Die Globalisierung ruft nicht mehr, sie kommt…

Die fortgesetzen Anschlägen auf die Flüchtlingsunterkünfte zeigen, wie dünn der Firnis ist, der hinter dem Gesicht des besorgten Bürgers die Fratze des Terrors verbirgt. Und wie leicht es ist, aus dem harmlosen Spießer einen  rasenden Mitläufer zu machen, vielleicht noch zu feige um selbst zu zündeln, aber mit Sympathie für  die Brandstifter.
Ebenfalls gut erkennen konnte man in den letzen Wochen, wie falsch Sicherheitsbehörden gepolt sind, die etwa bei einer Demo gegen das Kohlekraftwerk Garzweiler hunderte Festnahmen und Strafanzeigen für notwendig halten und in Heidenau nur eine einzige.
Klar wurde auch,  das Hass und Hetze in den digitalen Medien dieselben strafrechtlichen Folgen haben müssen wie in der analogen Öffentlichkeit.
Wenig hilfreich – wenn auch emotional  verständlich – war es da, dass Vizekanzler Gabriel angesichts der Vorfälle in Heidenau von “Pack” gesprochen hat. Bei aller Wut über die terroristischen Täter und ihre Claquere darf Kritik den Gegner nicht entmenschlichen, sonst begibt sie sich schnurstracks auf dasselbe niederträchtige Niveau, das sie bekämpfen will. Auch Bundespastor Gauck betreibt mit der geographischen Ansiedlung ihres Treibens in “Dunkeldeutschland” – einst als Unwort des Jahres für den deutschen Osten nominiert –  einmal mehr eher Spaltung statt Versöhnung

Rassisten, Rechtsradikale und andere zurückgebliebene Zeitgenossen sind keine “Schweine”, keine “Ratten”, kein “Pack” und leben auch nicht in einem dunklen Reich des Bösen; solange sie sich an die Gesetze halten, gelten auch für Nazis Meinungs,- und Versammlungsfreiheit. Wenn sie aber andere Menschen bedrohen, beleidigen oder zum Hass anstacheln ist der Rechtsstaat gefordert entschieden einzuschreiten – nicht weil es sich um dunkeldeutsches Pack handelt, sondern weil Gesetze übertreten werden. Punkt. Nicht mehr – aber auch nicht weniger – hat die Regierung angesichts der katastrophalen Lage zu allererst zu tun, um Leib und Leben der Flüchtlinge zu schützen. Das scheint an manchen Stellen noch  schwer zu fallen – soeben gibt sich  der sächsische Verfassungschutzchef Meyer-Plath überrascht, dass die Rechtsxtremisten derart über die Stränge schlagen, die doch sonst immer “das Bild des Saubermanns” abgegeben hätten. Meyer-Plath kennt sich da aus, er hatte u.a. einen wegen Mordversuch an einem Asylbewerber einsitzenden Neonazi als V-Mann rekrutiert. Angesichts der zumindest teilweise offen gelegten Abgründe des NSU-Sumpfs wäre es interessant zu wissen, wie viele staatlich finanzierte V-Männer bei den Protesten mitmischen.

Der häßliche Deutsche

Der “häßliche Deutsche” ist ein altes Klischee, vor dem ersten Weltkrieg in England zwecks Feind-Propaganda erfunden, von Hitler und seinen Horden dann auf schreckliche Weise verifiziert, seitdem von Hollywood als Mythos verewigt – und immer wieder gern bemüht, wenn sich Deutschland mal wieder daneben benimmt. Wie zuletzt Wolfgang “Gollum” Schäuble, als er  Griechenlands Widerstand gegen die Klauen der Finanzdiktatur gnadenlos überrollte. Und wie  jetzt die “besorgten Bürger”, die mit der Selbstbezichtigung “Wir sind das Pack” demonstrieren.
Nun ist es in der Tat häßlich, widerwärtig und brutal, was da in Heidenau und anderswo  geschieht – aber  Rassismus und gewalttätige Fremdenfeindlichkeit sind keine speziell deutsche Eigenart. “Jeder erbärmliche Tropf, der nichts in der Welt hat, darauf er stolz sein könnte, ergreift als letztes Mittel auf die Nation, der er gerade angehört, stolz zu sein,” wußte schon Arthur Schopenhauer – und weil die erbämlichen Tröpfe überall auf der Welt nicht weniger geworden sind, gibt es Rassismus, Nationalismus, Patriotismus  bis heute. Anders als in Deutschland hängen diesen Ideologien in vielen Ländern sogar noch große Mehrheiten an, hier ist es mittlerweile nur noch eine kleine Minderheit. Und verglichen mit den anderen europäischen Ländern, die die Aufnahme von Flüchtlingen ablehnen,  verhält sich die große Mehrheit der Deutschen fast schon vorbildlich.

