deutlich sinken. Eine neue Studie des MIT rechnet vor, dass dank der neuen, ultradünnen CIGS-Module, die Kosten der solaren Stromerzeugung bis 2020 auf 5-6 Cent  pro Kilowattstunde – und damit unter den Preis von Kohlestrom – fallen.  Was heißt, dass dann jedes Hausdach Energie günstiger produzieren kann als Großkraftwerke – und das Geschäftsmodell der Stromriesen defintiv ausgedient hat. Ebenso wie das jetzt schon falsche Argument, dass Photovoltaik nicht wirtschaftlich sei, das gern von sogenannten (in der Regel  von der Ölindustrie geschmierten) “Klimaskeptikern” vorgebracht wird. Dass die billigen Solarmodule aus China, die den  vor wenigen Jahren noch weltweit führenden deutschen Produkten den Rang abgelaufen haben, nicht noch von deutschen Steuergeldern subventioniert werden sollen – auch dieses “marktliberale” Argument ist nur halb richtig, denn die Kürzung trifft natürlich auch die deutsche Produktion und die Geschwindigkeit des solaren Wachstums insgesamt. Insofern dient die schwarz-gelbe Vollbremsung in erster Linie der großindustriellen Klientel und nicht  dem Einstieg in nachhaltige dezentrale Energiegewinnung. Die aber wird kommen – der Sonne geht auch bei gekappten Subventionen nicht die Kohle aus,  auch ohne Förderung ist der Paradigmenwechsel nicht aufzuhalten. Ebenso wie das Verschwinden des ohnehin schon abgewählten Wirtschaftsministers.

Präsident aus der Anstalt

Ist Georg Schramm schon Bundespräsident ? Nein! Da muß ich ja doch mal langsam die erste … äh…Entäuschung… über meinen neuen Hoffnunsträger im Politzirkus, die Piraten, kund tun, bzw. über die Zähflüssigkeit der liquid democracy. Da wünscht man sich ja doch ein bißchen mehr Diktatur der guten Idee und Spontan-Stalinismus der Spaßguerilla. Und Schramm  als Präsident ist eine Top-Idee, selbst wenn sich der Meister noch bedeckt hält, was sicher auch damit zu tun hat, dass die verschnarchten Piraten nicht richtig in die Pötte kommen. Wie auch immer – nachdem ich mich hier schon als Fan geoutet hatte, habe ich für die morgige Ausgabe der taz die Argumente noch mal zusammengefasst:

“Wenn ich draußen bin, kandidiere ich für das Amt des Bundespräsidenten”, hatte Georg Schramm eine Woche nach dem Rücktritt Horst Köhlers im Juni 2010 gesagt. Da war er noch drin, im ZDF-Kabarett “Neues aus der Anstalt” mit Urban Priol, doch mittlerweile ist er dort ebenso raus wie der nächste Bundespräsident aus dem Schloss Bellevue – und mit der komischen Ansage aus dem vorletzten Sommer wird’s ernst. In der Piratenpartei wird seine Nominierung diskutiert, in der Linkspartei äußerte Oskar Lafontaine Sympathien für den Künstler – und Georg Schramm überlegt noch, ob er mit dem einst spaßig gemeinten Ansinnen wirklich Ernst machen soll.Zu wünschen wäre das schon deshalb, weil dem Rostocker Ex-Pastor Gauck ein so Honecker-artiges Wahlergebnis blüht, dass einem angesichts dieses demokratischen Einheitsparteienrituals schon ein ziemliches Gruseln überfallen muss. Da wäre eine Kandidatenrede mit 10 Minuten Klartext von Georg Schramm das Mindeste, um dem von Machtkalkül und Parteitaktik geprägten Pseudowettbewerb zumindest den Anschein einer repräsentativen, demokratischen Veranstaltung zu geben.

Darüber hinaus freilich wäre der 1949 geborene Diplom-Psychologe und Offizier der Reserve ein absolut konkurrenzfähiger Gegenkandidat: ein Mann des Volkes, der sich als Einzelkämpfer bei der Bundeswehr ebenso bewährt hat wie als Repräsentant auf großer Bühne. Derzeit tourt er mit seinem Programm “Meister Yodas Ende”. Dass Meister Schramm gegen Auslandseinsätze der Bundeswehr ist, dass er vehement soziale Gerechtigkeit einklagt und der Sprechblasen-Kultur der Politik aufs Maul schaut wie kaum ein anderer, disqualifiziert ihn nur, weil die Wahl des Bundespräsidenten im Gestrüpp der Parteiapparate festgeklopft wird. In freier und direkter Wahl wäre ein kluger und uneitler Kopf wie Schramm durchaus mehrheitsfähig – und in der Lage, die fast vergessenen Traditionen der Aufklärung und Humanität, den guten deutschen Geist also, endlich wieder zu repräsentieren. Nach einem leicht beleidigten Sparkassendirektor und einem Apparatschik vom Stamme Nimm kann die verlorene Würde des Amts vielleicht nur noch von einem psychotherapeutischen Kabarettisten zurückgewonnen werden. Endlich keine Witze mehr über den.Bundespräsidenten. Wir lachen direkt über ihn.”

