Die fortgesetzen Anschlägen auf die Flüchtlingsunterkünfte zeigen, wie dünn der Firnis ist, der hinter dem Gesicht des besorgten Bürgers die Fratze des Terrors verbirgt. Und wie leicht es ist, aus dem harmlosen Spießer einen rasenden Mitläufer zu machen, vielleicht noch zu feige um selbst zu zündeln, aber mit Sympathie für die Brandstifter.
Ebenfalls gut erkennen konnte man in den letzen Wochen, wie falsch Sicherheitsbehörden gepolt sind, die etwa bei einer Demo gegen das Kohlekraftwerk Garzweiler hunderte Festnahmen und Strafanzeigen für notwendig halten und in Heidenau nur eine einzige.
Klar wurde auch, das Hass und Hetze in den digitalen Medien dieselben strafrechtlichen Folgen haben müssen wie in der analogen Öffentlichkeit.
Wenig hilfreich – wenn auch emotional verständlich – war es da, dass Vizekanzler Gabriel angesichts der Vorfälle in Heidenau von “Pack” gesprochen hat. Bei aller Wut über die terroristischen Täter und ihre Claquere darf Kritik den Gegner nicht entmenschlichen, sonst begibt sie sich schnurstracks auf dasselbe niederträchtige Niveau, das sie bekämpfen will. Auch Bundespastor Gauck betreibt mit der geographischen Ansiedlung ihres Treibens in “Dunkeldeutschland” – einst als Unwort des Jahres für den deutschen Osten nominiert – einmal mehr eher Spaltung statt Versöhnung
Rassisten, Rechtsradikale und andere zurückgebliebene Zeitgenossen sind keine “Schweine”, keine “Ratten”, kein “Pack” und leben auch nicht in einem dunklen Reich des Bösen; solange sie sich an die Gesetze halten, gelten auch für Nazis Meinungs,- und Versammlungsfreiheit. Wenn sie aber andere Menschen bedrohen, beleidigen oder zum Hass anstacheln ist der Rechtsstaat gefordert entschieden einzuschreiten – nicht weil es sich um dunkeldeutsches Pack handelt, sondern weil Gesetze übertreten werden. Punkt. Nicht mehr – aber auch nicht weniger – hat die Regierung angesichts der katastrophalen Lage zu allererst zu tun, um Leib und Leben der Flüchtlinge zu schützen. Das scheint an manchen Stellen noch schwer zu fallen – soeben gibt sich der sächsische Verfassungschutzchef Meyer-Plath überrascht, dass die Rechtsxtremisten derart über die Stränge schlagen, die doch sonst immer “das Bild des Saubermanns” abgegeben hätten. Meyer-Plath kennt sich da aus, er hatte u.a. einen wegen Mordversuch an einem Asylbewerber einsitzenden Neonazi als V-Mann rekrutiert. Angesichts der zumindest teilweise offen gelegten Abgründe des NSU-Sumpfs wäre es interessant zu wissen, wie viele staatlich finanzierte V-Männer bei den Protesten mitmischen.
Der häßliche Deutsche
Der “häßliche Deutsche” ist ein altes Klischee, vor dem ersten Weltkrieg in England zwecks Feind-Propaganda erfunden, von Hitler und seinen Horden dann auf schreckliche Weise verifiziert, seitdem von Hollywood als Mythos verewigt – und immer wieder gern bemüht, wenn sich Deutschland mal wieder daneben benimmt. Wie zuletzt Wolfgang “Gollum” Schäuble, als er Griechenlands Widerstand gegen die Klauen der Finanzdiktatur gnadenlos überrollte. Und wie jetzt die “besorgten Bürger”, die mit der Selbstbezichtigung “Wir sind das Pack” demonstrieren.
Nun ist es in der Tat häßlich, widerwärtig und brutal, was da in Heidenau und anderswo geschieht – aber Rassismus und gewalttätige Fremdenfeindlichkeit sind keine speziell deutsche Eigenart. “Jeder erbärmliche Tropf, der nichts in der Welt hat, darauf er stolz sein könnte, ergreift als letztes Mittel auf die Nation, der er gerade angehört, stolz zu sein,” wußte schon Arthur Schopenhauer – und weil die erbämlichen Tröpfe überall auf der Welt nicht weniger geworden sind, gibt es Rassismus, Nationalismus, Patriotismus bis heute. Anders als in Deutschland hängen diesen Ideologien in vielen Ländern sogar noch große Mehrheiten an, hier ist es mittlerweile nur noch eine kleine Minderheit. Und verglichen mit den anderen europäischen Ländern, die die Aufnahme von Flüchtlingen ablehnen, verhält sich die große Mehrheit der Deutschen fast schon vorbildlich.
Dass der Solidargedanke in Europa kaum weiter als bis zum eigenen Portemonaie reicht, wurde im Zuge der Griechenland-Krise zwar schon hinreichend klar, mit der Flüchtlings-Krise steht aber nun ein echter Test an, wie weit es mit der Solidarität in Europa reicht. Die Globalisierung ruft nicht mehr, sie kommt. Und sie kommt in Massen. Nicht freiwillig, sondern als Ergebnis der Kriege und der Politik, die Europa und die USA im Nahen Osten und auf dem Balkan angerichtet haben.
Ein Land allein kann die mittel,-und langfristig in Massen von Flüchtlingen enstehenden “Kollateralschäden” nicht auffangen, hier ist zur Bekämpfung der akuten humanitären Katastrophe die EU gefordert. Und es wäre zu wünschen, dass Deutschland da genauso unachgiebig auftritt wie im Zusammenhang mit Griechenlands Schulden. Eine gerechte Verteilungsquote der Flüchtlinge ist da nur der der erste Schritt. Der zweite wäre die Erkenntnis, dass Verschärfung der Grenzkontrollen und schnellere Asyl,- bzw. Abschiebeverfahren, wie sie einige Politiker lautstark fordern, keine Lösung ist, sondern allenfalls ein Herumdoktoren an Symptomen. Denn die Ursachen für die neuen Völkerwanderungen würden nicht beseitigt, selbst wenn Europa sich komplett einmauern könnte. Notwendig ist eine komplette Neuausrichtung der Militär-, Bündnis- Entwicklungs- und Einwanderungspolitik. Wer weiter nach Gusto Länder bombardiert, entstaatlicht und Chaos produziert, wie das US-Imperium und seine europäische Gehilfen das seit Jahrzehnten tun, muss sich über Flüchtlingsströme nicht wundern. Vielleicht müssen sie noch größer werden – mindestens 2 Millionen UkrainerInnen würden ja zB auch gerne kommen – bis diese Neuausrichtung endlich beginnt.