Unter dem Motto “Onward thru the Fog” hatten Gerhard Seyfried und ich im Frühjahr 2002 eine lange Liste sämtlicher Verschwörungen, Geheimagenturen, Terrorgruppen, Sekten, Politikern, Drei-Buchstaben-Diensten sowie allen sinistren und suspekten Vereinigungen erstellt, die uns eingefallen waren. Und daraus eine Art Netzwerk von sehr möglichen und völlig unmöglichen Verbindungen gezogen. Da wir ein paar Jahre zuvor an der deutschen Ausgabe von Robert Anton Wilsons “Lexikon der Verschwörungstheorien” beteiligt waren, das Gerhard übersetzt und ich herausgegeben hatte, waren wir auf diesem Fachgebiet historisch halbwegs bewandert. Zudem saß ich gerade an der Fertigstellung des Manuskripts von “Verschwörungen, Verschwörungstheorien und die Geheimnisse des 11.9.” und war über die aktuelle Großverschwörungstheorie, nach der 19 Studenten mit Teppichmessern und zwei Flugzeugen drei Wolkenkratzer pulverisiert haben sollten, recht gut auf dem Laufenden. Natürlich ohne zu wissen (oder vorzugeben zu wissen) wer denn genau hinter dieser Terrorattacke steckt, unter all den “üblichen Verdächtigen” auf unserer Liste. Wie aber dieses dubiose Netzwerk im Nebel des Propaganda,-und Informationskriegs dokumentieren und kommentieren ? Das geht nur mit Kunst und so zauberte der Künstler Seyfried das “Secret Diagram”. Und ich konnte mir für das Buch keinen besseren Gesamtüberblick des Verschwörungswesens wünschen – und keine bessere Warnung vor Kurzschlüssen und vorschneller Komplexitätsreduktion auf EINEN Sündebock – als diesen graphischen Kommentar mit Kicherfaktor, den wir dann der ersten Auflage als Poster beilegten. Was prompt die Staatsanwaltschaft aktiv werden lies, nachdem ein mit Lupe ausgestatteter Denunziant in dem Gewimmel ein winziges “SS”-Symbol und ein Hakenkreuz zur Anzeige gebracht hatte. Es folgten die Beschlagnahme des Buchs in einem Laden von Zweitausendeins, und des PCs eines Online-Nutzers, der das Diagramm verlinkt hatte (siehe die Meldung hier auf diesem Blog im antiken Design vom 14.11.2002 und den Bericht auf heise.de).
Es kam damals nicht zu einem Strafverfahren, weil die übereifrigen Staatsanwälte von ihren mit Normalverstand ausgestatteten Vorgesetzten zurückgepfiffen wurden, da klar zu erkennen war, dass es sich bei diesem Bild nicht um verfassungsfeindliche Werbung mit verbotenen Nazi-Symbolen oder Verharmlosung des NS-Staats handelt, sondern um “Kunst” im allgemeinen, gesetzlichen und um einen Cartoon, eine Satire im besonderen Sinne. Und beides im Rahmen der Grundrechte – Meinungsfreiheit, Art. 5 Abs. 1, Kunstfreiheit, Art. 5 Abs. 3 – unter besonderem Schutz steht.
Doch solche mit fundamentalen rechtsstaatlichen Prinzipien ausgestattete Gerichte scheinen im Verschwinden begriffen – was damals als kurze Justizposse endete, wird heute ein Fall fürs Verfassungsgericht – und wieder ist es ein kaum sichtbares Hakenkreuz. Und wieder ist es eine klar erkennbare politische Satire, ein Kunstwerk, das der in Berlin lebende Autor und Kolumnist CJ Hopkins auf dem Cover seines Buchs verwendet hat, das unter dem Titel “The Rise of the New Normal Reich” die “Maßnahmen” genannten autoritären, totalitären staatlichen Eingriffe in die Grundrechte der Bevölkerung thematisiert.
Nachdem er die Maske mit dem kaum erkennbaren Hakenkreuz getwittert hatte, wurde er vor dem Langericht Berlin angeklagt – und freigesprochen. Wobei die Richterin ihm zwar “ideologisches Geschwurbel” vorwarf, was aber nicht strafbar sei, in der stilisierten Maske indes nichts Strafwürdiges erkennen konnte. Sehr zu Recht, weil sonst die Gerichte kaum hinterher kämen, den Hakenkreuzen den Garaus zu machen. (Dass mit Nazi-Signets geschmückte Brigaden neuerdings mit deutschen Panzern wieder in Russland einmarschieren, fällt zum Glück nicht in ihren Geschäftsbereich. Oder?)
Aber: wenn keine echten Hakenkreuze da sind, muss man halt welche (er-)finden – so beginnt ja schon Wolfgang Neuss` antifaschistisches Meisterwerk “Wir Kellerkinder” (1960) – weshalb die Berliner Staatsanwaltschaft sofort gegen “Spiegel” und “Stern” wegen versteckter Verharmlosung des NS-Staats losging…. äähh, nein, davon hätte man gehört…- sondern Berufung gegen den Freispruch einlegte.