Dass der Solidargedanke in Europa kaum weiter als bis zum eigenen Portemonaie reicht, wurde im Zuge der Griechenland-Krise zwar schon hinreichend klar, mit der Flüchtlings-Krise steht aber nun ein echter Test an, wie weit es mit der Solidarität in Europa reicht. Die Globalisierung ruft nicht mehr, sie kommt. Und sie kommt in Massen. Nicht freiwillig, sondern als Ergebnis der Kriege und der Politik, die Europa und die USA im Nahen Osten und auf dem Balkan angerichtet haben.
Ein Land allein kann die mittel,-und langfristig in Massen von Flüchtlingen enstehenden  “Kollateralschäden” nicht auffangen, hier ist zur Bekämpfung der akuten humanitären Katastrophe die EU gefordert. Und es wäre zu wünschen, dass Deutschland  da genauso unachgiebig auftritt wie im Zusammenhang mit Griechenlands Schulden. Eine gerechte Verteilungsquote der Flüchtlinge ist da nur der der erste Schritt. Der zweite wäre die Erkenntnis,  dass Verschärfung der Grenzkontrollen und schnellere Asyl,- bzw. Abschiebeverfahren, wie sie einige Politiker lautstark fordern, keine Lösung ist, sondern allenfalls ein Herumdoktoren an Symptomen. Denn die Ursachen für die neuen Völkerwanderungen würden nicht beseitigt, selbst wenn Europa sich komplett einmauern könnte. Notwendig ist eine komplette Neuausrichtung der Militär-, Bündnis- Entwicklungs- und Einwanderungspolitik. Wer weiter nach Gusto Länder bombardiert, entstaatlicht und Chaos produziert, wie das US-Imperium und seine europäische Gehilfen das seit Jahrzehnten tun, muss sich über Flüchtlingsströme nicht wundern. Vielleicht müssen sie noch größer werden – mindestens 2 Millionen UkrainerInnen würden ja zB auch gerne kommen – bis diese Neuausrichtung endlich beginnt.

“Der Journalismus produziert seine Kritiker und Gegner selbst”

PropagandaUnter dem Titel “Querfront – Karriere eines politisch-publizistischen Netzwerks” ist unlängst eine Studie der “Otto Brenner Stiftung” (der IG-Metall) erschienen, die  sowohl methodisch als auch inhaltlich ziemlich mißraten ist, wie hier, hier und hier schon gezeigt wurde. Einmal mehr wird in dieser “Studie” um das Tabu “Verschwörungstheorie” alles Mögliche und Unmögliche zusammengerührt, um mit diesem Brei aus Esoterik, Mumpitz, Nationalismus und der unvermeidlichen Prise “Antisemitismus” alles zu kotaminieren, was dort dann hineingestreut wird. Mir fehlen ja schon lange die Gähntechnologien, um diesem nach dem immer gleichen Muster gestrickten Stumpfsinn noch zu folgen, er begleitet mich seit den ersten Artikeln über 9/11. Wer die offizielle Version der Anschläge bezweifelt, glaubt eben auch an den lebenden Elvis, die reptiloide Alienregierung resp. jüdische Weltverschwörung und geht nur mit Aluhut außer Haus. Und zur neuen “Querfront” gehört er oder sie, wenn er oder sie mit jemanden aus diesem “Netzwerk” einmal gesprochen hat, oder verlinkt wurde. Dass es sich bei der von ihnen behaupteten Front um ein Konstrukt handelt, merken die Autoren dann auf S. 27 zwar selbst – “Ein gemeinsames operatives Ziel des hier untersuchten Netzwerks ist nicht zu erkennen,weder ein publizistisches noch ein ökonomisches oder politisches. Es ist auch keine Strategie zu erkennen, wie das Netzwerk oder einzelne seiner Akteure systematisch mehr Einfluss gewinnen wollen….” – sehen darin aber keinen Grund, den selbst gebastelten Popanz in die Tonne zu treten.

