Auf der Frankfurter Buchmesse war ich in diesem Jahr nicht. Gelesen wird natürlich trotzdem. Zum Beispiel aus dem Westend Verlag das neue Buch von Eva Schweitzer “Links blinken, rechts abbiegen” über die unheimliche Allianz zwischen Neurechten, woken Antideutschen und amerikanischen Neokonservativen: “Die Antideutschen sind eine kleine, aber schrille Politsekte, die links zu sein glaubt, bei Lichte betrachtet aber schon rechts angekommen ist und dem deutschen Belehrbedürfnis frönt. Einige waren mal Funktionäre in kommunistischen Gruppen der Studentenbewegung, andere kommen vom Schwarzen Block oder sind bloß Anti-Ostdeutsche, die Kleinbürger verachten. Sie haben viele Sympathisanten in den Medien. Das verleiht ihnen viel mehr Einfluss auf politische Debatten, als gut ist.” Eva Schweitzer kennt sich als langjährige Korrespondentin in den USA bestens aus und zeigt, wie diese schrille Mode über den großen Teich nach Deutschland geschwappt ist. Und zu Gruppen geführt hat, die sich “Antideutsch” und “Antifaschistisch” nennen, sich “divers” und “gendergerecht” gerieren, aber jeden Krieg, den das US-Imperium führt, nach Kräften bejubeln und denen zur Zerstörung Dresdens nichts Bessers als die Parole “Bomber Harris -Do it again” einfällt. Als die CIA in den 1950ern mit der “Operation Mockingbird” Jahren begann, ein Netz von Einflussagenten in ausländischen Medien und Insitutionen aufzubauen, achtete man bei den Akquisitionen besonders darauf, auch die “compatible left” einzubinden, mit den nach der Wende 1989 auftretenden “Antideutschen” ist dann eine Pseudo-Linke entstanden, die derart kompatibel ist, dass sie rechts und totalitär wieder raus kommt.
Seit der Begriff “Verschwörungstheorie” samt seinen Mutationen nur noch als Diskurskeule zur Desinfektion des Meiningskorridors mißbraucht wird, taucht er zwar gefühlt in jedem zweiten Zeitungsartikel auf, Vernünftiges ist aber darüber aber äußerst selten etwas zu lesen. Die in den Großmedien durchgereichten Wissenschaftler und “Experten” blubbern allesamt die immergleichen Plattitüden, reale Verschwörungen finden in ihrer Welt einfach nicht statt und wer das nicht glaubt ist paranoid, verrückt und neuerdings sogar eine “Gefahr für die Demokratie”. Wer sich davon nicht irre machen lassen und Fundiertes zum Thema erfahren will, greife zu dem Buch der Soziologen Andreas Anton und Alan Schink: Der Kampf um die Wahrheit – Verschwörungstheorien zwischen Fake, Fiktion und Fakten. Es ist das Beste, was es über diesen Kampfbegriff und seinen inflationären Mißbrauch derzeit zu lesen gibt.
Auf Dmitry Orlovs „Die Lehre vom Kollaps – Die fünf Stufen des Zusammenbruchs und wie wir sie überleben, hatte ich unter dem Titel “Das Ende zu Ende denken” schon im letzten Jahr hingewiesen. Es hat seitdem weiter an Aktualität gewonnen. Ein einfaches Zurück in die Prä-Corona-Ära, das macht Orlovs nüchterne Bestandsaufnahme klar, beschleunigt den Kollaps nur. Wirklich aufhalten aber lässt er sich nicht, weshalb es gilt, sich mit der Idee dieses Buchs anzufreunden, „dass der Zusammenbruch kein um jeden Preis zu vermeidender Alptraum ist, sondern Teil der normalen, unveränderlichen Zeiten der Geschichte.“ Anfang dieses Monats habe ich mit Walter van Rossum, Norbert Häring und Max Otte darüber gesprochen, “dass die enorme Schieflage des Kapitalismus auch von ihren Urhebern längst erkannt wurde. Vermutlich seit geraumer Zeit arbeiten sie an einer Agenda — The Great Reset —, den Kollaps zu kontrollieren, um sich danach als neue Feudalherren die Welt gänzlich zu Untertanen zu machen.”