Jetzt urteilte das Berliner Kammergericht: das Hopkinsche Hakenkreuz ist strafbar, denn:
“Der Vergleich von Corona-Maßnahmen, die durch die Verwendung der Mund-Nasen-Bedeckung verkörpert werden sollen, mit dem durch das Hakenkreuz symbolisierten NS-Terrorregime stelle eine Verharmlosung des Nationalsozialismus und des nationalsozialistischen Völkermordes an Millionen Juden dar, nicht aber eine Kritik daran, so die Vorsitzende in ihrer heutigen mündlichen Urteilsbegründung”
Weiter heißt es dann: “Auch habe der Angeklagte mit seinen Posts nicht den Zweck verfolgt, objektiv über Vorgänge des Zeitgeschehens zu berichten oder staatsbürgerliche Aufklärung zu betreiben.” Als hätte irgendein Großmedium während der Pandemie “objektiv” über die Vorgänge berichtet, und als wären künstlerische Darstellungen jemals zur Objektivität verpflichtet:
“Die Verwendung des Symbols auf der Maske erwecke vielmehr den Eindruck, dass die Verwendung des Hakenkreuzes geduldet werde. Genau dieser Eindruck sei aber zu vermeiden, so die Vorsitzende weiter. Das „kommunikative Tabu“ müsse nach dem Willen des Gesetzgebers aufrechterhalten werden, damit keine Gewöhnung an derartige Symbole eintrete.”
Warum bei den oben abgebildeten “Stern”-oder “Spiegel”-Hakenkreuzen, die an jedem Kiosk aushängen, zwecks Vermeidung von Gewöhnungseffekten der Wille des Gesetzgebers nicht aufrecht erhalten werden muss, beim Tweet und Cover eines us-amerikanischen Autors, der von der erzwungenen Gleichschaltung der Deutschen erzählt, erschließt sich dem logischen Verstand nicht. Der geschätzte Kollege Milosz Matuschek (als Dr.jur. mit justizieller Un/Logik vertraut) schreibt dazu:
“Der Hauptpunkt der Verurteilung scheint zu sein, dass Hopkins durch seine Tweets mit Bild und den NS-Vergleich nicht deutlich seine Ablehnung zum NS-Regime hervorgebracht habe. Er habe nur die Corona-Maßnahmen, nicht aber das NS-Regime kritisiert. Diese Deutung ist eine einseitige, logisch nicht nachvollziehbare Interpretation. Denn das Gericht erkennt ja an, dass er die Coronamaßnahmen der Regierung kritisiert, also negativ bewertet. Wie soll in diesem Zusammenhang die Verwendung des Hakenkreuzes anders gemeint sein als eine Verstärkung der Kritik durch ein Symbol? Warum sollte er seine harte Kritik durch die neutrale Verwendung des Hakenkreuzes irgendwie freundlicher aussehen lassen? Die tiefste Ablehnung von NS-Methoden muss vorausgesetzt werden, sonst macht die Aussage ja keinen Sinn. (…) Die Berliner Justiz hat sich selbst ein Eigentor geschossen und CJ Hopkins im Grunde bestätigt: „Da wo der Vergleich verboten wird, da war er wohl angebracht.“ (Causa Hopkins: Wo ist die Straftat?)
So ist es. Und es geht hier nicht um kaum sichtbare Hakenkreuze, es geht um Eliminierung politischer Dissidenz, um Ausschaltung von Kritik der aktuellen Regierung und nicht um Verhinderung von Propaganda für das Dritte Reich. Schon ein kurzer Blick in die Kolumnen, Essays und Bücher von CJ Hopkins hätte eigentlich selbst für stark unterbelichtete Juristen deutlich machen müssen, dass es sich bei diesem Angeklagten nicht um einen Befürworter des Faschismus und autoritärer Maßnahmen handelt, sondern um einen Schriftsteller, der als Freidenker der guten alten Schule lieber weiter Theaterstücke und Romane schreiben würde, statt sich für seine politischen Kolumnen und Tweets mit deutschen Gerichten herumschlagen zu müssen und aus den Buchläden verbannt zu werden. Weil ein Hakenkreuz hinter einer Maske zur Gewöhnung an das Symbol des Faschismus führen würde und für ein Buchcover, das artistisch das Design eines historischen US-Klassikers ironisiert und fortschtreibt ?
Absurd, aber deutsche Gerichtsbarkeit. Irgendwie kommt einem da das bekannte Diktum von Ignazio Silone, dass sich der neue Faschismus nicht so nennen wird, “sondern sagen wird: ich bin der Antifaschismus” und sich natürlich verbitten muss, mit dem alten in irgendeiner Form verglichen zu werden: “The first rule of New Normal Germany is, you do not compare New Normal Germany to Nazi Germany. If you do that, New Normal Germany will punish you. It will sic the Federal Criminal Police on you. It will report you to its domestic Intelligence agency. It will ban your books. It will censor your Tweets. It will prosecute you on fabricated “hate-crime” charges”, schreibt CJ Hopkins in seinem Bericht über das Verfahren ( “Fear and Lothing in New Normal Germany” ) und kündigt an, gegen dieses Urteil das Bundesverfassungsgericht anzurufen. “Wenn ich das nicht tue, wird der Präzedenzfall, den die deutschen Behörden der Neuen Normalität zu schaffen versuchen, Bestand haben, und das Recht auf freie Meinungsäußerung in Deutschland wird nichts anderes sein als ein kranker faschistischer Witz.”
PS: Dass man heute bis vor das Verfassungsgericht ziehen muss, um groteske Kreuzzüge gegen die Kunst,-und Meinungsfreiheit zu stoppen, ist ja allein schon ein schlechter Witz – und kostet zudem einen Haufen Geld. Dafür hat CJ Hopkins seinen Legal Defense Fund wieder aufgelegt. Wer etwas spenden kann, möge das tun!
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Erschienen am 10. Juni 2024
Mathias Bröckers: Inspiration – Konspiration – Evolution. Gesammelte Berichte aus dem Überall, Fifty-Fifty (Juni 2024), 464 Seiten, 30 Euro