In einem Interview mit Marcus Klöckner bekundet nun der Herausgeber der Studie Wolfgang Storz durchaus richtig: “Der Journalismus produziert seine Kritiker und Gegner selbst”, und fordert zur Zurückgewinnung der Glaubwürdigkeit: “Es muss selbstverständlich werden, dass ein strikter Gegner der Euro-Währung, der Politik des Staates Israel, der offiziellen Version von 9/11 mit seinen Argumenten Teil der Berichterstattung und der Debatte ist. Dann wird gezeigt, wir nehmen die Kritik an dieser Verengung ernst, sie ist ja sehr weit verbreitet, wir ziehen Konsequenzen daraus. So könnten Medien auch Vertrauen zurückgewinnen.”

Hmmmh….hört sich prima an. Ist aber völlig unrealistisch. Denn was würde geschehen, wenn das unaufgeklärte Jahrhundertverbrechen 9/11 von den Großmedien tatsächlich ernsthaft recherchiert und die Ergebnisse debattiert würden ? Es käme heraus, dass es sich bei Osama und den 19 Teppichmesern als Alleintäter um ein Höhlenmärchen handelt und dass die Geheimdienste ( der USA, Saudi-Arabiens, Israels, Pakistans) in den Anschlag mindestens so verstrickt sind wie der deutsche Verfassungschutz in den NSU-Terror. Was natürlich Untersuchungsausschüsse,  staatsanwaltliche Ermittlungen und strafrechtliche Konsequenzen auf höchster Ebene zur Folge haben müßte.

Medien, die die Aufklärung dieses Massenmords so vorantreiben, dass die wahren Hintermänner zur Rechenschaft gezogen werden, würden die hearts and minds der Bevölkerung fraglos im Sturm zufliegen –  das Vertrauen in die Regierungen aber wäre restlos dahin. Weil mit 9/11 als inside job ja auch der gesamte “war on terror”, die sogenannte Sicherheitspolitik, Überwachung, Vorratsdatenspeicherung, “Patriot Act” und und und plötzlich in Frage stünden.  Und Dick Cheney möglicherweise nach Guantanamo verfrachtet, Chelsea Manning  den Friedensnobelpreis bekommen und Edward Snowden Datenschutzbeauftragter der Vereinten Nationen würde. Kurz: nach der 9/11-Aufklärung wäre so ziemlich nichts mehr wie es war. Eben deshalb findet sie nicht statt. Und Journalismus, der sich diesem Tabu unterwirft, ist keiner mehr.

Der Möglichkeitsdenker – Egon Bahr R.I.P.

Egon Bahr ist 93-jährig an Herzversagen gestorben – ein gesegnetes Alter, das er bei klarem Kopf und “rüstig” erleben konnte.  Bis ins hohe Alter war er einer der wenigen (Ex-)Politiker, auf deren kluge, weise, gewitzten Ansichten und Urteile ich wirklich etwas gab.  Die Entspannungspolitik Richtung Ostblock, die er seit Mitte der 60er Jahre mit seinem Chef Willy Brandt betrieb,  sorgte dafür, dass er  in meiner CDU-dominierten Provinzheimat damals als “Vaterlandsverräter” beschimpft wurde – und ich mit 17 in die SPD eintrat. Um nach ein paar Monaten mein Parteibuch unter Protest wieder zurück zu schicken, nachdem der zum Verteidigungsminister bestellte Georg Leber verkündet hatte, dass man die vor der Wahl versprochene Abschaffung der “Gewissensprüfung” für Kriegsdienstverweigerer doch noch beibehalten wolle. Die alte Kommunisten-Parole “Wer hat uns verraten – Sozialdemokraten!” kannte ich damals zwar nicht, fühlte mich aber persönlich verarscht, weshalb es mit der SPD-Liebe nichts mehr wurde. Die Ostpolitik von Brandt und Bahr fand ich aber nach wie vor absolut richtig, zumal sie – wiederum persönlich als nunmehr Student in Westberlin – dank Transit,-und Passierscheinabkommen konkrete Reisereleichterungen mit sich brachte. Dass die deutsche Wiedervereinigung 1989 so nicht stattgefunden hätte ohne diese frühe Ostpolitik, für die Egon Bahr das Motto “Wandel durch Annäherung” prägte, wird in den Nachrufen auf das sozialdemokratische “Urgestein” sicher überall vermerkt. Weniger aber wird wohl die Frage gestellt werden, warum eigentlich auf diesen visionären”Architekten”, “Baumeister” und “Wegbereiter” einer friedensfördernden und  erfolgreichen Politik in der SPD niemand mehr hört. Nötig wäre das angesichts der fatalen Rusland,- und Ukrainepolitik allemal.