Über fast jeden der Essays zu Politik, Philosophie und Gesellschaft, die Eberhard Sens unter dem schönen Titel “Liebe deinen Nachbarn, aber lass den Zaun stehn” veröffentlicht hat, könnte man eine kleine Rezension schreiben. Es geht um viel und in die Tiefe: Planetarische Perspektiven, Komplexität, Große Systeme, Kontingenz, Musik, Kosmische Katastrophen, Parapsychologie, Bürgerkriege, Medien – und um Norbert Elias, Peter Sloterdijk, Jürgen Habermas, Niklas Luhmann, Gottfried Benn, Ayn Rand, Max Weber, Thomas Hobbes und andere. Der Band versammelt Texte aus vierzig Jahren, was ziemlich genau der Zeitspanne entspricht, die wir uns jetzt schon kennen, selten einer Meinung sind, aber als Sparringspartner regelmäßig in den Ring steigen, um dem anderen disputative Kinnhaken zu verpassen. Warum das ohne grobe Fouls oder Tiefschläge schon so lange und so gut geht, ist mir beim Lesen dieser Aufsätze jetzt wieder aufgefallen: im Grunde sind wir uns einig, dass wir bei allem überbordendem Wissen eigentlich immer noch nichts wissen. Und die Maxime von Eberhards Lehrer Dieter Claessens “Schau unter jeden Stein!” ständig dazu führt, dass man Neues entdeckt von dem man nichts weiss und das auf die Reihe gebracht werden muss. Dass unser Wissen und unsere Wahrheiten also etwas Fluides sind, das sich laufend verändert – und wir uns mit ihnen. “Am Fluß des Heraklit – Neue kosmologische Perspektiven” hiess denn auch eine von Eberhard Sens herausgegebene Anthologie (Insel-Verlag, 1993), zu der ich damals beigetragen habe. In diesem Buch nun kann man nachvollziehen, wie er an diesen Fluß kam – und unter welche Steine er seitdem geschaut hat.
Karl Marx, der als als heiterer Guru in einer fliegenden Suppenschüssel durchs Weltall rast und statt des Proletariats hienieden nun Außerirdische auf seiner Seite hat – das war einer der Plots in dem Anfang der 1980er erschienenen Sci-Fi-Roman “Weltgeist Superstar” des pseudonymen Autors P.M., der unter dem Titel “BoloBolo” auch die Grundrisse einer anarchistisch-utopischen Gesellschaft entworfen hatte. Beide wurden zu Kultbüchern in der alternativen Szene, die ich noch in guter Erinnerung hatte, als ich Anfang des Jahres in den Weiten des WWW wieder auf den Autor P.M. stieß: “Mit dem zehnbändigen Romanwerk “Die Große Fälschung”, das ab September 2020 in zweimonatigem Abstand erscheint, legt der Schweizer Autor P.M. ein vielseitiges Werk vor: ethnologischer Abenteuerroman ebenso wie gesellschaftliche Utopie. Wie ein Bruder im Geiste Karl Mays erzählt P.M. mit großer Fabulierkunst von Abenteuern in exotischen Welten, die sein Kara Ben Nemsi Rodulf von Gardau erlebt, und entwirft eine faszinierende Parallelwelt aus der Science-Fiction-Tradition der „Was wäre, wenn …“, die nicht nur Game of Thrones-Fans begeistern wird.” Ich besorgte mir das erste in feines Kunstleder gebundenen Bändchen, bin mittlerweile bei Band 6 angelangt und kann die Fortsetzungen kaum erwarten.
Auch “Danny Patrick Rose” ist ein Pseudonym und sein Lebenslauf liest sich so abgedreht wie dieser Roman: “Er begann als Stand-up-Comedian in seiner Heimatstadt Salt Lake City, studierte Civic Disobedience am City College in New York und arbeitete dann als Coach für das Baseballteam Boston Red Sox, Pizzalieferant für Tupac Shakur und Faktenchecker beim Council of Foreign Relations. Danach eröffnete er eine Stripbar in New Orleans. Als ihn das FBI als Person of Interest suchte, tauchte er in New Mexico unter, wo er bewusstseinserweiternde Kekse mit Kakteen kreuzte….” – soweit nur ein kurzer Ausschnitt. Denn mindestens so schrill und komisch geht es auch in seinem 9/11-Roman “Die Verschwörung” zu, auch wenn seine Figuren nicht erfunden sind, sondern im Weissen Haus und im Pentagon residieren und zwar anders heißen, aber von George Dabbelju abwärts sofort erkennbar. Und mit derart bösem Strich überzeichnet, dass es eine wahre Freude ist – und gleichzeitig der Realität wahrscheinlich näher kommt als das offizielle Märchen von Osama und den Teppichmessern.

Mein Freund Ben Dronkers hatte Mitte der 80er Jahre mit “Sensi Seed ” nicht nur die erste Hanfsamenbank gegründet und sowohl das Homegrowing von Marihuana nach Europa gebracht wie auch mit “Hempflax” einen der ersten Verarbeitungsvertriebe für Faserhanf. Er hat auch in diesen Jahrzehnten alles gesammelt, was mit der Pflanze zu tun hat und mit den Hanf-Museen in Amsterdam und Barcelona zwei hervorragende Kultur,- und Bildungseinrichtungen geschaffen. Die über 9000 Inventarieren des “Hash Marihuana & Hemp Mueseum” zeigen die enge Verbindung zwischen der Menschheit und Cannabis seit tausenden von Jahren – in zahlreichen farbigen Abbildungen und Texten wird die Geschichte dieses Wunderkrauts lebendig: Weed of Wonder. Obwohl ich selbst einige Bücher über die Universalpflanze dieses Planeten geschrieben habe war in diesem wunderbaren Buch noch viel zu entdecken. Nicht nur wegen der hervorragenden Bilder – Hanf hört niemals auf zu überraschen.





Frisch aus dem Archiv: Neun Tage nach der Maueröffnung 1989 erschienen in der taz meine “Spekulationen über den 9.November”. Was die Prognose betrifft, dass dies das Ende der Ära Kohl sei, lag ich als pseudo-kabbalistischer Wahrsager damals schwer daneben. Ansonsten sind die datumsmagischen Koinzidenzen aber nach wie vor verblüffend:

