Sucht und Ordnung (2)

Drogenlüge-Cover-1In Italien hat das höchste Gericht die in den 90er Jahren verschärften Gesetze gegen Cannabis für verfassungswidrig erklärt, tausende danach Verurteilte müssen jetzt aus den Gefängnissen entlassen werden. In Uruguay und den ersten beiden US-Bundesstaaten ist Cannabis vollständig legalisiert, weitere Staaten werden in den USA und auf der Welt in absehbarer Zeit folgen. Das Zeitalter der Prohibition scheint nach einem Jahrhundert langsam aber sicher zu Ende zu gehen. In meinem 2010 erschienen Buch “Die Drogenlüge” habe ich über die Ursachen geschrieben, die wider alle Vernunft den “Krieg gegen Drogen” weiter am Laufen halten – und im letzten Kapitel unter dem Titel “Sucht und Ordnung” einen Ausblick auf eine Welt jenseits der Prohibition gewagt, die im 19. Jahrhundert ja schon einmal schon existierte und im 21. Jahrhundert wieder geschaffen werden muss:

Teil 1 von “Sucht und Ordnung” ist gestern erschienen und endete mit der Beschreibung der Drogenfachgeschäfte der Zukunft. Hier folgt Teil 2:

Der oberste Stock des Drogenkaufhauses in Berlin-Mitte wird nicht nur wegen des gläsernen Halbrunds seiner Dachkuppel »Tempel« genannt, denn hier geht es um die entheogenen Drogen, die Pflanzen der Götter, deren Ächtung durch das monotheistische Patriarchat einst den Beginn des Kriegs gegen Drogen markierte. Anders als in den anderen Abteilungen der Drogenfachgeschäfte, wo erwachsene Erstkonsumenten nach einem Beratungsgespräch die Droge ihrer Wahl sofort kaufen können, müssen sie hier an einem Einführungskurs teilnehmen. Wie bei den Mysterien von Eleusis, deren Teilnehmer sich einer mehrwöchigen Vorbereitung unterziehen mussten, werden die Initianten auch heute auf die überwältigenden, möglicherweise mystischen Erfahrungen vorbereitet, die eine Sitzung mit LSD, Psilocybin oder Ayahuasca mit sich bringen kann. Sie werden über die Bedeutung von »set & setting« für eine solche innere Reise informiert – die psychische Befindlichkeit der eigenen Person, eine geeignete Umgebung sowie erfahrene, liebevolle Begleitung– und über alles, was für die Navigation im Weltraum der Seele wichtig ist. So ausgestattet, werden sie zum Abschluss dieses »Führerschein«-Kurses auf die verschiedenen Möglichkeiten verwiesen, die erste Erfahrung in einer Zeremonie mit anderen zu teilen.
Trotz Proteste der etablierten Kirchen gegen diese »neo-gnostischen Verirrungen« sind die Behörden dazu übergangen, öffentliche Räume für die immer größeren Zulauf findenden Einweihungsrituale zur Verfügung zu stellen, denen sich am Tag der Demeter zur Herbstsonnenwende mehrtägige Open-Air-Partys anschließen.
Aus der Entheogen-Abteilung der Drogenkaufhäuser werden seit einiger Zeit auch die vom Justiz- und Gesundheitsministerium geförderten »Leary«-Programme versorgt, die sich jetzt erfolgreich der Rehabilitation von Strafgefangenen und der Therapie von Alkoholikern widmen können, nachdem Professor Timothy Learys »Harvard Psilocybin Project« 1963 trotz vielversprechender Ergebnisse vom Bannstrahl der Drogeninquisition gestoppt worden war.
Da die Verkaufspreise in den Drogenfachgeschäften generell unter denen des Schwarzmarktes liegen, aber bei den unter legalen Bedingungen in der Regel sehr preiswert herzustellenden Substanzen dennoch gute Handelsspannen erzielt werden, können die Geschäfte trotz ihres hohen Personal- und Beratungsaufwands nicht nur kostendeckend geführt werden, sie werfen dank der in sämtlichen Drogenpreisen enthaltenen »Vergnügungssteuer« jährlich Milliarden für die öffentliche Hand ab.

Doch noch viel erfreulicher als die Mafiosi und Terroristen vorenthaltenen Milliarden ist die Tatsache, dass die Zahl der unfreiwilligen »Drogentoten« nach dem Ende der Prohibition fast auf null zurückgegangen ist. Ebenso wird in ganz Europa ein deutlicher Rückgang von Straßenkriminalität, Diebstählen und Einbrüchen registriert, seit die Distribution von Drogen über die Fachgeschäfte läuft.
Das von den Verteidigern der Prohibition jahrzehntelang mit Inbrunst an die Wand gemalte Horrorszenario der Drogenlegalisierung – eine in Sucht, Elend und Gewalt niedergehende Gesellschaft – ist natürlich ausgeblieben. Ähnlich wie die westlichen Gesellschaften, die die zuvor jahrhundertelang tabuisierte Sexualität erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zum Thema der allgemeinen Aufklärung und Bildung machten!– und damit für deutlich freiheitlichere, entspanntere Verhältnisse sorgten–, hat auch die mit der Aufhebung des Drogentabus einhergehende Bildungsoffensive in der ersten Hälfte des 21. Jahrhunderts Wirkung gezeigt. Und so wie man den sexuell aufgeklärten Achtklässler nicht mehr mit Schreckgespenstern wie drohendem »Masturbationswahnsinn« beeindrucken kann, lässt sich auch der neuropharmakologisch aufgeklärte Jugendliche von heute nicht mehr mit haltlosen Warnungen vor »Killerdrogen« erschrecken. Aber er hat gelernt, dass das »Mmmmh« beim Genuss von Zucker vom Gehirn immer noch mit einer kleinen Wohlfühldosis körpereigener Drogen belohnt, weil sich das Millionen Jahre alte Steuerungssystem noch nicht auf die menschlich erzeugte Zuckerschwemme der letzten Jahrzehnte ein- gestellt hat– zur Freude von Zahnarztinnung und Insulinproduzenten, doch zum Ärger der Krankenkassen, die für die gigantischen Schäden der Zuckersucht aufkommen müssen und deshalb dafür plädieren, das Werbeverbot für Drogen auch auf Süßwaren auszuweiten.

Die Friedensdividende, die Milliarden an Einsparungen, die das Ende des Kriegs gegen Drogen mit sich gebracht hat und die vor allem im Bereich öentlicher Bildungs-, Erziehungs- und Gesundheitsangebote investiert wurde, hat die Lebensqualität spürbar verbessert. Erwartungsgemäß ist es damit zwar nicht gelungen, problematischen Drogenkonsum vollständig zu verhindern, doch die negativen Folgen wurden sowohl für die Betroffenen als auch für ihre Umgebung extrem reduziert. Durch die überall angebotenen Entzugs- und Rehabilitationsprogramme und die in den Drogenfachgeschäften zur Verfügung stehenden Alternativen an weniger schädlichen Drogen oder Darreichungsformen nimmt die Zahl der Konsumenten mit »harten« Konsummustern weiterhin ab. Vor allem die Jugendlichen, die über die neurobiologischen und neurochemischen Zusammenhänge ihres Wahrnehmens, Fühlens und Denkens und über die Wirkung bewusstseinsverändernder Substanzen aufgeklärt sind, entscheiden sich – wie die jüngsten Studien übereinstimmend ergeben haben– sehr viel bewusster für eine bestimmte Droge und ihre Wirkung und nicht mehr wie noch im ersten Jahrzehnt des Jahrhunderts nur fürs Komasaufen.

Auch für die drogenproduzierenden Agrarnationen wie Afghanistan oder Kolumbien, Bolivien, Peru und Mexiko in Mittelamerika hat das Prohibitionsende die Situation entscheidend verbessert: Die Bauern erhalten für die Ernte von Opium oder Kokablättern den- selben oder sogar etwas höheren Preis, den sie auch in der Illegalität bekommen haben, denn der Endverkaufspreis der Drogen in den reichen Ländern ist nur um zehn bis zwanzig Prozent gesunken– die gigantischen Gewinne dazwischen allerdings, die zuvor Warlords und Mafiosi eingestrichen haben, kommen nunmehr der Allgemeinheit zugute. Nachdem sich die internationalen Kontroll- und Prohibitionsbehörden, die über Jahrzehnte den Krieg gegen Drogen ge- führt hatten, zu einer Transformation unfähig zeigten, wurde die internationale Koordination und Aufsicht über der Drogen der UNESCO übergeben; auf nationaler Ebene haben Justiz und Polizei nur noch bei der Überwachung des Straßenverkehrs mit Drogen zu tun, ansonsten obliegt das Thema ausschließlich den Gesundheits-, Kultur- und Bildungsbehörden. (…)

Wenn das natürliche Paradies innerhalb des je eigenen Gehirns zu finden ist – welche Macht kann sich dann herausnehmen, über die Zustände dieses Gehirns zu entscheiden und über die Mittel und Wege, die zu diesen Zuständen führen? Welche Autorität kann sich die Entscheidung darüber anmaßen, wie die Milliarden Neuronen eines individuellen Gehirns schalten und walten? Welche Diktatur kann mein Bewusstsein kontrollieren? Nur eine, an die ich meine Rechte als Steuermann und Navigator des Bewusstseins abgetreten habe – und damit das Recht, über meinen inneren Zustand, über Ruhe oder Schmerz oder Freude oder Erregung autonom und selbst zu entscheiden. Diese individuelle Freiheit zurückzuerobern von den Patriarchen, Priestern, Pharmakraten, Politikern, Polizisten muss Leitbild und Ziel jeder neuro-biologischen Aufklärung und zivilgesellschaftlichen Reform der Drogenpolitik sein.
Hundert Jahre Prohibition haben eindringlich gezeigt, dass dieses Ziel mit Verboten nicht zu erreichen ist. Sie haben stattdessen Probleme heraufbeschworen, die ein friedliches Zusammenleben der Völker in vielen Teilen der Welt immer massiver bedrohen. Ein Ende dieser Spirale von Kriminalität, Krieg und Terror – und damit der zynischen Absurdität, dass deutsche Soldaten die Drogenprofite verbündeter Terrorbrigaden in Afghanistan sichern – kann erst in Sicht kommen, wenn die Ursache dieser Profite, die Prohibition, beseitigt ist. Der Anfang zu dieser internationalen Anstrengung muss in den Köpfen gemacht werden: durch Aufklärung statt Dämonisierung, Fakten statt Desinformation, Risikoabwägung statt Panikmache und präventiver Erziehung statt prohibitiver Repression.

Die Erkenntnis, dass die Prügelstrafe keine geeignete Methode ist, um die Befähigung zum Rechnen, Lesen und Schreiben zu beför- dern, wurde erst in den letzten Jahrzehnten an den Schulen (und in der Rechtsprechung) umgesetzt. Dass für die Erziehung des Umgangs einer Gesellschaft (und jedes einzelnen) mit Drogen dasselbe gilt, diese Umsetzung steht noch aus. Sie ist der erste Schritt, einen nunmehr hundertjährigen barbarischen Krieg endlich zu beenden. Jeder einzelne Staat – unabhängig von allen internationalen Drogenkonventionen!– kann ihn für sich alleine tun, und er kann sofort – unabhängig von langwierigen globalen Verhandlungen über das Ende der Prohibition – damit beginnen.
Das Buch “Die Drogenlüge” ist im nächsten Buchladen oder hier erhältlich.

Sucht und Ordnung (1)

Drogenlüge-Cover-1In Italien hat das höchste Gericht  die in den 90er Jahren verschärften Gesetze gegen Cannabis für verfassungswidrig erklärt, tausende danach Verurteilte müssen jetzt aus den Gefängnissen entlassen werden. In Uruguay und  den ersten beiden US-Bundesstaaten ist Cannabis vollständig legalisiert,  weitere Staaten werden in den USA und auf der Welt in absehbarer Zeit folgen. Das Zeitalter der Prohibition scheint nach einem Jahrhundert  langsam aber sicher zu Ende zu gehen. In meinem 2010 erschienen Buch “Die Drogenlüge”  habe ich über die Ursachen geschrieben, die wider alle Vernunft  den “Krieg gegen Drogen” weiter am Laufen halten – und im letzten Kapitel unter dem Titel “Sucht und Ordnung” einen Ausblick auf eine Welt jenseits der Prohibition gewagt, die im 19. Jahrhundert ja schon einmal schon existierte und im 21. Jahrhundert wieder geschaffen werden muss:

 

 

Kann die in einem Jahrhundert zu einem mörderischen Moloch aufgeblähte Prohibitionsmaschinerie mit Appellen an die Vernunft zur Räson gebracht werden? Wir haben gesehen, welche Rolle die durch Prohibition generierten Profite für die imperiale Weltpolitik, die globalen Börsenkurse und das Wachstum der Militär-, Sicherheits-und Pharmaindustrie bedeuten und wie leicht es für das politische Geschäft ist, offene Türen im kollektiven Unbewussten einzurennen und mit der seit fast 4000 Jahren geprägten Angst vor Drogen auf Stimmenfang zu gehen. Angesichts dieser tiefen zivilisationshistorischen Prägungen und der aktuellen Wirtschaftsmacht der Prohibitionsprofiteure wird ein Friedensschluss, ein Ende des Kriegs gegen Drogen, nicht leicht zu erreichen sein. Doch die Katastrophen, die der Drogenkrieg in Afghanistan und im Nahen und Mittleren Osten, in Mexiko und in Südamerika anrichtet, sind mittlerweile so unübersehbar, dass eine internationale Reform des Prohibitionsregimes immer mehr Befürworter findet!– quer durch alle Parteien und weltanschaulichen Lager. Der erste Schritt muss fraglos jener sein, den die Regierung in Portugal seit 2001 gegangen ist: die vollständige Entkriminalisierung des Besitzes und Konsums von Drogen.
Ein Jahrhundert weltweite Prohibition hat gezeigt, dass die Nachfrage nach bewusstseinsverändernden Substanzen mit Strafgesetzen nicht zu verhindern ist, genauso wenig wie ihr Angebot. Theoretisch mag es in einem totalen Überwachungsstaat möglich sein, den Konsum irgendeiner Substanz vollkommen zu verhindern, praktisch ist eine solche gesellschaftliche Entwicklung aber weder vorstellbar noch wünschenswert. Stattdessen gilt es, die einer Zivilgesellschaft angemessene Balance zwischen individueller Freiheit und sozialer Verantwortung zu finden.Dass dies kein aussichtsloses Unterfangen ist, zeigt schon ein kurzer Rückblick in das 19. Jahrhundert, in dem Cannabis, Opium, Morphin, Heroin und Kokain frei verkäuflich und für jedermann erschwinglich waren. Schon unsere Anwesenheit heute zeugt davon, dass unsere Vorfahren damals nicht massenweise der Sucht und dem Elend anheim gefallen sein können, in der zeitgeschichtlichen Literatur des 19. Jahrhunderts findet sich über Drogenprobleme wenig bis nichts. Als »Schlummersaft« und zur Schmerzlinderung stand in jeder Hausapotheke des 18. und 19. Jahrhunderts ein Fläschchen Opiumtinktur bereit. Zur Anregung in besseren Kreisen sorgte der mit Kokain (und einer Empfehlung von Papst Leo) angereicherte Bordeauxwein »Vin Mariani« oder mit Haschisch gemischte Orientzigaretten der Marke Harem, die bis 1920 in Tabakläden erhältlich waren. Auch der Kinder- und Jugendschutz war offensichtlich gewährleistet, dass derart »starker Tobak« den erwachsenen Männern vorbehalten blieb. Dass er dagegen kleinen Jungs nur Angstträume beschert, zeigte zum Beispiel Wilhelm Busch in seinem Comicstrip von »Krischan mit der Piepe« (1864).
Es gibt also durchaus Belege für eine funktionierende, zivilisierte Welt ohne Prohibition, und das in Sachen Zucht und Ordnung ansonsten nicht sehr zimperliche 19. Jahrhundert kann in Sachen Sucht und Ordnung hier als tolerantes Vorbild gelten. Wobei eine erste Einschränkung genau da gemacht werden muss, wo mit der in Schwung kommenden Industrialisierung auch das Zeitalter der massenmedialen Beeinflussung durch Werbung beginnt und Hersteller und Händler Drogen massiv bewerben. Die Massenblätter des US-amerikanischen Zeitungsmagnaten William Randolph Hearst wimmelten nur so von Anzeigen von Mixturen aller Art, deren wirksame Stoffe in der Regel aus nichts anderem als Opiaten, Kokain oder Cannabis bestanden. Langjährige Werbeverträge mit den Zeitungsverlagen verschonten die Hersteller dabei vor jeder kritischen Berichterstattung über ihre mit massiver Reklame gegen jedes Wehwehchen unter das Volk gebrachten Wundermittel. Der derart provozierte Massengebrauch vor allem von opiumhaltigen Mixturen machte eine staatliche Kontrolle nahezu unausweichlich, und diese historischen Erfahrungen zeigen, dass mit einer Entkriminalisierung als zweiter Schritt unbedingt ein Werbeverbot für sämtliche Drogen einhergehen muss.Die Enttabuisierung der natürlichen Paradiese, die Aufklärung und Auflösung der Drogenlügen, muss auf andere Weise erfolgen als durch die Penetration mit Werbelügen und Verführungen zum Konsum.

Auch wenn es dem Leitmotiv der Gier und des permanenten Wachstums in unserem gesellschaftlichen System zuwiderläuft: Dass sportbegeisterten Kindern per Fernsehen tausendfach eingetrichtert wird, dass Fußball erst zusammen mit Alkohol von Warsteiner, Bitburger und anderen »ein richtiger Genuss« ist, kann eine verantwortungsbewusste Drogenpolitik künftig genauso wenig dulden wie die (mittlerweile immerhin schon stark eingeschränkte) Werbung für Tabak. Ein verantwortungsvoller, mündiger Gebrauch bewusstseinsverändernder Substanzen kann in einer Gesellschaft, die auf ständige Konsumsteigerung ausgerichtet ist, nur erreicht werden, wenn diese Substanzen dem Zugriff der Marketing- und Werbeindustrie entzogen bleiben – eine Forderung, die angesichts künftiger Neuro-Enhancement-Präparate ohnehin zur Debatte steht. Jede Entkriminalisierung, die die Willkür einer Trennung in legale und illegale Drogen aufhebt, muss Regelungen und Altersbeschränkungen für sämtliche nunmehr legal erhältlichen Drogen schaffen und sie der Willkür freier Vermarktung und somit zwangsläufig aggressiven Wettbewerbs entziehen.