Weil ich ihn in unserem Buch “Wir sind die Guten” zweimal zitiert hatte, schickte ich Egon Bahr ein Exemplar in sein Büro im SPD-Haus – und fiel fast vom Hocker als er mich Anfang März anrief und sagte: “Ich habe ihr Buch gelesen und finde es großartig. Habe viel darin gelernt.” – “Herr Bahr, ich werde rot”, sagte ich, “dass ein junger Spund einem alten Meister wie ihnen…” – “Wie alt sind Sie denn ?”  – “60” – Na dann sind Sie ja wirklich ein junger Spund. Aber alt genug. Als Brandt mich zum ersten Mal mit nach Bonn zu Adenauer mitnahm, sagte der: `Politiker unter 50 sind nicht ernst zu nehmen, die sind noch in der Pubertät´, was mich maßlos aufregte. Heute würde ich sagen, er hatte recht.” Nach dem Lacher sprachen wir noch ernst und fast eine halbe Stunde über die politische Lage und Bahr erzählte, dass er gerade an einer Rede schreibe, zu der er Ende März von der Deutsch-Russischen-Gesellschaft eingeladen worden sei. “Ich fahre aber jetzt erst mal in Urlaub und weiß nicht, ob ich sie überhaupt halten werde.” – “Warum nicht?” – “Die Lage ist brisant, wenn sie weiter eskaliert sind Jahrzehnte der Ostpolitik in Trümmern. Und auf einem Scherbenhaufen will ich nicht reden.”

Egon Bahr hat diese Rede dann – nach dem Minsker Abkommen –  Ende März gehalten. Bettina Gaus, deren Vater ein lebenslanger Freund Bahrs war, mußte sie für den Abdruck in der taz kürzen und sich das OK für die Streichungen einholen. Darüber und über Egon Bahrs Kichern hat sie in ihrem Nachruf geschrieben: “Möglichkeiten, immer und überall”.

Aufbau Ost 2.0: Ein Flüchtling auf 107 Einwohner

1280px-EdiktPotsdamIn Deutschland werden nach aktuellen Prognosen für dieses Jahr insgesamt 750.000 Flüchtlinge erwartet, macht bei 80,6 Millionen Einwohnern ein Verhältnis von 107: 1. Das ist ja nun alles andere als ein Drama. Selbst wenn wir eingefleischte Xenophobiker, Nazis und andere Gestörte abziehen kommt auf hundert geistig gesunde Bundesbürger sage und schreibe ein Mensch, dem es zu helfen gilt. Wenn eine/r dieser hundert ein Zimmer frei hat, wäre für die anderen 99 der Fall schon fast erledigt. Unter ihnen ist garantiert auch ein Arzt, der medizinisch helfen und  ein Psychologe, der sich des Kriegs,- und Fluchttraumas annehmen könnte. Kleider, Lebensmittel, TVs, Handys, Computer sind im Überfluss vorhanden um den Flüchtling erstmal komplett mit allem Notwendigen auszustatten. Wenn dann noch die Gutverdiener unter den 100 monatlich ein paar Euro stiften hätte unser Flüchtling ohne großen Aufwand  schon mal zumindest einen Hartz4-Lebensstandard – ohne dass es irgendwem wehtut.

