Einen Essay von Wolf Reiser – “Freiwild – Über Zähmung, Verwahrlosung und Niedergang des Journalismus”, erschienen in “Lettre International” Nr. 107 und nur gedruckt erhältlich – möchte ich, bevor ich über die Feiertage mal ein paar Tage offline gehe, allen Leserinnen und Lesern dieses Blogs zur Lektüre empfehlen. Er erzählt aus der Perspektive eines freien Journalisten wie es mit unserer Branche in den letzten Jahrzehnten abwärts ging – und die “Unerbittlichkeit des Adlers” der “auf die unsortierten Trümmer der Ruinenlandschaft herabschaut” ist ebenso erhellend wie deprimierend. Erhellend weil einem Adlerauge die aktuelle Desinformation und “vorauseilende Gleichschaltung” der Leitmedien in Sachen “Majdanwahn und Klitscho-Hype” natürlich nicht verborgen bleiben kann; deprimierend weil alles in dieser Ruinenlandschaft der Medien so kaputt, so verkommen und so aussichtlos ist, wie Wolf Reiser es beschreibt. Als Alters,- und Branchengenosse, der sich seit 25 Jahren als “Freier” durchschlägt, habe ich diesen Niedergang genau so erlebt, bis hin zu dem entscheidenden Knacks im System:
“Im Nachinein ist es so, daß mit den ungeklärten Vorgängen von 9/11 der Tod des freien Journalismus einsetzte. Wer auch immer seither der offiziellen Version Zweifel entgegensetzte, landete in der Schmuddelecke des Verschwörungswahns. Wer die Nagelprobe nicht bestand konnte die Karriere als fester wie freier Journalist beenden.”
Ich konnte damals meine bescheidene “Karriere” als Autor bei verschiedenen ARD-Radios freiwillig beenden – nachdem “meine” Redakteure mir gesagt hatten: “Du kannst alles machen außer 9/11” – weil ich mich als erster auf genau dieses welterschütternde Thema stürtzte und im Alleingang eine Artikelserie für Telepolis und ein Buch schrieb, das ein internationaler Bestseller wurde. Damit war zwar der Lebensunterhalt als “Freier” für’s erste gesichert, ebenso sicher war aber auch ein Platz in der “Schmuddelecke des Verschwörungswahns”. Also nix mehr mit Edelfeder, “seriöser” Journalist und “renomierter” Autor – die neue Inquisition duldet (wie die alte) keine Abweichler. Wie damals etwa auf das Märchen von der Jungfrauengeburt muß heute auf das Märchen von Osama und den 19 Teppichmessern geschworen werden – wer darauf besteht, dass es sich um ein Märchen handelt, fliegt. Weshalb der Springer-Verlag nach 9/11 sicherheitshalber “Die Unterstützung des transatalntischen Bündnisses und die Solidarität in der freiheitlichen Wertegemeinschaft mit den Vereinigten Staaten von Amerika.” in Vertragswerke aufgenommen hat, damit jeder neu eingestellte Redakteur weiß, um was es bei der “Journalismus” genannten Produktion des Hauses geht. Dass derlei “deformative Betriebsanleitungen” (Wolf Reiser) auch anderweitig existieren ist wahrscheinlich und wenn sich dann, wie unlängst in einer Umfrage ermittelt, nahezu zwei Drittel der Bevölkerung von den Leitmedien in Sachen Ukraine schlecht oder einseitig informiert fühlen, ist das natürlich kein Thema in eben jenen Medien. Sie schalten lieber die Kommentarfunktionen ab.
Dass Wolf Reiser keine Lösungen weiß – auch mir fällt außer der Forderung, dass aus Gerüchteküchen wieder Rumorkliniken werden müssen nichts ein – ist kein Drama; es gilt, die Tragödie, deren Trümmer er detailgenau inspiziert und eloquent beschreibt, überhaupt erst einmal wahrzunehmen, anzunehmen, ernstzunehmen. Ich habe deshalb vor zehn Jahren mit diesem Blog begonnen, der zwar überhaupt nichts einbringt, aber mittlerweile im Monat etwa 25.000 Besucher hat, die 100.000 Artikel lesen. Das entspricht ja quasi schon der Gemeinde einer kleinen Lokalzeitung – und wenn dann in der künftigen Digitalen Räterepublik Deutschland so ein kleiner Lokalredakteur aus der Kultursteuer mit sagen wir mal 10 Cent pro Besucher bezahlt wird, müßte man sich um den Journalismus, die Meinungsvielfalt und die politische Willensbildung keine Sorgen machen. Womit wird uns bei der Empfehlung dieses grandiosen Abgesangs auf eine verwahrloste Branche doch noch mit einer positiven Vision aus der Affäre ziehen. Schließlich ist Weihnachten. Und schließlich kann – mit Werner Finck – “unsere Aufgabe nicht in unserer Aufgabe bestehen”, weil wir – mit Wolfgang Neuss – “nie aufhören von unten anzufangen”. All You Need Is Love. Frohes Fest!