Update: Georg Schramm hat leider abgesagt, seine Erklärung dazu  ist prima!

IM “Larve” – Ein Stinkstiefel namens Gauck

“Wenn der Verfassungsschutz bestimmte Personen oder Gruppen innerhalb dieser Partei observiert, wird es dafür Gründe geben. Er ist nicht eine Vereinigung von Leuten, die neben unserem Rechtsstaat existiert und Linke verfolgt.”  Wer als ehemaliger “Bürgerrechtler” derartige Lernunfähigkeit aufweist, kann immer noch Bundespräsident werden – insofern ist der Konsenskandiat immerhin ein Signal für alle bildungsfernen Lerngestörten. Sowie –  als IM Larve – eine Hoffnung für alle ehemaligen “Begünstigten der Stasi” (P.M.Diestel).  Alles weitere über den unsäglichen Zonenpfaffen hat Denis Yücel in der taz zusammengefaßt: Ein Stinkstiefel namens Gauck

 

Revolution mit Hund

Der “Freitag” hat einen schönen Artikel des “Observer” über den Biologen Rupert Sheldrake publiziert, mit dem Titel Revolution mit Haustier, der einen  Teil der revolutionären Forschungen Sheldrakes passend umschreibt. Nachdem sein Buch über “Das schöpferische Universum” 1982 von “Nature” als “Kandidat für eine Bücherverbrennung” empfohlen worden war, wollte ich in der “taz” dringend etwas  über diesen interessanten Forscher veröffentlichen und Micky Remann befragte ihn über seine Theorie der “morphogenetischen Felder”.  Da sich die Morphogenese (Formenbildung) in der Natur nicht aus den Genen erklären läßt, postulierte der  der in Cambridge ausgebildete Biologe  ein nicht-elektromagnetisches  Übertragunsfeld, das die “Baupläne” und “Erinnerungen”  jeder Spezies enthält: Das Gedächtnis der Natur . Die Diffamierungen von der Zitadelle der Wissenschaft haben Sheldrake seitdem ebenso wenig davon abgehalten, seine Forschungen weiter zu treiben wie der Spott selbsternannter Skeptiker, die zwar felsenfest an den “Urknall” glauben, Telepathie aber grundsätzlich für unmöglich halten. Sheldrake hat unterdessen zum Beispiel anhand zahlreicher Beobachtungen an Haustieren deren “siebten Sinn” gezeigt: in dem Moment, wo das außer Haus befindliche Herrchen den Entschluß faßt, nach Hause zurückzukehren,  springt der Hund auf und begibt sich in schwanzwedelnder Vorfreude zum üblichen Empfangsplatz. Dies ist eines von  “Sieben Experimente, die die Welt verändern könnten” , ein weiteres beschäftigt sich mit dem wunderbarsten aller Heilmittel und Horror der Pharmaindustrie: dem Placebo-Effekt. Dass diese und andere Effekte eigentlich gegen die bekannten Naturgesetze verstossen, ficht Sheldrake nicht an, vielmehr schließt er, als Evolutionsbiologe, nicht aus, dass auch die Naturgesetze evolvieren – und dass es ernsthafter Wissenschaft bedarf, gerade diese Grenzbereiche zu erkunden, statt sie als esoterisches New-Age-Geblubbel einfach vom Tisch zu wischen und polemisch wegzuerklären.Continue reading →

Otto find ich gut

In Berlin sind derzeit zwei Top-Positionen vakant: im Schloß Bellevue und auf dem Trainerstuhl von Hertha. Anders als Mutti Merkel, die noch im hektischen Casting steckt, ist die alte Dame Hertha schon fündig geworden und hat – getreu dem Fan-Motto “Das Leben ist hart aber wir sind Hertha” – ein ganz altes Schlachtoß eingestellt: Otto Rehagel. Sicher keine Dauerlösung – der Mann ist 73 –  aber als Feuerwehrmaßnahme überraschend gut, die erste Trainerbestellung seit dem iditotischen Rausschmiß von Lucien Favre von der man den Eindruck hat, dass es passen könnte. Den modernen Zauberfußball, den Favre jetzt in Gladbach etabliert hat, wird König Otto in Berlin sicher nicht einführen, auch wenn er auf dem Stand der Dinge ist und  als griechischer Volksheld “Rehakles” zuletzt bei der EM 2004 eine Meisterschaft geholt hat. Zudem hat er vor 40 Jahren selbst für die Hertha gekickt – mit dem Stallgeruch und dem Kontakt zur Stadt könnte es also hinhauen diesmal.

Fraglos schwieriger die Besetzung des Präsidentenpostens. Mein Favorit Georg Schramm hat im Falle einer Nominierung ja nur Rederecht und wird mit Sicherheit nicht gewählt. Dabei könnten wir als Grüßaugust und Frühstücksdirektor der Republik, der gleichzeitig ein kleines politisches Wörtchen mitzureden hat, eine  kritischen, überparteilichen  Intelektuellen durchaus brauchen. Der ist aber nicht in Sicht und bis dahin  könnte Mutti als Kanzlerinpräsidentin den Posten eigentlich auch in Personalunion übernehmen.