Ja aber, höre ich da,  das kann doch keine Lösung sein. Stimmt. Auf Dauer sollte das schon anders organisiert werden. Aber die Statistik und die Relation hilft, die Größe und Risiken des Problems einzuschätzen – und die hysterisierenden Nachrichten von “Schwemme”, “Flut”, “Katastrophe” zu relativieren. Für den Libanon –  wo 5,8 Mio Einwohner mit 1,3 Mio Flüchtlingen klar kommen müssen (Verhältnis 4,4 : 1) – mögen solche Metaphern zutreffen, hier sind sie maßlos überzogen. Wenn auf 107 vergleichweise saturierte Deutsche gerade mal ein Flüchtling kommt,  kann man allenfalls von “Rinnsal” sprechen. Wer diesen Tropfen durch die Dämme der Festung Europa zur Oderflut stilisiert, macht sich der Demagogie schuldig. Und der weiteren Radikalisierung wildgewordener Xenophobiker und ihres Terrors gegen Flüchtlinge.

Apropos Oder: stehen nicht Meck-Pomm und Brandenburg mittlerweile ziemlich leer ?  Könnte man nicht, wie es zuletzt der Alte Fritz mit den geflohenen Hugenotten erfolgreich vorexerzierte, zack zack ein neues Ansiedelungs,-und Wiederbelebungsprogramm starten, auf dass die halb toten Städte und Dörfer wieder aufblühen ? Weil dort jeder “nach seiner Fasson” leben kann ? Wer wenn nicht afrikanische Öko-Bauern, arabische Handwerker und die langen Kerls vom Balkan sollen einen solchen Aufbau Ost 2.0 hinbekommen. Die letzten Bio-Deutschen, die in diesen Regionen noch leben, werden es nicht schaffen und die Reste von vernagelten Teutonen, die unter der Reichskriegsflagge von Hitler träumen schon gar nicht. Fragt sich nur, wann Mutti die Gummistiefel anzieht und zum ersten Spatenstich schreitet….

Von Griechenland,- und Putin-Verstehern

TOPSHOTS-GERMANY-RUSSIA-MERKEL-PUTIN-PROTEST“Auf Partys in deutschen Designerküchen wird man immer noch angeschaut, als wäre man Rudi Dutschke, wenn man sich als Griechenlandversteher outet. Aber wer ist eigentlich radikaler? Der, der sagt, dass diese Rechnung nie aufgehen wird? Oder “diese nüchternen, beanzugten, ernsten Menschen, die sich selbst als die einzigen Erwachsenen im Raum betrachten, und die doch in Wahrheit verrückte utopische Fantasten sind, die einem fanatischen ökonomischen Kult anhängen”, wie George Monbiot kürzlich im Guardian schrieb? Es sind genau die Jünger jenes Kults, der im Seminar von 1987 noch so viel Heiterkeit auslöste.” Damals, als Student, hatte Sebastian Schoeps im Amerikanistik-Seminar über “Reagonomics”  und die Trickle-Down-Theorie referiert, nach der man um den Armen zu helfen die Reichen reicher machen müsse, Gelächter geerntet und galt als “Liberaler” weil er nicht in Wackersdorf demonstrierte. Heute, nachdem der fanatische Kult unter dem Namen “Neoliberalismus” zur herrschenden Ideologie der Wirtschaft geworden ist, gilt er als “Radikaler”, weil er für die Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft (und einen Schuldenschnitt Griechenlands) plädiert. Sein Essay über diese merkwürdige Koordinaten-Verschiebung  – “Hilfe, bin ich Links?”  – hat mir gefallen. Und als jemand, der auf Partys auch manchmal wie der Leibhaftige angeschaut wird, kann ich ergänzen:  als “Putinversteher” geht es einem ganz ähnlich. Auch wenn man gar nichts anderes vertritt als die SPD in den 70er Jahren – etwa im Schlußakkord unseres Buchs “Wir sind die Guten” :

»Wandel durch Annäherung« lautete 1963 die von Egon Bahr geprägte Formel, die eine neue deutsche Ostpolitik einleitete, als Alternative zur alten Politik der Stärke der Versuch des gegenseitigen Verstehens und Verhandelns. Ein Vierteljahrhundert nach dem Fall der Berliner Mauer, der den Erfolg dieser visionären Strategie krönte, ist es höchste Zeit, sich wieder an dieses außenpolitische Erfolgsmodell zu erinnern.”