Werfen wir also einen kühnen Blick in die Fachgeschäfte der Zukunft, die in den Fußgängerzonen der Republik für die Beratung und den Verkauf von Drogen zuständig sein werden. Dank der nach dem Ende der Prohibition eingesparten Milliarden, die von der öffentlichen Hand unter anderem in umfassende Aufklärungs- und Drogenerziehungsprogramme investiert wurden, wundert sich schon seit einiger Zeit niemand mehr über die in den Städten dicht gestreuten unauffälligen Läden und die über Land verteilten »Drogenstützpunkte«. Neben der Beratung und dem Verkauf durch ausgebildete Fachverkäufer steht den Kunden ein angeschlossener psychologischer und medizinischer Service zur Verfügung, der ebenso wie die Kurse zum »nichtpharmakologischen Enhancement« (Meditation, Musik, Yoga, Sport, Spiel, Spannung) von den Kommunen und Krankenkassen finanziert wird.
In großen Drogenkaufhäusern wie dem in Berlin-Mitte ist das gesamte Erdgeschoss diesen Informations- und Beratungsdiensten gewidmet, den einzigen Angeboten des Hauses, für die mit üblichen Mitteln geworben werden darf. Ansonsten regiert neben freundlicher Atmosphäre in allen Abteilungen der nüchterne Beipackzettel, der jeder Verkaufseinheit beiliegt, sowie kompetente und freundliche Fachverkäufer, die über Wirkungen, Nebenwirkungen, »Safer Use« und Schadensminimierung ausführlich Auskünfte geben. Sie werden nicht nach Umsatz bezahlt und stehen, wie die Drogenfachgeschäfte insgesamt, nicht unter dem Diktat der Gewinnmaximierung. Im Gegenteil wird ihnen bei Umsatzrückgängen ein Bonus ausbezahlt, denn das Ziel dieser Fachgeschäfte ist es nicht, den Konsum zu fördern, sondern den existierenden Konsum in risikoarme und sozialverträgliche Bahnen zu lenken.
Die hier verkauften Drogen sind nicht verunreinigt, die Informationen auf jeder Packung ermöglichen eine korrekte Dosierung und reduzieren so mögliche Gesundheitsschäden auf ein Minimum. Der Verkauf ist zudem auf bestimmte Maximalmengen pro Tag beschränkt und wird auf einer Kundenkarte registriert. Wenn die registrierten Mengen auf einen problematischen Konsum schließen lassen, werden die Kunden zu einem Beratungsgespräch gebeten und erhalten konkrete Angebote zur medizinischen oder therapeutischen Betreuung.
Die Cannabisabteilung im ersten Stock des Kaufhauses verkauft importiertes Fair-Trade-Haschisch aus marokkanischen, libanesischen und afghanischen Landwirtschaftskooperativen und eine große Auswahl Hanfblüten aus heimischem Bio-Anbau. Der Gehalt von THC, CBD und anderen Cannabinoiden ist bei den jeweiligen Sorten angegeben. Um den Schäden des Rauchens in der Mischung mit Tabak vorzubeugen, werden den Hanfkunden preisgünstige Vaporizer angeboten. Die kleinen Verdampfer im Handyformat heizen den Hanf auf 190 Grad auf, inhaliert werden nur Cannabinoide und Aromastoffe, aber kein Rauch.
Auch zwei Etagen weiter oben, in der Abteilung für Stimulanzien, stehen die kleinen Apparate hoch im Kurs, seit Kunden, die nach Amphetaminen verlangten, als milde Alternative die Inhalation von Meerträubel (Ephedra) entdeckt haben; auch der aus den Blättern der Pflanze hergestellte ephedrinhaltige »Mormonentee« erfreut sich wachsender Beliebtheit.
Ein ähnlicher Trend ist bei den Kokainkonsumenten zu beobachten, die zunehmend auf die natürlichen Produkte aus Kokablättern zurückgreifen und den konzentrierten Alkaloid-Turbo nur noch gelegentlich verwenden. Auch der wieder erhältliche »Vin Mariani« und die nach dem »Coca-Cola«- Originalrezept mit einem leichten Kokaingehalt gebrauten Softdrinks haben dazu geführt, dass viele vormalige Kokser jetzt hier zugreifen und auf das Schnupfen verzichten.
Einen vergleichbaren Effekt hatte auf Heroinkonsumenten die in den Drogenfachgeschäften erhältliche Auswahl von milderen Alternativen wie Rauchopium, Laudanum und anderen opiumhaltigen Zubereitungen, deren unproblematische Verfügbarkeit vielen injizierenden Abhängigen den problemlosen Abschied von der Spritze ermöglichte. Da zurückgehende Umsätze vor allem bei den schnell zur Gewöhnung führenden Drogen wie Heroin und Kokain mit Bonuszahlungen belohnt werden, sind die Fachberater motiviert, ihre Kunden auf leichtere und weniger riskante Alternativen aufmerksam zu machen. In der großen Alkoholabteilung im Untergeschoss des Drogenkaufhauses wird langfristigen Dauerkunden zum Beispiel der Umstieg auf weniger gesundheitsschädliche Cannabisprodukte schmackhaft gemacht.
Der oberste Stock des Drogenkaufhauses in Berlin-Mitte wird nicht nur wegen des gläsernen Halbrunds seiner Dachkuppel »Tempel« genannt, denn hier geht es um die entheogenen Drogen, die Pflanzen der Götter, deren Ächtung durch das monotheistische Patriarchat einst den Beginn des Kriegs gegen Drogen markierte….

“Sucht und Ordnung” Teil 2   folgt morgen.
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Edathy, NSU & NSA

Florian Rötzer beleuchtet einige Hintergründe des Falls Edathy – und die Rolle des aktuellen Staastsekretärs und ehemaligen Vize des Verfassungsschutzes, Klaus-Dieter Fritsche (CSU), der sich von Edathy als Leiter des NSU-Untersuchungsauschusses (zu Recht) in die Mangel genommen fühlte.

Edathy war für Polizei und Verfassungsschutz als Vorsitzender des NSU-Untersuchungsausschusses unbequem gewesen und hatte sich dort Meriten erworben, weswegen eigentlich als sicher galt, dass er in einer etwaigen Koalition einen Posten erhalten würde. Im Untersuchungsausschuss war klar geworden, dass Fritsche als ehemaliger Vizepräsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz “das Gefahrenpotenzial des NSU dramatisch verkannt” habe, wie die Süddeutsche am 18. Oktober 2012 berichtete.

Merkel hat sich Fritsche trotzdem ins Kanzleramt geholt, der sich vor dem Ausschuss beklagte, als sei nichts vorgefallen, dass “beißende Kritik, Hohn und Spott über einen ganzen Berufszweig von Polizisten und Verfassungsschützern niedergeht”. Dass den Politikern Unterlagen nicht oder stark eingeschwärzt vorgelegt wurden, findet er ganz in Ordnung, das habe nichts mit mangelnder Kooperationsbereitschaft zu tun, sondern sei Sache der Staatsanwaltschaft. Überhaupt: “Das Staatswohl ist wichtiger als parlamentarische Aufklärung.” Oder: “Es gilt der Grundsatz: Kenntnis nur wenn nötig.”Edathy sprach damals sarkastisch von einer “interessanten Rechtsauffassung” und sagte: “Es gibt Grenzen dessen, was man hier hinnehmen muss.” Dass die Sicherheitsbehörden einen Fehler gemacht hätten, weil sie eine rechtsextremistische Terrorgruppe ausschloss, kam Fritsche nicht über die Lippen.

Offenbar fand Fritsche im Fall Edathy Ende Oktober 2013, dass hier Kenntnis nötig war, also Friedrich zu informieren, der wiederum angeblich nicht die Kanzlerin, die Fritsche ins Bundeskanzleramt aufnahm, sondern nur den SPD-Chef Gabriel informierte. Offenbar wollte man im Geheimen verhindern, dass aus Edathy etwas wird. Heute wird so getan, als habe man verhindern wollen, dass dieser womöglich von einem wichtigen Regierungs- oder Fraktionsposten hätte zurücktreten müsse, wenn Ermittlungen eingeleitet worden wären. Aber es sind schon mehr Minister zurückgetreten oder es haben Abgeordnete ihr Mandat niedergelegt, ohne dass Regierungen deswegen in eine Krise gekommen wären, besonders wenn es sich um ein rein persönliches Fehlverhalten handelt.

Außerdem hatte Edathy sich vehement für einen NSA-Untersuchungsauschuss ausgesprochen, was Fritsche ebenfalls erheblich gegen den Strich ging (und geht). Als Verfassungsschutz die NSU-Morde nicht nur nicht verhindert, sondern über diverse V-Männer und Zahlungen gar noch gefördert zu haben, sowie gegen die gesetzeswidrige Bespitzelung der Bevölkerung durch die NSA nicht nur nichts unternommen, sondern sich freundschaftlich daran beteiligt zu haben – diese durch parlamentarische Untersuchungen sich abzeichnenden Konturen eines desaströsen Geheimdienstversagens, scheinen ausreichend Motive zu liefern, dem Ex-VS-Vize und jetzigen Geheimdienstkoordinator im Kanzleramt eine zentrale Rolle beim Abschuß des unbequemen Edathy zuzuweisen. Beziehungsweise – denn die Daten des kanadischen Servers von denen Edathy seine Schmuddelbildchen bezogen hatte waren schon seit 2012 bekannt !!! – dafür zu sorgen, dass die parlamentarische Aufklärung unter Leitung von Edathy nicht mehr als eben die Konturen dieses Versagens herausbringt und es letztlich bei  ein paar pseudo-radikalen aufklärerischen Forderungen Edathys bleibt, den man seit 2012 in der Hand hatte. Um im Herbst 2013 mit ein paar diskreten Hinweisen an die SPD dafür zu sorgen, dass dieser keinen einflußreichen Posten in der GroKo bekommt. Dass Fritsche, einst Staatssekretär und Strippenzieher in Friedrichs Innenminsterium, damit nun auch seinen ehemaligen Chef und CSU-Genossen zu Fall brachte, ist ein (dem perfiden Oppermann geschuldeter)  Treppenwitz der Geschichte, die freilich längst nicht aufgeklärt ist. Und wohl auch nicht aufgeklärt werden kann, solange neben ein paar legalen Sexbildchen nicht auch die Rolle der Geheimdienste und der Staatsanwaltschaft  ins Visier kommt.

Wer hat ihn verraten – Sozialdemokraten!

Es fällt ja durchaus schwer, den Rücktritt von Hans-Peter “Supergrundrecht Sicherheit” Friedrich zu bedauern, aber in Ordnung ist die Sache dennoch nicht.  Einmal mehr scheint hier eine zentrale Säule des Rechtsstaats – die Unschuldsvermutung – massiv verletzt zu worden zu sein, und statt die daran Schuldigen zu bestrafen, wird allein aufgrund eines Verdachts (“Geheimnisverrat”) ein Bauernopfer zelebriert. Ob und wie Friedrich sich eines solchen Vergehens tatsächlich schuldig gemacht hat, wird ungeklärt bleiben – Minister weg, Augen zu und weiter. Dass die Staatsanwälte und/oder Polizisten, die die Vorermittlungen wegen Kinderpornographie gegen den SPD’ler Edathy an die Medien geleakt haben, zur Rechenschaft gezogen werden, ist derzeit ebenso unwahrscheinlich wie Maßnahmen gegen den vermutlichen Chef-Intriganten der gesamten Affäre, den SPD-Fraktionschef Oppermann, der den Fall  an die Öffentlichkeit brachte.

Dass Thomas Oppermann nur so weit zu trauen sei, wie man seine Waschmaschine werfen kann, war mir in der Vergangenheit von Journalisten und Parlamentarieren schon häufiger zugetragen worden. Hans-Peter Friedrich hatte davon offenbar noch nichts gehört und wurde so zum Opfer einer Affäre, bei der ihn Oppermann rücksichtslos ins offene Messer laufen lies. Wie viele Dramen –  und die Rechtsbrüche sind in diesem Fall ohne Frage dramatisch – birgt jedoch auch dieses Aspekte einer Komödie: ein CSU-Grande muß zurücktreten, weil er die SPD-Bosse vor einem möglicherweise kriminellen Perversen in ihren Reihen gewarnt hat.

Der Innenpolitiker Sebastian Edathy galt als sozialdemokratischer “Führungsnachwuchs” und war bei den Personaldebattten während der Koalistionsbildung im letzten Herbst ein SPD-Kandidat für den Posten des Justizministers. Zu diesem Zeitpunkt begannen die staatsanwaltlichen Vorermittlungen gegen Edathy wegen des Online-Kaufs pornographischer Bilder in Kanada – ein Verfahren, das wegen seiner politischen Brisanz auch dem obersten Dienstherrn der Ermittlungsbehörden, dem damaligen Innenminster Friedrich, zur Kenntnis gebracht wird. Um  den Schaden eines  wegen Kinderporno angeklagten Justizministers von einer künftigen Koalitionsregierung abzuhalten macht Friedrich der SPD-Führung davon vertraulich Mitteilung, die Edathy als Kanidaten dann auch sofort fallen läßt und Heiko Maas  aus dem Köcher zieht. Und somit allen Grund hätte, dem CSU-Minister für die diskrete Amtshilfe dankbar zu sein und ihrerseits Diskretion zu wahren und den Mund zu halten. Doch genau das tat Oppermann nicht, als die Ermittlungen gegen Edathy jetzt in den Medien bekannt wurden – wohl wissend, dass ihm als Abgeordneten und Nicht-Amtsträger ein Geheimnisverrat nicht vorgeworfen werden kann, einem Minister wie Friedrich aber sehr wohl. Rechtlich mag Oppermann damit auf der sicheren Seite sein – menschlich und moralisch aber ist sein Verrat sehr viel verachtenswerter als das was Friedrich getan hat. Denn unabhängig davon, ob es sich bei Edathys Wichsvorlagen um legale Sexbildchen kleiner Jungs mit hängenden Schwänzen oder um illegalen Porno mit erigierten Penissen handelt – wirklich ministrabel ist ein Fan von derlei Freizeitvergnügen nicht. Und dass er als  lautstarker Fürsprecher der Datenvorratsspeicherung  – dabei ganz einig mit Hans-Peter “DateNSAmmlung ? EhreNSAche !” Friedrich – diesen Spaß mit seiner eigenen Kreditkarte bezahlte, läßt zudem an seiner Intelligenz zweifeln. Insofern ist sicher kein Schaden enstanden, ihn von einem Ministeramt fernzuhalten, wofür Friedrich diskret und kollegial gesorgt hat. Die SPD freilich scheint ihrem alten Ruf als “Verräterpartei” eine weitere, unangenehme Facette hinzuzufügen.

JFK & 9/11

JFK-POSTER-2013-NEWKaum jemand seit Jahrzehnten hat die Hintergründe des Mords an John F. Kennedy so akribisch recherchiert wie Prof. Peter Dale Scott – sowie seit nunmehr über 13 Jahren die der Anschläge des 11. September 2001. Beide Fälle sind, obwohl “offiziell” untersucht und abgeschlossen, ungeklärt – und sie weisen erstaunliche Parallelen auf. In zwei seiner Vorträgen, die Lars Schall jetzt übersetzt hat – “JFK & 9/11 – Gewonnene Einsichten aus dem Studium beider Vorgänge”  – werden diese strukturellen Ähnlichkeiten sehr deutlich :

“Mein Fazit versucht nicht, einzelne Täter zu identifizieren, es versucht einen systemischen Prozess von Täuschungsereignissen zu identifizieren und zu definieren. Noch weniger möchte ich implizieren, dass die Szenarien von 11/22 und 9/11 von einer Meister-Verschwörungstheorie, die im Tresor von jemandem liegt, bezogen und entstaubt wurden. Was ich beschreibe, wie ich eingangs sagte, ist eine vorhersehbare Soziodynamik, die auftritt, wenn die Führer eines expansiven quasi-demokratischen Staats überzeugt sind, dass es einen Bedarf für den Krieg gibt, eine Notwendigkeit, von der sie wissen, dass ihre Bevölkerungen sie nicht verstehen.Bei der Diskussion von 11/22 und 9/11 fehlen uns die Beweise, um diese Ereignisse enggefasst der US-Regierung, dem Pentagon, der CIA, Army Intelligence Reserve oder anderen spezifischen Behörden zulasten zu legen. Es ist aber meine Überzeugung, dass wir sie der amerikanischen Kriegsmaschine anlasten können. In diesem Sinne glaube ich, können wir jedes Ereignis, das JFK-Attentat und die Anschläge vom 11. September, als “einen Inside-Job” beschreiben.”

 

Bye Bye Big Bang

12.02.14 20:31-BildschirmkopieWas die Geschichte des Universums betrifft, habe ich es seit je eher mit Kosmologen wie Fred Hoyle oder Halton Arp gehalten, als mit dem Standardmodell der Urknall-Theorie, das von diesen beiden Top-Wissenschaftlern zeitlebens kritisiert wurde. Ihre Einwände und die Belege für diese Ablehnung wurden jedoch vom Mainstream der Astrophysik stets als “Spinnerei” oder gar als “Verschwörungstheorie” abgetan und marginalisiert. Doch wie das gut belegte “Verschwörungstheorien” so an sich haben – sie werden zuerst lächerlich gemacht, dann bekämpft und am Ende heißt es, sie seien doch selbstverständlich und gar nichts Neues. Dieses letzte Stadium scheint jetzt die Kritik am Urknall  langsam zu erreichen – wie man  an dieser aktuellen BBC-Dokumentation zu der Frage “Was war vor dem Urknall?” gut sehen kann.

In einigen Artikeln und den Büchern “Das sogenannte Übernatürliche” (1998) und  “Cogito Ergo Bumm” (2007) habe ich über den notwendigen Abschied von der durchgeknallten Urknalltheorie schon öfter geschrieben, im Folgenden  – aus letzterem – “Bye Bye Big Bang”:

“Wenn sich schon herausgestellt hat, dass die Schwarzen Löcher weder schwarz noch Löcher sind, dann sollte es uns eigentlich nicht überraschen, dass auch der Urknall, mit dem das Universum begann, ein Fehlschlag war. Alles deutet vielmehr darauf hin, dass der Big Bang weder »big« noch ein »bang« war. Weil aber die Idee eines Big Bang für unsere wissenschaftlichen Institutionen ebenso fundamental ist wie zu Zeiten Galileis die Vorstellung von der Erde als Mittelpunkt des Universums, sträuben sich die astrophysikalischen Gralshüter gegen die Aufgabe liebgewordener Glaubenssätze und verweigern – ihres Weltbilds und der Forschungs- und Fördermittel willen – den Blick durch das Fernglas. Vor allem den durch das Teleskop des Astronomen Halton Arp, dessen Beobachtungen das Urknall-Modell des Universums widerlegen. In den USA, wo er seit den sechziger Jahren forschte, wollte man von seinen ketzerischen Erkenntnissen nichts wissen und reduzierte die Teleskopzeiten des Professors so massiv, dass er nach Deutschland auswanderte und im Max-Planck-Institut heimisch wurde.

Als schlagender Beweis für die Richtigkeit der Urknallhypothese galt bisher die so genannte »Rotlichtverschiebung«, nach der sich observierte Lichtstrahlen um so stärker ins Rötliche verschieben, je weiter sich die Strahlungsquelle entfernt. Da seit dem Big Bang vor 15 Milliarden Jahren alles auseinander stiebt und die Astronomen deshalb von einem expandierenden Universum ausgehen, gelten die Himmelskörper mit der stärksten Rotlichtverschiebung als die ältesten. Mit  Halton Arp nun istdiese Verwendung des Rotlichts als Geschwindigkeits- und Entfernungsmesser erschüttert worden: Er entdeckte »uralte« Quasare mit einer hohen Rotverschiebung, die sich eigentlich schon jenseits des sichtbaren Universums befinden müssten, in nächster Nähe zu sehr jungen, schwach rötlichen Galaxien. Ein Ding der Unmöglichkeit.

“Seeing Red” lautet der doppeldeutige Titel eines Buchs, das er 1998 darüber veröffentlichte – nicht nur hatte er als einer der führenden Beobachtungsastronomen etwas Rotes da entdeckt, wo es nicht sein dürfte, auch das wissenschaftliche Establishment sah rot, denn mit diesen Bildern war ihrer liebgewordenen Urknalltheorie der Boden entzogen. Deshalb verweigert die Mehrheit der Wissenschaftler lieber den Blick durch Haltons Teleskop – oder sie übt sich, angesichts der Evidenz, im wortreichen Wegerklären. Und so gilt Halton Arp als »widerlegt« und der Big Bang samt expandierendem Universum weiterhin als unangefochtenes Standardmodell. In Wirklichkeit verlief aber alles ganz anders – und ohne hier jetzt in kosmogonische und kosmologische Details einzusteigen, können wir zumindest eines sicher feststellen: Am Anfang war Murphys Gesetz, und schon beim Big Bang ist deshalb alles schiefgegangen. Möglicherweise hat es nicht einmal geknallt oder es waren viele kleine Mini-Bangs statt einem großen Wumm, weshalb jetzt eben nicht alles schön gleichmäßig auseinander, sondern ziemlich durcheinander fliegt und sich uralte Quasare in Teenager-Galaxien tummeln.

Wie auch immer, die Kulturhistoriker der Zukunft werden uns einst in eine Reihe stellen mit den Naturvölkern, die ihre Kosmologien und Welterklärungen aus der sie umgebenden Umwelt schöpften – um im Zeitalter des Explosionsmotors, des Automobils und der Atombombe dann eine phantastische Ur-Explosion zu erfinden und haarklein zu »beweisen« … Zugegeben fällt es schwer, dem guten alten Big Bang »Bye-bye« zu sagen, ohne gleich in großes »Hallo« für ein neues, besseres Modell auszubrechen. Diskreditierte Weltbilder sterben langsam, selbst wenn sie, wie der Big Bang, der Logik eigentlich Hohn sprechen. Denn wenn alles in einem großen Knall entstanden sein soll, müssten ja zuvor schon die physikalischen Gesetze, nach denen es knallt, existiert haben. Ohne Knallgesetz keine Explosion. Wer also weiter an den Big Bang glaubt, muss auch an das Knallgesetz glauben – und bewegt sich damit, was die Kuriosität seines Glaubensmodells betrifft, durchaus auf dem Niveau der Kreationisten, die annehmen, der liebe Gott hätte die Erde am 18. Januar 4777 v.Chr. um 16 Uhr geschaffen. Wobei der Vorteil dieses Modells immerhin darin besteht, dass ein solcher Schöpfungsakt halbwegs geräuschlos vonstatten gegangen sein dürfte..”

