Zum von der UN 2012 ausgerufenen internationalen Jahr der Genossenschaften und zum 20. Geburtstag der taz-Genossenschaft im kommenden April ist soeben das Buch “Gewinn für alle – Genossenschaften als Wirtschaftsmodell der Zukunft” erschienen. Neben dem aktuellen Boom an neuen Genossenschaften beleuchtet der von Konny Gellenbeck herausgegebene Band auch die Geschichte der solidarischen Ökonomie und die Zukunft des genossenschaftlichen Gedankens im Internet (Social Web) und für die Verwaltung von Gemeingütern (Commons). Eine Sonderausgabe des Buchs ist ab sofort im taz-Shop erhätlich. Ich habe als Redakteur und Autor daran mitgearbeitet und hier unlängst schon einen der frühen Pioniere des Genossenschaftsgedankens, Pjotr Kropotkin, vorgestellt. Heute ein weiterer kleiner Auszug – über den “Raiffeisen-Rebell” Fritz Vogt, der vier Jahrzehnte lang die kleinste Bank Deutschlands leitete:
To Small To Fail
Dass es die Bank, die Fritz Vogt als geschäftsführender Vorstand und einziger Angestellter von 1967 bis 2008 leitete, zu Weltruhm und Kultstatus gebracht hat – in Kinofilmen ebenso wie im japanischen Fernsehen – verdankte sich keinem Zufall. Sondern vielmehr der Tatsache, dass die Genossenschaftsmitglieder der Raiffeisenbank Gammesfeld auf der Schwäbischen Alb mit Fritz Vogt einen Verfechter der reinen Raiffeisen-Lehre als Vorstand berufen hatten. Dass man die Kasse im Dorf lassen soll und die Bank vor Ort bleiben muss, um zuverlässig und kostengünstig zu arbeiten – diesen Dezentralismus und Kommunitarismus Raiffeisenscher Prägung hat Fritz Vogt vier Jahrzehnte lang praktiziert.
Mit der kleinsten Bank Deutschlands hat er den 310 Mitgliedern der Genossenschaft Konditionen verschafft, von denen andere Bankkunden nur träumen können: Das Girokonto ist kostenlos, der Dispokredit kostet 4,5 Prozent Zins, Kredite mit fünf Jahren Zinsbindung fünf Prozent. Da Mitglied in der Bankgenossenschaft nur Einwohner von Gammesfeld werden können hat Fritz Vogt Kundenanfragen aus ganz Deutschland über die Jahre konsequent abgelehnt – ebenso wie Investitionen in die Bankausstattung. Die letzte und einzige Anschaffung war 1968 der Kauf einer »Kienzle«-Buchungsmaschine für 11 000 D-Mark, den Rest machte der Dorfbanker mit der Hand, einen Geldautomaten gab es nicht, Überweisungen wurden per Post verschickt.
Doch nicht nur wegen dieser sparsamen Effizienz arbeitete das »Kässle«, wie die Gammesfelder ihre Bank liebevoll nennen, stets profitabel – wegen ihrer überschaubaren Größe hatte sie auch noch nie einen Kreditausfall zu beklagen. Als die Bankenaufsicht in den 1980er Jahren den Einmannbetrieb schließen wollte, weil Fritz Vogts Amtswaltung das 1976 eingeführte Vier-Augen-Prinzip bei der Kreditvergabe verletze und er sich von den Kreditnehmern keinen Personalausweis zeigen lasse, landete der Fall vor Gericht und führte 1984 zum Entzug der Banklizenz. Was den »Raiffeisen-Rebell« jedoch nicht hinderte, allein weiterzumachen, bis er die Lizenz 1990 vom Bundesverwaltungsgericht wieder zugesprochen bekam. 2008 im Alter von 77 Jahren fand er einen Nachfolger, der die Bank in seinem Sinne fortführt. Sein Nachfolger hat jetzt zwar einen Computer angeschafft, und nach einem erfolglosen Überfall gehört mittlerweile auch eine Videokamera zum Inventar, ansonsten aber bleibt die Bank auch weiter »to small to fail«.
»Die großen Finanzkonzerne«, sagte Fritz Vogt nach seiner Pensionierung, »jetzt platzen sie. Gott sei Dank, kann ich nur sagen, auch um den Preis einer Weltwirtschaftskrise, Gott sei Dank. Denn jetzt kommt der Schwindel an den Tag.«
Sein Großvater, der 1890 die Kreditgenossenschaft Gammesfeld mitgründete und leitete wie sein Vater und er selbst, haben mehrere Weltwirtschaftskrisen und Währungsreformen erlebt – und überlebt: mit dem klassischen, dezentralen und kommunalen Raiffeisen-Konzept der Kreditgenossenschaft, das nach Vogts Ansicht von den großen Volks- und Raiffeisenbanken verraten worden ist. Deshalb sieht er für sie eine Zukunft nur in der Rückkehr zu den Prinzipien des Gründers. Während der Jahrzehnte seines Wirkens als Bankvorstand mag dies oft als kauzige Ansicht eines schrägen Vogels abgetan worden sein, der sein gallisches Dorf gegen die imperiale Besetzung durch die Hochfinanz verteidigt. Angesichts der aktuellen Finanzkrise jedoch erscheint diese kleine Genossenschaft als leuchtendes Vorbild für das gesamte marode Bankensystem.
Konny Gellenbeck (Hrsg.) “Gewinn für alle – Genossenschaften als Wirtschaftsmodell der Zukunft” – mit Beiträgen von Mathias Bröckers, Imma Harms, Silke Helfrich, Helmut Höge, Aline Lüllmann, Arndt Neumann, Jacques Paysan, Michael Sontheimer und Andreas Wieg.
250 Seiten, Sonderausgabe zum Sonderpreis von 8,50 Euro (statt 12,99 Euro) exklusiv im taz-Shop