Wo  solche Forderungen  mindestens als unreputierlich wenn nicht gar als extrem und indiskutabel gelten, läuft etwas schief – nicht bei denen, die sie aufstellen, sondern bei denen, die sie vom Tisch wischen. Dass ein Griechenland, – oder ein Putin-“Versteher”, kein “Verehrer” der verschuldeten Griechen oder des autokratischen Kreml-Chefs ist, sondern ein Realist, können die Jünger des Neoliberalismus,- oder des Nato-Kults nicht sehen. Sie halluzinieren standhaft weiter, dass die gigantischen Schulden zurückbezahlt werden und der Machtwechsel in Kiew eine demokratische Revolution war. Dass die Schulden unbezahlbar sind und in der Ukraine der Bürgerkrieg immer weiter eskaliert muss zur Vermeidung kognitiver Dissonanz systematisch ausgeblendet werden. Wenn die Griechen endlich mal fleissig arbeiten und der böse Putin weg ist wird alles gut! Wo der Mainstream sich mit diesem Mantra einlullen lässt, ist es weder links noch liberal noch rechts sondern einfach nur vernünftig, stramm gegen den Strom zu schwimmen.

Jetzt aber wirklich: Landesverrat!

landesverrat

Wenn die von der nach dem Niedergang der Medien letzten Zitadelle der fünften Gewalt, Wikileaks, veröffentlichten Selektorenlisten, mit denen die jahrzehntelange systematische Ausspähung von  Regierung, Wirtschaftsunternehmen und Bevölkerung in Deutschland dokumentiert wurde, kein Fall für die parlamentarische Kontrolle der Geheimdienstarbeit ist – was dann ? Doch die Bundesregierung hat sich bisher standhaft geweigert, dem Gremium die kompletten Listen zur Verfügung zu stellen – mit dem Hinweis, dass dies gegen das “Völkerrecht” verstoße und die Amerikaner dann die Geheimdienstkooperation mit Deutschland einschränken würden. Nun meldet die “Zeit” unter Berufung auf eine anonyme Quelle im Weissen Haus, dies sei eine “absolute Mär”. Man hätte die letzte Entscheidung darüber sehr wohl der Bundesregierung überlassen.

Wie bei namenlosen Informanten – sie werden als “Mitarbeiter von Barack Obama” zitiert – stets angebracht,  ist die Nachricht mit Vorsicht zu geniessen, auch wenn sie aus der stramm transatlantisch gebürsteten “Zeit” kommt. Dass das Kanzleramt aber den großen Bruder nur vorgeschoben hat, um sich weitere Peinlichkeiten zu ersparen, ist ohne Weiteres vorstellbar. Schließlich geht  es ja darum, dass nicht nur eine “fremde Macht” nach Gusto in Deutschland abhören konnte, sondern dass der Bundesnachrichtendienst dazu seit 1999 aktive Beihilfe geleistet hat. Und wie nennt man es, wenn ein für die Auslandsaufklärung zuständiger Geheimdienst  die eigene Regierung im Inland ausspionieren hilft ? Richtig: “Landesverrat”.

Kein Wunder also, dass die Regierung ein solches Groß-Debakel tunlichst vermeiden will – es reicht schon , dass der Verfassungsschutz in Sachen NSU mit auf der Anklagebank sitzt, jetzt auch noch dem BND den Prozess machen geht nicht; kein Wunder auch, dass die zur strammen Verteidigung des Rechtsstaats beim  Bundesgerichtshof bestellte Mannschaft betreten “Salatsauce und die Fusilli siciliana” fixiert, wenn die Stichworte “NSA” und “Legalität” fallen. Es ist ein großes Fass, das da dank Wikileaks geöffnet wurde  und bei dessen Aufklärung sich Abgründe auftun. Denn  ein Geheimdienst, der die Industriepionage fremder Staaten nicht verhindert, sondern unterstützt und  ein Verfassungsschutz, der verfassungsfeindliche Nazis nicht bekämpft, sondern finanziert und ausbildet, sie müssen, wenn nicht  sofort abgeschafft,  umgehend ruhig und vom Kopf auf die Füsse gestellt werden.  Es geht nicht mehr um “technische und organisatorische Defizite” , sondern um kriminelles Versagen – sowohl der Dienste als auch ihrer Überwacher.