Nachtrag: Auch die oben verlinkte, sehenswerte BBC-Doku hat sich vom Urknall-Paradigma noch nicht verabschiedet. Die Tatsache aber, dass überhaupt darüber nachgedacht wird, dass der Urknall eben nicht der Anfang von allem war, sondern “davor” irgendetwas gewesen sein muss, scheint schon mal ein Fortschritt. Insgesamt ist die Beschäftgigung mit dieser Frage ein dickes Brett und ich würde nie behaupten, es durchbohrt zu haben. “Gefühlt” scheint mir aber ein Universum, dass einfach schon immer da war (Fred Hoyles “Steady State”-Theorie) und sich ständig erneuert und dabei ausdehnt (die in der Doku angesprochene “ewige Inflation”) sehr viel naheliegender als ein Knall, mit dem alles anfängt. Als einer der ersten Kosmologen der Geschichte, Gautama Budhha, einmal von einem Schüler gefragt wurde, was das kürzeste Zeitereignis sei, anwortete er, dass dieses während eines Wimperschlags 26.884.578.303.147- mal stattfindet (ich finde die genaue, ellenlange Zahl, die von ihm genannt wird gerade nicht, diese hier nur als Platzhalter  und “Hausnummer”)… und jedesmal ( also in billionenfachen “Mini Bangs” jeden Augenblick) wird das Universum neu geschaffen.

Die Airforce des kleinen Mannes

Wenn die Feststellung des Soziologen Mike Davis  – Die Autobombe ist die AirForce des kleinen Mannes – richtig ist, wären die “Selbstmordbomber” so etwas wie die Fußtruppen und solch ein Angriff das letzte Mittel, mit dem der “kleine Mann” gegen eine militärische Übermacht in den Krieg ziehen kann. Selbstmordattentate sind insofern eine klassische Guerilla/Partisanen-Strategie und haben nichts mit religiösem Fanatismus  oder Wahnsinn zu tun, auch wenn uns das die Medien derzeit anhand von “islamistischen” Selbstmordombern immer wieder so verkaufen. Und doch kann man sich die Schadenfreude nicht verkneifen, wenn die Zeitung meldet, das ein Selbstmordbomber-Trainer sich und seine Klasse versehentlich in die Luft jagte:  “Suicide Bomb Trainer in Iraq Accidentally Blows Up His Class” – zumal dieses Ereignis aus der Serie “Wenn Comics wahr werden” stammt, wie dieser mindestens zehn Jahre alte Cartoon zeigt, an den ich mich bei dieser Nachricht erinnerte  und der sich in den Tiefen des WWW dann tatsächlich  noch wiederfand:

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Peter Gente R.I.P.

10.02.14 21:32-BildschirmkopiePeter Gente, Mitgründer von “Merve”, ist 77-jährig in Thailand gestorben. Nicht nur als Macher des vielleicht wichtigsten Theorie-Verlags,  auch als höchst sympathischer Kopf und Vermittler wilden Denkens war Peter ein wichtiger Mensch in meinem Leben – und für meine Arbeit im Feuilleton der neu gegründeten taz. Auf den Merve-Parties in der Schöneberger Fabriketage traf man Geister und Künstler, die wir dann auch gerne “für lau” in der kleinen “tageszeitung” publizierten – bevor sie später weltberühmt wurden. Ruhm und Geld interessierten ihn (und seine Gefährtin Heidi Paris) wenig, ökonomisch war Merve immert prekär – und realisierte dennoch und ohne Rücksicht auf Verluste aufwändige Übersetzungen und Publikationen. Wie etwa 1992 “Tausend Plateaus” von Deleuze/Guattari, mit dessen begeisterter Rezension für Deutschlandfunk und Zeitung ich Peter etwas zurückgeben konnte – für die Sachen von Foucault, Baudrillard Virilio et. al., die er immer wieder rübergeschoben hatte. Dass er diesen Text als den besten bezeichnete, der über dieses Buch geschrieben wurde, empfand ich als Lob von allerhöchster Stelle. Bevor Peter 2007 den Verlag in jüngere Hände übergab und seinen Alterswohnsitz nach Thailand verlegte – wo er in Frieden ruhen möge – führten  wir unser letztes Gespräch:

taz: Das erste Buch von Peter Gente, das mir als Student 1973/74 in die Hände fiel, war eine Anthologie, vom Fischer-Verlag und nicht von Merve verlegt.

Peter Gente: Ja, das war “Marxismus, Psychoanalyse, Sexpol”, 1970 erschienen. Der erste Band hatte vor allem die Sachen von Wilhelm Reich, und der zweite versammelte dann die neueren Texten von Peter Brückner oder Herbert Marcuse.

In dieser Zeit habt ihr auch das Verlagskollektiv gegründet und die Erweiterung des klassischen Marxismus gewissermaßen zum Programm gemacht.

Wir waren eine Berliner Wohngemeinschaft und politisch eher am Pariser Mai 68 und an der Bewegung in Frankreich insgesamt orientiert, die ja etwas anders verlief als hier. Nämlich weniger dogmatisch und weniger auf Studenten fixiert. In Frankreich und vor allem auch in Italien waren die Arbeiter viel stärker integriert. Und da guckten wir hin, denn uns ging es immer um neue Lebens- und Verkehrsformen. Deshalb haben wir dann auch im Verlag die Trennung von Hand- und Kopfarbeit aufgehoben. Jeder musste drucken lernen. Auch meine Partnerin Heidi Paris musste, nachdem wir uns 1975 kennengelernt hatten, noch drucken lernen.

Mit dem Bruch, den der deutsche Herbst 1977 darstellte, änderte sich dann auch der Verlagsname in “Merve”; mit “Internationale Marxistische Diskussion” war es vorbei.

Ja, die war gegessen. Wir hatten es ja nicht so mit den Terroristen. Spontis und Leute wie Fritz Teufel waren uns näher als Typen wie Horst Mahler.

In dieser Zeit habt ihr Theoretiker entdeckt, die in Deutschland noch niemand kannte – Foucault, Baudrillard, Deleuze, Guattari – und die mit Begriffen und einer Sprache operierten, bei denen die Leser erst mal nicht durchblickten. Mir ging es jedenfalls so.

Wir blickten auch nicht durch. Wir hatten ja etwas ganz anderes gelernt – Marxismus, kritische Theorie -, und diese Autoren setzten das zwar irgendwie fort, doch sie lösten sich auch davon und setzten andere Bezugsrahmen. Marx und Freud oder die Familie ließen sie, wie Deleuze/Guattaris im “Anti-Ödipus”, hinter sich, und das interessierte uns.

Es wurden ganz neue Begrifflichkeiten entwickelt. “Rhizom”, “Wunschmaschine” …

… und das Monster “Deterritorialisierung”.