Ein Abgrund…

Die causa Netzpolitik.org hatten wir hier ja schon mehrfach behandelt und nach der Einstellung des Verfahrens ist nichts mehr Nenenswertes geschehen. Heute aber hat Thomas Fischer, seines Zeichens “Zeit”-Kolumnist und Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof, einen großartigen Essay über den ganzen Fall veröffentlicht, den ich unbedingt zur Lektüre empfehle.  Ich mußte fast bei jedem Absatz lachen, obwohl die Sache ja eigentlich gar nicht komisch ist. Aber Fischer ist nicht nur  kompetent und kennt sich im Procecdere juristischer und  politischer Angelegenheiten auf höchster Ebene aus,  er kann auch schreiben und nimmt kein Blatt vor den Mund. Etwa wenn er aus der Kantine seines Hauses berichtet:  “Wann immer, so mein Eindruck, an den Tischen der bundesgerichtshöflichen Kollegenschaft das Akronym “NSA” fiel und das Wort “Generalbundesanwalt” und der Begriff “Legalität”, senkten sich die Köpfe rasch über die Salatsauce und die Fusilli siciliana.” Doch nicht nur die feigen Kollegen – qua Amt am BGH eigentlich zur schärfsten Rechtsstaatsverteidigung verpflichtet – kriegen es ab, auch die Journalisten bleiben zu Recht nicht verschont:

“Was ist Pressefreiheit? Haben Sie, liebe Redakteure und Redakteurinnen, schon einmal wirklich darüber nachgedacht, jenseits der im Halbstunden-Rhythmus upgedateten Alles-Wisserei? Haben Sie nicht bemerkt, dass Ihnen, je schneller Sie werden, desto weniger Menschen glauben? Bemerken Sie nicht, liebe Absolventen der Springer- und der Nannen-Schule, liebe Medienkunst-Sportreporter, “Quereinsteiger”, Lebenskünstler und Alles-schreiben-Könner, dass Sie mit all Ihren Träumen vom Journalismus in einem Spiel mitwirken, das mitunter ein übles ist? (…)

Was ist “Staatsmacht”, was ist “Pressefreiheit”, was “Verhältnismäßigkeit”? Mir kommt es vor, als ob “die Presse”, in welcher Form auch immer, eine absurde Macht über die Definition der Wirklichkeit und Wahrheit erlangt habe, in demselben Maß, in welchem ihre Glaubwürdigkeit und soziale Verbundenheit mit dem Bürger schwindet. Das Bild der Wirklichkeit ist eine wichtigere Nachricht als die Wirklichkeit selbst. Journalisten, deren intellektuelle Fähigkeiten und Fachkenntnisse gerade eben zum Zubinden der Schuhe und zum Auftragen von Mascara ausreichen, erklären Hunderttausenden von Medien-Konsumenten die Welt (wie sie ihnen oder ihren Marionettenspielern gefällt). Jede Kritik daran gilt als Angriff auf die Wahrheit. Jeder Bild-Reporter ist ein Freiheitskämpfer, und jeder Schnösel aus dem “Vermischten” ein legitimer Nachfolger von Karl Kraus.”

Vertrauen wär gut…

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Die “Zeit” hat mal wieder einen länglichen Artikel über Verschwörungstheorien, leider aber, wie üblich bei diesem Thema, Dünpfiff as usual, gestrickt nach Schema F. Also: zuerst mal verrühren mit skurilen Thesen (“Reichsbürger”, “Chemtrails”, Erich von Däniken), dann über die Informationsflut im Internet jammern (“Alles kann stimmen, aber auch sein Gegenteil.”) und den Verlust der Deutungshoheit der alten Medien monieren (“Früher misstrauten die Menschen in Deutschland vor allem einem Medium, der Bild-Zeitung. Inzwischen ist dieses Misstrauen auf die Branche übergegangen.”). Dann ein paar kühne Pauschalisierungen von akademischen Experten –  “Verschwörungstheoretiker zweifeln pauschal an der offiziellen Berichterstattung, aber eigentlich nie an sich selbst”, bewegen sich in einem “Paralelluniversum” und sind somit immun gegen Kritik. Also letzlich zu simpel gestrickt: “Die Verschwörungstheorie ist einfacher und somit stimmiger als die Wirklichkeit.” Da hilft nur: “Vertrauen” muß zurückgewonnen werden, um der Demokratie willen. “Früher lieferte die Weltanschauung den Kontext. Heute müssen wir ihn selbst herstellen. Das ist anstrengend.”

Tja, da hat die alte Tante “Zeit” ja noch was vor. Für’s erste wäre ja schon mal eine qualifizierte Darstellung des Buzzwords “Verschwörungstheorie” als psychologischer Kampfbegriff angebracht, und sodann ein kleine Serie über alle die schönen Verschwörungstheorien, für die Leute über Jahrzehnte als paranoide Spinner verunglimpft wurden und die sich dann als wahr herausstellen. Beim Auffliegen des NSA-Skandals hatte Fefe 2013 schon mal ne kleine Liste gemacht:

“Die Existenz der NSA war jahrelang eine Verschwörungstheorie, dann Echelon, dann dass sie auch Amis abhören. Das Nato-Stay-Behind-Netzwerk war Verschwörungstheorie. Dass die Polizei Undercover-Cops als Provokateure einsetzt, um einen Vorwand zu schaffen, Demonstranten plattzuprügeln, war lange Jahre eine Verschwörungstheorie. Dass auch der Westen unsere Post gelesen hat, nicht nur der Osten, war jahrelang Verschwörungstheorie. Dass die CDU sich über Schwarzgeld finanziert. Dass Atomkraftwerke gefährlich sind und in die Luft fliegen können. Dass in Militärlabors Krankheitserreger tiefergelegt werden, für höhere Tödlichkeit, zum Einsatz im Krieg. Dass Regierungen Gehirnwäsche-Programme haben. Bewaffnete Raumstationen. Orbitale Laserwaffen. Dass Entwicklungshilfe Industrieförderung ist. Dass vorgeblich humanitäre Kriege tatsächlich aus handfesten imperialistischen Gründen wie Ölrechte geführt werden. Hey, sogar dass der Westen in fernen Ländern an Putschen beteiligt ist, war mal nur eine Verschwörungstheorie. Oder dass Geheimdienste Drogen schmuggeln. So langsam werden die Theorien knapp, die sich noch nicht als wahr herausgestellt haben.”

Eben deshalb gibt es keinen Artikel zum Thema, der ohne den lebenden Elvis, Reichsflugscheiben oder anderen skurilen Mumpitz auskommt. Wer den gesellschaftlichen, weltanschaulichen Zusammenhalt der Demokratie durch vertrauensbildende Maßnahmen fördern wollte, hätte diese stattgefundenen und stattfindenden realen Verschwörungen darzustellen und aufzuarbeiten. Unabhängige und öffentlich-rechtlich finanzierte Medien wurden dafür eigentlich einmal erfunden. Die Antwort auf die Frage, warum sie es nicht tun, ist nicht schön: die Illusion der Demokratie wäre vermutlich dahin…

“Peace ‘n’ Pop“

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Kleiner TV-Hinweis: heute Abend (22.00)  auf Arte die Doku “Peace ‘n’ Pop“, die den Anfängen der antimiliatristischen Gegenkultur nachspürt. Zuerst “Make Love Not War 1950 – 1979″ und direkt im Anschluß  “Frieden und Popkultur von den 80ern bis heute”.  Christian Bettges hat mich für die Sendung über die Rolle von psychoaktiven Substanzen in der  Hippie,- und Spontibewegung befragt – hier die kurzen Trailer-Clips auch mit den anderen Interviewten.