Oh ja. Ich erinnere mich noch an die bösen Kommentare der Redaktionskollegen, wenn ich Anfang der 80er-Jahre auf der Kulturseite der taz mal wieder einen Vorabdruck von euch gebracht hatte.

Das war eben viele Jahre bevor die großen Verlage und das Feuilleton das alles entdeckten. Als ein alter Freund von uns, Dietrich Kuhlbrodt aus Hamburg, einmal dem Kulturchef der Frankfurter Rundschau, Wolfram Schütte, mit dem Baudrillard-Band “Kool Killer” unterm Arm begegnete, wurde der ganz blass und sauer: “So was liest du?” Fünf Jahre später war die Rundschau dann ganz stolz, wenn sie einen Baudrillard oder Virilio drucken konnte. Aber anfangs galt das für die klassischen Linken als “neuer Irrationalismus”, und Kritiker wie Lothar Baier oder Manfred Frank warfen uns vor, dass wir Begriffe wie Diskurs benutzen. Heute sind die völlig selbstverständlich – bis hin zur CDU und Merkel. Schön fand ich, dass Dietmar Dath in seinem Nachruf auf Heidi Paris in der FAZ schrieb, dass Merve dieses Wort eingeführt hätte und uns eigentlich das Copyright für Diskurs gebührte.

Als aus der “Internationalen Marxistischen Diskussion” der “Internationale Merve Diskurs” wurde – seid ihr da mit diesem neuen Denken einfach ins kalte Wasser gesprungen ?

Was man nicht verstand, hat uns erst mal fasziniert – und der Wahnsinn, den Foucault und Deleuze/Guattari beschrieben, der lag in der Luft, die Wirklichkeit war ja auch nicht mehr so ganz klar. Deshalb konnten wir mit diesen Theorien auch arbeiten, als das Kollektiv langsam den Bach runterging und man selber am Durchdrehen war. Foucault und Deleuze waren da einfach nahe liegend und haben uns auf Trab gebracht, auch weil sie immer irgendwo handlungsorientiert waren. “Du musst theoretisch nicht zu Adam und Eva zurück, fang an, geh mitten rein, und je mehr du dich damit beschäftigst, desto besser findest du dich zurecht”, sagte Deleuze immer. Das haben wir versucht.

Mit viel Erfolg, wenn man auf die fast dreihundert Merve-Bände schaut – und doch habt ihr euch auch immer an eine andere Deleuze-Parole gehalten: an das Minoritärwerden, an ein Schreiben, das wie eine Maus sein Loch buddelt. Die intellektuelle Kapazität, die bei Merve versammelt ist, überragt fast jeden Großverlag – aber ihr seid seit 30 Jahren auf derselben Fabriketage geblieben und habt einfach weiter eure kleinen Bücher gemacht.

Wir konnten das alles nur machen, weil wir arm waren. So hochkarätige Figuren haben als Autoren nur zwei Möglichkeiten: Entweder verkaufen sie sich ganz teuer – oder sie verschenken ihre Texte. Wir haben sie umsonst gekriegt, zumindest am Anfang – und auch noch, als alle hinter Foucault her waren und er von seiner dreibändigen Geschichte über “Sexualität und Wahnsinn” in den USA 200.000 Stück verkauft hat.

Neben solchen theoretischen Texten habt ihr viele Bücher zu Kunst und Musik gemacht, von den “Genialen Dilletanten” über “Tödliche Doris” bis hin zu Martin Kippenberger und Thomas Kapielski. Wie kam es zu dieser Mischung?

Als Heidi und ich uns kennenlernten, gingen wir fast jeden Abend in den “Dschungel” oder ins “Risiko” – wir kannten diese Leute aus der Musikszene, bevor die richtig Musik machten. Erst zehn Jahre später machten wir zum Beispiel mit Blixa Bargeld und den Einstürzenden Neubauten ein Buch. Als wir den Kippenberger machten, kannte den noch kein Mensch. Die Bücher entstanden also aus unserem Umfeld. Wir arbeiteten den ganzen Tag an diesen anstrengenden Theoriebüchern, und wenn wir dann abends um elf Uhr unter der Decke hingen und unser Verständnishorizont endgültig überschritten war, gingen wir in den “Dschungel”, um wieder runterzukommen. Wir hatten aber keine Berater, die uns dringend irgendwelche Titel empfahlen, die sind immer auf unserem eigenen Mist gewachsen. Wir haben gesammelt, Interviews, Zeitungsausschnitte, einfach Material, und irgendwann ist dann daraus ein Buch entstanden.

Die meisten Merve-Bücher werden heute in Museumsshops und Kunstbuchhandlungen verkauft. Was war in den bisher 37 Jahren der Verlagsgeschichte der am meisten verkaufte Band?

Der Renner ist nach wie vor “Rhizom” von Deleuze/Guattari. Vor zwei Jahren war er noch unserer meistverkauftes Buch überhaupt, obwohl schon vor 25 Jahren erschienen. Und auf Platz zwei sind ihre “Tausend Plateau”.

Das war 1992 das erste Hardcover der Merve-Bibliothek und ein großes Risiko.

Ja, aber es ist gut gelaufen, und es läuft auch immer noch gut. Durch Negri/Hardts “Empire” gab es noch mal einen Nachklapp. “Empire” wurde zwar rauf- und runtergelobt, aber es steht leider gar nichts drin. Leider, weil wir vor über 30 Jahren die Ersten waren, die Negri außerhalb Italiens publiziert haben. Später landete er dann bei Thomas Schmid von Wagenbach.

Der gerade als Chefredakteur bei Springers Welt gelandet ist.

Ja, das ist toll. Ende der 70er war er noch schwer linksdogmatisch und warf Merve vor, dass wir immer heiße Kartoffeln aus dem Feuer holen und Moden kreieren und uns dann nicht mehr damit beschäftigen würden.

Man sieht, wo das endet. Hier stehen die Umzugskisten gepackt. Dein Archiv wurde vom Zentrum für Kunst und Medientechnologie in Karlsruhe aufgekauft und sichert zumindest eine Rente.

Die allerdings in Deutschland nicht reichen würde. Deshalb ziehe ich Mitte Februar nach Thailand. Nach 50 Jahren Berlin und 37 Jahren Verlag habe ich alles, was hier lief, in vollen Zügen genossen – Kunst, Kultur, Musik, die ganze Szene. Was zurzeit läuft, ödet mich ein bisschen an. Ich bin sehr verwöhnt, vor allem durch die einmalig schöne Zeit mit Heidi, die anstrengend und schwierig war, aber die zu etwas führte, den Büchern, die unser Leben waren. Als Heidi mit ihrer Schizophrenie nicht mehr klarkam und sich das Leben genommen hat, konnte ich keinen Neuanfang mehr machen. Ich musste eine Nachfolge organisieren. Wenn es den Verlag weiter geben sollte, musste ich raus, den Absprung finden. Das ist gelungen und ich bin, wenn ich die dreihundert Bücher hier sehe, zufrieden. Ich glaube, ich hab’ mein Ding gemacht.